Leev – wie zwei Hamburgerinnen Apfelsaft ein neues Image verpassen

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10. August 2015

Elstar, Boskop oder Holsteiner Cox – jede Apfelsorte hat ihren eigenen Geschmack. Aber warum schmeckt man diesen eigentlich nicht in Apfelsaft? Natalie Richter (30) lernte durch einen Ausflug in die Apfelregion Altes Land sortenrein gepressten Apfelsaft kennen, der weder zugesetzten Zucker noch andere Zusatzstoffe enthält und der nach der jeweiligen Apfelsorte schmeckt, aus der er gepresst wurde. Natalie Richter war begeistert und gründete zurück in Hamburg zusammen mit der Gestalterin Christina Nissen (32) und dem Mostereibesitzer Joachim Holst die Apfelsaftmarke leev (norddeutsch für „Liebe“). Ihr Ziel: sortenrein gepressten Apfelsaft aus dem Alten Land deutschlandweit bekannt machen. Im Oktober 2014, pünktlich zur Apfelernte, begann die erste Produktion. Im Dezember 2014 ging leev an den Markt. Heute sind leev-Apfelsäfte bereits in über 40 Edeka-Supermärkten in Hamburg, sowie in Hamburger Gastronomien und in ersten anderen norddeutschen Städten erhältlich. Wir treffen die leev-Gründerinnen in ihrem kleinen Büro in Natalies WG, um über ihre Unternehmensgründung und guten Apfelsaft zu sprechen.

 

Femtastics: Wie kamt ihr dazu, Apfelsaft zu machen?

Natalie Richter: Das war ein Zufall. Ich war im Alten Land unterwegs. Ich bin da hingefahren, weil ich dachte: Ich bin seit fünf, sechs Jahren in Hamburg und habe es noch nie ins Alte Land geschafft. Es war kurz vor Weihnachten, ich bin von Hofladen zu Hofladen getingelt auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken. In einem der Läden habe ich sortenrein gepresste Apfelsäfte gesehen. Das hat mich total angesprochen und ich habe einen Schwung mitgenommen. Als ich ihn zu Hause probiert habe, war ich mega begeistert von dem Geschmack. Ich habe Freunde probieren lassen und die fanden es auch alle toll. Ich habe mit einem Edeka-Supermarkt bei mir um die Ecke gesprochen und die meinten: Das gibt’s hier noch nicht. Bring das Produkt doch hier auf den Markt. Daraufhin bin ich zurück ins Alte Land gefahren und habe Produzenten gesucht – und habe Joachim gefunden, der Lust hatte, das Projekt mit mir umzusetzen.

Hat Joachim vorher schon Apfelsaft gemacht?

Natalie: Genau, er hat eine Mosterei im Alten Land. Die Apfelbauern bringen ihm ihre Äpfel und er macht Saft aus ihnen, damit die Bauern den Apfelsaft in ihren Hofläden verkaufen können. Er macht das schon seit fünfzehn Jahren. Ich bin auf ihn zugekommen und habe gesagt: Du kannst Saft machen, ich kann als Werberin die Geschichte dazu erzählen – wollen wir das nicht zusammen machen?

Wie lange hat es gedauert bis leev geboren war?

Natalie: Wir haben rund zwei Monate lang ein Konzept entwickelt. Für die Gestaltung habe ich Christina ins Boot geholt. Ich kenne sie schon länger und wir haben auch schon andere Projekte zusammen gemacht. Ich wusste, dass wir uns auch bei der Arbeit super verstehen.

Christina Nissen: Dann ging es flott. Als Natalie mir von ihrer Idee erzählt hat, habe ich nicht lange überlegt. Mein Bauchgefühl hat gestimmt.

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Wart ihr beide eh auf der Suche nach einem neuen Job bzw. Projekt?

Natalie: Das ganze Thema Gründen begleitet mich schon länger. Ich habe meinen Master im Bereich Management/ Entrepreneurship gemacht. Plötzlich habe ich mich umgeben gesehen von Leuten, die alle etwas gründen wollen – und kam so auf die Idee, mein eigenes Startup zu gründen. Ich habe mehrere Dinge ausprobiert, bin auch mal auf die Nase geflogen. Leev ist mein dritter Versuch, etwas hochzuziehen.

Beim Unternehmensstart von leev konntet ihr euren Zeitplan ja nicht allein gestalten, oder?

Natalie: Nein, wir sind von der Natur abhängig. Wir hatten ziemlichen Zeitdruck. Im Oktober beginnt die Apfelernte. Wir wussten: Entweder wir sind dann startklar oder wir müssen ein Jahr warten. Und dann sind die Äpfel letztes Jahr auch noch schneller gereift als erwartet – aber wir haben es geschafft!

 

Das war schon ein bisschen unheimlich als wir bei der Bank saßen, um einen Kredit zu beantragen. Aber wir wussten: Wir müssen das tun, sonst geht’s nicht vorwärts.

 

Und wie habt ihr das finanziert?

Natalie: Über einen Kredit bei der Haspa, unterstützt von der Investitions- und Förderbank, sowie der Hamburger Bürgengemeinschaft. Wir haben einen Businessplan ausgearbeitet, einen Kreditantrag gestellt … und da gehst du schon ordentlich ins Risiko. Das war schon ein bisschen unheimlich als wir bei der Bank saßen. Aber wir wussten: Wir müssen das tun, sonst geht’s nicht vorwärts.

Ich kann mir vorstellen, dass auch die Entscheidung, wie viele Flaschen Apfelsaft ihr produziert, nicht einfach war, oder?

Natalie: Im Mai mussten wir uns entscheiden, ob wir nachproduzieren oder nicht, weil die Äpfel ausgingen. Das war eine schwierige Entscheidung, weil wir ja nicht wussten, wie viele Flaschen Apfelsaft wir über den Sommer verkaufen werden. Insgesamt haben wir 40.000 Flaschen produziert. … Wir sind beide froh, wenn im Oktober wieder die Apfelsaison beginnt und wir von Oktober bis Mai auch in kleinen Chargen produzieren können. Einfach abhängig von der Nachfrage.

Auf dem Getränkemarkt erscheinen immer neue Produkte und neue Marken. Wie hat man da eine Chance?

Natalie: Wir haben erst einmal einen Markt-Check gemacht. Wir haben mit Gastronomen und Händlern gesprochen und haben sie gefragt, ob sie einen Mehrwert in unserem Produkt sehen und es kaufen würden. Da haben wir ein positives Feedback bekommen. Klar, der Markt ist überlaufen. Aber für so ein einfaches, althergebrachtes Produkt wie Apfelsaft, das fast jeder Deutsche liebt, gibt es eine Nische, in der man das Produkt wieder besonders macht. Wir machen kein Trend-Produkt. Apfelsaft ist ein Teil deutscher Kultur und wir machen ihn wieder spannend.

Aber um zu merken, dass euer Apfelsaft anders schmeckt, muss der Konsument ihn erst einmal probieren …

Natalie: Ja, das ist die größte Hürde, die wir meistern müssen. Die Leute aufzuklären, wie aromatisch Apfelsaft schmecken kann.

Christina: Wir machen auch Verkostungen im Supermarkt. Die Leute sind immer begeistert, wenn sie unseren Apfelsaft trinken.

Natalie: Es spricht sich auch schon rum, dadurch, dass wir auch in ersten Gastronomien in Hamburg vertreten sind.

Es ist ja gar nicht mehr selbstverständlich, dass der Kunde alle Apfelsorten kennt und auf dem Markt findet.

Natalie: Das stimmt. Wir haben bewusst mit relativ bekannten Sorten angefangen: Elstar, Boskop, Holsteiner Cox, die meisten Leute können mit denen etwas anfangen. Aber es ist auch ein bisschen unsere Mission, die Leute wieder dazu zu bringen, sich mit den vielfältigen Sorten auseinander zu setzen. Unsere Großmütter und Mütter kennen die ganzen unterschiedlichen Sorten noch – bei Kartoffeln, Äpfeln, und so weiter.

Wir machen kein Trend-Produkt. Apfelsaft ist ein Teil deutscher Kultur und wir machen ihn wieder spannend.

 

Kanntet ihr denn alle Sorten?

Natalie: Joachim hat uns am Anfang getestet. Er hat uns Äpfel gezeigt und gefragt: So, welcher ist denn nun der Elstar? (lacht). Mittlerweile kennen wir uns aus, wir haben viel gelernt.

Woher bezieht ihr die Äpfel für leev?

Natalie: Im Alten Land ist es genossenschaftlich organisiert. Das heißt, die Bauern bringen ihre Äpfel zur Obst- und Gemüsegenossenschaft, und da fährt man dann hin und kauft die Äpfel ab. Außerdem hat Joachim bekannte Bauern in der Nachbarschaft, bei denen er auch einmal den kürzeren Weg geht.

Könnt ihr denn irgendwie die Qualität der Äpfel kontrollieren?

Natalie: Wir wählen bei der Genossenschaft nur bestes Tafelobst aus. Bei uns wird nichts gemostet, was wir nicht gerne essen würden. Die Pestizidbelastung wird allerdings nicht von uns, sondern von öffentlichen Stellen streng kontrolliert. Wir sind nicht Bio, das vorneweg. Wir sind regional. Wenn Du sortenreinen Most von verschiedenen Apfelsorten in Bioqualität willst, kannst Du nicht mehr regionale Äpfel verwenden. Uns war das Regionale wichtiger. Das Alte Land hat aber auch strenge Qualitätskontrollen.

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Kleiner Raum, große Ziele: das leev-Büro in der Schanze

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Ihr unterstützt mit leev auch Bienenschutzprogramme, richtig?

Christina: Ich war schon vor leev selbstständig als Grafikdesignerin und habe mich auf nachhaltige Projekte spezialisiert. Als ich mit Natalie leev gestartet habe, wollte ich gerne auch einen sozialen oder ökologischen Aspekt integrieren. Ich kam auf die Idee, etwas mit Bienen zu machen, denn ohne Bienen gibt es schließlich auch keine Äpfel. Das Bienensterben ist ein großes Problem. Natürlich haben wir als kleines Startup nicht so viele Möglichkeiten, aber irgendwo muss man ja anfangen, etwas zu tun. Also unterstützen wir den Verein beesharing. Zwei Cent pro verkaufte Flasche leev gehen an beesharing.

Natalie: Der Verein schreibt Bienenpatenschaften aus und wir sind Paten für vier Bienenstöcke. Mit der Spende unterstützen wir den Aufbau eines Netzwerkes, das einen schnellen Austausch zwischen Imkern, Bienenfreunden und Landwirten ermöglicht. Zur Vorbeugung von Bienenkrankheiten, zur Förderung von lokalem Honig und zur Koordination von lokalen Bestäubungen.

Stehen eure Bienenstöcke in Hamburg?

Natalie: Ja, in der Nähe unseres Lagers. Wir haben in zwei Wochen unsere erste Begehung der Bienenstöcke.

Wie sieht denn euer Joballtag aus?

Natalie: Einen richtigen Alltag gibt es nicht. Aber es gibt natürlich wiederkehrende Aufgaben. Ich habe den Hut für den Vertrieb auf, das heißt, ich bin ganz viel unterwegs und rede entweder mit Händlern oder mit Gastronomen und stelle unser Produkt vor. Parallel mache ich Buchhaltung und Finanzplanung. Christina ist die Kreative.

Christina: Ich mache Design und Marketing. Aber trotzdem sind wir auch selbst noch im Lieferwagen unterwegs und liefern Apfelsaft aus. Am Anfang haben wir damit die meiste Zeit verbracht. Wir machen alles selbst. Die Aufsteller, in denen leev im Supermarkt präsentiert wird, haben wir auch selbstgebaut aus Obstkisten.

Aber ihr liefert nicht alle Ware selbst in den Handel, oder?

Christina: Bis vor kurzem haben wir das allein gemacht. Wir haben jetzt seit circa vier Wochen unsere erste Angestellte, die das übernimmt. Aber ansonsten machen wir das selbst.

Natalie: Aber ab einer gewissen Größe kann man nicht mehr alles selbst machen. Dann verhedderst du dich so mit ausliefern und Paletten herumfahren und Kisten tragen, dass du gar nicht mehr dazu kommst, dich um dein Geschäft zu kümmern – was du als Geschäftsführer tun solltest. Deshalb lagern wir viele Aufgaben jetzt Stück für Stück aus. Wir haben jetzt einen ersten Großhandelspartner und wir freuen uns darauf, gemeinsam mit ihm Fuß in der Gastronomie zu fassen. Das heißt auch: Wir haben mehr Zeit, uns ums Geschäft zu kümmern. Marketing wird zum Beispiel eine immer größere Rolle spielen.

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In Natalies WG-Zimmer finden sich selbst gemachte Möbel.

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Der Gemeinschaftsraum der WG

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Modisch mag Natalie Muster und Farben.

Habt ihr eine Vision, wo ihr mit eurem Unternehmen im nächsten Jahr sein wollt?

Natalie: Im Moment konzentrieren wir uns darauf, leev in Hamburg erfolgreich zu machen. Aber schön wäre es, wenn wir den Sprung nach ganz Norddeutschland schaffen, dass man unsere Produkte dort überall im Handel kaufen kann. Außerdem hätten wir gerne zwei bis drei neue Produktvarianten, die vielleicht auch nicht mehr nur mit Apfelsaft zu tun haben. Daran tüfteln wir gerade. Natürlich haben wir übergreifend das Ziel, dass wir uns nicht mehr mit anderen Jobs über Wasser halten müssen. Zurzeit zahlen wir uns noch keine Gehälter aus, alle Einnahmen fließen wieder ins Unternehmen und die Produktion von Apfelsaft.

Das heißt, ihr arbeitet im Moment noch parallel in anderen Jobs?

Natalie: Immer projektbezogen. Wir müssen dann eine kurze „leev-Pause“ einlegen und können nach dem Job wieder zu unserem Baby zurückkehren.

Christina: Zurzeit geht es nicht anders, aber wir wissen ja, wofür wir es machen.

Wir drücken euch auf jeden Fall die Daumen! Vielen Dank für das Gespräch.

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Auch die Arbeit mit dem Hubwagen beherrschen Natalie und Christina in ihrem Apfelsaftlager.

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Hier findet ihr Natalie und Christina:

   

Fotos: Linda David

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