Wie ist es als Frau in der IT-Branche, Charlotte Milaknis?

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28. Juni 2019

Über den Dächern von München im Office der Alexander Thamm GmbH erwartet uns Charlotte Milaknis, 26 Jahre alt und von Beruf Data Strategist und Customer Experience Designer. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin hat sich in kürzester Zeit drei Programmiersprachen selbst beigebracht und neben dem Job aus Wissbegier Vorlesungen in Buddhistischen und Südasiatischen Studien besucht. Im Interview spricht sie mit einer Leidenschaft über Themen wie Lösungen und Daten, die für andere wie Chinesisch klingen mögen. Darunter auch, wie sie die Programmierer des Start-up, für das sie arbeitet, regelmäßig zum Meditieren bringt, und warum sie der Überzeugung ist, dass man erfolgreicher ist, wenn man nur vier Tage die Woche arbeitet.

 

femtastics: Charlotte, du arbeitest bei einem IT-Start-up als Data Strategist und Customer Experience Designer. Was kann man sich darunter vorstellen?

Charlotte Milaknis: Als Data Strategist unterstütze ich Unternehmen Schritt für Schritt bei ihrer digitalen Transformation. Dabei geht es viel um die Kultur in einer Firma, denn ein bestimmtes Mindset sowie ein Interesse an smarten Lösungen ist die Zukunft. Als Customer Experience Designer erarbeite ich gemeinsam mit Unternehmen neue, kreative Business-Ideen. Beide Aufgabenbereiche gehen ineinander über.

Wie genau gehst du vor? 

Meine Arbeit findet nicht nur vor dem Computer statt, ich bin viel unterwegs. Im Bereich Design Thinking – eine Kreativmethode, die zum Lösen von Problemen und zur Entwicklung neuer Ideen beiträgt – geht man so vor: In Gesprächen und Interviews mit dem Kunden finde ich heraus, wofür das Unternehmen steht und welche Bedürfnisse es gibt. Dann findet ein Design Thinking Workshop mit 15 bis 20 Teilnehmern aus den verschiedensten Fachabteilungen statt – von Marketing bis Produktion. Ich führe durch ein Brainstorming, in dem wir sämtliche Ideen auf Post-its festhalten. Mit dabei ist auch ein Data Scientist, vereinfacht gesagt ein Programmierer, der die technische Perspektive mit einbringt. Wenn wir einen Lösungsansatz ausgesucht haben, geht es an die Ausarbeitung.

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Ich war 22 als ich mir mit Onlinekursen zuhause drei Programmiersprachen beigebracht habe. Programmieren lernen ist wie Vokabeln pauken.

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Was hast du studiert, um zu deinem jetzigen Job zu kommen? 

Ich habe insgesamt drei Studiengänge belegt. Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt Finance, Design Thinking und später noch Buddhistische und Südasiatischen Studien. Im zweiten Semester habe ich ein Praktikum bei dem Start-up ProGlove gemacht, die Handschuhe mit integriertem Sensor entwickelt haben, für Arbeiter, die am Fließband stehen. Das Praktikum war mein erster Berührungspunkt mit Daten und ich wollte mehr über die Branche erfahren. Im vierten Semester habe ich dann im Bereich Sales ein Praktikum bei Alexander Thamm begonnen und habe mit dem Unternehmen meine Bachelorarbeit geschrieben. Parallel habe ich Design Thinking studiert. Und voriges Jahr hatte ich so viel Data Science im Kopf, dass ich mich mit einem ganz anderen Thema beschäftigen wollte. Durch meine Yoga-Praxis bekam ich einen Teil der buddhistischen Philosophie mit, die mich sehr inspiriert hat. Indem ich neben dem Job Vorlesungen besucht habe, habe ich mein Wissen vertieft.

Mit welchem Thema hast du dich in deiner Bachelorarbeit beschäftigt?

In meiner Bachelorarbeit ging es darum, die Kreditwürdigkeit von Kunden anhand von Social Media-Aktivitäten vorherzusagen. Die Arbeit hatte einen sozialen Hintergrund, da es viele junge Menschen oder Leute aus den Dritte Welt Ländern gibt, die keinen Kredit bekommen. Regulär evaluiert die Schufa anhand des Einkommens und Rücklagen, ob jemand kreditwürdig ist oder nicht. Doch weil junge Menschen häufig noch nicht so viele Transaktionen oder Ersparnisse haben, wird ein Kredit oft abgelehnt. Meine Idee war, eine Möglichkeit für diese Menschen zu schaffen, trotzdem an einen Kredit zu kommen.

Nach deinem Studium hast du ein Traineeship bei deinem jetzigen Arbeitgeber absolviert. Was sind die Voraussetzungen dafür und wie läuft die praktische Ausbildung ab? 

Das Trainee dauert ein Jahr und die meisten starten nach ihrem Bachelor-Studium oder Master in Informatik oder Mathematik. Während des Trainee-Programm bekommt man Einblicke in alle IT-relevanten Teams und lernt in Workshops viel über Kommunikation mit dem Kunden und Projektmanagement. Für den Einstellungstest als Data Scientist musste ich drei Programmiersprachen lernen. Ich war 22 als ich mir diese mit Onlinekursen zuhause beigebracht habe. Programmieren lernen ist wie Vokabeln pauken.

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IT ist manchmal trocken genug und ich bin wie ich bin: fröhlich, aktiv, energetisch und bunt. Wenn man Expertise vorweisen kann, ist es egal, was man trägt.

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Die IT-Branche ist nach wie vor männerdominiert. Wie war es für dich als junge Frau in diesem Umfeld?

Mit Anfang 20 saß ich in Workshops und Meetings erfahrenen Programmierern gegenüber. Am Anfang habe ich meinen Mund nicht auf bekommen. Als 50- oder 60-jährige IT-Profis vor mir saßen, habe ich mich extrem unsicher gefühlt. Und dann hat mich der Ehrgeiz gepackt. Ich wollte die Programmiersprachen genauso gut beherrschen und im Stande sein, Lösungen selbst zu konzipieren. Ein Jahr später habe ich meine erste Lösung präsentiert und war viel selbstbewusster. Ich wusste, was ich kann und das hat meine Präsenz verändert. Am Anfang in der Branche wurde mir gesagt, ich solle mich ernster anziehen und meine Haare nicht offen tragen.

Darf man also nicht hübsch aussehen, wenn man in der IT-Branche arbeitet?

Das war zum Glück nur eine Phase, in der ich mich entsprechend angepasst habe. Meine beste Freundin hat mich dann wieder daran erinnert, dass ich das gar nicht bin. IT ist manchmal trocken genug und ich bin wie ich bin: fröhlich, aktiv, energetisch und bunt. (lacht) Wenn man Expertise vorweisen kann, ist es egal, was man trägt.

Wie treten dir männliche Kollegen heute entgegen?

Ich bin mir nicht sicher, ob sich mein Umfeld seitdem verändert hat oder bloß mein Blickwinkel. Denn jetzt bin ich davon überzeugt, dass Männer die weiblichen genauso ernst nehmen wie die männlichen Kollegen.

Es gibt einige Klischees über Programmierer. Wie siehst du das als Insider? 

Man findet Programmierer tatsächlich eher vor dem Computer als auf einer Party.

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Was empfiehlst du Frauen, die sich für IT interessieren, aber sich nicht trauen, einzusteigen?

Einfach machen, auf sich selbst vertrauen und seine Vision durchziehen. Es ist egal, was die anderen denken. So hat das bei mir geklappt. Ich habe zuhause ein Vision Board, darauf steht unter anderem, dass ich gerne ein Vorbild für Frauen wäre. Ich würde gerne Vorträge halten.

Hast du das Gefühl, die Branche verändert sich? Interessieren sich mittlerweile mehr Frauen für den Bereich?

Immer mehr Frauen entwickeln Interesse dafür, weil mehr Frauen diesen Schritt gehen. Es gibt so viele Möglichkeiten in der Branche. Neue Berufsbilder wie Data Strategist passen sehr gut zu den Stärken von Frauen. Doch kaum einer weiß, was das eigentlich bedeutet. Wie soll man sich also dafür entscheiden?

Von welchen weiblichen Eigenschaften kann die IT-Branche oder speziell der Beruf Data Strategist profitieren?

Viele Frauen sind emphatischer als Männer und können gut kommunizieren. Im Bereich der Data Strategist-Branche wird mit dem Kunden kommuniziert, man tauscht sich aus und schafft Mehrwerte. Hier entstehen neue Ideen. Das große Talent vieler Frauen liegt darin, feinfühlig zu sein und zu verstehen, was sich der Kunde wünscht.

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Das Interview führt femtastics-Autorin Jana Ackermann (rechts).

Einfach machen, auf sich selbst vertrauen und seine Vision durchziehen. Es ist egal, was die anderen denken.

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Welche Voraussetzungen braucht man, um als Programmierer oder generell in der IT-Branche arbeiten zu können?

Programmieren ist wie Vokabeln lernen – jeder kann das lernen. Ein Interesse an Mathematik, Daten und neuen Geschäftsideen sollte man grundsätzlich schon haben.

Was umfasst die Arbeit eines Data Scientist bei euch?

Wir beraten verschiedene Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und erarbeiten Lösungen. Ein Beispiel ist ein Projekt, bei dem wir daran arbeiten, vorherzusagen, wenn das Auto ausfällt. Das funktioniert, indem Daten von ganz vielen Autos aus der selben Modellreihe ausgewertet werden. Das Ziel ist, sagen zu können, wann zum Beispiel der Motor ausfällt. Data Scientists untersuchen, ob ein Muster erkennbar ist. Mit einem Algorithmus werden Zusammenhänge identifiziert.

Ein anderer großer Hersteller für Haushaltsgeräte wollte verstehen, wie Kunden sein Gerät nutzen und wie man sie dazu motivieren kann, es noch häufiger zu nutzen und die Customer Experience zu verbessern. Unser Ansatz war hier, einen Sensor mitzuentwickeln, der in das Gerät eingebaut wurde und bestimmte Daten erfasst, zum Beispiel wann, wie lange und wie das Gerät genutzt wird. Der Vorteil für die Kunden ist, dass sie personalisierte Rezeptvorschläge bekommen, die zu ihren Kochgewohnheiten passen. Natürlich kann der Sensor auch deaktiviert werden.

Hier werden viele bestimmt aufschreien, denn Datenschutz ist ein großes Thema unserer Zeit und die Arbeit mit Daten sensibel. Was sagst du zu dem Thema? 

In meinem Umfeld bekomme ich häufig mit, dass Leute sich bedroht fühlen und Angst haben, ausgehorcht zu werden. Ich gehe damit entspannt um, weil ich an der Quelle arbeite und genau weiß, wie wir denken. Unsere Arbeit mit Daten hat nichts mit Spionage zu tun. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Daten ist für uns selbstverständlich. Es geht um coole, zukunftsgerichtete Lösungen. Daten ermöglichen es, diese Ideen realisieren zu können.

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 In meinem Beruf ist es sehr wichtig, eine bewusste Lebensweise zu praktizieren. Deshalb habe ich mich auch für eine Vier-Tage-Woche entschieden.

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Wie wichtig ist dir in deiner Arbeit der Sinn oder Mehrwert für den Kunden?

Das ist mir das Wichtigste bei meiner Arbeit. Deswegen habe ich mich vom reinen Programmieren entfernt und arbeite jetzt kreativer. Der Status quo ist, dass viele Lösungen Prototypen sind und noch nicht in der reellen Welt umgesetzt werden. Ich dachte mir irgendwann: Wir entwerfen hier die besten Lösungen, aber keiner hat davon etwas. So kam ich in meine jetzige Rolle. Wenn wir Zeit in etwas investieren, muss es sich am Ende für die Umwelt rentieren – auch wenn nicht jedes Projekt einen sozialen Hintergrund hat.

Was begeistert dich an deiner Arbeit? 

Der Prozess und die Zusammenarbeit mit den Unternehmen ist extrem spannend. Vor allem, wenn wir uns mit den Experten aus jedem Fachgebiet treffen. Ich denke mich in jede Arbeitsweise ein und erfahre dadurch, wie man voneinander lernen kann. So entstehen die besten Ideen. In den meisten Konzernen sind auch Skeptiker vertreten, die Veränderungen kritisch gegenüberstehen. Meine Aufgabe ist es, den Teams den Spirit und die Umsetzungsideen näherzubringen und mit Prototypen kleine Erfolgserlebnisse zu schaffen. Denn oft ist den Mitarbeitern von großen Konzernen gar nicht bewusst, was alles möglich ist.

Wo steht die Branche gerade?

Künstliche Intelligenz und smarte Algorithmen gibt es schon seit den 50er-Jahren und sind dementsprechend kein neues Thema. Doch erst seit fünf bis zehn Jahren gibt es die technischen Voraussetzungen, dass man Ideen in kurzer Zeit realisieren kann. Viele amerikanische Unternehmen, wie Netflix oder Amazon, sind da schon sehr weit. Auch, weil sie relativ jung sind. In Deutschland arbeiten wir mit Konzernen zusammen, die es schon sehr lange gibt und die demnach noch mit alten Datenbanken und Tools arbeiten. Dadurch ist es schwieriger, Prozesse umzustellen als bei jungen Unternehmen. Allerdings befinden wir uns aktuell in einem Wandel und viele große Unternehmen verstehen, dass es in der Zukunft neue Ansätze braucht und auch interne Entwickler, die diese umsetzen können.

Deine Energie und Tatendrang wirken ansteckend. Mit welchen Dingen beschäftigst du dich neben der Arbeit?

Yoga und Meditation sind sehr wichtig für mich. Seit einiger Zeit veranstalte ich auch Meditationsrunden im Office. Für mich ist es sehr wichtig, eine bewusste Lebensweise zu praktizieren. Deshalb habe ich mich auch für eine Vier-Tage-Woche entschieden. Den freien Wochentag nutze ich, mit Hunden spazieren zu gehen und in die Natur zu fahren. Ich bin der Ansicht, dass es nicht möglich ist, fünf Tage die Woche 14 Stunden zu arbeiten. Man wird erfolgreich, wenn man eine Balance schafft.

Vielen Dank für das Interview, liebe Charlotte!

Hier findet ihr Charlotte Milankis:

Interview: Jana Ackermann

Fotos: Sapna Richter

Layout: Kaja Paradiek

2 Kommentare

  • Lika sagt:

    Vielen Dank für das spannende Interview, Charlotte ist sehr inspirierend. Darf ich fragen welche Programmiersprachen sie gelernt hat und über welche Onlinekurse? Lieben Dank & herzliche Grüße, Lika

    • Charlotte sagt: „Ich habe mir die Programmiersprachen R, SQL und Python beigebracht.
      Genutzt habe ich dafür Cousera, Data Camp und daneben habe ich noch einige kaggle challenges gemacht.“

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