„Der Einzelhandel ist hart.“ – Anne Postrach vom Tiny Store

Anne gehört seit genau zwei Jahren einer der schönsten Concept-Stores in Berlin – und zwar für Kinder. Mit 27 Jahren gründete die gelernte Modejournalistin ihren Tiny Store. Statt Magazine füllt sie jetzt ihre eigenen vier Ladenwände mit internationalen Designobjekten, vom Strampler bis zum Stofftier, vom Buch bis zum Bettchen. Wir haben die heute 29-Jährige in ihrem Shop in der Schrödersraße in Berlin-Mitte und in ihrer schönen Altbauwohnung besucht – voller Leidenschaft erzählt sie uns von ihrem Konzept, aber auch von Ängsten, Herausforderungen und spannenden Zukunftsplänen.

femtastics: Muss im Kinderzimmer und im Kinderkleiderschrank immer alles durchdesignt sein?

Anne Postrach: Auf gar keinen Fall. Ich finde, dass es manche Menschen extrem übertreiben. Wenn ich ein Kind hätte oder wenn ich für mein Patenkind einkaufe, mische ich Flohmarktfunde und coole Teile, die etwas Besonderes haben – das macht man bei sich selbst ja auch nicht anders.

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Wir treffen Anne in ihrem hübschen Tiny Store in Berlin.

Ist es denn ein Kritikpunkt, den du oft hörst? Nach dem Motto: Das brauchen Kinder doch alles nicht!

Ja, von vielen. Deutschland ist da sowieso ein anderes Pflaster. In Skandinavien, Frankreich und in Italien haben die Menschen ein anderes Selbstverständnis für Kinder und ihre Welt drumherum. In Deutschland muss alles abwaschbar sein und wenn ich es dann noch zehn Mal transformieren kann – vom Regencape in eine Hose in ein Zelt – dann sind die Deutschen auch willens, dafür Geld auszugeben.

Ähnlich wie bei der Mode für Erwachsene in Deutschland.

Ja, es ist immer das Gleiche. Oder sie beschweren sich, dass es zu teuer ist. Am liebsten hätten sie ein Teil für 10 Euro, das nachhaltig ist, am besten aus Wolle oder Seide besteht und in Deutschland produziert wurde. Das ist absurd. Ob Kinder- oder Erwachsenenmode – alle sind Ikea- und H&M-verwöhnt.

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Links: Annes Favoriten zum Verschenken. Rechts: die süßen Püppchen vom Label „Clauia“ von ihrer Mitarbeiterin

Und dann dachte ich: Jetzt oder nie! Ich habe einen Kredit von der Bank bekommen und plötzlich gab es kein Zurück mehr.

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Ein Concept-Store für Kinder ohne selbst ein Kind zu haben. Das musst du uns mal genauer erklären.

Ein Kinderladen hat gar nicht so viel mit Kindern zu tun, es sind einfach nur ganz kleine Sachen. Ich habe vorher als Modejournalistin mit Schwerpunkt Kindermode gearbeitet. Ich fand das schon immer interessant, auch die ganze Lifestyle-Welt drumherum – je „designiger“ desto besser. Irgendwann hatte ich einen Job, der mir nicht mehr entsprach und bin gegangen. Dann dachte ich: Jetzt oder nie! Ich habe einen Kredit von der Bank bekommen und plötzlich gab es kein Zurück mehr.

Also war es eine spontane Entscheidung?

Die Idee hatte ich schon länger im Hinterkopf. Ich dachte aber immer, dass ich zu jung dafür sei. Das liegt ja generell in der Luft – viele wollen einen Store oder ein Café eröffnen oder ein Magazin gründen. Ich habe viel mit meinem Papa und meinen Freunden darüber geredet. Es ist gar nicht so viel anders als das, was ich als Journalistin mache: Ich suche Sachen zusammen. Mit dem Store hab ich aber viel mehr Kontakt zu den Leuten, von denen ich die Ware bekomme und an die ich sie weitergebe. Das fehlte mir beim Schreiben komplett. Man hat etwas geschrieben, aber selten direktes Feedback bekommen.

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Anne zeigt uns den süßen „Travel Buddy“, ein Monster, das man am Autogurt befestigen kann.

Hast du einen Businessplan geschrieben?

Ja, das volle Programm. Ich hatte kein Eigenkapital in riesiger Höhe und musste bei der Bank nach einem Kredit fragen. Außerdem habe ich mir einen Business-Coach gesucht. Ich kann mich gut einschätzen, ich bin gut in Kreativität und im Kommunizieren, aber mit Zahlen konnte ich noch nie gut umgehen. Mehr aus Spaß hatte ich dann ein Immobilienscout-Gesuch eingestellt, das war im August 2013, und im September ploppte dann plötzlich der Laden in der Schröderstraße auf. Eigentlich wollte ich ganz solide im Frühling 2014 aufmachen. Dann musste ich aber schnell handeln. Der Businessplan für die Bank braucht nämlich schon eine Immobilie, die einem zugesagt wird, was total blöd ist, und die Immobilie möchte aber, dass du schon Geld hast. Also muss man alles ein bisschen hinhalten. Die Schröderstraße ist außerdem eine meiner liebsten Straßen. Es war klar: Das ist Fügung, da muss ich rein.

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Natürlich gibt es auch eine Malecke – und Mäuse-Prints!

Viele denken, dass man einfach nur quatscht, das gibt es in Berlin ja zuhauf.

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Du hast den Store vor zwei Jahren, im Alter von 27 Jahren, gegründet. Wie hat dein engeres Umfeld reagiert?

Sehr, sehr unterschiedlich von „Oh Gott, so etwas würde ich mir jetzt nicht ans Bein binden wollen“ bis hin zu „Ja klar, macht total viel Sinn“. Viele denken auch, dass man einfach nur quatscht, das gibt es in Berlin ja zuhauf. Aber ich bin immer für „Learning by Doing“, auch in anderen Gebieten.

Du hast vorher als Journalistin gearbeitet, vor allem für Kindermagazine. Konntest du dir dort einiges an Know-how aneignen, was dir beim Laden geholfen hat?

Es hat mir beim Bekanntwerden geholfen, weil ich schon die richtigen Leute, zum Beispiel Redakteure und Blogger, kannte, die dann über meinen Store berichtet haben. Manchmal machen Läden auf und niemand bekommt es mit.

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Die tolle Umkleide.

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Viele Gründer unterschätzen den Aspekt, dass es gar nicht so einfach ist, Labels für den eigenen Laden zu bekommen.

Besonders, wenn es den Laden noch gar nicht gibt. Ich habe für meine Anfragen bei den Labels ein riesengroßes Pinterest-Board zusammengestellt, um die Ästhetik zu verdeutlichen, Brands genannt, die schon zugesagt haben und meine Corporate Identity vorgestellt. Sobald man geöffnet hat, ist es andersherum. Dann kommen die Labels auf dich zu. Es fiel mir am Anfang total schwer, nein zu sagen. Man wächst da aber rein und lernt immer mehr darüber, was man selbst will und was die Kunden wollen. Einen Laden aufzumachen, heißt ja noch nicht, einen Laden zu haben. Die Identität muss stimmen und die Produkte stimmig aussehen.

Nach welchen Kriterien wählst du die Labels denn aus?

Nach Optik – alles nur Optik (lacht). Nein, aber das ist wirklich das Erste, das muss mich überzeugen und dann schaue ich weiter nach Qualität: Wo kommen die Produkte her? Haptik ist mir auch total wichtig, es muss sich gut anfühlen. Bei Babys ist das eine höchst emotionale Sache. Die meisten Leute geben für ihre Babys viel mehr Geld aus als für sich selbst. Ich gehe da so ran, als würde ich für mein imaginäres Kind einkaufen. Es geht aber eben nicht nur um Naturmaterialien, dann hätte ich jetzt ein kleines Öko-Kaufhaus, das ganz anders aufgezogen werden müsste.

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In einem L-förmigen Raum finden bei Anne Küche und Esszimer Platz.

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Gibt es auch tolle deutsche Kinderlabels?

Es gibt sehr wenige. Ich habe ein Label im Shop, das Macaron heißt. Es ist halb französisch und halb deutsch und kommt aus Stuttgart – die stellen hier alles her. Es ist zeitlos, sehr schön, aber ziemlich preisintensiv. Es gibt noch viel, das nach DIY aussieht, es kommt aber einiges nach, zum Beispiel Little Man Happy aus Berlin oder Mondkind. Bei Spielzeug gibt es einige tolle deutsche Labels, gerade bei Holzspielzeug.

Bist du viel auf Messen unterwegs?

Es ist genauso wie in der Modewelt der Erwachsenen in Saisons aufgeteilt, mittlerweile gibt es sogar Zwischenkollektionen. Ich bin am liebsten in Kopenhagen auf den Messen. Im Winter war ich zum Beispiel in Florenz, dann in Kopenhagen, dann München und dann in Paris. Das waren insgesamt aber nur zehn Tage und zwischendurch habe ich noch die Babyshower für meine Freundin aus München organisiert (lacht).

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Ganz ehrlich, der Einzelhandel ist schon hart. Es macht mich manchmal echt fertig, nicht zu wissen, was passiert.

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Was war bisher deine größte Herausforderung?

Man ist mit einem Store mit Mode extrem wetterabhängig. Du hast zum Beispiel einen wahnsinnig schönen August, aber keinen schönen Mai, den man bräuchte, um Produkte zu verkaufen, die im Februar in den Laden gekommen sind. Außerdem gibt es einen großen Konkurrenzkampf mit Sales und besonderen Aktionen.

Der Einzelhandel hat dich trotzdem nicht abgeschreckt?

Ganz ehrlich, der Einzelhandel ist schon hart. Es macht mich manchmal echt fertig, nicht zu wissen, was passiert. Es ist immer ein Blick in die Glaskugel, man braucht viel Zuversicht und Vertrauen in sich selbst und in die Kunden. Jetzt hatte ich auch schon lange keine Finanzspritze mehr – es muss von alleine funktionieren können. Es gibt auch mal eine Woche, in der man sich fragt: Wo sind die alle hin? Aber es ist immer noch die richtige Entscheidung gewesen, auch wenn mir nie etwas aus dem Laden passt (lacht).

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Wie hebst du dich deiner Meinung nach von den anderen Kinderläden in Berlin ab?

Als ich aufgemacht habe, habe ich mich natürlich auch in anderen Läden umgeguckt, beziehungsweise kannte ich die meisten durch meinen alten Job. In vielen Läden sieht es sehr unorganisiert aus­­. Kinderklamotten sind sowieso schon klein und dann wird es schnell kleinteilig. Die Teile sind nicht nach Farben geordnet und wenn sie das sind, dann nur nach Geschlechtern – das fand ich sehr oldschool. Bei mir sortiere ich die Sachen auch nicht nach Geschlechtern. Für jeden Kunden gibt es natürlich den entsprechenden Laden, ich habe meinen Laden damals aber nicht gesehen, der fehlte mir sozusagen noch in der Szene. Ich brauche Übersicht und werde nervös, wenn es zu viel ist. Mittlerweile haben einige Kinderläden in Berlin eröffnet, was ich gut finde.

Hast du schon Mitarbeiter?

Nur eine Mitarbeiterin, es ist schon sehr viel Ich, vom Putzen bis zum Pakete annehmen, von der Telefonberatung bis zur Buchhaltung – ich versuche es teilweise auszulagern. Aber solange ich nicht sicher sein kann, dass ich alle easy bezahlen kann, will ich auch nicht so viel versprechen. Es ist immer noch eine halbe One-Woman-Show. Gerade für den Onlineshop ist es aber toll, dass mir jemand beim Einpflegen der Produkte hilft.

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Kannst du überhaupt noch Kinder und Babys angucken, ohne ihr Spielzeug und ihre Kleidung zu scannen?

Nein, manches erkennt man natürlich sofort. Ich kann das aber gut rechtfertigen, weil ich damit arbeite. Ich finde es krass, wenn Kinder das selber können und sagen: „Guck mal, das ist ja der Minirodini Sweater.“ Das ist das, was ich vorhin meinte. Es muss nicht immer durchdesignt sein, sonst werden die Kinder so markenaffin.

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Im zweiten Raum kombiniert Anne Wohnzimmer mit Schlafzimmer.

Was kann man frischgebackenen Eltern bzw. ihren Babys immer schenken?

Die Hampeltiere funktionieren super, es gibt einen Gorilla, einen Dachs, einen Fuchs und einen Nasenbären. Die sind hübsch, bleiben, das Kind wächst nicht raus und sie sind etwas Besonderes. Das nächste wäre tatsächlich ein Spucktuch, weil es sinnvoll ist. Viele Leute schenken nicht sinnvoll. Ich verschenke zur Geburt aber auch gerne Bücher. Wenn die schön gestaltet sind, kann man die erstmal ins Regal stellen – das Kind wird so oder so reinwachsen.

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Hast du denn selbst auch Teile aus deinem Laden Zuhause?

Ich habe ein Kissen und ein paar Poster hier und ich besorge natürlich Geschenke bei mir im Laden.

Stehen Mütter und Väter auch mal ratlos vor dir?

Immer, oft auch mit Fragen, die die Eltern eigentlich selbst beantworten müssten. Die zeigen mir das Kind und fragen mich: Spielt mein Kind schon damit? (Lacht.)

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Könntest du dir vorstellen, irgendwann ein eigenes Print- oder Onlinemagazin aus dem Store heraus zu entwickeln?

Ja. (Grinst.) Das ist bereits in Planung. Nach zwei Jahren bin ich wieder ausgerastet und brauche ein neues Projekt. Da ich schon eine Marke habe, die funktioniert, macht das Sinn. Wir machen es jetzt erstmal online, Print würde ich auch supergerne machen. Ich bin gerade in den Startlöchern. Es ist lustig, woher man immer noch Energie bekommt. Einige meinten schon zu mir: „Bist du sicher, dass du noch etwas machen möchtest?“ und ich habe nur geantwortet: „Ja, ich will eine Redaktion!“.

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Und wenn es sich bei dir mal nicht um Kinder dreht, wo finden wir dich dann in Berlin?

Ich gehe unglaublich gerne essen – ich versuche auch immer direkt nach dem Laden etwas zu unternehmen. Sobald ich nach Hause gehe, liege ich flach. Ich mag das Lokal in der Linienstraße – es ist, als hätte man mir das schönste Esszimmer um den schönsten Koch herumgebaut. Ansonsten mag ich alle Italiener, die sich in Reichweite befinden. In Neukölln mag ich das Beuster in der Weserstraße. Das Dóttier mit isländischer Küche ist auch toll – das ist auch so hübsch gemacht. Das Auge isst bei mir immer mit. Ich gehe auch unheimlich viel in Berlin spazieren, ich brauche viel frische Luft und bin gerne in Bewegung, da kriegt man den Kopf frei.

Danke für das schöne Interview, liebe Anne!

 

Hier findet ihr Anne und ihren Tiny Store:

Store: Schröderstraße 14, Berlin

Fotos: Sophia Lukasch

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