Juristin Hanan Kayed vermittelt Geflüchtete in WGs

2. Mai 2017

Warum können geflüchtete Menschen in Deutschland nicht einfach in WGs wohnen statt in Massenunterkünften? Das hat sich das Team von Flüchtlinge Willkommen auch gefragt. Im Herbst 2014 beschlossen die Gründer Mareike Geiling und Jonas Kakoschke, ein Zimmer in ihrer Wohnung einer geflüchteten Person zur Verfügung zu stellen. Einen Monat später zog Bakary aus Mali bei Jonas und Mareike ein – die erste WG, die durch das Projekt entstand. Mittlerweile gibt es Büros in Berlin, Hamburg und Leipzig. Seit sechs Monaten ist die Berliner Juristin Hanan Kayed bei „Flüchtlinge Willkommen“ mit an Bord und bringt Wohnraumgebende und geflüchtete Menschen zusammen. Wir treffen Hanan in Berlin und sprechen über die problematische Unterbringung von Geflüchteten in Massenunterkünften, ihre Wünsche an die Flüchtlingspolitk und natürlich darüber, warum jede WG einen Geflüchteten als neuen Mitbewohner in Betracht ziehen sollte!

Das WG-Leben ist wie Reisen, ohne das Haus zu verlassen.

Warum sollte jede WG mal darüber nachdenken, ihren Wohnraum mit Geflüchteten zu teilen?

In 98 Prozent unserer Vermittlungen bekommen wir von den WGs das Feedback: “Das ist das Beste, was wir je gemacht haben!” Es ist ein ganz normales WG-Leben, nur mit dem Vorteil, dass du mit einer Person mit Fluchtgeschichte zusammen lebst und dass du diese Person besser verstehen kannst und einen besseren Einblick in die Thematik bekommst.

Ich habe ähnliche positive Erfahrungen gemacht. Es zieht zwar eine gewisse Traurigkeit mit ins Leben ein und zum Teil auch eine große Frustration, die mit dem nervenaufreibenden Asylverfahren mit einhergeht, aber das muss man gemeinsam tragen. Probleme kann man teilen, dann werden sie ein bisschen leichter. Außerdem lernt man seine Stadt neu kennen!

Die Menschen bringen eine neue Kultur mit, die eine große Bereicherung darstellt. Das WG-Leben ist wie Reisen, ohne das Haus zu verlassen. Jeder von uns reist gern und lernt gern neue Kulturen kennen. Das ist doch schön!

Und es sind oftmals Kulturen, die man eher schwierig auf eigene Faust kennenlernen kann – wie eben beispielsweise die afghanische oder die irakische Kultur.

Genau! Generell bekommt man von den Medien ein gewisses Bild von einem Flüchtling vermittelt, aber dieses Bild kann man erst für sich bestätigen, wenn man im direkten Kontakt mit einer Person ist, die eine Fluchtgeschichte hat. Was hat die Person dazu bewegt, ihr Land zu verlassen? Jeder vermisst seine Heimat, wenn er in ein anderes Land geht – das geht Deutschen genauso. Wenn in Deutschland Krieg ausbrechen würde und ich flüchten müsste, würde ich Deutschland auch vermissen.

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Die Juristin Hanan Kayed arbeitet im Berliner Büro von „Flüchtlinge Willkommen“.

Wie läuft es ab, wenn man als Wohnraumgebender ein Zimmer bei Flüchtlinge Willkommen anmelden möchte?

Du meldest dich und dein Zimmer einfach bei uns auf der Website an. Wir melden uns und lernen die WG persönlich kennen, das kann in einem unserer Büros passieren oder wir besuchen die WG direkt. Wenn alles passt, suchen wir eine passende Person für die WG, die wir vorher kennenlernen. Als nächstes gibt es ein unverbindliches Treffen, bei dem sich alle kennenlernen. Eine neutrale Person begleitet den Geflüchteten dabei immer. Wenn es klappt, dann ziehen die Geflüchteten ein und wir helfen dabei, die ganzen Formalien zu klären. Dabei werden wir von Ehrenamtlichen unterstützt, die bei Behördengängen begleiten.

Warum macht es noch total Sinn, dass Geflüchtete in WGs leben – anstatt in Sammelunterkünften?

Zunächst sind Sammelunterkünfte extrem teuer. Sie kosten monatlich tausende Euros pro Person, während ein WG-Zimmer nur 300 bis 400 Euro kostet.

Außerdem gelingt die Integration in WGs mit Deutsch sprechenden Mitbewohnern deutlich besser.

In den Gemeinschaftsunterkünften haben die Menschen oft gar keinen Zugriff auf Angebote wie zum Beispiel Deutschkurse. Dabei haben wir hier in Deutschland den Anspruch, dass Geflüchtete ganz schnell Deutsch lernen müssen. Aber es wird außer Acht gelassen, dass Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften sich manchmal sogar nur in dem Bezirk der jeweiligen Unterkunft aufhalten dürfen. Sie können also manche Schulen gar nicht besuchen.

Im Arabischen bedeutet das Wort Integration, dass man gemeinsam zu etwas wird. Ohne, dass man sich dabei selbst verliert.

Und es ist unheimlich schwierig, in den Sammelunterkünften in Ruhe zu lernen.

In der Unterkunft am Tempelhof gibt es noch nicht mal Zimmer. Es gibt nur Laken, die Bereiche abtrennen. Es ist immer laut, du hast keine Privatsphäre und es gibt viel Konfliktpotential – was normal ist, wenn tausende Menschen aufeinander wohnen. Es gibt keine Rückzugsorte. Wir dürfen nicht vergessen, es sind Menschen, die dort leben und diese Menschen haben wie alle anderen Menschen auch ihre Bedürfnisse. Geflüchtete bekommen oft den Stempel “Flüchtling” aufgedrückt und werden wie ein Sachgegenstand behandelt.

Außerdem sind Geflüchtete immer in der Bringschuld und die Integrationsansprüche sind übertrieben hoch.

Ich kann das Wort Integration nicht mehr hören! Im Arabischen bedeutet das Wort Integration, dass man gemeinsam zu etwas wird. Ohne, dass man sich dabei selbst verliert. Wir verwechseln Integration ganz oft mit Assimilation. Es geht nicht darum, dass ich meine Identität ablege und zu etwas werde, was ich eigentlich nicht bin.

Und wir sprechen gern von Wirtschaftsflüchtlingen. Aber gerade beispielsweise syrische Geflüchtete sind nicht geflohen, weil sie denken, dass es hier bessere Jobs gibt – sie hatten bereits gute Jobs in Syrien und wären am liebsten dort geblieben.

Sie möchten am liebsten wieder zurück.

Flüchtlinge werden eingeteilt in Wirtschaftsflüchtlinge, Flüchtlinge mit einer guten Bleibeperspektive, Flüchtlinge mit einer geringen Bleibeperspektive, Afghanistan soll als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden …. man fragt sich, mit welcher Realität wird hier gearbeitet? Spricht überhaupt irgendjemand mit den Leuten, die das betrifft? Wie können wir sagen, dass Afghanistan oder der Irak sichere Herkunftsstaaten sind, wenn wir selbst Soldaten dort stationiert haben und unser Auswärtiges Amt uns abrät, diese Länder zu besuchen?

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Was wünscht du dir von der Flüchtlingspolitik?

Ich wünsche mir in erster Linie, dass wir Menschen nicht in Kategorien stecken und nicht zwischen Menschen mit guter Bleibeperspektive und mit geringer Bleibeperspektive unterscheiden. Ich wünsche mir, dass wir nicht über Köpfe hinweg entscheiden, welcher Staat ein sicherer Herkunftsstaat ist. Vor allem aber wünsche ich mir, dass wir akzeptieren, dass wir privilegiert sind. Und dass wir verstehen, dass die meisten Geflüchteten nicht nach Deutschland geflüchtet sind, sondern nach wie vor im Libanon, in Libyen, in der Türkei oder in Jordanien sind.

Wie steht es mit der Willkommenskultur?

Welche Willkommenskultur? Wir haben keine! Eine Kultur ist etwas, was wir in uns haben und was wir etabliert haben. Wenn wir diese Willkommenskultur hätten, würden wir nicht darüber sprechen, wie wir mit den Geflüchteten umgehen. Dann wäre es selbstverständlich, dass Geflüchtete nach Deutschland kommen können, hier Asyl beantragen und ihr Leben fortsetzen können. Es ist gut, dass es vor allem in 2015 eine gewisse Solidarität in der Zivilgesellschaft gab und gibt, aber man kann nicht von einer Kultur sprechen.

Die Stimmung ist mehrheitlich gefühlt Anti-Flüchtlinge. Wie kann die Politik entgegenwirken?

Es wird immer viel über die Angst vor dem Fremden gesprochen, aber es geht nicht um Angst. Das ist ein Deckmantel! Wenn man von Angst spricht, dann ist es wie mit einem kleinen Kind, das an die Hand genommen und beschützt werden muss. Ich muss es beruhigen! Aber es gibt keine Bedrohung und es gibt keinen Krieg hier in Deutschland. Nennen wir es beim Namen: Es ist Fremdenfeindlichkeit, Xenophobie.

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Wir haben ein Rassismusproblem in Deutschland.

Erst nach dem UN-Bericht, der sagt, dass es in Deutschland für bestimmte Bevölkerungsgruppen No-Go-Zonen gibt, sind wir uns dessen bewusst. Die Mehrheit der Gesellschaft ist rassistisch. Die Politik spielt hier eine große Rolle, denn sie gibt hierfür die Vorlagen. Es wird einen Aufstieg der Afd geben, das ist keine Frage. Wenn Politiker sagen, dass die Afd demokratiefeindlich ist, dann haben sie die Verantwortung, dagegen etwas zu tun. Unsere Aufgabe ist es, lauter als die Afd zu sein. Wir müssen von unserem hohen Ross runterkommen …

… und mehr machen! Es reicht halt nicht, ein “Refugees Welcome”-Meme auf Facebook in der eigenen Bubble zu teilen.

Man kann vieles machen und es kostet auch nicht unbedingt viel Zeit. Andererseits zeigt gerade Trump, dass jetzt die Bevölkerung aufsteht und sagt: “Nein, das sind nicht wir!” Dieser Effekt ist gut.

Dadurch reden wir überhaupt erst wieder über Demokratie und sehen sie nicht als selbstverständlich an.

Durch Trump ist die Krankheit des Landes sichtbar geworden. Wir haben ein Problem in Amerika und wir müssen etwas tun! Trotzdem hoffe ich, dass wir nicht das gleiche in Deutschland erleben werden – wenn die Afd wirklich stark werden sollte, dann bin ich auf jeden Fall weg. Ich werde dann keinen Platz mehr hier haben. Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt.

Man fragt sich, was man dann überhaupt noch machen kann – man macht ja jetzt schon so viel. Wohin würdest du gehen?

Ich fühle mich in London extrem wohl. Als jemand, dessen Identität immer in Frage gestellt wird – ich habe einen palästinensischen Hintergrund – ist es in Deutschland super anstrengend. Das merke ich besonders, wenn ich im Ausland bin, hier werde ich nicht ständig als andersartig wahrgenommen. Egal, was ich mache, ich werde von der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht akzeptiert.

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Hanan.

Hier findet ihr Flüchtlinge Willkommen:

Fotos: femtastics

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