Sind die Eltern wirklich an allem Schuld? So gelingt eine gesunde Beziehung zu den Eltern

Psychologin Dr. Sandra Konrad verrät wie eine gesunde Eltern-Beziehung aussehen sollte.

Wie sehr – und wie lange – beeinflussen unsere Eltern unser Leben? Warum fühlen wir uns in ihrer Gegenwart wieder wie ein Kind, haben ihnen gegenüber Schuldgefühle oder empfinden Wut, fühlen uns von ihnen auch als erwachsener Mensch noch eingeschränkt oder kontrolliert, wollen ihnen alles recht machen, immer auf sie Rücksicht nehmen oder vielleicht sogar den Kontakt ganz abbrechen? 

Dr. Sandra Konrad ist Dipl.-Psychologin, systemische Therapeutin und Sachbuchautorin in Hamburg. Sie hat gerade ihr neues Buch “Nicht ohne meine Eltern: Wie gesunde Ablösung all unsere Beziehungen verbessert – auch die zu unseren Eltern”
veröffentlicht und sagt: Zwischen Kindern und Eltern muss eine Ablösung stattfinden, und zwar von beiden Seiten, sonst sind wir nicht in der Lage, auch mit anderen Menschen gesunde Beziehungen zu führen. Darüber, wie das gelingen kann – und welche Auswirkungen es hat, wenn es nicht ausreichend passiert – sprechen wir in unserer neuen Podcast-Episode unseres Podcasts „femtastics Deep Dive“.

femtastics: Wir möchten heute gern mit dir darüber sprechen, wie man eine gesunde Eltern-Beziehung führt bzw. wie eine Ablösung von den Eltern aussehen kann. Wieso hast du dich entschieden, ein Buch über dieses Thema zu schreiben?

Sandra Konrad: Weil mir dieses Thema wirklich jeden Tag begegnet. In meiner Praxis, wo ich mit Menschen arbeite, die zum Teil noch sehr unbewusst mit den Eltern verstrickt sind und großen Leidensdruck haben. Zum anderen habe ich im Laufe der Jahre ganz viele E-Mails von Leser*innen eines anderen Buches bekommen, das ich geschrieben habe.

Da ging es um das familiäre Erbe und wie stark eigentlich die Vergangenheit der Familie wirkt. Irgendwann ist mir klar geworden, dass es nicht ausreicht, nur zu erkennen, durch was wir gebunden sind und wie die Familie uns prägt und lenkt, sondern dass es auch gut wäre, Anleitung oder Ideen zu geben, wie man dieses Erbe aussortieren kann und wie man sich zunächst auch mal von den Eltern lösen kann.

Kinder haben die Entwicklungsaufgabe, sich von den Eltern zu lösen. Und Eltern haben die Aufgabe, die Kinder auch loszulassen.

Ja, total. Diese Beziehung zu den eigenen Eltern beschäftigt so viele, wenn nicht gar alle von uns. Insbesondere, wenn man noch in Beziehung zu ihnen steht, aber auch, wenn man nicht mehr in Beziehung zu ihnen steht. Lass uns auf das Thema Ablösung kommen: Was bedeutet eine gesunde Ablösung? Vielleicht auch aus beiden Perspektiven – also zum einen aus der Perspektive der Eltern und aus derjenigen der Kinder. Und wie kann diese funktionieren?

Zunächst mal ist Ablösung keine Einbahnstraße. Das heißt, Kinder haben die Entwicklungsaufgabe, sich von den Eltern zu lösen. Und Eltern haben die Aufgabe, die Kinder auch loszulassen, altersangemessen natürlich. Für erwachsene Kinder bedeutet die emotionale Ablösung, dass wir irgendwann anfangen sollten, die Erwartungen, die unsere Eltern an uns haben, zu hinterfragen und zu schauen, was davon passt eigentlich und was davon passt überhaupt nicht zu mir? Wie kann oder möchte ich gar nicht leben?

Das andere ist – und das fällt vielen Menschen richtig schwer, denn es ist zum Teil echt schmerzhaft – die Aufgabe, dass wir irgendwann aufhören sollten, uns von den Eltern etwas zu wünschen, was sie uns noch nie geben konnten. Das heißt, wir müssen an unsere eigenen Erwartungen an die Eltern ran und auch akzeptieren, dass wir vielleicht enttäuscht sind. Wenn uns das gelingt, dann ist es wichtig, dass wir das, was wir uns von den Eltern immer gewünscht hätten, irgendwann uns selbst geben. Dass wir uns selbst quasi die gute Mutter oder der gute Vater sind, den oder die wir uns gewünscht haben.

Warum ist denn überhaupt diese Beziehung zwischen Kindern und Eltern so wichtig bzw. so prägend oder vielleicht sogar lebensbestimmend?

Die Eltern sind unsere ersten Bindungspartner. Von unseren Eltern lernen wir wie die Welt ist, ob wir sicher sind, auf ihr geborgen sind. Und natürlich auch, dass wir es wert sind geliebt zu werden. In Beziehung mit unseren Eltern entwickeln wir idealerweise eine sichere Bindung und wenn es nicht so gut läuft, dann entwickeln wir eine unsichere Bindung. Wir lernen die ganze Zeit mit und von unseren Eltern, wie Konflikte ausgetragen werden und inwieweit wir Vertrauen in die Welt und auch in uns selbst haben können.

Ich erkläre das meinen Klient*innen immer so, als ob die Eltern in uns ein Radioprogramm installieren. Und da sind gute, selbstbestärkende Stimmen dabei, aber zum Teil eben auch kritische Stimmen. Für uns ist es im Laufe des Lebens und im Laufe dieser Ablösung wichtig, dass wir unsere Glaubenssätze auch mal angucken und schauen, wenn das gute positive Glaubenssätze sind, wie zum Beispiel „Ich bin gut“ oder „Ich bin liebenswert“, dann ist es wunderbar. Aber wenn das zum Beispiel Glaubenssätze sind, die negativ sind, die uns überfordern, wie zum Beispiel „Ich darf keine Fehler machen“ oder „Ich muss perfekt sein“ oder „Ich bin nicht gut genug“, dann ist es wichtig, da mal hinzuschauen und die zu verändern.

Wir sollten nicht darauf warten, dass die Eltern uns jetzt retten, sondern uns selbst eine gute Mutter oder ein guter Vater sein.

Faszinierend ist ja wirklich, dass diese Beziehung uns so weit prägt, dass sie uns das ganze Leben lang begleitet. Du beschreibst es so schön in deinem Buch: In Gegenwart der eigenen Eltern fühlt man sich oft wieder wie ein kleines Kind bzw. fällt man zurück in kindliche Verhaltensmuster. Woher kommt das?

Wir alle kennen das und es ist immer ein Zeichen, das wir getriggert worden sind. Dann fallen wir auf eine kindliche Entwicklungsstufe zurück und spüren in diesem Kind-Ich die ganzen alten Verletzungen und vielleicht auch die ungelösten Konflikte. In diesem Kind-Ich fühlen wir uns eben nicht mehr erwachsen, sondern ohnmächtig oder ausgeliefert.

Es wichtig, das zu reflektieren, denn wir können auch die Leiter wieder hochklettern und in unser Erwachsenen-Ich zurückkehren. Wir sollten nicht darauf warten, dass die Eltern uns jetzt retten, sondern uns selbst eine gute Mutter oder ein guter Vater sein. Wir können unser verletztes Kind wahrnehmen, uns trösten oder das anbieten, was dieser Anteil in dem Moment braucht, um wieder sich zu beruhigen.

Das ganze Interview mit Dr. Sandra Konrad hört ihr in unserer Podcast-Episode!

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Foto: Kirsten Nijhof

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