Homestory Barcelona: So wohnt die weltweit bekannte Nachhaltigkeits-Innovatorin Tati Guimarães

Der Name Tati Guimarães ist unter Designer*innen und Nachhaltigkeits-Innovator*innen weltweit bekannt. Tatis Designs sind vielfach für ihre Innovation, emotionale Verbindung und Multifunktionalität renommiert und fanden daher Anerkennung durch TED Talks, einen MOMA-Bestseller und etliche Auszeichnungen. Seit über 20 Jahren wohnt die Brasilianerin in der schönen Stadt Barcelona und kreiert in ihrem zweistöckigen Haus mit Innenhof neue umweltfreundliche Designs und Konzepte. Wir haben die 45-Jährige besucht, mit ihr einen Spaziergang durch die sonnigen Gassen von Grácia gemacht und über Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit gesprochen.

femtastics: Tati, wann bist du nach Barcelona gekommen und warum hast du diese Stadt gewählt?

Tati Guimarães: Ich habe mich nach dem mediterranen Europa gesehnt. Meine erste Wahl war damals Italien, weil es für mich nicht nur der Innbegriff des mediterranen Lebens war, sondern ich Italien auch als die Wurzel der Kunst betrachtete. Als ich 22 Jahre alt war, bin ich meinem Traum gefolgt und über einen Studentenaustausch zunächst nur für einen Probezeitraum von zwei Monaten nach Spanien gekommen – in eine kleine Stadt namens Caspe in Zaragoza. Und da ich Gaudí aus Büchern kannte und mich sein Schaffen faszinierte, habe ich eine Freundin in Barcelona besucht, um mir die Architektur anzuschauen. Als ich hier ankam, habe ich mich auf Anhieb in diese Stadt verliebt und sogar angefangen zu weinen, weil ich intuitiv wusste, dass genau das mein Traum war! Es fühlte sich an, als wäre ich angekommen – und so hörte ich auf meine Intuition und blieb einfach hier.

Die Dinge haben sich dann ehrlich gesagt ganz von alleine entwickelt: Ich habe zuerst versucht, als Kellnerin zu arbeiten, was eine totale Katastrophe war (lacht). Der Besitzer des Restaurants erkundigte sich nach meinem Studiengang und hat mir geraten, mich lieber in meiner Branche nach einem Job umzuschauen. Das tat ich dann auch und fand sehr schnell einen Job als Designerin, zunächst im Rahmen eines Praktikums. Später entwickelte sich meine Karriere in dem Feld immer weiter. Aber im Grunde bin ich vor über 20 Jahren nach Barcelona gekommen, um meinem Traum zu folgen. Und da Barcelona nie Teil meines Plans war, könnte man sagen: Nicht ich habe Barcelona gewählt, sondern Barcelona hat mich gewählt.

Als ich hier ankam, habe ich mich auf Anhieb in diese Stadt verliebt und sogar angefangen zu weinen, weil ich intuitiv wusste, dass genau das mein Traum war!

Kleine Oase: Zu Tatis Haus in Barcelona gehört auch ein Stadtgarten.

Dass man sich sofort in Barcelona verliebt, können wir sehr gut nachvollziehen. Was liebst du denn am meisten an dieser Stadt?

Da ich aus dem Großstadtdschungel Rio de Janeiro komme, hat Barcelona für mich die ideale Größe. Es wirkt wie eine Großstadt, die alle kosmopolitischen Möglichkeiten einer Metropole bietet, ist aber dennoch eine sehr gesellige Stadt. Man kann überall zu Fuß hingehen oder mit dem Fahrrad hinfahren. Ein Auto zu haben, ist hier sogar eher lästig als praktisch. Und natürlich liebe ich das Wetter, die Kultur, die Kunst und die kreative Atmosphäre, die hier herrscht. Außerdem ist Barcelona geografisch gesehen eine sehr strategische Stadt: Es fühlt sich an, als ob man sich im Zentrum der Welt befindet, von dem man überall problemlos hinreisen kann. Das ist für mich sehr wichtig, denn ich liebe es zu reisen. Es ist meine größte Inspiration, verschiedene Kulturen kennenzulernen und ihren Lifestyle zu verstehen. Hier in Barcelona habe ich all diese Vielfalt auf einem Fleck. Barcelona ist ein Meltingpot vieler Kulturen und kosmopolitischer Vibes. Ich habe hier so viel über die katalanische Kultur und ihre Traditionen lernen dürfen, aber darüber hinaus auch über so viele andere Mentalitäten. Für mich repräsentiert Barcelona daher nicht den Rest von Spanien, sondern ist vielmehr wie ein eigenes kleines Land innerhalb Spaniens, mit seiner eigenen Kultur und Mentalität. Und das liebe ich sehr!

Denkst du, Barcelona ist eine innovative Stadt, wenn es um Nachhaltigkeit geht? Wie empfindest du das Bewusstsein der Menschen hier für dieses Thema?

Dieses Bewusstsein beginnt in Barcelona gerade erst zu wachsen. Ich glaube nicht, dass die Stadt unbedingt als Referenz für nachhaltiges Leben gilt. Selbst das Mülltrennsystem hinkt hier noch hinterher, es gibt zum Beispiel keine Container für Bio-Plastik. Es gibt zwar einige Gesetze für Nachhaltigkeit, aber es fehlen noch die richtigen Rahmenbedingungen, um Kreisläufe zu schließen. Sogar viele meiner Freunde trennen ihren Müll nach wie vor nicht. Ich denke also, es gibt noch viel Potenzial, um das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in Barcelona zu steigern. Die Leute finden immer Ausreden, um sich nicht anstrengen zu müssen. Ich glaube aber, dass jede kleine Entscheidung und Verhaltensweise eine große Wirkung hat. Dafür fehlt vielen leider das Bewusstsein, dass wir alle eins sind. Das Bewusstsein, dass, wenn wir uns auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, sich unsere Handlung auf alle und alles auswirkt. Ich hatte gehofft, dass die Pandemie ein Weckruf sein würde, aber ich sehe leider nicht viel Veränderung.

Innerhalb Barcelonas gibt es jedoch ein Viertel, dessen Bewusstsein für Nachhaltigkeit viel höher ist: Grácia. Daher habe ich mich bewusst dafür entschieden, hier zu wohnen, weil Grácia als absolutes Pionierviertel für einen nachhaltigen Lebensstil gilt. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in Barcelona hat vor über 20 Jahren genau hier begonnen. Mittlerweile gibt es viele Läden mit ökologischen Produkten, nachhaltige Modegeschäfte, Zero-Waste-Shops und vieles mehr. Ich habe hier in Grácia ein Netzwerk von ökologischen Geschäften, in denen ich einkaufe, seit ich hierher gezogen bin.

Für mich repräsentiert Barcelona nicht den Rest von Spanien, sondern ist vielmehr wie ein eigenes kleines Land innerhalb Spaniens, mit seiner eigenen Kultur und Mentalität.

Das Interview führt femtastics-Autorin Paulina Kulczycki.

Als Designerin für nachhaltige Produkte und Verpackungen entwirfst du Designs und Konzepte mit maximaler sensorischer Wirkung und minimaler Umweltbelastung. Was hat dich zu dem nachhaltigen Aspekt in deiner Arbeit inspiriert?

Der nachhaltige Aspekt meiner Arbeit ergab sich aus meinem nachhaltigen Lebensstil. Denn meine Arbeit spiegelt letztendlich die Art und Weise wider, wie ich mein Leben lebe. Dabei fing eigentlich alles mit meinem Bewusstsein für Ernährung an: Ich liebe vitale Kost und experimentiere viel mit meiner Ernährung, seit ich 14 Jahre alt war. Den Impuls bekam ich damals von meinem Großvater. Ein sehr außergewöhnlicher Mann, der nicht nur Yogi, Designer und Fotograf war, sondern auch Bücher über Ernährung geschrieben hat. Er war sehr avantgardistisch für seine Zeit und war definitiv eine große Inspiration und Referenz in meinem Leben. Dank ihm wusste ich schon seit meiner Kindheit, dass ich beruflich etwas machen wollte, mit dem ich tief verbunden war. Schließlich verbringen wir so viel Zeit unseres Lebens mit arbeiten und wenn wir etwas tun, was wir nicht lieben, verlieren wir die Freude daran – unsere Arbeit dient dann nur als Mittel zum Zweck. Ich wollte mehr als das. Ich wollte etwas Erfüllendes, etwas Sinnvolles machen!

Dank meinem Großvater habe mich aber nicht nur mit meiner Ernährung und Vitalkost beschäftigt, sondern habe vor 20 Jahren auch mit Yoga angefangen. Dadurch habe ich nach und nach auch mein Bewusstsein erweitert. Als ich zu Beginn meiner Karriere als Designerin Verpackungen mit Informationen entwerfen musste, die nicht der Wahrheit entsprachen, habe ich daher begonnen, meine Arbeit zu hinterfragen. Die Tatsache, dass ich dazu gezwungen war, die Wahrheit zu manipulieren, um ein Produkt zu verkaufen, hat mich nachts nicht schlafen lassen. Es war nicht im Einklang mit meiner Ethik. Und so fragte ich mich: „Was ist es, das mich wirklich antreibt?“, und die Antwort war ökologisches Design. Ich wollte etwas kreieren, das transparent, nachhaltig und ethisch war. Und so begann ich mich mit nachhaltigem Design zu beschäftigen, als es diese Begriffe noch gar nicht gab.

Wenn wir etwas tun, was wir nicht lieben, verlieren wir die Freude daran – unsere Arbeit dient dann nur als Mittel zum Zweck. Ich wollte mehr als das. Ich wollte etwas Erfüllendes, etwas Sinnvolles machen.

Du hast dich also schon auf einen nachhaltigen Lebensstil umgestellt, als es Begriffe wie Ökodesign noch nicht gab. Was waren deine Herausforderungen auf diesem Weg?

Das hat mir viel Kraft abverlangt, da am Anfang niemand das Konzept oder das Wort Nachhaltigkeit verstanden hat. Erst jetzt fangen die Menschen an, die Bedeutung des Konzepts Sustainability zu verstehen. Damals haben alle meinen nachhaltigen Ansatz als Recycling missverstanden, dabei war es viel mehr als das. Recycling ist ein altes Konzept, das keine Lösung darstellt. Mein Gedanke war vielmehr ein zirkuläres System – mittlerweile ist dieser Begriff bekannt, aber damals war es noch sehr schwer zu erklären. Niemand hat sich über die natürlichen Kreisläufe im Designprozess Gedanken gemacht. Aber wenn man anfängt, die Natur als sein Zuhause zu sehen, fängt man an, die Natur auch anders zu behandeln. Für mich gibt es keine Trennung zwischen Mensch und Natur. Und da gerade in der Natur alles in Kreisläufen funktioniert, macht es nur Sinn diesen Gedanken in unserer Wirtschaft zu applizieren. Tatsächlich gibt es nicht ein mal eine Trennung zwischen Ökologie und Ökonomie. Der Ursprung des Wortes „Öko“ kommt nämlich aus dem Griechischen „οἶκος“ und bedeutet so viel wie: Haus oder Zuhause. Ökologie ist also das Wissen um unser Haus und Ökonomie ist das Management unseres Zuhauses. Ökonomie funktioniert nur, wenn man Ökologie einbezieht. Denn wenn wir wissen, wie unser Zuhause funktioniert, wissen wir auch, wie wir die Ressourcen verwalten können.

Tatis Schlafzimmer liegt im oberen Stockwerk – mit Blick in eine Gasse von Grácia.

Ökonomie funktioniert nur, wenn man Ökologie einbezieht. Denn wenn wir wissen, wie unser Zuhause funktioniert, wissen wir auch, wie wir die Ressourcen verwalten können.

Super spannend! Wie hast du es denn geschafft, deine Vorstellungen von Nachhaltigkeit damals durchzusetzen?

Für mich war es meine Mission und ich konnte mich nicht von dieser Mission trennen. Meine Kunden haben mich damals natürlich nicht darum gebeten, nachhaltige Designs zu entwerfen. Ich bekam lediglich einen Auftrag und den Aspekt der Nachhaltigkeit habe ich selbst impliziert. Ich denke, es reicht nicht aus, wenn ein Produkt oder eine Verpackung nachhaltig ist – das Design muss dazu auch schön sein. Auch hier ist es wie in der Natur selbst: Alles in der Natur ist schön, aber die Schönheit hat auch eine Funktion. Sie dient einem Zweck. Eine Blume ist nur so schön, um Bienen anzuziehen und die Pollen zu verstreuen. Mein Ansatz war also primär, schöne Designs zu entwerfen, diese Designs aber einer zirkulären und nachhaltigen Funktion folgen zu lassen.

Ich habe mich darin geübt, viel zu reduzieren, um die Produktionskosten zu senken und nachhaltige Materialien verwenden zu können. Es war wie Feng Shui – ich entrümpelte alle unnötigen Elemente. Inzwischen ziehe ich natürlich vermehrt Kunden an, die bewusster mit Nachhaltigkeit umgehen. Aber meine Kunden damals waren vor allem von den einzigartigen Designs und der emotionalen Konnotation fasziniert. Daher wurde dies auch zu einem starken Teil meines Konzepts. Denn wenn man eine affektive, emotionale Verbindung zu einem Produkt schafft, wird dieses Produkt wertvoller und ganz von allein zu einem zeitlosen, langlebigen und letztendlich nachhaltigen Gegenstand.

Wie genau sieht dein Designprozess aus?

Mein Designprozess besteht zunächst darin, tief in die Ursprünge des Produkts selbst einzutauchen. Je nachdem, ob es sich um ein auftragsbasiertes Projekt oder mein eigenes handelt, gehe ich tief in die Geschichte der Marke oder in mein eigenes Briefing. Ich recherchiere viel über die Konkurrenz, um ihre Lösungen für das gleiche Produkt zu verstehen – nicht um zu kopieren, sondern um etwas Einzigartiges zu entwickeln und die Lösung zu optimieren. Ich recherchiere auch die Verbraucher*innen und die emotionalen Bedürfnisse jener Menschen, die das Produkt kaufen werden. Ich muss die Gefühle und den Lebensstil der Verbraucher*innen verstehen, um ein gutes Produkt zu entwickeln. Und ich recherchiere leidenschaftlich gerne über nachhaltige Materialien. Manchmal kann das Material sogar der Mittelpunkt der Inspiration sein. Ich wähle das Material auf der Grundlage von Funktion, Ästhetik und Haltbarkeit aus. Nach dem Rechercheprozess experimentiere ich viel und fertige Prototypen an. Natürlich ist ein wichtiger Aspekt des Designprozesses auch das Einholen von Rückmeldungen, um zu sehen, wie ich das Produkt weiter perfektionieren kann.

Meine Kunden haben mich damals nicht darum gebeten, nachhaltige Designs zu entwerfen. Ich bekam lediglich einen Auftrag und den Aspekt der Nachhaltigkeit habe ich selbst impliziert.

2008 entwarf Tati das Produkt „Bakus“ unter ihrem Label „Ciclus“.

 

Zwei weitere Produkte von Tati: „Cavallum“ (links), eine Weinverpackung, die auch als Lampe dient, und der Minitisch „Dvinus“ (rechts).

Was inspiriert dich am meisten bei deiner Arbeit – wo und wie bekommst du Ideen für deine Projekte?

Meine Inspiration nehme ich überwiegend aus der Natur. Aber viele Dinge inspirieren mich, uralte Volksweisheiten und Traditionen, zum Beispiel. Ich schaue immer auf die Wurzeln der Dinge, auf den Anfang von allem. Wenn ich einen Auftrag habe, ist es für mich wichtig zu verstehen, woher das Produkt kommt, welche Wurzel und Geschichte damit verbunden ist. Der uralte Prozess der Herstellung, die Handwerkskunst, die Tradition und Kultur sind ein großer Teil meiner Inspiration.

Was würdest du von Design im Allgemeinen erwarten und dir wünschen? Wie kann Design innovativ und zukunftsfähig sein?

Ich denke, dass Design ähnlich wie die Natur funktionieren sollte. Schritt für Schritt sollten wir uns mehr und mehr mit der Natur verbinden. Denn sie ist der Ursprung. Design sollte schön, funktional und zirkulär sein. Und natürlich eine sensorische und emotionale Erfahrung inkludieren. Denn auch in der Natur gibt es so viele Sinneseindrücke, mit so vielen Emotionen, so viel zu sehen, zu berühren, zu riechen. Wenn jene Aspekte im Design enthalten sind, dann ist es definitiv zukunftsfähig. Und wie gesagt: Niemand kauft etwas, nur weil es ökologisch ist. Man kauft es, weil es schön ist. Ökologisch ist also nicht ausreichend. Ähnlich wie beim Wein – wenn der Wein ökologisch ist, aber scheußlich schmeckt, kauft man ihn nicht (lacht).

Welche nachhaltigen Marken oder Designer inspirieren dich?

Am meisten inspiriert und beeinflusst bin ich von Victor Papanek. Er stellte den Menschen und die Natur in den Mittelpunkt. Er war nicht nur Designer, sondern auch Lehrer und Aktivist für Nachhaltigkeit und soziale Projekte. Victor Papanek sagte immer, dass Design wie Politik sei. Er begann über ökologisches Design in den 60er-Jahren zu sprechen, inmitten in der Plastikrevolution! Als ich in den 90er-Jahren seine Arbeit entdeckte, war ich verblüfft, dass jemand anderes die gleiche Vision hatte wie ich. Also habe ich seine Diskurse als Grundlage für meine Arbeit genutzt. Und später, in meiner Yoga-Ausbildung, entdeckte ich meine zweite große Inspirationsquelle: Satish Kumar. Er ist für mich ein großer Guru, der über das Konzept von Ökologie und Ökonomie spricht, viele TED-Talks hält und zudem Gründer des Magazins „Resurgence“ ist – ein Magazin, das als künstlerisches und spirituelles Vorbild der grünen Bewegung gilt. Diese beiden Lehrer sind meine größten Einflüsse und Inspirationen in meiner Arbeit.

Schritt für Schritt sollten wir uns mehr und mehr mit der Natur verbinden. Denn sie ist der Ursprung. Design sollte schön, funktional und zirkulär sein.

Kannst du uns ein wenig mehr über deine Marke „ciclus“ erzählen?

Ich habe „ciclus“ damals gegründet, um meine zirkulären Designprozesse als ganzheitliches Konzept anzubieten. Der Gedanke eines Zyklus‘ ist bereits im Markennamen enthalten – und auch da habe ich meine Marke zu einem so frühen Zeitpunkt gegründet, als noch niemand über zirkuläre Designprozesse nachdachte. Sogar die Domain ciclus.com war damals noch frei (lacht). Unter dem Namen „ciclus“ habe ich dann meine nachhaltigen und innovativen Produkte entwickelt. Dabei ist für mich das wichtigste Wort Reduktion. Der Aspekt der Reduktion muss bereits in der Designphase umgesetzt werden. Denn der Designerrat hat in einer Statistik veröffentlicht, dass 80% der Emissionen in der Designphase freigesetzt werden. All diese Gedanken fließen bei „ciclus“ mit ein.

Einige deiner Projekte sind weltweit anerkannt. Magst du uns dein Produkt „Bakus“ mal vorstellen?

Ich habe insgesamt fünf Produkte, die viele Auszeichnungen erhalten haben, aber dieses Produkt ist ein gutes Beispiel für meinen Designprozess. „Bakus“ stammt aus dem Jahr 2008 und zeigt sehr schön, wie Storytelling und emotionale Verbindungen in das Produkt einfließen. Es handelt sich um einen Untersetzer aus Stahl, bei dem die Benutzer*innen die Korken ihrer Weinflaschen auf die kleinen Stahlelemente pinnen können. „Bakus“ erlaubt also der Person, die ihn kauft, am Designprozess teilzunehmen und ihre oder seine „besten Erinnerungen“ auf dem Untersetzer zu sammeln. Auf die Idee kam ich, als ich nach Europa kam und sah, wie bedeutend die Weinkultur hier ist. Das Öffnen einer Flasche Wein ist immer etwas Besonderes, ein Anlass zum Feiern. Und ich stellte fest, dass viele meiner Freund*innen die Weinkorken sammelten, als Erinnerung, weil sie den Wein mit einer besonderen Person geteilt haben oder weil sie das Design des Korkens mochten oder weil der Wein besonders gut war. Es gab also eine klare emotionale Verbindung. So kam ich auf die Idee, die Korken – die aus einem so langlebigen, natürlichen Material bestehen und normalerweise im Müll landen – zu verwenden und ihnen ein zweites Leben als Untersetzer zu schenken. „Bakus“ ist also eine funktionale Sammlung der schönsten Erinnerungen. Das Produkt wurde damals von dem Headhunter des MOMA auf dem Salon de Milan entdeckt und wurde über fünf Jahre lang zum Bestseller der MOMA Produktserie.

Wow! Nun interessieren uns aber auch deine Rituale: Denn mit deinen brasilianischen Wurzeln, deinem Bemühen um einen ökologischen Lebensstil und eine naturbelassene Ernährung pflegst du auch deine spirituelle Praxis. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

In Brasilien sind wir sehr ritualistisch – wir haben viele Religionen, Praktiken und Rituale. Ich denke also, dass ein Teil meines ökologischen Antriebs und meiner Spiritualität definitiv aus Brasilien kommt. Ich glaube, die Menschen in Brasilien sind kreativer, weil sie weniger Ressourcen zur Verfügung haben – also müssen sie mit dem Wenigen, das sie haben, kreativ umgehen. Was die Spiritualität angeht, ist es Teil der brasilianischen Kultur, gläubig zu sein. In meinem Fall folge ich zwar keiner Religion, aber ich habe meine eigene Praxis an Ritualen entwickelt, nachdem ich viele verschiedene spirituelle Philosophien und Religionen studiert habe. Meine Rituale sind also eine Mischung aus vielen verschiedenen Einflüssen.

Ich glaube, die Menschen in Brasilien sind kreativer, weil sie weniger Ressourcen zur Verfügung haben – also müssen sie mit dem Wenigen, das sie haben, kreativ umgehen.

Hast du eine bestimmte Morgenroutine, anhand der du uns deine Rituale erklären kannst?

Ich wache morgens auf und trinke zunächst einen Matcha-Tee, bevor ich einige Cardio-Übungen für mein Herz mache. Dann führe ich eine bestimmte Yoga-Sequenz durch, die ich seit Jahren praktiziere und anschließend dusche ich mit vielen natürlichen Ölen, wie 100% kaltgepresstem und biologischem Kokosöl als Trägeröl für meine ätherischen Öle. Ich liebe es, das Öl der Geranie zu verwenden, denn es wirkt ausgleichend auf die Hormone von Frauen. Ätherische Öle stellen einen großen Teil meiner Rituale dar – sie sind meine Art, Pflanzenmedizin zu nutzen. Nach der Dusche meditiere ich mit Palo Santo und ätherischen Ölen. Ich meditiere manchmal mehr, manchmal weniger – aber es geht in der Meditation mehr um die Konsistenz, als um die Länge. Und danach bereite ich biologische und saisonale Früchte mit Nüssen zum Frühstück zu, um meinen Tag mit einem bunten Kunstwerk voller Vitamine zu beginnen. Diese Morgenroutine habe ich während des Lockdowns im letzten Jahr begonnen, um mir Zeit für mich selbst zu schenken.

Was ist deine Lebensvision? Hast du ein Traumprojekt vor Augen, das du mit deiner Arbeit verwirklichen möchtest?

Mein Traumprojekt realisiere ich eigentlich jetzt schon – denn meine Vision ist es, das Wissen, das ich mir angeeignet habe, zu erweitern und so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen. Und dank der Plattform „Domestika“ habe ich diese Chance bekommen. Ich wurde von „Domestika“ eingeladen, einen Kurs über ökologisches Verpackungsdesign zu kreieren. Das war für mich ein solches Geschenk, weil es die perfekte Möglichkeit war, mein Wissen ohne großen Aufwand weiterzugeben. Die Vorbereitung und Durchführung des Kurses hat zwar ein ganzes Jahr gedauert, aber ich teile dort alle meine Ressourcen, meine Recherchen, meinen Arbeitsprozess und alles, was ich in den letzten 20 Jahren lernen durfte. Der Kurs wurde in sechs Sprachen übersetzt und hatte nach nur einem Monat mehr als 1.000 Teilnehmer. Und sie alle haben Zugang zu diesen Informationen und können die Idee der Nachhaltigkeit weiter verbreiten und das Bewusstsein um sie herum erhöhen.

Ein weiterer Traum von mir ist es darüber hinaus, einen Lebensstil zu entwerfen. Denn ich glaube, dass es schon genügend Produkte auf der Welt gibt. Ich möchte Menschen dazu inspirieren, ihren Lebensstil nachhaltiger zu gestalten, ohne dass ich dafür ein Produkt herstellen muss. Vielleicht wird es ein Buch oder etwas Digitales – daran arbeite ich noch.

Vielen Dank für das Interview, liebe Tati!

 

Hier findet ihr Tati Guimarães:

   

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