Report: Wie H&M aus Altkleidern neue Mode macht

26. November 2015

Kleidung, die wir nicht mehr tragen wollen, können wir verkaufen, spenden – oder zu H&M bringen. Aber was macht der schwedische Textilriese eigentlich mit unseren alten Klamotten, nachdem sie tütenweise in den Filialen in den extra bereitstehenden Containern verschwinden und wir einen Rabattgutschein bekommen? Aus den alten Klamotten wird neue Mode! Hier kommt das Recycling-Unternehmen I:CO ins Spiel, das H&M die Kleidung abkauft und zu Isolier- oder Dämmmaterial sowie zu neuen Textilien verarbeitet. Wir besuchen die I:CO Fabrik in Wolfen, sehen uns den Recycling-Prozess von Textilfasern an und sprechen mit Henrik Lampa, Development Sustainability Manager bei H&M, und Cecilia Brännsten, Sustainability Business Expert bei H&M, über die große Vision der Textilindustrie: den Textilkreislauf zu schließen.

femtastics: Wie viel Prozent von alten Jeans wird aktuell zu neuem Denim verarbeitet?

Cecilia Brännsten: In diesem Jahr haben wir mit unserer Initiative „Close the Loop“ die zweite Denim-Kollektion gelauncht, die zu 20 Prozent aus recycelter Baumwolle bestand. Darüber hinaus haben wir das ganze Jahr über Produkte aus recycelten Materialien im Sortiment. Wir sind die Gamechanger und wollen letztendlich recycelte Textilien in all unseren Produkten implementieren.

Henrik Lampa: Wir arbeiten auch schon länger mit recycelten Pet-Flaschen für Polyester oder Fischnetzen für Nylonstrümpfe und wollen das ebenfalls ausbauen.

Cecilia: Das Textil-Recycling ist eine große Herausforderung und es gibt noch viele Hürden zu nehmen. Das betrifft Recycling-Technologien, Handelsgrenzen und Gesetzgebung in Bezug auf den Handel mit Abfällen. Altkleidung wird als Abfall eingestuft und Abfall aus einem Land zu importieren, ist nicht einfach. Das Verweben wird zum Beispiel in China, Indien und in der Türkei gemacht – in allen drei Ländern können wir aufgrund der Gesetzgebung keinen Müll importieren.

Wo wird das Verweben also dann gemacht?

Henrik: In Pakistan ist dies möglich. Hier können wir Abfall aus Indien importieren und weiterverarbeiten.

 

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Zusammen mit H&M machen wir einen Rundgang durch die Hallen des Unternehmens I:CO, der Name steht für „I collect“ – ich sammle.

Wir sind auf dem Textilrecycling-Gebiet Pioniere und wollen die gesamte Industrie ändern, deswegen ist das Sammeln alter Kleidung so wichtig.

Das Transport-System für die Altkleider in der Fabrik haben sich die Gründer bei Groß-Wäschereien abgeschaut.

Wie kann der Recycling-Prozess beschleunigt werden?

Cecilia: Wir fokussieren uns im Moment sehr auf den Technologiebereich und investieren hier über die H&M Conscious Foundation.

Henrik: Es ist wichtig, dass der Wettbewerb mitmacht, das ist nicht nur unsere Herausforderung, sondern die der gesamten Textilindustrie.

Was ist das Besondere an dem Recycling-Prozess von Textilfasern?

Henrik: Kleidung, die nicht weiter verwertet werden kann – beispielsweise auf dem Second-Hand-Markt – wurde lange Zeit weggeschmissen und kann nun durch das mechanische „Fiber Pulling“-Verfahren recycelt werden. Jedes Kleidungsstück, jedes Stück Stoff wird irgendwann nutzlos. Hier haben wir nach Innovationen gesucht, wie wir diese Materialien, also die pure natürliche und kompostierbare Baumwollfaser, weiterverarbeiten können. Das war der Startpunkt unserer Zusammenarbeit mit I:CO. Der Textilkreislauf ist „work in progress“ und wir arbeiten ständig daran, neue Lösungen für den Recycling-Prozess zu finden.

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Aus welchen recycelten Fasern werden neue Jeans hergestellt?

Cecilia: Das machen wir mit Hilfe des mechanischen Recyclings. Die aufgetrennten Fäden werden mit neuem Garn versponnen, so entsteht neuer Denim. Wir sind auf dem Textilrecycling-Gebiet Pioniere und wollen die gesamte Industrie ändern, deswegen ist das Sammeln alter Kleidung so wichtig. Altkleider sind eine wichtige Ressource für die Textilindustrie. Bisher ist die Textilindustrie es gewohnt, ausschließlich ursprüngliche Materialien für die Modeproduktion zu nutzen und daraus Gewebe und Kleidung herzustellen. Die Kleidung landet früher oder später auf dem Müll und das müssen wir ändern und neue Textilien aus alten Textilien fertigen, sodass Kleidung zu einer industriellen Ressource wird.

Henrik: Es gibt eine andere Faser-basierte Industrie, die sehr inspirierend ist: die Papierindustrie. Noch vor einigen Jahrzehnten wurden 0 Prozent recycelt. In Schweden werden mittlerweile 70 Prozent aller Fasern, die auf den Markt kommen, recycelt.

Unsere Mission ist es, Textilien zu recyceln, aber auch, ihre Lebenszeit zu verlängern.

Cecilia: Unsere Mission ist es, Textilien zu recyceln, aber auch, ihre Lebenszeit zu verlängern. Es geht also nicht nur um neue Produkte, sondern auch um langlebiges Material. Es ist nicht zuletzt ein Umweltprojekt, mit dem wir Verantwortung für den Textilkreislauf übernehmen, langfristig Ressourcen sparen und Abfall minimieren.

Wir haben in der Fabrik gesehen, wie aus alten Jeans Dämmmaterial für Dächer hergestellt wird – warum kann man aus dem Material keine neue Kleidung herstellen?

Henrik: Weil die Fasern zu kurz sind. Was wir gesehen haben, ist Jeanstaub, der aus der Luft gefiltert und zu Brickets gepresst wird.

Cecilia: Der Staub ist ein Abfallprodukt des Textilrecyclingprozesses, der weiterverarbeitet wird. Jedes Abfallprodukt wird bei I:CO wiederverwertet. Aus diesem Material können andere Firmen dann Dachpappe herstellen, die Autoindustrie nutzt die kurzen Fasern als Dämmmaterial.

 

I:CO Mitarbeiter sortieren die Altkleider.

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Friedhof der Kuscheltiere: Zwischen den Altkleidern findet sich gern Spielzeug wieder, was gespendet wird.

Wenn mehr Kleidung aus recycelten Materialien hergestellt wird, fallen dann Arbeitsplätze beispielsweise in der Baumwollproduktion weg?

Henrik: Wir arbeiten daran, die Abhängigkeit von der Baumwollproduktion zu reduzieren. Letztendlich werden wir weniger Baumwolle von den Farmern für H&M Produkte beziehen. Angesichts der global steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln in Hinblick auf die stetig wachsende Bevölkerung – bis 2030 werden wir 8 Milliarden Menschen auf der Erde sein – ändert sich hier aber eh schon viel. Nur auf den Baumwollanbau zu setzen, ist nicht realistisch. Die Baumwollfarmer stehen unter einem großen Druck.

Welches Herstellungsverfahren ist kostenintensiver: die Verwendung von neuer oder von recycelter Baumwolle?

Henrik: Das hängt vom Fasertypen ab. Der Baumwollanbau ist eine chemisch sehr intensive Produktion. Sie braucht viel Wasser. Das Recycling-Verfahren braucht überhaupt kein Wasser, weil alles mechanisch erfolgt. Außerdem kommen keine Pestizide und keine Chemikalien zum Einsatz. Bei dem chemischen Recycling-Prozess werden chemische Zusatzstoffe benötigt, diese sind aber nicht giftig.

Wenn die recycelten Fasern mit den neuen Baumwollfasern verblendet werden, kommt auch keine Chemie zum Einsatz?

Henrik: Nein, das wird gemischt und verwebt.

Beim Textilrecycling ist der erste Schritt, dass die Textilien in kleine Fetzen gehäckselt werden.

Der Jeansstaub (links im Bild) wird später gepresst und zu Isoliermaterial verarbeitet.

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Stoffreste werden so klein gehäckselt, bis sie zu Brickets gepresst werden können – diese fungieren als Dämmmaterial.

Es geht H&M auch darum, dass die H&M Kleidung länger haltbar ist, damit die Kunden sie länger tragen können. Dann würde weniger Neuware gekauft werden und der Umsatz minimiert. Ist das nicht paradox?

Henrik: Zunächst wollen wir eine bessere Wahl als unser Wettbewerb sein. Wenn du ein Kleidungsstück kaufen willst, egal ob aus recycelter oder neue Baumwolle, dann wollen wir die Wahl sein.

Wie viel kostet ein Kleidungsstück aus recycelten Fasern im Vergleich zu einem Kleidungsstück aus neuer Baumwolle?

Cecilia: Wir haben keinen Preisunterschied und machen hier keinen Unterschied.

Für viele Kunden ist es eine Frage des Preises, ob sie etwas kaufen können oder nicht. Da geht es nicht um den ökologischen Aspekt.

Animiert H&M aufgrund des niedrigen Preises Kunden dazu, Kleidung schneller wegzuwerfen? Gibt es hier seitens H&M Überlegungen, den Preis zu erhöhen?

Henrik: Für viele Kunden ist es eine Frage des Preises, ob sie etwas kaufen können oder nicht. Da geht es nicht um den ökologischen Aspekt. Im Übrigen wird kein Unternehmen einen attraktiven Preis erreichen, wenn zuviel Abfall bei der Herstellung produziert wird.

Cecilia: Unser Ziel ist es, die beste Qualität zu dem besten Preis unter möglichst nachhaltigen Produktionsbedingungen zu bieten. Wir wollen nachhaltige Mode machen, die jeder sich leisten kann.

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In den jetzigen Zeiten, in denen so viele Flüchtlinge nach Europa kommen, wäre es da nicht angebrachter, aussortierte Kleidung zu spenden?

Henrik: H&M Produkte, die nicht weiterverkauft werden können, weil vielleicht ein Knopf fehlt, die spenden wir eh schon. Das sagen wir auch unseren Kunden: Wenn eure Kleider beispielsweise ein Loch haben und ihr sie nicht mehr anziehen möchtet, kommt zu uns, wir finden einen Nutzen dafür. Natürlich kann man Kleidung auch tauschen oder zum Charity Shop bringen, keine Frage. Das sollte jeder selbst anhand des Zustands des jeweiligen Kleidungsstücks entscheiden.

Am Ende verdienen wir selbst kein Geld am Kleidersammeln. Es ist ein Umweltprojekt – im Sinne des zukünftigen Umgangs mit Ressourcen.

Cecilia: I:CO kauft uns die Altkleider für einen bestimmten Kilopreis ab. Pro Kilo spenden wir 2 Cent an wohltätige Organisationen – auf unserer Seite hm.charitystar.com sieht man, an welche Organisationen was gespendet wird. Ein weiterer Anteil refinanziert die Infrastruktur des Recycling-Prozesses und unsere eigenen Kosten, zum Beispiel die Boxen und Container zum Sammeln der Kleidung. Den Rest des Geldes spenden wir an die Conscious Foundation, die wiederum das Geld in den Innovationsprozess steckt. Am Ende verdienen wir selbst kein Geld am Kleidersammeln. Es ist ein Umweltprojekt – im Sinne des zukünftigen Umgangs mit Ressourcen.

Wann kommt die nächste „Close the Loop“-Kollektion von H&M auf den Markt?

Cecilia: Viele unserer Produkte, die den grünen Hangtag haben, sind aus recycelten Fasern hergestellt.

Ist das große Ziel, an allen H&M Produkten das grüne Hangtag zu haben?

Cecilia: Das Ziel ist, dass wir das grüne Hangtag nicht mehr benötigen, weil alles nachhaltig und aus recycelten Materialien hergestellt wird.

Wie ist das Feedback der Kunden? Gibt es eine größere Nachfrage nach recycelter Kleidung und Organic Cotton?

Cecilia: Die Kunden fragen vermehrt nach nachhaltig produzierter Kleidung, was uns sehr freut. Sie achten auf das grüne Hangtag und es gibt eine sehr große Nachfrage für die „Conscious Exclusive Collection“, die jährlich erscheint. Darüber hinaus haben wir das ganze Jahr über Produkte aus nachhaltigeren und auch recycelten Materialien im Sortiment, die wir unter dem Begriff „Conscious Choice“ zusammenfassen. Es werden immer mehr aussortierte Kleider in die Filialen gebracht, bis heute haben wir 21 Tonnen Altkleider in den H&M Stores gesammelt.

Die Kunden bekommen einen Rabattgutschein für die alte Kleidung, die sie vorbeibringen und werden so dazu animiert, mehr bei H&M zu kaufen.

Cecilia: Wir wollen auf der einen Seite das Mindset ändern und auf der anderen Seite so viele alte Kleidung wie möglich sammeln, um den Textil-Kreislauf zu schließen.

Und trotzdem wird immer noch viel Kleidung im Hausmüll entsorgt.

Henrik: Ja und das wollen wir ändern. Es ist besser, die Kleidung zu uns zu bringen, als sie wegzuschmeißen.

Vielen Dank für das Interview!

Fotos: femtastics

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