Frauen*, die keine Kinder möchten, hören oft den Satz: „Wenn du keine Kinder bekommst, wirst du es später bereuen“. Haben sie Kinder, werden sie selten bis nie gefragt, ob sie wirklich glücklich sind, Mutter geworden zu sein. „Regretting Motherhood“ – das Bereuen der Mutterschaft – ist der Begriff für das, was viele Mütter spüren. Studien zufolge würden sich knapp 20 % aller Eltern im Nachhinein gegen eigene Kinder entscheiden.
Doch der gesellschaftliche Druck ist groß – vor allem für Mütter. Nur wenige wagen offen darüber zu sprechen. Eine, die mit dem Tabu brechen will, ist Wiebke Schenter. Auf ihrem „Instagram“-Account „Piepmadame“ teilt sie regelmäßig Ausschnitte ihres Alltags mit zwei kleinen Kindern mit ihrer Community. Dabei zeigt sie anschaulich die Ambivalenz einer Frau, die ihre Kinder liebt – aber nicht das Muttersein.
Wiebke Schenter: Tatsächlich habe ich immer geglaubt, dass ich Mama werden will. Mit elf Jahren habe ich das erste Mal als Babysitterin gearbeitet, wollte auch eine Zeit lang Hebamme werden. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meiner eigenen Mutter und mag das Familienleben sehr gerne. Aufgrund von Sozialisierung habe ich das nie hinterfragt. Es ging immer nur darum, wann und vielleicht noch mit wem ich mal Kinder bekomme – nicht ob.
Schön! *lacht* Ich habe mir das Muttersein schön vorgestellt – wie in Filmen und Serien von damals. Eben das klassische Märchending: Man ist verliebt, heiratet, kriegt ein Kind. Selbst wenn ich mal etwas beobachtet habe, was nicht so schön war, zum Beispiel Kinder, die sich im Supermarkt auf den Boden werfen und schreien, war für mich klar, dass das nur an der Erziehung liegen kann und ich das bei meinen Kindern anders machen werde.
In den letzten zehn Jahren hat sich viel geändert, was den Zugang zu Informationen über ein realistisches Bild des Mutterseins angeht. Um eine freie Entscheidung treffen zu können, muss man alle Eventualitäten kennen. Als ich schwanger geworden bin, gab es nicht mal Social Media – man war ziemlich auf sich allein gestellt. Ich habe mir meine Mutterschaft sehr naiv-romantisch vorgestellt. Das Einzige, was davon geblieben ist, ist, dass die Kinder wirklich süß und einfach cool sind.
Ich habe überkompensiert, mehr und mehr gegeben, bis ich immer erschöpfter wurde.
Das hat lange gedauert – über fünf Jahre. Erst nach dem zweiten Kind habe ich angefangen Dinge zu hinterfragen und mich feministisch weiterzubilden. Lange habe ich mich nur aufs Kind konzentriert und all meine Kapazitäten in bindungsorientierte Erziehungsmethoden gesteckt. Ich habe überkompensiert, mehr und mehr gegeben, bis ich immer erschöpfter wurde.
Irgendwann habe ich es dann verstanden: unsere Rollenbilder, Care Arbeit und Mental Load. Das waren riesige Umwälzungsprozesse meiner eigenen Glaubenssätze – und auch die meines Mannes. Zum Zeitpunkt, als der Kleine zur Welt kam, ging das Wochenbett nahtlos über zur Corona-Pandemie – das hat alles beschleunigt.
Es lag nicht am Kind, denn mein Kind war perfekt.
Die Freiheiten, die ich mir vorher erarbeitet und erkämpft hatte, waren plötzlich wieder weg. Es lag nicht am Kind, denn mein Kind war perfekt. Auch beim großen Kind hatten sich Dinge, die anfangs schwierig waren, ausgewachsen. An der Rollenverteilung lag es auch nicht, mein Mann und ich hatten bis dahin schon die Aufgaben fair verteilt.
Es lag also nicht am Kind, nicht am familiären Rollenverständnis – und trotzdem war es weiterhin furchtbar für mich. Da habe ich verstanden, dass es an mir liegt. Nicht, weil ich etwas falsch mache, sondern weil ich nicht reinpasse in dieses Konstrukt „Mutter sein“. Das zweite Kind war wie ein Brennglas auf mein Leben und meine Mutterschaft und ich habe gemerkt „ich will das eigentlich gar nicht“.
Als ich zum ersten Mal von dem Begriff „Regretting Motherhood“ gehört habe, dachte ich genau wie heute viele meiner Kritiker*innen: „Was stimmt mit diesen Frauen* nicht? Wie kann man sagen, dass man seine Kinder nicht mehr haben will? Wenn das die armen Kinder mal hören!“.
Damals hatte ich nur einen Artikel über die Studie* gelesen, aber nicht die Studie selbst – ob meiner totalen Abwehrhaltung dem Thema gegenüber. Im Zuge der Recherche zu meinem neuen Buch habe ich die Studie erneut gelesen und dachte bei dem, was einige der Frauen* geschrieben haben:“ Wow, das könnte ich geschrieben haben.“
Die Studie war so wichtig und auch die Möglichkeiten, die wir mit Social Media heute haben: Es hilft, es offen auszusprechen und zu merken, dass man nicht allein damit ist. Dass es andere Frauen* gibt, die genauso fühlen. Es wird oft kritisiert, dass ich mich bewusst zeige. Dabei ist es enorm wichtig dem Thema ein Gesicht zu geben – einen Menschen vor sich zu haben in all seiner Komplexität und keine anonyme Kachel.
Es macht mich traurig zu sehen, wie sehr Frauen* für ihre Gefühle geshamed werden.
Es sind eigentlich immer die gleichen fünf bis sechs, die unangenehm auffallen. Ansonsten ist es eine schöne, geschlossene Bubble – ein Safe Space. Viele trauen sich mittlerweile mitzudiskutieren und zu sagen, wie sie sich fühlen. Ich bekomme aber auch Nachrichten von Frauen*, die sich nicht mal trauen mir zu folgen, aus Angst, andere könnten es sehen.
Es macht mich traurig zu sehen, wie sehr Frauen* für ihre Gefühle geshamed werden. Mir ist bewusst, dass ich da privilegiert bin. Ich lebe in einer Großstadt, mit Supportsystemen wie ausreichend Kinderbetreuung usw.
Ich möchte mit meinen Kindern ehrlich sein. Es gehört für mich mit zur Aufklärungsarbeit dazu. Natürlich kommt es auf das Alter der Kinder an. Mit meinem Kleinen, er ist jetzt vier, spreche ich darüber nicht. Da geht es eher um Emotionen: Alle Gefühle sind ok, alle Gefühle dürfen gefühlt werden. Mutterschaft bereuen ist im Grunde nichts anderes als ein Gefühl.
Meine Tochter ist fast zehn. So wie ich mit ihr langsam wichtige Themen wie erste Periode, Verliebtsein und Sex bespreche, so möchte ich auch, dass sie Bescheid weiß, was Mutterschaft bedeuten kann. Damit sie später einmal für sich selbst eine informierte Entscheidung treffen kann.
Ich bin die Mutter, ich trage die Verantwortung und ich kann nicht einfach gehen. Nicht, wenn ich müde bin. Nicht, wenn ich krank bin.
Ich erkläre das zum Beispiel anhand ihres Bruders: Wenn sie von ihm genervt ist, weil er beim Zähneputzen schreit und es ihr zu laut ist, sagt sie: „Ich möchte das nicht mehr mitanschauen, es ist mir zu anstrengend“, hält sich die Ohren zu und verlässt den Raum. Ich sage ihr dann: „Mir ist es auch zu laut und ich möchte auch nicht auf deinen Bruder einreden, aber ich muss hierbleiben. Denn ich bin die Mutter, ich trage die Verantwortung und ich kann nicht einfach gehen. Nicht, wenn ich müde bin. Nicht, wenn ich krank bin. Nicht, wenn ich trauere.
Egal, wie es mir geht, ich muss hierbleiben und das machen. Und das ist so anstrengend und schwer für mich. So schwer, dass ich manchmal weinen muss.“ Das ist die Art wie ich mit ihr darüber rede. Den Begriff Regretting Motherhood kennt sie natürlich nicht. Wenn ich aber mitkriege, dass in den nächsten Jahren „Instagram“ mehr ein Thema wird an der Schule, würde ich es proaktiv ansprechen und sagen: „Schau, das, worüber ich die letzten Jahre mit dir gesprochen habe, dafür gibt es einen Begriff – so können sich Frauen*, denen es geht wie mir, sich gegenseitig finden und helfen.“ Was dann passiert, da bin ich ehrlich, weiß ich auch nicht. Ich stehe dazu in engem Austausch mit meiner Therapeutin, denn natürlich – weil ich meine Kinder liebe – möchte ich nichts falsch machen.
Nicht jedes Bereuen der Mutterschaft sieht gleich aus. Es gibt unterschiedliche Gründe.
Am wichtigsten ist es, darüber zu sprechen. Das kann der*die Partner*in, die beste Freundin, vielleicht sogar die eigene Mutter oder ein*e Therapeut*in sein. Nicht jedes Bereuen der Mutterschaft sieht gleich aus. Es gibt unterschiedliche Gründe und Anlässe dafür – wir empfinden es alle unterschiedlich. Deswegen ist es wichtig herauszufinden, wo genau die eigene Problematik sitzt. Bevor man sich darüber nicht im Klaren ist, ist es schwierig Lösungsstrategien zu entwickeln. Wenn du nicht weißt, was dir fehlt, kannst du nichts für dich tun.
Ich würde ihnen auch dazu raten, nicht zu vergessen, wer sie sind und was ihnen guttut. Das ist etwas, was vielen Müttern fehlt, gerade wenn sie zum ersten Mal Mama werden. Ein guter Startpunkt dafür ist, sich zu fragen: „Was habe ich gerne gemacht, bevor meine Kinder da waren?“ Klettern, Malen, Tanzen, Ausgehen, Lesen, …? Es hilft auch, sich damit zu befassen, was ich meinen Kindern vermitteln, also vorleben möchte. Was sollen sie von den zwei wichtigsten Erwachsenen in ihrem Leben mitnehmen? Das sind die Fragen, die man sich stellen sollte – allein oder zu zweit.
Generell bin ich sehr stolz auf die junge Generation Frauen*, die da heranwächst und freue mich zu sehen wie reflektiert und selbstbestimmt sie ihr Leben angehen.
Mittlerweile geht es mir sehr gut. Trotz meiner Erkrankungen, denn ich leide unter einer diagnostizierten Angststörung und Erschöpfungsdepression. Beides sind leider typisch für Mütter. Ich fühle mich befreit, denn ich kann mehr ich selbst sein. Im Umgang mit meinen Kindern, aber auch mit anderen Menschen.
Ich habe nicht mehr den Druck, irgendetwas darstellen zu müssen – die Mutter, wie die Gesellschaft sie gerne hätte. Ich mag es, durch meine Arbeit den Leuten andere Wege aufzuzeigen.
Ich habe nicht mehr den Druck, irgendetwas darstellen zu müssen – die Mutter, wie die Gesellschaft sie gerne hätte.
Generell geholfen hat mir meine Arbeit und der Austausch mit Betroffenen. Zu merken, ich bin nicht allein damit – mit mir ist nichts falsch. Es gibt diese Empfindungen gegenüber der eigenen Mutterrolle und es ist keine Krankheit. Es kann weggehen – bei vielen bleibt es aber. Auch Auszeiten für mich ganz allein und Date-Nights mit meinem Mann helfen mir.
Im Alltag haben mein Partner und ich gemeinsam Strategien erarbeitet, mit denen es leichter wird. Zum Beispiel das leidige Thema Einschlafbegleitung: Das betrifft viele Mütter, egal ob sie ihre Mutterschaft bereuen oder nicht. Ich lag so viele Jahre im Dunkeln, während Freund*innen da waren, mein Mann gekocht hat, oder wir gerade einen Film geguckt haben.
Irgendwann dachte ich „Das ist doch auch MEIN Leben?!“ Gerade wenn die Kinder kleiner sind, werden sie ständig wieder wach. Du verpasst alles! Und sei es nur ein lauer Sommerabend auf der Terrasse. Bis sie geschlafen haben, war es dunkel und kalt. Irgendwann hat mich das so sauer gemacht und es hat erst recht nicht funktioniert, dass die Kinder schlafen.
Erst haben wir geswitched, sodass mein Mann den Kleinen ins Bett gebracht hat. Der ist dort aber regelmäßig eingeschlafen – wodurch wir auch keine Zeit zu zweit hatten. Irgendwann haben wir einfach mit der Einschlafbegleitung aufgehört. Wenn die Kinder müde sind, kommen sie zu uns aufs Sofa und schlafen im Arm ein oder im Buggy oder was wir eben gerade machen.
Ich wäre ohne meine Kinder nicht die feministisch aufgeklärte, reflektierte Person, die ich heute bin.
Die Mutterschaft hat mir meine Freiheit genommen. Die Freiheit über meine Entscheidungen, meine Zeit, meine Träume. Alles, was ich entscheide und mache, muss durch den Kinder-Filter: „Geht es ihnen gut? Sind sie versorgt?“ Ich kann nichts mehr tun, ohne zuerst an sie zu denken.
Was Mutterschaft mir gegeben hat? Ich wäre ohne meine Kinder nicht die feministisch aufgeklärte, reflektierte Person, die ich heute bin. Ich finde es gut, wie sie meine Welt auf den Kopf gestellt haben. Aus der Not heraus musste und durfte ich viel lernen und habe dadurch neue Kompetenzen entwickelt.
*Die israelische Sozialwissenschaftlerin Orna Donath veröffentlichte 2015 ihre Forschungsergebnisse zum Bereuen der Mutterschaft und prägte damit den Begriff „Regretting Motherhood“.
Collage: „Canva“