„Zeitgemäße Gestaltung ist sinnhaft, authentisch und folgt einem stimmigen Konzept.“ – die Gründerinnen von „Lineatur“

Der gleiche Sinn für Ästhetik, eine Vorliebe für Naturmaterialien und die Leidenschaft fürs Reisen – nicht nur in puncto Gestaltung und Inspiration stimmt die Chemie zwischen Janis Nachtigall (36), Dana Mikoleit (33) und Pia Held (32). Als Architektin, Innenarchitektin und Artdirektorin ergänzen sich auch ihre beruflichen Laufbahnen perfekt. Mit dem Anfang 2020 gegründeten Studio „Lineatur“ vereint das Trio seine Expertise in Architektur und Branding und berät Kund*innen zur Gestaltung von privaten wie öffentlichen Räumen – von der Wohnung übers Hotel bis zur Galerie. Ziel ist dabei nicht nur Wohlfühlatmosphären zu schaffen, sondern auch eine Marke um und für die Kund*innen zu entwickeln und diese im Raum darzustellen. Wir haben Janis, Dana und Pia in ihrem Büro in Berlin getroffen und mit ihnen über zeitgemäße Gestaltung und ihre Inspirationsquellen gesprochen.

femtastics: Wie erlebt ihr die Architekturbranche als Frauen? Findet ihr es herausfordernd, euch als Frauen in der Branche durchzusetzen?

Dana Mikoleit: Es kommt total darauf an. In der Entwurfsplanung hat man auf jeden Fall Vorteile als Frau, weil auch Männer Frauen oftmals mehr zutrauen, gut mit Farben und Materialien umgehen zu können und ein gutes Händchen für Gestaltung zu haben. Aber ein großer Teil unserer Arbeit sind Bauleitung und Ausführungsplanung, was sehr technisch ist. Da geht es härter zur Sache und es ist manchmal als Frau nicht ganz leicht, sich durchzusetzen. Man muss sich erstmal beweisen, um überhaupt auf der gleichen Ebene ernst genommen zu werden.

Janis Nachtigall: Die Architektur war eine männerdominierte Welt. Das hat sich aufgrund wegweisender Architektinnen gewandelt. Architektur sollte keine Frage des Geschlechts mehr sein. Aber in der Handwerker*innenbranche gibt es noch immer kaum Frauen. Auf der Baustelle sind eigentlich immer Männer. Wenn man gut organisiert, strukturiert, kooperativ und mit entsprechenden Fachkenntnissen auftritt, akzeptieren einen die Handwerker.

Unser Fokus oder unsere Motivation ist aber generell nicht, zu überzeugen, dass Frauen in der Architektur besser sind. Wir stehen viel mehr für ein harmonisches Gleichgewicht. Es ist am Ende nicht entscheidend, ob die Arbeit von Frauen oder Männern gemacht wurde. Wichtig ist einzig und allein, ob es ein gut gestalteter Ort ist.

Das Gründerinnen-Team von „Lineatur“ besteht aus (von links nach rechts): Dana Mikoleit (Innenarchitektin), Pia Held (Artdirektorin) und Janis Nachtigall (Architektin).

Die Architektur war eine männerdominierte Welt. Das hat sich aufgrund wegweisender Architektinnen gewandelt. Architektur sollte keine Frage des Geschlechts mehr sein.

Gibt es eine „weibliche Architektur“?

Pia: Wir wollen nicht, weil wir drei Frauen sind, ausschließlich mit „weiblicher Architektur“ in Zusammenhang gebracht werden. Wir möchten diese Grenzen überwinden und einen Ausgleich zwischen weiblich- und männlich assoziierter Ästhetik finden. Kein Schubladendenken in der Gestaltung, sondern eine neue Ästhetik, die zu den Bauherr*innen passt.

Ihr habt Anfang 2020 „Lineatur“ gegründet. Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit und wie habt ihr euch kennengelernt?

Dana: Wir waren, bevor wir uns zusammengeschlossen haben, alle selbstständig in unseren Bereichen und schon länger befreundet. Wir haben damals Näh-Workshops zusammen gemacht und dabei gemerkt, dass wir extrem miteinander harmonieren und gut zusammenarbeiten können. Wir wollten uns zusammenschließen, weil wir alle das Gefühl hatten, alleine an der Front zu kämpfen.

Pia: Und wir hatten alle diese Leidenschaft für schöne Orte. Wir haben oft darüber philosophiert, was einen Ort ausmacht, der in Erinnerung bleibt – und sind darauf gekommen, Orte als Marken zu sehen. Es hat einfach Sinn ergeben, uns zusammenschließen, eben weil wir diesen Background im Branding und in der Architektur haben und das ganzheitlich denken.

Dana: Wir haben dann auch gar nicht lange gefackelt. Das war eine schnelle Entscheidung.

Pia: Wir waren richtig euphorisch.

Dana: Vor allem wollten wir größer denken. Weil man alleine eben immer nur das schafft, was man schaffen kann. Wenn man die Energien bündelt, kann man ganz andere Projekte umsetzen.

Janis: Mir ist da ein Licht aufgegangen. In meinen bisherigen Projekten hat mir das Branding und die Einbindung der visuellen Kommunikation der Marke im Raum gefehlt. Weil es als Architektin nicht meine Expertise ist und die Bauherr*innen das Thema auch oft nicht bedacht haben. Als ich dann Pia kennengelernt und mir vorgestellt habe, wie schön es wäre, wenn man Architektur und Branding kombiniert und diese logische Symbiose ganzheitlich von Anfang an denkt, kam die Erkenntnis: Das ist das, was ich machen und wo ich meinen Teil beitragen möchte!

Materialien spielen eine besondere Rolle für die Arbeit von „Lineatur“.

Wir starten immer mit der Markenentwicklung und daraus geht das Design und die Architektur im Laufe des Prozesses hervor. So entsteht ein ganzheitliches Konzept mit rotem Faden.

„Lineatur“ ist ein „Studio für Architektur und Branding“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Pia: Der Gedanke dahinter ist, beide Bereiche nicht als getrennte Disziplinen zu betrachten, sondern sie zusammenzudenken. Es gibt einerseits öffentliche Kund*innen, wie Hotels, Cafés, Museen oder Restaurants. Andererseits gibt es private Bauherr*innen, für die wir Häuser bauen oder Wohnungen renovieren. Beim öffentlichen Bereich ist es total sinnvoll, von Beginn an eine Marke zu entwickeln. Bei diesen Architekturprojekten gibt es in der Regel sowieso irgendwann ein Branding. Wir starten immer mit der Markenentwicklung und daraus geht das Design und die Architektur im Laufe des Prozesses hervor. So entsteht ein ganzheitliches Konzept mit rotem Faden und es wird nicht später einfach eine Marke drauf gesetzt.

Beim privaten Bereich arbeiten wir mit denselben Mitteln wie im Branding. Das heißt, wenn du eine Wohnung gestalten willst, beschäftigen wir uns mit dir als seist du die Marke. Wir versuchen dich kennenzulernen und zu analysieren, was dich und deine Person am besten widerspiegelt und wie sich das im Interior wiederfinden kann. Die Herangehensweise ist zuerst psychologisch.

Zeitgemäße Gestaltung ist sinnhaft, authentisch und folgt einem stimmigen Konzept. Alles andere wirkt drauf gesetzt, wie ein Kostüm oder unnötige Dekoration.

Ihr startet also mit dem Branding und taucht dann tiefer ein?

Pia: Das Branding ist die Basis, auf die wir uns beziehen. Bei uns hat jede Designentscheidung einen Bezug zu dieser Essenz, die wir geschaffen haben und spiegelt die Markenpersönlichkeit wider.

Also spiegelt eure Arbeit nicht zwangsläufig euren persönlichen Geschmack wider? Wie schwer ist es Kompromisse einzugehen – auch untereinander?

Janis: Es geht gar nicht darum, was wir persönlich schön finden. Dadurch, dass wir die Gestaltung auf der Marke aufbauen, gibt es Attribute, an denen wir uns orientieren. Es gibt da draußen so viel Input, unter anderem über Pinterest und Instagram. Du kannst eigentlich jedes Bild nehmen und sagen: Das finde ich schön, aber das finde ich noch schöner. Da gibt es keinen Anfang und kein Ende mehr. Deshalb orientieren wir uns an einer Basis, aus der wir daraufhin die Gestaltung ableiten.

Wir haben uns gefragt: Was macht schöne besondere Orte für uns aus? Wir haben festgestellt, dass es Orte sind, wo man nichts in Frage stellt und alles wie aus einem Guss erscheint. Als wir analysiert haben, warum das so ist, ist schnell unser Konzept entstanden. Wir haben dieselbe Vorstellung von Ästhetik.

Pia: Obwohl wir immer auf die Kund*innen eingehen, tragen unsere Projekte am Ende auch unsere Handschrift. Das steckt schon in unserem Namen: Linie (symbolisch für Branding) + Architektur = Lineatur. Es ist eine Fusion aus beidem. Gleichzeitig ist das Wort die Bezeichnung für die Linien im Noten- oder Schulheft. Das ist ein schönes Bild für den „Rahmen“, in den wir unsere eigene Handschrift, unsere Herangehensweise und Ästhetik, setzen.

Ihr Büro teilen sich die „Lineatur“-Gründerinnen mit einem anderen jungen Berliner Unternehmen: „Kaffeeform“.

Welchen Ansatz verfolgt ihr bei Architektur und Gestaltung? Und welche Rolle spielt Nachhaltigkeit dabei?

Dana: Wir haben für „Lineatur“ Werte festgelegt, die uns generell wichtig sind und die sich durch alle Projekte ziehen sollen. Nachhaltigkeit ist dabei ein wichtiger Punkt. Wir achten darauf, dass wir mit lokalen Materialien arbeiten und auch mit lokalen Handwerker*innen und Hersteller*innen. Das muss nicht ausschließlich Deutschland sein, aber zumindest europaweit. Wenn wir Materialien importieren, dann muss es wirklich Sinn ergeben. Und wir beschäftigen uns mit dem Thema Naturmaterialien. Das spiegelt sich in unserer Ästhetik wider. Wir lieben Materialien, die schön altern und eine Patina bekommen, sodass der Ort einen Charakter bilden kann.

Euer gemeinsames Büro mit „Kaffeeform“ war eins eurer ersten Projekte. Ihr wolltet hier eine komfortable, kreative und intuitive Arbeitsatmosphäre schaffen. Wie habt ihr dieses Ziel umgesetzt? Wie sollten zeitgemäße Arbeitsräume gestaltet werden?

Janis: Es ist ein sehr besonderes Haus hier in der Choriner Straße, ein Estradenhaus. Der Architekt hat das Haus vor 20 Jahren gebaut. Es ist alles relativ modern mit den offenen Betondecken und der offenen Fassadengestaltung mit den Durchblicken in beide Richtungen. Wir waren sofort motiviert, etwas Schönes daraus zu machen. Es war klar, dass wir hier keine Wände einziehen, sondern zwei Inseln schaffen und mit einem Raumteiler arbeiten. Innerhalb des Lofts gibt es jetzt viele offene Zonen, in die man sich zurückziehen kann. Besonders wichtig war uns, viel Wärme reinzubringen. Damit haben wir die größte Veränderung geschaffen. Mit der Verlegung des Teppichbodens hat sich der Raum auch akustisch komplett gewandelt. Der Sisal-Teppich strahlt Wärme aus, zum einen wegen des Materials selbst und auch wegen der Farbgebung. Verstärkt in Kombination mit den Holzregalen, den hellen Tischen und der gesamten Farbgestaltung – alles ist Ton in Ton in Beige und erdigen Farben gehalten. Auch die Lichtsituation mit einem warmen weißen Licht haben wir installiert. Außerdem haben wir eingeführt, dass jede*r hier Hausschuhe trägt, sodass man sich wie zuhause fühlt.

Pia: Vor allem diese Wohlfühlatmosphäre war uns wichtig, sodass wir nicht das Gefühl haben: Wir gehen in ein kaltes Büro und es geht nur um die Leistung. Auch ein Arbeitsplatz sollte ein Wohlfühlort sein – und das nicht nur für Kreative.

Janis: Mittlerweile hat jede*r Arbeitgeber*in gelernt, dass je wohler sich die Mitarbeiter*innen fühlen, desto lieber sie ins Büro kommen und desto mehr Leistung sie erbringen können. Dann ist das eine Win-Win-Situation für alle.

Mittlerweile hat jeder Arbeitgeber gelernt, dass je wohler sich die Mitarbeiter*innen fühlen, desto lieber sie ins Büro kommen und desto mehr Leistung sie erbringen können.

Was macht für euch zeitgemäße Gestaltung aus?

Pia: Heutzutage geht es nicht mehr nur um gute Gestaltung, gutes Design im ästhetischen Sinne, sondern eher um die Werte, die dahinterstehen und wie es gemacht ist. Ob das Grafikdesign, Interior oder Magazin-Gestaltung ist, am Ende sollte jede Entscheidung nachhaltig vertretbar sein. Zeitgemäße Gestaltung ist sinnhaft, authentisch und folgt einem stimmigen Konzept. Alles andere wirkt drauf gesetzt, wie ein Kostüm oder unnötige Dekoration.

Dana: Wenn Dinge lange halten, bedeutet das für uns Nachhaltigkeit. Wir stehen nicht für schnelllebige Trend-Projekte, sondern für Projekte, die lange währen und schöner werden mit der Zeit. Das ist unsere Interpretation von zeitgenössischer Gestaltung.

Wo findet ihr Inspiration?

Janis: Auf Reisen! Wir reisen alle gern und entdecken andere Kulturen. Für mich ist es die größte Inspiration in anderen Städten durch die Straßen zu schlendern, nicht zu wissen, wo es hingeht und dann die schönsten Oasen zu finden.

Dana: Aber auch die verschiedenen Auftraggeber*innen und Partner*innen inspirieren uns. Mit so vielen unterschiedlichen Menschen in engem Austausch zu sein, in deren Welt einzutauchen, ihre Persönlichkeiten kennenzulernen und von ihnen zu lernen, ist eine große Bereicherung und wichtige Inspirationsquelle.

Pia: Neben Inspiration aus dem Außen geht es uns aber auch viel um das Innere, vor allem in diesen Zeiten, in denen uns viele äußere Inspirationsquellen wie beispielsweise Reisen versperrt sind. Durch Meditation, Yoga und Achtsamkeit können wir unsere inneren Quellen anzapfen und aus ihnen Ideen schöpfen.

Vielen Dank für das Gespräch! Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg.

 

Hier findet ihr Lineatur:

Fotos: Marina Denisova

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