No Panic: Daniela über ihre Multiple-Sklerose-Erkrankung

8. Dezember 2015

Daniela Wirdemann-Leonhardt ist 30 Jahre alt, gelernte Mediengestalterin und hat vor drei Jahren die Diagnose Multiple Sklerose bekommen. Multiple Sklerose (MS) ist eine nicht heilbare Autoimmunerkrankung, die das zentrale Nervensystem befällt, die Hüllschichten der Nerven schädigt und Nervenstrukturen zerstört. Die Folgen sind Sehstörungen und Schmerzen bis hin zu Lähmungen. Frauen erkranken dabei etwa doppelt so häufig an Multipler Sklerose wie Männer. Es gibt Betroffene, die angesichts der Zukunftsaussichten den Mut verlieren – und es gibt Menschen wie Daniela, die die Diagnose wie eine Herausforderung annehmen, nie den Kopf in den Sand stecken, sondern nach vorne preschen: Kurz nach der Diagnose hat Daniela sich selbständig gemacht und plottet und druckt für ihre Unternehmen DWL Design nun einfach von Zuhause aus: ihrer Lieblingsstadt Hamburg hat sie eine eigene kleine Kollektion gewidmet mit T-Shirts, Beutel und Schlüsselbändern. Wir besuchen sie in ihrem Zuhause in Halstenbek und sprechen über Schicksal, über Hoffnung – und nehmen eine gehörige Portion Lebensmut mit nach Hause.

 

femtastics: Du bist gelernte Mediengestalterin – was hat dich an der Ausbildung begeistert?

Daniela Wirdemann-Leonhardt: Ich habe zwei Berufe gehabt, ich habe am Computer Logos entworfen und Schilder gestaltet, war auf Montage und habe Autos beklebt. Gleichzeitig habe ich mit Digitaldruckern und Plottern die Produktion gemacht. Als normaler Mediengestalter sitzt du eigentlich nur im Büro und machst Flyer. Es war immer das Handwerkliche, was mich interessiert hat.

 

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Danielas Motto lautet: „Design will leben“ – sie möchte der Kreativität mit ihrer Arbeit ein Gesicht geben.

Wann kam die Diagnose Multiple Sklerose?

Vor drei Jahren. Da bin ich gerade nach Hamburg gezogen und fing bei einer Werbetechnikfirma an zu arbeiten.

Wie wurde die Krankheit festgestellt?

Ich hatte Sehstörungen und für ein paar Minuten einen Tunnelblick. Ich habe noch nicht mal meinen Mann richtig erkannt. Dann haben wir ein Haus gefunden, sind eingezogen und zwei Wochen später hatte ich den ganzen Tag eingeschlafene Füße. Irgendwann ging es bis zu den Knien hoch und im Büro sind mir dann die Beine komplett weggesackt.

Du bist wahrscheinlich sofort ins Krankenhaus gefahren?

Erst zu einem Arzt, der aber nur meinte, dass es ein neurologisches Problem sein müsste. Mein Mann ist dann mit mir in die Notaufnahme nach Rissen gefahren. Hier hat man schnell gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Also weiter nach Altona, dort gab es eine neurologische Aufnahme. Nach ein paar Tests war der Verdacht da und ich musste da bleiben.

Es war also kein schleichender Prozess, sondern die Krankheit kam wie aus dem Nichts.

Genau das war kein gutes Zeichen. Die endgültige Diagnose bekam ich am nächsten Tag.

Was hast du gedacht, als du das erste Mal von Multipler Sklerose gehört hast?

Ich habe nur Bahnhof verstanden, ich kannte die Krankheit nicht und war überfordert. Als mein Mann davon gehört hat, ist er fast umgefallen. Als Arztsohn wusste er, was das bedeutet. Er hat mir aber nichts gesagt.

Weil er dich nicht beunruhigen wollte?

Ja. Ich habe drei Tage Kortison bekommen, trotzdem ist die Taubheit bis zum Bauch hochgeklettert. Es war ein richtig aggressiver Schub.

Das heißt, du konntest dich gar nicht mehr richtig bewegen?

Ich konnte nicht laufen, bei mir war alles weg. Irgendwann habe ich einen Gehwagen bekommen.

Ein T-Shirt und ein Beutel aus Danielas eigener Kollektion, die sie ihrer Lieblingsstadt Hamburg gewidmet hat.

Irgendwann hast du wahrscheinlich erfahren, was genau die Diagnose bedeutet.

Das war in der Reha. Dort haben die Ärzte schnell festgestellt, dass ich gar keine Ahnung hatte, was für eine Krankheit ich da überhaupt habe. Ich dachte tatsächlich, dass ich vier Wochen in der Reha bin und danach das Leben wieder normal weitergeht.

Ich war aber nicht deprimiert oder habe viel geweint, ich war einfach nur unfassbar sauer.

Wie hat man dir das Krankheitsbild Multiple Sklerose näher gebracht?

Ich wurde durch drei Seminare geschickt und habe erst da geschnallt, was Multiple Sklerose ist – und das ich den Scheiß auch noch für immer behalten werde. (Lacht.)

Was ist dir durch den Kopf gegangen?

Ich habe mich gefragt, wo kommt das ausgerechnet jetzt her!? Eigentlich stand der Kinderwunsch bei mir an erster Stelle. Das konnte ich natürlich erstmal abhaken. Ich war aber nicht deprimiert oder habe viel geweint, ich war einfach nur unfassbar sauer.

Trotzdem hast du nicht den Kopf in den Sand gesteckt.

Im Gegenteil, ich wollte es allen zeigen! Ich wollte beweisen, dass nach dem ersten Schub alles wieder super läuft.

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„No Panic“ resultiert aus Danielas Motto: Das Leben geht weiter!

Hat das geklappt?

Nein. Im gleichen Jahr hatte ich noch einen Schub.

Wie beeinflusst die Krankheit deinen Alltag?

Alles hat sich geändert. Irgendein Professor hat mal gesagt, dass die Krankheit dein Leben nicht beeinflussen soll. Das ist Schwachsinn, die Krankheit beeinflusst mich von dem Moment an, in dem ich aufwache. Die erste Frage ist immer, geht es mir heute gut oder nicht? Bei mir sind vor allem die Beine betroffen, erst das linke, jetzt auch das rechte.

Die Multiple Sklerose ist also immer da?

Mein linkes Bein ist fast kaputt. Ich hatte in drei Jahren schon zehn Schübe, laut meinem Neurologen führe ich die Highscore-Liste an. Andere haben das in fünf oder zehn Jahren.

Die Krankheit nimmt also bei jedem einen anderen Verlauf?

Jeder Patient ist anders. Ich habe einen aggressiven Verlauf. Die Sehstörungen damals, das war schon der erste Schub. Im MRT sieht man die Herde.

Jetzt nimmst du Medikamente.

Ich nehme acht Tabletten am Tag gegen die Schmerzen und Spastiken. Manchmal funktioniert die Hand für eine Minute nicht. Ich habe auch schon mehrere Therapien hinter mir. Teilweise durfte ich auch kein Auto fahren. Irgendwann habe ich ein Medikament bekommen, was nur für Härtefälle ist – und was das Immunsystem komplett runterfährt.

Dämmt es die Krankheit ein?

Das Immunsystem bildet die Entzündungsherde und macht dich von innen kaputt. Durch das Medikament wird das Immunsystem zerstört und muss neu hochfahren. Die Hoffnung ist, vereinfacht gesagt, dass die Entzündungsherde bei diesem Neustart nicht mit hochfahren. Deswegen wird das Risiko eingegangen, das Medikament stammt eigentlich aus der Behandlung von Leukämie-Patienten.

Hat das Medikament dir geholfen?

Ich bin der dritte Patient in Hamburg, der dieses Medikament ausprobiert. Einen Monat lang ging es mir wirklich schlecht, ich durfte auch keinen Kontakt mit anderen Menschen haben und musste ständig Hände waschen. Seitdem hatte ich nur einen Mini-Schub, es scheint also etwas zu helfen.

Von Anfang an habe ich gesagt, das wird schon!

Das klingt alles andere als leicht – woraus schöpfst du Kraft?

Ich weiß es nicht. Meine ganze Familie und alle meine Freunde machen sich die ganze Zeit Sorgen und sind sehr traurig – ich denke die meiste Zeit, was habt ihr für ein Problem?

Das heißt, du bist die Starke – trotz dieses schweren Schicksalschlags.

Ich sehe es als Herausforderung. Von Anfang an habe ich gesagt, das wird schon! Ich mache einfach. So bin ich nun mal.

Ihren Gehstock hat Daniela selbst verziert.

Das ist für andere Patienten bestimmt inspirierend. Tauschst du dich mit anderen MS-Betroffenen aus?

Nur in der Reha treffe ich manchmal auf andere Betroffene. Einmal habe ich einen Patienten getroffen, der die Diagnose seit 15 Jahren hatte und sich deswegen umbringen wollte. Wir haben lange gesprochen und irgendwann hat er gesagt, dass ich ihm gezeigt habe, dass das Leben weitergeht. Das hat kein Psychologe vorher geschafft, ihm das klarzumachen.

Natürlich geht das Leben weiter!

Ein großes Kompliment.

Natürlich geht das Leben weiter! Wir sind nicht ans Bett gefesselt, ich nur an den Stock. Ich kann arbeiten und alles ist gut. Die Krankheit ist nicht heilbar, aber ich bin eben auch nicht sterbenskrank.

Man bekommt einen anderen Blick auf das Leben, Probleme, die es vorher gab, erscheinen auf einmal ganz klein.

Die meisten Probleme sind Luxusprobleme! Es ist egal, ob der Nachbar einen größeren Fernseher hat als ich. Ich habe ein Zuhause und immer etwas zu Essen, worüber soll ich mich beschweren? Es ist Schicksal, ich hab nun mal diese Krankheit, also was soll ich machen? Anscheinend brauchte ich eine neue Aufgabe im Leben. (Lacht.)

Wann kam der Entschluss, dass du dich selbständig machen willst?

Autos bekleben konnte ich nicht mehr, weil ich mit den Beinen nicht so weit runter komme. Also habe ich nur noch Grafikarbeit gemacht. Ende 2013 wurde ich dann betriebsbedingt gekündigt. Dann habe ich mich in die Arbeit gestürzt und mich selbständig gemacht. Jetzt arbeite ich als freie Grafikerin und biete auch T-Shirt-Druck an.

Und zusätzlich machst du dein eigenes Ding?

Ich habe eine eigene Kollektion, die ich auf Kommission verkaufe. Gerade arbeite ich daran, einen Online-Shop aufzubauen.

Wie entwickelst du deine Ideen?

Die fallen mir im Schlaf ein! Meine größte Inspiration ist Hamburg, ich liebe Hamburg einfach – die Skyline mit der Köhlbrandbrücke ist unglaublich. Ich liebe das Wasser, den Hafen, den Trubel aber auch das Ruhige. Und das viele Grün! Grün ist meine Lieblingsfarbe. (Lacht.)

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Daniela!

Hier findet ihr Daniela:

Fotos: femtastics

Ein Kommentar

  • Sophie sagt:

    Moin Lisa. Eigentlich wollte ich dir direkt schreiben, nachdem ich den Artikel vor ein paar Tagen gelesen hatte, aber irgendwas hat mich wohl direkt wieder abgelenkt. Was ich sagen wollte: Ich finde es so cool, dass du dieses „schwere“ Thema auf euren Blog gebracht hast. „Schwer“ deshalb, weil einem solch eine Geschichte natürlich immer etwas Angst macht. Weil sie nicht nur heile, glitzernde, fancy Lifestyle-Welt ist. Weil sie einem bewusst macht, dass plötzlich alles ganz anders kommen kann. Gleichzeitig ist sie aber auch so positiv & macht vielen Betroffenen sicher Mut. Also coole Sache 🙂 Vieeele liebe Grüße. Sophie

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