Leihen statt Kaufen: Pola Fendel stellt die Modewelt auf den Kopf

Die Kunststudentin Pola Fendel, 25, gründete vor rund 2,5 Jahren zusammen mit Thekla Wilkening die Kleiderei, Deutschlands erste Leihbibliothek für Mode. Was klein in einem Galerieraum auf St. Pauli begann, wurde schnell sehr groß. Die Kleiderei ging online und seit Kurzem hat das Team eine luftig große Fläche nahe den Hamburger Elbbrücken bezogen. Von Kapitalismuskritik über Frauenquote bis hin zum Kunstbetrieb – über all diese Themen kann man wunderbar mit Pola Fendel diskutieren. Und genau das haben wir getan.

Femtastics: Hand aufs Herz: Kannst du Klamotten überhaupt noch sehen?

Pola Fendel: Ja und nein. Ich habe mich nie mit Mode beschäftigt. Wenn ich etwas schön finde, finde ich es schön. Ich verfolge aber keine Trends.

Und doch ist Mode jetzt dein täglich Brot. Wie ist es dazu gekommen?

Wir haben die Kleiderei nicht wegen der Mode erfunden, sondern wegen allem anderen.

Aber ein Zugang muss ja da gewesen sein, schließlich verleiht ihr keine Äxte.

Wir haben schon ein Problem in der Modewelt gesehen und auch bei uns selbst. Mir ging es auch so, dass ich Sachen zweimal an hatte und dann dachte, dass ich sie nicht mehr sehen kann oder mich nicht mehr darin wohlfühle. So kamen wir auf die Mode. Jeder, der irgendwie Zeitung liest, weiß, dass viel in der Branche schief läuft. Die Bedingungen, unter denen Menschen arbeiten um die Kleidung herzustellen, die wir tragen, sind einfach nicht okay. Die Idee des Kleiderleihens lag also auf der Hand.

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Pola wohnt in einer WG in St. Georg.

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An ihrer Kleiderstange hängen vor allem ausgewählte Vintagestücke – und viele Dino- und Mickey-Mouse-Prints.

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„Der Rucksack war der Star auf dem letzten Katy Perry Konzert in Hamburg – die blaue Perücke auch“, erzählt Pola.

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pola-fendel-neue-kleiderei Weiter geht’s in die Kleiderei: Vor Kurzem ist das Hamburger Mädels-Unternehmen umgezogen – in die 7. Etage eines Bürokomplexes bei den Elbbrücken.

Warum können wir Kleidung so schnell nicht mehr an uns sehen. Woher kommt das?

Das ist die interessanteste Frage. Ich denke schon, dass es zum großen Teil an den Medien liegt, die uns suggerieren, wir müssen ständig Neues kaufen. Selbst wenn man sich dem gegenüber total verweigert, sieht man zum Beispiel überall Blumenprints und denkt: Wie schön! Ich brauche Blumenprints!

Was per se nicht schlimm ist.

Nein, aber man muss die richtigen Wege finden, einen gesunden Konsum zu haben. Das hat auch viel damit zu tun, wie man sich selbst wahrnimmt. Der Stil verändert sich auch ständig, gerade wenn man noch jung ist. Wir verändern uns so viel, probieren viel aus und lernen ständig neue Leute kennen. Mit neuen Gedanken kommen neue Ausdrucksformen.

Wenn man seinen Stil gefunden hat, konsumiert man also weniger?

Vielleicht hört es auch nie auf. Viele Sachen aus der Kleiderei sind von meiner Mama. Die fühlt sich manchmal wie der junge Hüpfer und dann hat sie wieder ihre Motto-Shirt-Phase. Das hängt schon viel mit der Persönlichkeit zusammen. Leute, die sehr fokussiert und gradlinig sind, haben oftmals einen sehr festgelegten Stil.

 

Es geht um die Frage, wie viel brauche ich wirklich? Und wofür gebe ich Geld aus?

 

In der Kleiderei kann man wiederum in andere Rollen schlüpfen – ohne die Kleidung zu besitzen.

Das müssen wir immer erklären. Wir sind nicht gegen Konsum, eigentlich sind wir ein krasser Konsumtempel. Du kannst hier ja noch viel mehr Sachen haben, als du sie normalerweise haben würdest. Es geht überhaupt nicht darum, dass die Leute keine Kleidung besitzen sollen. Es geht um die Frage, wie viel brauche ich wirklich? Und wofür gebe ich Geld aus? Manche Kundinnen bestellen sich zum Beispiel einen blauen Blazer und kombinieren ihren ganzen Kleiderschrank neu damit durch.

Ihr konzentriert euch mittlerweile komplett auf das Online-Geschäft und habt eine Fläche mit wenig Laufkundschaft bezogen.

Wir haben nicht damit gerechnet, dass es online gleich so gut anlaufen würde. Im Laden haben wir dann relativ schnell gemerkt, dass wir den Leuten nicht mehr gerecht werden konnten, weil wir viel am Computer saßen. Früher haben wir stundenlang mit unseren Kunden rumgehangen und gequatscht. Das ging nun nicht mehr. Außerdem ist Leihen ein Stück weit anstrengender als Kaufen, weil du das Teil ja auch immer wieder zurückbringen musst. Online ist das einfacher, weil dort 24/7 geöffnet ist.

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Ins Office haben wir uns sofort verguckt – sonst sitzt Pola hier mit ihrer Kollegin und Kleiderei-Mitgründerin Thekla Wilkening.

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Das Fransenshirt stammt von dem Hamburger Label Ethel Vaughn – kann natürlich geliehen werden!

 

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Du hast Kunst studiert und gerade deinen Bachelor an der HfbK gemacht. Heißt deine Zukunft Kunst oder Kleiderei?

Ich wollte nie bildende Künstlerin sein, das war mir nach zwei Jahren Studium klar. Wenn, dann als Anarcho-Bienchen, das versucht, das System zu zerschießen. Aber man kann sich eigentlich nicht ernsthaft in diesen Kunstmarkt einordnen wollen. Irgendwann war ich nur noch angeekelt. Es kann nicht das Lebensziel sein, dass Ölscheichs in Abu Dhabi deine Bilder kaufen.

Du wirkst sehr unabhängig, glücklich und lebst im Hier und Jetzt.

Ich bin auch oft überfordert, habe Angst und denke, dass ich alles hinschmeißen möchte. Es ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Aber ich kann nicht gut einfach nur chillen. Wenn ich in Urlaub fahre, dann zum Beispiel nach Sarajevo zum Film Festival und nicht an den Strand. Ich muss immer was tun und liebe es, neue Dinge zu entdecken.

Hast du ein Glücksprinzip?

Neulich habe ich zwei Punkerinnen zugehört, die mit einem Busfahrer über die perfekte Welt diskutiert haben. Eine erzählte dann von Studien, die besagen, dass die meisten Menschen nicht mehr in Berufen arbeiten, die man braucht, sondern die künstlich vom Kapitalismus erschaffen wurden. Man braucht zum Beispiel den Schuhmacher, aber nicht den Schuhverkäufer oder den Schuhladen. Alle Leute, die ich kenne, die in Werbeagenturen arbeiten, sind immer die zerfressensten Menschen, die sich fragen: Was mache ich hier eigentlich und wofür arbeite ich? Ich glaube, mein Glück ist es, dass ich mir einen Job geschaffen habe, den ich für sehr wichtig und sinnvoll halte. Man muss sein Glück selbst in die Hand nehmen, deswegen finde ich auch die Frauenquote ganz schlimm …

Frauen fordern zu wenig, Frauen wollen zu wenig und Frauen trauen sich zu wenig zu.

… warum genau?

Wie kann man denn die Lösung des Problems darin sehen, dass Papa kommt und von oben etwas vordiktiert? Wichtig ist, dass Frauen endlich checken, dass, wenn sie Sachen selber machen und sich ihr eigenes Universum kreieren, sie sich unabhängig von Männern und von Männerfinanzierung machen. Frauen fordern zu wenig, Frauen wollen zu wenig und Frauen trauen sich zu wenig zu. Das Problem ist nicht die Quote, das Problem liegt woanders.

Da gehört natürlich viel Mut zu.

Ja, aber wenn man irgendwas bewegen will, muss man es schon selber machen. Das kann nicht von oben kommen, du musst es dir selbst erkämpfen. Wenn du gegen Mauern rennst, musst du deine eigenen Wege finden, oder die Mauern einreißen.

Wir sind dabei! Vielen Dank, Pola.

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Hier findet ihr Pola:

 

21 Kommentare

  • Svenja sagt:

    Wieder ein tolles Interview, finds super, dass ihr hier so viele verschiedenen Lebensstile/Jobs vorstellt!

  • Mathilde sagt:

    Inzwischen habe ich auf den Seiten der Kleiderei nachgelesen, dass die Mädels ihre Pakete über den GoGreen Versand von DHL verschicken. Seitdem überlege ich, ob eine eigentlich gute Sache (mehr leihen, weniger kaufen) nicht doch lauter schlechte Nebeneffekte hat. Weil Green hin oder her, Kuriere zu schlechten Arbeitsbedingungen durch die Stadt düsen und sie Ausgleich hin oder her erst mal zusätzlich verpesten. Ach, ich finde die moderne Welt gelegentlich schwierig.

    • Lisa van Houtem sagt:

      Liebe Mathilde,
      über den Punkt haben wir auch gesprochen – die Problematik der umweltschädlichen Logistik beschäftigt Pola und Thekla sehr. Am Ende des Tages muss man irgendeinen „kleinen Tod“ wohl immer sterben. Leider.
      Liebe Grüße,
      Lisa

  • Philou sagt:

    So schön die Ideen und Unternehmen vieler selbstständiger Ladies sind, so unschön finde ich oftmals deren mangelnde Solidarität mit Frauen, die unter anderen Bedingungen arbeiten. Immer nur zu sagen „hej, ich bin stark, habe Mut und Power, mache mein Ding, macht es mir einfach nach“ greift wohl für viele andere zu kurz. Nicht jede kann oder möchte sich selbstständig machen und das ist auch nicht die Lösung. Quoten oder andere Förderungsinstrumente zu bashen erscheint dann etwas arrogant. Wir brauchen sie, um die vielen hervorragend qualifizierten Frauen dorthin zu bringen, wo sie hinmöchten und momentan an immer noch struktureller Diskriminierung, insbesondere männlich geprägten Anforderungen oder Vorurteilen scheitern. Es geht nicht darum, „von oben etwas vorzudiktieren“, sondern darum, die aufgrund der guten Ausbildung zahlrreicher Frauen geschaffene Chancengleichheit auch tatsächlich zu verwirklichen. In führenden Positionen angekommen, könnten sie die Arbeitsbedingungen verstärkt nach ihren Bedürfnissen gestalten und eine für beide (oder alle!) Geschlechter besser passende Arbeitswelt schaffen, die sich bestimmt auch zugunsten der Selbstständigen auswirkt…
    Also, unterstützt euch gegenseitig, Mädels! Es lohnt sich bestimmt für alle.

    • Magdalena sagt:

      Danke liebe Philou,
      genau das habe ich beim Lesen auch gedacht und überlegt wie ich es formulieren kann. Dann habe ich Deinen Kommentar gelesen – besser kann man es nicht ausdrücken.

      • Lotte sagt:

        Ja, ging mir ähnlich. Zu behaupten, Frauen müssten sich einfach nur genug anstrengen, ist naiv und arrogant. Da hat die Dame wohl einfach (glücklicherweise) noch nicht die Erfahrungen gemacht, die viele andere Frauen machen müssen. Es liegt ja nicht an den Frauen, sondern an grundlegenden patriarchalen und sexistischen Strukturen in Deutschland (die man vllt. als Selbstständige nicht so bemerkt) und die ändert man nicht, indem man sich einfach noch mehr anstrengt.

        • Pola sagt:

          Hey ihr drei, um kurz Begrifflichkeiten zu klären: Mein Quotenzitat klingt hier allgemein, im Gespräch ging es konkret um ProQuote Regie. Ich habe tatsächlich ein generelles Misstrauen gegenüber Quotenlösungen im Allgemeinen (ich bevorzuge Einzelfälle und Einzellösungen), aber ich maße mir natürlich keine Meinung bezüglich zum Beispiel der Frauenquote in Firmenvorständen etc an, da habe ich ganz einfach keine Ahnung von. Allerdings kann ich nicht anders, als mich auch bei diesen Kommentaren wieder zu fragen, ob ich mich mit oder ohne Quote in die „grundlegenden patriarchalen und sexististischen Strukturen“ in meinem Land einordnen möchte, oder diese Strukturen grundsätzlich verändern will. Wie auch immer, ich habe für mich einen Weg gefunden, der sich gut anfühlt – jede(r) kann aber natürlich eigene Lösungen suchen und finden.

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