Pia Schaf und ihre moderne Schule fürs Leben

31. März 2016

Man sollte nie aufhören zu lernen! In Hamburg geht das besonders gut in der modern life school, eine wortwörtlich moderne Schule fürs Leben. Die Schuldirektorinnen heißen Pia Schaf und Gaby Bohle – sie führten 18 Jahre lang eine Werbeagentur, bevor sie die Schule für Erwachsene gründeten. Entstanden ist ein Ort des Austauschs, der Diskussion und der Inspiration. Menschen ohne oder mit philosophischer Vorbildung kommen hierher, um sich mit renommierten Schoolmastern zu Themen wie Freundschaft, Liebe oder auch den Sinn des Lebens zu unterhalten. Es wird philosophiert und gelacht, der Horizont erweitert und auch mal gestritten. Über ihre Liebe zur Philosophie, was sie ausmacht und warum wir sie gerade heute so dringend brauchen, darüber sprechen wir mit Pia in ihrer Schule.

Wenn nicht heute, wann dann braucht man Philosophie und Ethik?

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femtastics: Was kann die Philosophie in heutigen Zeiten für uns tun?

Pia Schaf: Philosophie ist eigentlich das, was alles, was wir an Wissenschaft und an Denken kennen, zusammenhält. Die Philosophie war schon immer da und die Frage ist eher, warum die Philosophie bei uns in der westlichen Welt wieder interessant wird? Sie ist ins Hintertreffen geraten und die Philosophen saßen lange in ihrem Elfenbeinturm.

Aber da kommt die Philosophie gar nicht her.

Da will die Philosophie nicht sein und da war sie auch nie. Schon zu Sokrates Zeiten war die Philosophie mitten auf dem Marktplatz, mitten im Café, da wo Leute sich unterhalten. Heute unterscheiden wir mit vielen Vokabeln: Wenn Leute von Philosophie sprechen, meinen sie oft die Ehtik. Und viele Wissenschaftler, Mediziner und Juristen rufen heute nach der Philosophie und der Ethik, weil sie total überfordert sind.

Womit sind sie überfordert?

Mediziner sollen heute entscheiden, ob sie Apparate abschalten oder nicht. Juristen sollen entscheiden, ob sie Grenzen schließen oder ob sie einen Schießbefehl geben. Wenn nicht heute, wann dann braucht man Philosophie und Ethik?

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Beim Philosophen Stammtisch wird bei Bier, Wein und Wasser mit jungen Philosophen, Redakteure des Magazins „Hohe Luft“, diskutiert.

Der Sinn der Philosophie ist die Liebe zur Weisheit, Dinge zu hinterfragen.

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Gabys Hund Willi ist oft in der modern life school anzutreffen – der Sessel ist sein Lieblingsplatz!

Warum also sollten wir mehr auf die Philosophie hören, ihr vielleicht mehr Zeit einräumen?

Der Sinn der Philosophie ist die Liebe zur Weisheit, Dinge zu hinterfragen. Nichts zu glauben, was man denkt und sich zu prüfen, sich zu reflektieren – das ist Philosophie. Aber die Leute haben Angst vor dem Wort.

Weil es trocken und anstrengend konnotiert wird?

Die Leute hatten Philosophie in der Schule und sollten stundenlang Begriffe definieren …

… dabei macht dir Philosophie unglaublich viel Spaß, stimmt’s?

Ja, weil ich mich gerne mit allen möglichen Themen auseinandersetze. Dieser Satz „Glaube nicht, was du denkst“ ist für mich der wichtigste Satz. Von klein auf ist es so, dass ich nie geglaubt habe, was man mir sagt, sondern immer alles hinterfragt habe. Ich bin ein sehr streitbarer und politischer Geist. Ich persönlich habe ja gar nicht studiert, ich bin eigentlich gar kein Philosoph im klassischen Sinne. Das Schöne ist, dass dieses sich reflektieren, sich am anderen erkennen, also das, was ich gerne tue, das all das Philosophie ist.

Durch unser Schulsystem, die Geschwindigkeit und die Komplexität werden die Menschen meines Erachtens systematisch vom Denken weggebracht.

Kann man das Reflektieren trainieren?

Ja, das kann man üben. Ein idealistischer Ansatz der modern life school ist ja, die Menschen wieder zurück ins Denken zu bringen. Durch unser Schulsystem, die Geschwindigkeit und die Komplexität werden die Menschen meines Erachtens systematisch vom Denken weggebracht.

Und durchs Fernsehen!

Und durchs Internet. Durch alles. Die Menschen werden funktional gemacht …

… und ständig abgelenkt.

Es gibt keine vernünftigen Studiengänge mehr. Es gibt Bachelor und Master. Es gibt keinen Ingenieur mehr, keinen Magister. Die jungen Menschen werden dazu gedrillt, die Schule durchzuziehen, in die Uni zu gehen und mit 24 perfekt für den Arbeitsmarkt zu sein. Aber für welchen Arbeitsmarkt? Die Menschen, die dann frisch von der Uni in Führungspositionen gehen, haben nie verstanden, was es zu leben heißt. Ich würde die Kids motivieren, an den Strand zu gehen und Pause zu machen.

Am besten direkt nach der Schule.

Sie sollen das Leben kennenlernen, in den Kibbuz gehen, soziale Jahre machen, Sex, Drugs, Rock ’n Roll, Erfahrungen sammeln und Mensch werden. Montaigne, mein Lieblingsphilosoph, würde sagen: Reisen! Reisen bildet. Und nicht die Menschen vergleichen und sich überlegen, warum die im Gegensatz zu mir gut oder schlecht sind. Eher umgekehrt: Warum hat der das so? Das probiere ich auch aus!

Es geht darum, das Leben selbst in die Hand zu nehmen …

… und das eigenverantwortlich. Die Menschen in die Selbstverantwortung bringen, das ist das hehre Hauptziel der modern life school, eben eine moderne Schule fürs Leben.

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Philosophie kann ein Stück weit Lebenshilfe sein – ist Philosophie immer auch Psychotherapie?

Diese Abgrenzungen und Schubladen brauchen wir Menschen, weil wir von klein auf so erzogen werden, damit wir lernen, mit Spielregeln umzugehen und Spielregeln selbst zu definieren. Wenn wir dann groß genug sind, machen wir die Spielregeln selbst.

Es bringt dich immer wieder an den Punkt: Wer will ich sein in dieser Welt?

Okay, anders gesagt: Wer sich mit Philosophie beschäftigt, lernt viel über sich selbst – das kann auch schmerzhaft sein.

Philosophie triggert, klar. Die Übergänge zwischen Philosophie, Psychologie und Soziologie sind fließend. Es bringt dich immer wieder an den Punkt: Wer will ich sein in dieser Welt? Peter Bieri sagt: Ausbilden können uns andere, bilden tun wir uns selbst. Wir entscheiden, wer wir sein wollen in der Welt und lassen uns berühren. Weil das, was uns berührt, das bildet uns.

Und trotzdem wird vor Selbstreflektion allzu oft gescheut.

Wir gehen als Menschen natürlich gerne einen einfachen Weg. Wir bauen gerne Luftschlösser und Erwartungshaltungen auf. Wenn diese dann nicht erfüllt werden, sind wir extrem depressed. Dann hilft die Philosophie zu reflektieren: Ich habe diese Säule und diese Erwartungshaltung aufgebaut. Ist das wirklich wichtig? Möchte ich das wirklich haben? Dann hilft es mir zu sagen, och nö, andere Dinge sind viel entspannter. Das Ganze macht mehr Spaß, wenn du dich mit Menschen auseinandersetzt. Ansonsten ist das Risiko groß, in seiner eigenen Blase gefangen zu bleiben. Im Dialog, in der Diskussion, im Spiel erfährst du bewusst und unbewusst deine Reaktion auf andere, an der Körpersprache oder der Haltung, und gleichst dich und deine eigenen Werte immer wieder ab.

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Den Workspace in der modern life school kann man auch für eigene Veranstaltungen mieten.

Warum sollte man nie aufhören zu lernen?

Sag mir, wozu bist du auf der Welt?

Ich würde sagen, um Liebe zu geben.

Großartig. Ich bin auf der Welt, um zu lieben und um zu lernen. Ich bin extrem neugierig. Neugierde ist ein großer Antreiber. Ich bin auch nicht obrigkeitshörig.

In der Schule wird einem das Lernen etwas madig gemacht.

Das Schulsystem funktioniert nicht so. Wenn du ein bisschen abseits der Norm bist, hast du keine Chance, da durchzukommen. Es gibt eine Vielfalt von unterschiedlichen Menschen, also brauchen wir auch eine Vielfalt an unterschiedlichen Lernkulturen und Angeboten, die Menschen entsprechend zu fördern. Das ist aber vom Mainstream und von der Industrialisierung her nicht gewollt. Gewollt sind Leute, die strukturiert und angepasst funktionieren, damit sie eingesetzt werden können. Keine Fragen stellen.

In der Digitalisierung haben angepasste und strukturierte Menschen keine Chance.

Wie Roboter.

Wir sind im Wechsel von der Industrialisierung zur Digitalisierung. Das ist eine riesige Chance. In der Digitalisierung haben angepasste und strukturierte Menschen keine Chance.

Deswegen haben diese Menschen auch so eine große Angst davor.

Viele Unternehmen funktionieren deswegen nicht mehr. Die sind in ihren Strukturierungen so groß geworden, dass sie merken, es ist nicht mehr beherrschbar. Sie fangen wieder an zu zerschlagen und sich zu verkleinern, damit sie wieder regierbar werden. Was wir brauchen, sind freie Arbeitszeiten – das gilt jetzt nicht für Branchen wie das Polizeiwesen oder Krankenhäuser. In vielen Sektoren kann man Menschen dazu bringen, ihre Selbstkompetenz zu stärken, ins unternehmerische Denken zu kommen und damit wertvoll für die neue Form der Arbeitswelt zu werden. Deswegen haben wir zum Beispiel viele Workshops zum Thema „Selbstkompetenz“ im Programm. Mit unseren Schoolmastern, alles namhafte Psychologen, Soziologen, Mediziner und Philosophen, haben wir einen Deal gemacht für mittelständische Unternehmen. Wir haben uns zertifizieren lassen und sind jetzt eine anerkannte Weiterbildung, sodass jeder Chef sich das leisten kann. Aus dem Idealismus heraus: Umso mehr Menschen ins Denken kommen, umso besser für die gesamte Welt.

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Wie entwickelt ihr euer Programm?

Fortlaufend. Es ist eine organische Entwicklung mit einem ganz klaren Plan dahinter. Wir passen auf, dass unser Konzept nicht verwässert.

Wie macht ihr das? Was sind die Eckpfeiler?

Und ist wichtig, dass es um selbst denken geht und nicht darum, Methoden zu verkaufen. Wir schauen sehr genau, was für Leute es gibt und sprechen potentielle Coaches proaktiv an, um sie für uns zu gewinnen. Die denken so wie wir. Leute wie meine Lieblingsphilosophin Nathalie Knapp aus Berlin, die kann man sich normalerweise gar nicht leisten. Aber die kommen hierher und sehen das als ihr Wohnzimmer. Sie finden es schön, mit 20 Leuten zu sprechen und Wein zu trinken. Die haben darauf Lust und deswegen machen sie es. Sie sind hier Schoolmaster – und ich bin die Schuldirektorin.

Perfekter Schlusssatz, danke dir für das Gespräch, liebe Pia!

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Hier findet ihr Pia und die modern life school:

Fotos: Pelle Buys

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