„Das Thema Nachhaltigkeit bringt in einem großen Unternehmen viele Herausforderungen mit sich“ – Kristina Seidler-Lynders von „Esprit“

Von: 
Fotos: 
8. Juli 2021

Nachhaltige Themen spielen bei femastics immer wieder eine große Rolle. Wir wollen allerdings nicht nur Gründer*innen und Start-ups eine Plattform bieten, sondern sind der Meinung, dass es genauso wichtig ist, größere Unternehmen vorzustellen, die dabei sind einen Wandel in die richtige Richtung zu vollziehen. Nur, wenn wir alle an einem Strang ziehen, kritisch hinterfragen, in den Austausch gehen und uns gegenseitig inspirieren, können wir gemeinsam etwas verändern und in eine nachhaltigere Zukunft blicken.

„Esprit“ – ein Markenname, der wohl bei fast allen eine Assoziation hervorruft. Sei es ein Kleid aus der Kindheit, ein Shirt mit prägnantem Schriftzug oder Mamas Lieblingsbluse. Womit „Esprit“ aber nicht unbedingt in erster Assoziation verbunden wird, ist das Thema Nachhaltigkeit. Dabei wurde das Unternehmen von den US-amerikanischen Hippies Susie Russell und Doug Tompkins 1968 in San Francisco gegründet und entstand mit dem Anspruch, im Einklang mit der Natur zu leben und zu produzieren. Mit dem Wachstum des Unternehmens ist der nachhaltige Aspekt zunächst in den Hintergrund gerückt, steht seit einigen Jahren aber wieder verstärkt im Fokus bei den Kollektionsentwicklungen. Kristina Seidler-Lynders arbeitet seit mehr als sechs Jahren bei „Esprit“ und verantwortet den Bereich Nachhaltigkeit als “Head of Sustainability & Product Safety”. Wir treffen sie im Headquarter in Ratingen und sprechen mit ihr über die Herausforderungen, vor denen ein großes Unternehmen im Wandel zu mehr Nachhaltigkeit steht, wie sie mit dem Thema Greenwashing umgehen und wie sie in ihr Privatleben mehr Achtsamkeit für ihre Umwelt einziehen lässt.

Kristina gibt uns eine Führung durch das große „Esprit“ Headquarter in Ratingen in Nordrhein-Westfalen. Seit sechs Jahren begleitet sie „Esprit“ auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit.

femtastics: Du bist für die Nachhaltigkeit in einem großen Modeunternehmen zuständig. Wie wird nachhaltige Mode bei euch im Unternehmen definiert?

Kristina Seidler-Lynders: Wir haben den Bereich Nachhaltigkeit vor einigen Jahren wieder schrittweise aufgebaut. Der erste Schritt waren nachhaltige Materialien. Was ist das Sichtbarste für unsere Kund*innen? Natürlich nachhaltige Produkte. Am nachhaltigsten ist es, wenn keine neuen Ressourcen verwendet werden müssen. Deshalb haben wir den Ansatz, dass wir vermehrt darauf achten, bereits recycelte Materialien zu verwenden oder welche, die an die Erde zurückgegeben werden können. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Sozialkomponente. Deshalb gibt es regelmäßige Kontrollen in unseren Produktionsorten. Es wird darauf geachtet, dass die Sicherheitsvorschriften eingehalten und die Löhne nach Vertrag bezahlt werden.

New Work: Im gesamten „Esprit“ Headquarter gibt es keine klassischen Büros mehr, Bürowände wurden abgebaut. Somit soll ein besserer Austausch unter den Mitarbeiter*innen ermöglicht werden und mit klassischen Hierarchiestrukturen gebrochen werden.

Welche recycelten Materialien verwendet ihr bereits? 

Wir verwenden, wie viele andere Unternehmen auch, recyceltes Polyester. Denn recyceltes Polyester besteht meist aus geschredderten PET-Flaschen, also aus einer anderen Industrie. Aktuell sind wir technisch noch nicht so weit, in einem großen Rahmen Polyester aus Textilien zu recyceln. Das ist ein recht aufwändiger Prozess und weit entfernt von einer industriellen Skalierbarkeit. Es ist definitiv schon mal besser, alte PET-Flaschen zu verwenden als neu gewonnenes Petroleum. Aber am nachhaltigsten wäre es, wenn wir unsere Kleidung richtig recyceln und zurück in den Kreislauf bringen könnten. Daran arbeiten wir und werden die Menge an recycelter Baumwolle in den nächsten Jahren deutlich erhöhen. Man möchte die nachhaltigsten Materialien verwenden, aber Nachhaltigkeit muss auch Langlebigkeit bedeuten. Das Problem heute ist, dass zu viel Kleidung nicht die Qualität hat, um lange getragen und vernünftig recycelt zu werden. 

Dazu kommt die Komponente: Was ist mit dem Färbemittel, das auf das Material kommt? Welche Chemikalien nehmen wir? Welche Prozesse sind möglich? Es gibt eine Tendenz dazu, immer technischere Produkte zu produzieren. Die Jacke muss dann eine Wassersäule von 8.000 mm aushalten, dabei wird sie hauptsächlich beim Shoppingbummel in der Stadt getragen. Die wenigstens von uns besteigen den Himalaya. Je mehr auf ein Produkt drauf gepackt wird, desto weniger nachhaltig ist es. Ressourcenschonung bedeutet, so wenig wie möglich zu verwenden. 

Lieblingskleid: Blumenkleid aus der aktuellen Spring/Summer Kollektion von Esprit.

Der Klimawandel ist da, das kann man nicht mehr leugnen. Damit ein Unternehmen weiterhin erfolgreich sein kann, muss es Verantwortung übernehmen.

Diese Ausrichtung bedeutet Mehrarbeit für euch. Was ist eure Motivation dahinter?

Es hat sich insgesamt im gesellschaftlichen Bewusstsein sehr viel verändert. Der Klimawandel ist da, das kann man nicht mehr leugnen. Es ist kurz vor knapp. Damit ein Unternehmen weiterhin erfolgreich sein kann, muss es Verantwortung übernehmen. Es geht auch darum, dass die Mitarbeiter*innen für eine Firma arbeiten möchten, die das Richtige tut. Wir haben eine globale Lieferkette und nicht über alles Kontrolle. Es ist unsere Aufgabe, unser Risiko aus einer ethischen Perspektive so weit wie möglich zu minimieren. Das bedeutet einen massiven Prozess und sehr viel Arbeit in den verschiedensten Bereichen.

Links: Casual Office-Look: Das weiße T-Shirt aus 100% Organic Cotton, die Jeans-Culotte und die Espadrilles stammen aus der neuen Frühjahr/Sommer-Kollektion von „Esprit“. Rechts: Matchy, matchy: Die Bluse mit Print passt perfekt zur blue Jeans aus Organic Cotton und den hellgrauen Espadrilles.

Im Bereich Circular Fashion ist es wichtig, bereits beim Design den Aspekt der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen.

Was wollt ihr noch verändern? 

Im Bereich Produkt sind wir schon recht gut fortgeschritten. Wir haben einen hohen Anteil an nachhaltigen Fasern – Ende des letzten Geschäftsjahres waren wir bei 60 Prozent. Es dauert nicht mehr lange, bis wir in diesem Bereich komplett nachhaltig sind.

Wir schauen uns jetzt nochmal genau an, wie der Anteil der Fasern ist. Denn im Bereich Circular Fashion ist es wichtig, bereits beim Design den Aspekt der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Deshalb wollen wir versuchen, möglichst nur ein Material pro Produkt zu verwenden, denn das macht das spätere Recyceln wesentlich einfacher. Das ist bei einem T-Shirt relativ simpel, aber wenn es Richtung Außenbekleidung geht, wird es kniffliger. Zudem gucken wir uns gerade die Nutzung von synthetischen Fasern an: Wo können wir das weiter reduzieren und was ist noch möglich? Wir wollen uns immer weiter dem zirkulären Ansatz annähern. Dort sind wir noch nicht angelangt, aber wir sind auf dem richtigen Weg. 

Es ist schwieriger, ein großes Unternehmen in die Nachhaltigkeit umzukrempeln, als ein kleines Start-up von vornherein nachhaltig aufzubauen.

Zudem haben wir den Wunsch, eine klimaneutrale Firma zu werden. Das nächste große Thema ist es, wie wir grünen Strom in unsere Lieferketten bekommen. Auch Logistik und Verpackungen sind ein Thema, an dem wir weiterhin arbeiten. Erst heute haben wir uns über die Ankunft einer neuen Verpackungsmöglichkeit gefreut, in der die einzelnen Kleidungsstücke nur noch mit einem schmalen, recycelten Plastikband zusammengehalten werden, anstatt sie komplett in Plastiktüten zu verpacken. Das sind zwar nur Kleinigkeiten, aber jeder Schritt in die richtige Richtung ist wichtig.

Ich finde es wichtig, dass „Esprit“ auch intern in der Firma auf Nachhaltigkeit achtet.

Looks aus der aktuellen Spring/Summer Kollektion von Esprit. Alle nachhaltigen Styles findet ihr hier.


Was ist die Herausforderung dabei, als großes Unternehmen nachhaltig zu werden?

Es ist schwieriger, ein großes Unternehmen in die Nachhaltigkeit umzukrempeln, als ein kleines Start-up von vornherein nachhaltig aufzubauen. Wir müssen uns genau anschauen, wie unsere Lieferkette aussieht, mit welchen Partnern wir zusammenarbeiten und welche Kooperationen wir eingehen. Ich finde es wichtig, dass wir auch intern in der Firma auf Nachhaltigkeit achten und nicht nur versuchen, es nach außen zu repräsentieren. Es ist natürlich ein schmaler Grat, ab wann sich Menschen bevormundet fühlen und wie weit sie zu einer Veränderung bereit sind.

Produktclaims, die sehr vage sind, wie einfach nur „recycelt“, führen oft zu Misstrauen. Deshalb ist es wichtig, so transparent wie möglich über ein Produkt zu sprechen.

Großen Unternehmen wird oft Greenwashing vorgeworfen, wie reagiert „Esprit“ darauf?

Es ist wichtig, in der Kundenkommunikation zu sein: Sobald wir ein nachhaltiges Produkt anbieten, versuchen wir das relativ simpel und klar zu erklären. Ich glaube, dass die transparente Aufklärung der Kund*innen super wichtig ist. Produktclaims, die sehr vage sind, wie einfach nur „recycelt“, führen oft zu Misstrauen. Deshalb ist es wichtig, so transparent wie möglich über ein Produkt zu sprechen und genau zu erklären, was daran nachhaltig ist. Auch wir haben das bestimmt nicht immer richtig gemacht, aber wir nehmen Kritik an und versuchen immer besser zu werden.

Flower & Wood Power: Kristina trägt ein kurzärmliges Maxikleid von „Esprit“. Es besteht aus 100% Viskose. Die Viskosefasern werden mithilfe eines umweltfreundlichen Herstellungsprozesses aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gewonnen werden.

An welchen Stellschrauben muss noch gedreht werden? 

Wir fänden es gut, wenn wir es noch transparenter gestalten könnten, durch wen und wo genau ein konkretes Kleidungsstück produziert wurde. Deshalb stecken wir zurzeit in einem internen Prozess, durch den genau notiert wird, woher was kommt. Es ist gar nicht so einfach, bei einem so großen Unternehmen die Lieferkette bis in jedes Detail nachzuvollziehen. Wir haben eine öffentliche Lieferantenkette, in der alle Lieferanten stehen, von denen wir wissen, dass wir mit ihnen zusammenarbeiten. Diese wollen wir bis in die tiefere Lieferantenkette ergänzen, müssen aber natürlich vorher sicherstellen, dass alle Informationen vorhanden und geprüft sind. 

Zum Thema Lieferketten und Verpackungen: Wie geht ihr mit den Retouren vom Onlinehandel um? 

Wir haben intensiv an der Passform unserer Kleidung gearbeitet, um die dadurch begründeten Retouren zu reduzieren. Es steckt ein langer Prozess dahinter, dass unsere Größen unabhängig von Material und Schnitt passend ausfallen. Wir arbeiten mit „DHL GoGreen“ zusammen und versuchen  – wo immer es geht – klimaneutral zu versenden. Die zurückgesendete Kleidung wird aufbereitet und kommt erneut in den Onlineshop oder in die Outlets.

Im Endeffekt ist es nicht teurer, selten hochwertige Produkte, anstatt immer wieder günstige Kleidung zu kaufen, die nach einem Jahr kaputt ist.

Ist Nachhaltigkeit Luxus? 

Wir legen Wert darauf, dass unsere Kleidung aus nachhaltigen Materialien nicht teurer ist als die, in der noch nicht überwiegend nachhaltige Materialien verwenden wurden. Allerdings sind wir prinzipiell etwas höherpreisiger, dafür legen wir aber auch Wert auf eine hochwertige Qualität. Wir würden uns wünschen, dass insgesamt wieder mehr Wert auf eine gute Qualität und Langlebigkeit von Produkten gelegt wird. Im Endeffekt ist es nicht teurer, selten hochwertige Produkte anstatt immer wieder günstige Kleidung zu kaufen, die nach einem Jahr kaputt ist. Es muss ein Umdenken stattfinden: Günstige Preise entstehen auf Kosten der Lieferkette, der Materialien und Produktionsbedingungen und im Endeffekt auch auf Kosten der Qualität.

Es ist wichtig, nicht einfach blind zu konsumieren, sondern verantwortungsvolle Entscheidungen im
Kaufverhalten zu treffen.

Seventies Vibes: Die Wide-Leg-Pants von Eprit besteht aus 100% Viskose. Die Viskosefasern werden mithilfe eines umweltfreundlichen Herstellungsprozesses aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gewonnen werden.

Welches Thema steht im Fokus der neuen Frühjahr/Sommer-Kollektion von „Esprit“ und welche nachhaltigen Materialien habt ihr dafür verwendet?

Im Vordergrund steht der Wellbeing-Gedanke und unser Fokus liegt auf Kleidung, die nachhaltig produziert und zeitlos ist, also mehrere Saisons immer wieder neu kombiniert werden kann. Von gestreiften Hemden und leichten Leinenhosen, über softe Sweater bis hin zum lässigen Denim Shirt. Materialien wie Leinen, Hanf und Organic Cotton werden zusätzlich durch Fasern wie superweiches TencelTM, elastisches T400® und kühlendes Coolmax® ergänzt. Denim Styles mit besonders schonender Waschung sorgen für einen besseren Fußabdruck: weniger Energieverbrauch, weniger Verschmutzung, weniger Chemikalien. Naturbelassene Färberprozesse aus biologisch abbaubaren Pflanzen lassen eine gedeckte Farbpalette entstehen und schützen gleichzeitig unsere Umwelt.

Wie setzt du Nachhaltigkeit in deinem privaten Leben um? 

Das fängt bei uns mit dem Thema Ernährung an: Wir essen zu Hause so gut wie kein Fleisch – wenn ist es wirklich eine Ausnahme. Jede*r sollte für sich selbst abschätzen, auf was man wann verzichten kann. Man darf nicht zu hart zu sich sein – ich versuche die Dinge so gut wie möglich zu machen, aber so, dass sie zu meinem Alltag passen. Zum Beispiel schmeckt mir Käseersatz nicht gut, deshalb gibt es bei uns zu Nudeln den echten Käse. Den reibe ich dann selbst, um zumindest den Plastikmüll zu reduzieren. So kann jede und jeder den für sich passenden Weg finden. Außerdem haben wir zu Hause die Regel, dass wir immer erstmal schauen, ob es etwas gebraucht gibt. Nur, wenn wir nichts finden, darf es neu gekauft werden. Es ist wichtig, nicht einfach blind zu konsumieren, sondern verantwortungsvolle Entscheidungen im Kaufverhalten zu treffen.

Vielen Dank für das Interview und den Einblick in deine Arbeit, liebe Kristina.

Layout: Kaja Paradiek

– Werbung: Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Esprit entstanden – 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert