Wie Frauen sich gegen digitale Gewalt wehren können – Anna-Lena von Hodenberg von „HateAid“

12. November 2020

Cybermobbing, heimliche Aufnahmen, Stalking in sozialen Netzwerken – digitale Gewalt nimmt zu und trifft in den allermeisten Fällen Frauen. Jede zehnte Frau hat bereits eine Form von digitaler Gewalt erfahren, aber nur wenige sprechen darüber. Anna-Lena von Hodenberg arbeitete unter anderem als Fernsehjournalistin und setzte sich bei “Campact” als Campaignerin gegen Hatespeech ein. Schließlich gründete sie den Verein “HateAid”, der seither unermüdlich daran arbeitet, politische Forderungen für den Schutz Betroffener von digitaler Gewalt durchzusetzen. Im Rahmen der Initiative „Stärker als Gewalt“ hat das Bundesfamilien­ministerium im Oktober einen Schwerpunkt auf das Thema „Digitale Gewalt gegen Frauen“ gelegt, Höhepunkt war die Podiumsdiskussion „Im Netz nicht sicher? Gemeinsam sind wir #StärkerAlsGewalt“ im Oktober, bei der Anna-Lena von Hodenberg mit Expertinnen und Influencerinnen darüber gesprochen hat, welche Formen und Dimensionen Gewalt im Netz annehmen kann, wie sich Frauen wehren können und wie das Umfeld Betroffenen zur Seite stehen kann. Wir haben sie anschließend zum Interview getroffen.

Die Gewalt fängt da an, wo Frauen abgewertet und beleidigt werden.

femtastics: Was zählt bereits zu digitaler Gewalt und wie erkenne ich sie?

Anna-Lena von Hodenberg: Die Gewalt fängt da an, wo Frauen abgewertet und beleidigt werden. Wenn ich mich betroffen, angegriffen oder degradiert fühle, sind das Anzeichen, dass ich eine Gewalterfahrung mache. Das sollte jede*r erstmal ernst nehmen und genau hinsehen. Wenn ich eine Morddrohung erhalte, ist der Fall relativ klar, aber es gibt auch einen Zwischenbereich, in dem sich eine Beleidigung wie beispielsweise “Du blöde Schlampe” nicht gleich als Gewalttat offenbart.

Haben Frauen sich an den rauen Ton gewöhnt und sehen (zu) schnell über Beleidigungen und Grenzüberschreitungen hinweg?

Wenn Frauen ungefragt Dickpics gesendet bekommen, löschen sie diese einfach. Im analogen Leben wäre das aber, als wenn einer vor mir die Hose runter lässt und seinen Penis zeigt. Das ist doch krass! Und ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der es für Frauen normal ist, dass sie “dumme Schlampe” genannt werden. Es gibt einen gewissen Abstumpfungseffekt. Wir von “HateAid” sagen, dass digitale Gewalt alles ist, was auf digitalen Geräten passiert – also auf dem Smartphone, auf dem Tablet, Handy, in den Sozialen Medien, Whatsapp, auf Blogs.

 

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Was ist das Ziel der Täter*innen? Gerade, wenn solche Gewalt unter Fake-Accounts immer wieder auftaucht und nicht aufhört?

Das Ziel der Täter*innen ist, Frauen öffentlich an den Pranger zu stellen und fertig zu machen. Sie wollen sie wirklich zermürben und ihren Ruf zerstören. Oft sehen wir Nackt-Montagen, wo der Kopf der Frau auf andere Körper montiert wird. Täter*innen wollen Frauen erniedrigen und im Netz so lange angreifen, bis die Frauen sagen: „Das gebe ich mir nicht mehr, wenn das nicht aufhört, äußere ich mich zu bestimmten Themen nicht mehr.“ Es gibt einige Themen, bei denen Frauen dreimal überlegen, ob sie dazu etwas posten. Zu bestimmten Themen äußern sie sich gar nicht mehr, das reicht bis zum völligen Rückzug aus dem Netz.

Wenn das passiert, haben die Täter*innen ihr Ziel erreicht.

Genau das ist vielfach gewollt: Stimmen von Frauen, die sich nichts gefallen lassen und sich politisch äußern – zur Emanzipation, zum Klimawandel, zu Rassismus etc. – sollen aus dem Netz verschwinden. Ist ja klar, wenn Frauen sich so äußern, empowern sie andere Frauen, es ihnen gleich zu tun. Genau das wollen die Täter*innen verhindern, indem sie solche Frauen für ihr Verhalten öffentlich an den Pranger stellen. Die wollen, dass viele andere Frauen das sehen nach dem Motto: Da siehst, du was dir passiert, wenn du dich zu solchen Themen äußerst!

Es gibt eine Studie, laut der 54 Prozent der Internet Nutzerinnen sich nicht mehr so oft trauen, ihre politische Meinung kundzutun aus Angst, selber angegriffen zu werden.

Was macht das mit den Frauen?

Es gibt eine Studie, laut der 54% der Internet-Nutzerinnen sich nicht mehr so oft trauen, ihre politische Meinung kundzutun aus Angst, selber angegriffen zu werden. Das ist ein riesengroßes Problem, weil das Internet der wichtigste öffentliche Raum ist, den wir mittlerweile haben. Wenn die Stimmen emanzipierter und couragierter Frauen plötzlich nicht mehr vorkommen, weil sie gemobbt und angegriffen werden, macht das etwas mit uns als Gesellschaft und letztlich mit unserem offenen demokratischen Diskurs. Wir leben nicht mehr in einer offenen demokratischen Gesellschaft, wenn sich Frauen im wichtigsten öffentlichen Raum nicht mehr frei äußern dürfen.

 

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Wir leben nicht mehr in einer offenen demokratischen Gesellschaft, wenn sich Frauen im wichtigsten öffentlichen Raum nicht mehr frei äußern dürfen.

Wie machen Sie Frauen trotzdem Mut, weiterhin öffentlich ihre Meinung zu äußern und dafür einzustehen?

Zwei Faktoren sind wichtig: Zum einen müssen Frauen befähigt werden, an einen Platz oder Ort zurückzugehen, an dem ihnen Gewalt widerfahren ist. Dafür brauchen wir einen Staat und Institutionen, die ganz klar hinter ihnen stehen. Die Polizei muss diese Taten ernst nehmen und als Straftat erkennen, damit die Täter*innen ermittelt werden können. Es muss völlig klar sein, dass solche Vorgänge illegal sind und die Betroffenen unterstützt werden.

Auf der anderen Seite braucht es Solidarität: Andere Frauen und Männer müssen sich öffentlich vor Betroffene stellen und sie unterstützen, damit Frauen sehen, dass sie sich sowas nicht gefallen lassen müssen. Es gibt Räume, in denen ihnen Gewalt widerfahren kann, aber ebenso muss es dort Solidarität und Unterstützung geben. Das ist wie im analogen Leben: Wenn ich irgendwo stehe und von vielen anderen angegriffen und angeschrien werde, dann kommen plötzlich alle meine Freund*innen und stellen sich neben mich.

„Hate Aid“ kümmert sich unter anderem insbesondere um die strafrechtliche Verfolgung – warum ist es wichtig juristisch gegen digitale Gewalt vorzugehen?

2015 ging eine Welle der digitalen Gewalt los und es gab so gut wie keine Strafverfolgung im Netz. Täter*innen fangen meistens locker an mit Beleidigungen. Wenn die sehen, dass die Beleidigung stehen bleibt, gibt es eine Vergewaltigungsandrohung. Und wenn diese Vergewaltigungsandrohung stehen bleibt, schreiben die als nächstes eine Morddrohung. Wenn niemand das löscht, anzeigt oder irgendwie tätig wird, ist das Signal an alle anderen: Das hier ist okay, ich kann so etwas hier schreiben! Deswegen schreiben auch viele unter Klarnamen, weil sie denken, das sei erlaubt. Deswegen ist Strafverfolgung so wichtig, damit Täter*innen wieder verstehen, das ist eine Straftat, das dürfen sie Frauen nicht antun. Und damit Frauen wissen, sie haben hier Rechte, und wenn ihnen jemand so etwas antut, kriegt er oder sie nächste Woche Post vom Anwalt oder der Kriminalpolizei.

 

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Wie sensibilisiert ist die Polizei Ihrer Erfahrung nach?

Leider sind Strafverfolgungsbehörden und Polizei überhaupt nicht sensibilisiert und Frauen werden eben nicht unterstützt. Das sehen wir bei “HateAid” und begleiten die Opfer beim Prozess. Wir bemühen uns, ihnen so gut wie möglich alles abzunehmen. Wir stellen Strafanzeigen und Strafanträge für die Frauen, stellen die Inhalte zusammen und machen die Beweissicherung. Wenn es um persönliche Beleidigungen geht, müssen Frauen auch zum Anwalt und dort selber in Vorkasse gehen, um gegen die Täter*innen vorzugehen. Falls sie vor Gericht verlieren, müssen sie zusätzlich die Anwaltskosten des Täters zahlen, das können bis zu 4.000 Euro pro Aussage sein. Das können viele nicht, weil es viel zu teuer ist – aber es kann nicht sein, dass es vom Geldbeutel abhängt, ob man gegen Täter*innen vorgeht. Deswegen finanzieren wir in geeigneten Fällen, wenn es Erfolgsaussichten gibt, die Zivilprozesse.

Geht dagegen vor! Lasst euch das nicht gefallen, ihr müsst euch nicht so nennen lassen!

Wie ist die Erfolgsquote momentan?

Unsere Quote ist viel besser geworden, seit wir mit der Sonderstaatsanwaltschaft in Hessen zusammenarbeiten. Wir schicken alle unsere Meldungen nur noch dorthin und haben seitdem 50 Prozent mehr Täteridentifikation. Außerdem hilft diese Kooperation bei der Einschätzung, ob die Fälle jeweils strafrechtlich relevant sind oder nicht. Es nützt den Leuten nicht, wenn wir falsche Versprechungen machen, wenn wir nur geringe Erfolgsaussichten haben. Insgesamt sind unsere Erfolgsaussichten ganz gut. Wir haben zum Beispiel gegen einen notorischen Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro erwirkt, wegen eines Fake-Zitats. Ein anderer Mann, der eine Frau als “hohle Nuss” bezeichnet hat und die Aussage tätigte “sie gehöre auf die Mülldeponie” wurde zu 1.500 Euro Schmerzensgeld verklagt. Äußerungen dieser Art würden sich viele Frauen noch gefallen lassen, aber wir sagen: Geht dagegen vor! Lasst euch das nicht gefallen, ihr müsst euch nicht so nennen lassen! Wir müssen den Gesetzgeber in die Pflicht nehmen nach dem Motto: Freunde, wenn ihr es nicht anders lernt, müssen wir uns leider vor Gericht wieder treffen.

Was ist die Hoffnung?

Wir hoffen, dass es irgendwann genug Prozesse gibt, die auch öffentlich wirksam sind, damit sich die Täter*innen mäßigen – weil sie merken, dass sie dafür strafrechtlich belangt werden können. Wir kennen das aus der File Sharing-Geschichte. Musik einfach runterzuladen ist illegal. Viele dachten lange, da passiere nichts, kann man mal machen. Und dann ging es los: Man hörte plötzlich von Bußgeldern, und nun macht es kaum eine*r mehr. Wir haben die Hoffnung, dass es sich bei digitaler Gewalt ebenso rumspricht, dass Betroffene sich wehren. Damit Grenzen wieder einziehen und es ganz klar ist, was erlaubt ist und was nicht.

 

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Wichtig in diesem Kontext ist auch, dass eine Fokussierung auf negative Kommentare oder Emotionen quasi zu den Geschäftsmodellen großer Internetplattformen wie Facebook oder Google gehört. Inwieweit müssen diese Plattformen noch mehr in die Verantwortung genommen werden?

Das krasse ist ja, dass Facebook, Twitter und Google nicht verpflichtet sind, Daten von Personen herauszugeben. Selbst wenn das Gericht eine Straftat bestätigt oder die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht für eine Straftat sieht. Die sitzen nämlich in Irland und das heißt, das noch nicht mal deutsches Recht angewendet und durchgesetzt werden kann. Das ist der Status Quo und daran muss sich auf jeden Fall etwas ändern – vor allem auf politischer Ebene. Gerade wird eine neue Gesetzgebung im europäischen Parlament verhandelt, der “Digital Service Act” soll die Weichen stellen, ob die Plattformen etwas mehr zur Verantwortung gezogen werden können oder nicht. Besonders auf nationaler Ebene: Es muss durchgesetzt werden, dass wenn in Deutschland auf diesen Plattformen eine Straftat begangen wird, klar ist, dass die Firmen mit unseren Strafverfolgungsbehörden kooperieren und die Daten der Täter*innen herausgeben müssen, damit die Institutionen das verfolgen können.

Was muss noch geschehen?

Personen, die im Internet auf diesen Plattformen angegriffen werden, müssen geschützt werden. Die Plattformbetreiber müssen sich überlegen, was sie mit diesen Hass- und Hetze-Algorithmen als Geschäftsmodell machen. Bisher ist die Aussage stets: “Wir sind ein Marktplatz, und was auf unserem Marktplatz passiert, passiert eben”. Dem ist nicht so, denn die Algorithmen werden ja von den Plattformen konfektioniert. Die analysieren ganz genau, was am meisten Interaktion bringt und zeigen das besonders vielen Leuten an. Man muss sich fragen, ob es wirklich legitim ist, dass Dinge wie Antisemitismus, Rassismus – ich denke insbesondere an Walter Lübke und den Aufruf zu Gewalt – Inhalte sein dürfen. Das dürfen wir in unseren demokratischen Strukturen nicht zulassen, weil diese sonst durch solche Funktionsweisen der Plattformen von unten erodieren.

Es muss in dieser Gesellschaft den Konsens geben, dass das Netz kein sicherer Ort für Frauen ist.

Glauben Sie, dass das Netz künftig wieder ein sichererer Ort für Frauen sein kann? Was kann präventiv dahingehend noch getan werden?

Zunächst muss es in dieser Gesellschaft den Konsens geben, dass das Netz kein sicherer Ort für Frauen ist. Viele Menschen – von denen besonders viele Männer sind – glauben, dass das alles Quatsch ist, Frauen sollen sich mal nicht so anstellen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen Frauen ernst nehmen, sie dürfen nicht hören “Mensch Mädchen, stell dich nicht so an” oder “Warum hast du denn so provoziert?” Sie müssen den Unterschied zwischen einer Beleidigung und frauenfeindlicher Gewalt erkennen, was immer der Fall ist, wenn jemand für das Frau-Sein erniedrigt und fertiggemacht wird.

Es muss also mehr Awareness geschaffen werden?

Ja und es braucht Prävention in den Schulen – für Mädchen, aber noch wichtiger: für Jungs. Momentan stärken wir immer die Mädchen, damit die noch stärker werden, während die Jungs weiter Gewalt ausüben dürfen. Das darf nicht sein! Das Netz ist ein Spiegel unserer gesellschaftlicher Probleme und Frauen passiert immer noch strukturell Gewalt. Wir müssen zugeben, dass wir in unserer Gesellschaft ein Problem mit Gewalt und Abwertung von Frauen haben und dass es bestimmte Gruppen gibt, die das pushen. Zum Beispiel gehört Frauenhass ganz klar zur Ideologie von Rechtsextremen. Da müssen wir präventiv ran. Wir müssen eigentlich schon in den Kindertagesstätten anfangen, Kinder und Jugendliche zu sensibilisieren. Mädchen stärker machen und bei Jungs hinschauen, wo diese Gewalt eigentlich herkommt, um im nächsten Schritt zu zeigen, wie Konflikte anders gelöst werden können. Diese massenhafte Abwertung von Frauen, die schon im Kindesalter gelernt wird, muss einfach aufhören.

Absolut! Vielen Dank für das Gespräch.


Du kannst helfen – aber wie? Neben der digitalen Gewalt gibt es natürlich noch weitere Formen der Gewalt. Dazu haben das Bundesfrauenministerium und das BKA neueste Zahlen veröffentlicht. Mit dem Hilfetypen-Check der Initiative „Stärker als Gewalt“ kann man nun herausfinden, welcher Hilfe-Typ man selbst ist und wie man am besten helfen kann, wenn man Gewalt beobachtet – hier kommt ihr zum Hilfetypen-Check.


Hier findet ihr „HateAid“:

Foto: Anna-Lena von Hodenberg

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