Gegen das Vergessen – Marion Ram von Remembering

16. September 2015

Die Hamburger Autorin und Regisseurin Marion Ram reiste vor drei Jahren nach Israel – und machte sich im Vorfeld viele Gedanken. Sie fand es spannend und wichtig, als Deutsche nach Israel zu fahren. Vor Ort stellte sie fest, dass ihre Unsicherheit vollkommen unbegründet war. Zurück in Deutschland ließ sie Israel nicht mehr los und sie fragte sich, wie wohl junge Deutsche und Israelis mit der Vergangenheit umgehen und welche Rolle die Shoah in ihrem Leben spielt? So wurde das Projekt Remembering geboren, bei dem 18 Jugendliche ihre Familiengeschichte erforschen und ihre Erkenntnisse in Filmen und Texten festhalten. Wir treffen Marion auf einen Kaffee und sprechen darüber, warum das Erinnern so wichtig ist.

Wir alle haben eine Verantwortung. Gerade jetzt, wo die letzten Holocaust-Überlebenden sterben.

Femtastics: Warum ist es so wichtig, dass wir unsere Geschichte und ins Besondere die Verbrechen des 2. Weltkriegs nicht vergessen?

Marion Ram: Es ist wichtig, weil es immer noch Antisemitismus und Diskriminierung gibt. Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass die Geschichte etwas mit einem selbst zu tun hat. Es ist nicht etwas Vergangenes und Abgeschlossenes. Es geht auch nicht um Schuld, es geht um Verantwortung. Wir alle haben eine Verantwortung. Gerade jetzt, wo die letzten Holocaust-Überlebenden sterben.

remembering

Manche Menschen wollen das Kapitel abschließen und den Deckel für immer zuklappen. Was entgegnest du diesen Menschen?

Ich finde es schwierig, das als Deutsche zu sagen. Ich weiß auch gar nicht, warum die Leute immer denken, irgendwo einen Deckel zuklappen zu müssen, weil die meisten ja gar nicht mit den Thema konfrontiert werden. Niemand in Deutschland wird mit den Verbrechen der Deutschen „belästigt“.

Du selbst hast vor ein paar Jahren eine Reise nach Israel unternommen. Welche Erfahrungen hast du vor Ort gemacht?

Vor Ort habe ich festgestellt, dass meine Unsicherheit und die Gedanken, die ich mir vor der Reise gemacht habe, vollkommen unbegründet waren. Ich hatte weder Angst noch habe ich mich irgendwie schlecht gefühlt. Israel ist ein sehr interessantes Land und ich kann nur empfehlen, es zu besuchen.

Spielt der Holocaust noch eine Rolle im Leben von Jugendlichen? Wie sieht Erinnerung aus, in Deutschland und in Israel?

War die Reise somit der Auslöser für das Projekt?

Auch. Aber es gab noch anderes, was mich inspiriert hat. Zum Beispiel den wichtigen Film „The Flat“ von Arnon Goldfinger. Das ist ein sehr beeindruckender Dokumentarfilm, mit einem sehr persönlichen Blick auf beide Seiten der Geschichte. Ich habe mich gefragt, wie sehen das eigentlich heute Zwanzigjährige? Spielt der Holocaust noch eine Rolle im Leben von Jugendlichen? Und wie sieht Erinnerung aus, in Deutschland und in Israel?

Und das wolltet ihr herausfinden.

Ja. Es war von Anfang an klar, dass REMEMBERING nur mit modernen Mitteln erzählt werden kann, also im Internet. Ich habe ein Konzept geschrieben und nach und nach Leute gesucht, die zu dem Projekt passen. Unser Kernteam besteht heute aus 13 Leuten aus beiden Ländern, darunter Filmemacher, Journalisten, Historiker, Pädagogen, Übersetzer, Programmierer und Grafiker.

Wie habt ihr die jugendlichen Teilnehmer gefunden?

Das war nicht ganz einfach, da wir bereits mit der Bewerbung Motivation und Wissen über die eigene Familiengeschichte abgefragt haben. Wir wollten wissen, mit wem wir es zu tun haben. Außerdem war uns wichtig, eine möglichst heterogen Gruppe zusammenstellen. Ich denke, das ist uns gelungen.

Einige der teilnehmenden Jugendlichen aus Deutschland und Israel

Einige der teilnehmenden Jugendlichen aus Deutschland und Israel

Die Aufgabe der Jugendlichen ist es nun, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wie wurden sie darauf vorbereitet?

In der Auftakt-Woche in Deutschland waren wir sieben Tage zusammen. Es gab verschiedene Workshops mit praktischen Übungen, zum Beispiel über filmisches Erzählen, multimediale Erzähltechniken und ein historisches Seminar, mit jeweils zwei Teamern, einem aus Israel und einem aus Deutschland. Inzwischen sind unsere Teilnehmer dabei, Rechercheergebnisse abzubilden, ihren Kurzfilm zu drehen und ihre Multimedia-Stories zu bauen.

Wie sehen diese aus?

Inzwischen haben wir einiges Material bekommen, die Teilnehmer setzen sich sehr kritisch und reflektiert mit dem Thema Holocaust und der eigenen Familiengeschichte auseinander. Unsere Aufgabe dabei ist es, sie darin zu unterstützen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Der Bezug zur eigenen Familie ist uns dabei wichtig.

Was sind die Motive der Jugendlichen, bei dem Projekt mitzumachen?

Die Teilnehmer sind sehr an ihrer eigenen Familiengeschichte interessiert und haben das Projekt zum Anlass genommen, genauer nachzufragen. Aber auch der Austausch ist für alle sehr wichtig. Für fast alle in der Gruppe war es das erste Mal, sich mit der jeweils anderen Seite über den Holocaust auseinanderzusetzen. Für die meisten Israelis war es die erste Reise nach Deutschland und bei der zweiten Begegnung im Oktober werden viele deutsche Teilnehmer das erste Mal nach Israel fahren. Das ist schon aufregend und es ist schön zu sehen, wie viel die Teilnehmer voneinander wissen wollen und wie schnell alle sehr vertraut miteinander umgegangen sind. Wir haben schon jetzt eine richtig eingeschworene Gruppe. Das Ziel, Verständigung zu schaffen haben wir schon mal erreicht.

Hast du selbst mit deinen Eltern über den zweiten Weltkrieg gesprochen?

Ja, aber ich weiß darüber nicht viel. Es ist wie bei vielen anderen, meine Eltern blocken da ab. Das ist eben auch Teil des Projekts: Was ist eigentlich eine Erinnerung? Wie wird sie weitergegeben und was ist wirklich wahr? Was wird verdrängt?

Es gibt da einen unbedingten Willen, so viel wie möglich herauszufinden und sie lassen nicht locker – weil sie ihre eigene Geschichte kennen wollen.

Viele Großeltern möchten nicht über diese Zeit reden, wie bekommt man sie dazu?

Die Zugänge unserer Teilnehmer zu den Familienmitgliedern sind recht unterschiedlich. Alle  sollten, wie schon erwähnt, bei der Bewerbung aufschreiben, was sie über ihre Familiengeschichte wissen und haben somit schon vor Monaten angefangen, sich darauf vorzubereiten und Fragen zu stellen. Natürlich fühlt man sich dabei auch manchmal unwohl oder stellt fest, dass die Befragten keine Lust haben und nur ausweichend antworten. Aber die Jugendlichen haben das  sehr gut im Griff. Das kann man an den Beiträgen auf der Seite inzwischen auch sehen. Es gibt da einen unbedingten Willen, so viel wie möglich herauszufinden und sie lassen nicht locker – weil sie ihre eigene Geschichte kennen wollen.

Ein spannendes und wichtiges Projekt! Wir sind gespannt auf die Ergebnisse und bedanken uns für das Gespräch.

Hier findet ihr Marion und das Projekt Remembering:

   

 Fotos: femtastics

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