Es gibt Alternativen für Plastikstrohhalme, wiederverwendbare Coffee-To-Go-Becher und Biowaschmittel, doch beim Kaugummi hört die Nachhaltigkeit auf. Das hat Thomas Krämer erkannt und gründete dieses Jahr sein natürliches Kaugummi-Label „Forest Gum“. Die Kaumasse wird nicht wie bei herkömmlichen Kaugummis aus Plastik und Erdöl hergestellt, sondern aus dem Saft des Chiclebaums. Für die Süße sorgt Xylit statt Zucker. Mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne will der Wahlkölner, der zuvor als Geschäftsführer für die faire Limonadenmarke „Lemonaid“ gearbeitet hat und bei „Viva con Agua“ aktiv war, das Kaugummi nun auf den Markt bringen. Wir treffen den 39-Jährigen zum Interview in seiner Altbauwohnung im Agnesviertel in Köln.
580.000 Tonnen Kaugummis werden jedes Jahr auf der ganzen Welt konsumiert, dementsprechend viel Plastikmüll entsteht durch das Kauen von Kaugummis, der in unserer Umwelt bleibt.
Thomas Krämer: In erster Linie die rein natürlichen Inhaltsstoffe. Forest Gum besteht ausschließlich aus natürlichen Stoffen, die biologisch abbaubar sind. Es verrottet, bleibt nicht Jahrhunderte in der Umwelt und auf der Straße kleben und ist nicht Teil des Mikroplastiks, das im Meer schwimmt. Zum anderen kommen wir auch bei der Verpackung ohne Plastik aus. Wir möchten die „Forest Gum“-Packung aus Papier herstellen, das biologisch abbaubar und FSC zertifiziert ist.
580.000 Tonnen Kaugummis werden jedes Jahr auf der ganzen Welt konsumiert, dementsprechend viel Plastikmüll entsteht durch das Kauen von Kaugummis, der in unserer Umwelt bleibt. Er verottet über Jahrhunderte nicht. Man muss sich überlegen, ob man dazu beitragen will. Zusätzlich unterstützen wir mit der Produktion von Forest Gum und mit dem Kauf der Rohwaren die Menschen in den Anbaugebieten des Chicle in Lateinamerika und helfen dort den Wald zu erhalten.
Für den Anfang haben wir uns für ein Minz-Kaugummi entschieden, da die Leute einen langanhaltend frischen Atem haben möchten. Forest Gum hat einen tollen Geschmack und eine tolle Kaukonsistenz. Das haben wir geschafft, zumindest, wenn ich auf die Aussagen der vielen Freunde, Freundesfreunde und Familienmitglieder höre. Die haben mit mir gemeinsam schon viele Kilos Kaugummis gekaut.
Vor allem, weil es clever versteckt ist und zwar in der Zutat „Kaumasse“. Diese wird nicht weiter aufgeschlüsselt. Die Kaumasse ist laut Herstellern ein Produktgeheimnis. Wenn du versuchst rauszufinden, was „Kaumasse“ eigentlich ist, musst du auf Zeitungsartikel zurückgreifen. Es gibt journalistische Beiträge, die sich mit dem Thema Kaugummi und den Inhaltsstoffen auseinandersetzten, nur haben die noch nicht die große Masse dazu gebracht, ihre Konsumentscheidung zu überdenken. Denn wenn ich von Forest Gum erzähle, kriege ich zu 95 Prozent der Fälle die Aussage ‚Wow, das wusste ich nicht‘. Das ist der Wahnsinn. Weder von Verbrauchen oder Verbraucherinnen noch von der Industrie werden mehr Informationen angeboten. Ich finde das ist eine Sache, an der man arbeiten muss.
Zunächst habe ich BWL an der Fachhochschule studiert. Ich bin dann in der Automobilindustrie gewesen und habe irgendwann gemerkt, dass ich einen neuen Lebensweg einschlagen möchte, auch durch meine Arbeit für „Viva con Agua“ als Gründer der Zelle Köln. In München habe ich dann an der forstwirtschaftlichen Fakultät ökologische Landwirtschaft und nachhaltiges Ressourcenmanagement studiert. In einer Vorlesung hat der Professor Produkte aus dem Wald, die nicht Holz sind, besprochen, Blätter, Palmwedel, Nüsse, Honig. Alles, was es so gibt. In einem Nebensatz kam er auf Chicle zu sprechen und dass daraus mal Kaugummi gemacht wurde. Das war die Initialzündung für mich in meine Tasche zu greifen, auf meine Kaugummipackung zu gucken und mich zu fragen „warte mal, woraus wird es denn heute gemacht?“. Auf der Rückseite stand „Kaumasse“. Daraufhin habe ich raugefunden, dass das im Grunde Plastik ist und war selbst so verdutzt, wie die meisten, denen ich das heute erzähle.
Daraus entstand die Neugierde, ein Kaugummi ohne Plastik zu entwickeln. Es ist so ein Ding von mir, dass ich, wenn ich etwas nicht verstehe oder auch unfair finde, ganz gerne nach Alternativen schaue. Losgelegt habe ich damit schon vor fünf Jahren.
Ich bin in die Anbaugebiete des Chicle gereist, habe Chicle gekocht und Kaugummi selbst hergestellt. Erstmal hab ich einfach total hobbymässig rumprobiert – nachts, am Wochenende, mit Freunden. Plötzlich habe ich gemerkt, das könnte funktionieren. Ich habe mich irgendwann gefragt: Warum macht das eigentlich noch niemand?
Das letzte halbe Jahr war die krasseste Schule meines Lebens. Ich habe vorher noch nie gegründet.
Das letzte halbe Jahr war die krasseste Schule meines Lebens. Ich habe vorher noch nie gegründet. Dinge wie Finanzierung, Packaging, Logistik, rechtliche Angelegenheiten und Steuern – also den ganzen Apparat, den man mitmachen muss, wenn man in Deutschland ein Unternehmen gründen will, das habe ich vorher alles nicht gewusst oder gekannt.
Ich lerne sehr viel über Produktentwicklung und über Produktionsmechanismen, beispielsweise, wie welche Zutaten miteinander funktionieren. Auch mit dem Import von Ware und Überseelogistik hatte ich mich vorher nie beschäftigt, da ich bei Lemonaid im Vertrieb und Marketing gearbeitet habe. Da gab es Leute, die sich darum gekümmert haben, jetzt liegt alles in meiner Verantwortung. Ich kann immer jemanden fragen und es gibt tolle Leute, die mich unterstützen, aber umsetzen muss ich das nun tatsächlich alleine. Aber das ist cool, weil ich sehr viel lerne.
Wir haben einen tollen Produzenten in Europa gefunden, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Das war nicht so einfach, weil der Kaugummi-Markt sehr zentralisiert ist. Daher sind wir super happy über die professionelle Zusammenarbeit.
Die Crowdfunding-Kampagne ist ein zentraler und wichtiger Bestandteil unserer Finanzierung. Sie hilft uns dabei die erste Produktion Wirklichkeit werden zu lassen. Speziell in den ersten Monaten nach der Gründung mussten außerdem eigene Ersparnisse dran glauben und es gab Hilfe von guten Freunden. Zudem unterstützen die Kreissparkasse Köln und die Bürgschaftsbank NRW das Projekt in Zukunft, wofür ich sehr dankbar bin.
Wir wollen knallhart durchziehen, ohne die Anfangsidee zu verwischen. Für Forest Gum bedeutet das konkret, das nachhaltigste Kaugummi der Welt anzubieten.
Das allerwichtigste ist, wenn man ein Projekt von Null startet, zu wissen, dass man es nur mit einem wundervollen Team zum Ziel bringt. Mit meiner Kollegin Maren, die seit ein paar Monaten dabei ist, klappt die Zusammenarbeit super und wir haben eine tolle Zeit. Alleine kannst du so etwas nicht machen. Du brauchst immer Leute, mit denen du dich gut verstehst und mit denen du an einem Strang ziehst.
Außerdem ist es super wichtig eine Philosophie zu haben und an dieser festzuhalten. Auch wenn Widerstände aufkommen, ist es wichtig an seiner Roadmap festzuhalten ohne stoisch zu sein. Wir wollen knallhart durchziehen, ohne die Anfangsidee zu verwischen. Für Forest Gum bedeutet das konkret, das nachhaltigste Kaugummi der Welt anzubieten.
Unser Kern der Nachhaltigkeit ist, dass wir auf Plastik verzichten. Auch in unserer Lieferkette versuchen wir den CO2-Abdruck möglichst gering zu halten. Darüber hinaus fragen wir uns, ob wir nicht sogar klimapositiv werden können, das heißt weniger CO2 raushauen als wir schützen. Ein klimapositives Produkt wäre der Knaller. Es ist eine tolle Utopie. Wir wollen der Welt durch unser Produkt möglichst wenig Schaden hinzuzufügen.
Forest Gum soll es in Zukunft im Einzelhandel, im konventionellen Handel, an Kaugummiautomaten auf Festivals, an Unis und vielen weiteren Orten zu kaufen geben.
Ich bin in der Eifel naturnah aufgewachsen. Ich war schon immer gerne viel im Wald. Ich gehe gerne laufen und wandern. Außerdem habe ich an der forstwirtschaftlichen Fakultät studiert, also mehr Waldbezug kann man gar nicht haben. Wir sind damals durch den bayerischen Wald gestapft und haben uns die Bedeutung fürs Klima angeschaut. Wald ist der beste CO2 -Speicher, was in Zeiten des Klimawandels sehr bedeutend ist. Neben der Liebe zum Wald, weil er Ruhe gibt, brauchen wir den Wald um das Klima zu retten.
Laura und ich kommen beide aus dem Rheinland und fühlen uns hier einfach zuhause. Egal wo wir in den letzten Jahren gelebt haben, das Gefühl ist nie verschwunden. Liegt natürlich daran, dass ein Teil unserer Familien hier wohnt und viele gute alte Freunde. Das macht es aus und ich bin super happy, dass es diese Menschen um uns herum gibt.
Das war ehrlich gesagt das einzige, woran ich genagt habe, bevor wir hierher gezogen sind. Bei anderen Städten weiß ich, dass es tolle Unterstützung und Netzwerke für Gründer gibt, aber von Köln hatte ich vorher sehr wenig gehört. Ich kannte nur ein paar Unternehmen, die hier erfolgreich sind und ihr Ding machen. Dann bin ich zur IHK und habe gefragt, warum ich eigentlich nach Köln gehen sollte. Die haben mich dann wirklich gut abgeholt: Banken, Netzwerke, Unterstützungsmöglichkeiten. Köln könnte in vielerlei Dingen, aber auch in diesen, mehr von sich Reden machen. Hier laufen die Sachen eher unterm Radar und werden nicht so rausposaunt. Ich hoffe, dass in den nächsten Monaten und Jahren noch viel passiert.
Durch meinen kleinen Sohn. Auch wenn ich relativ wenig schlafe, ist es total schön, dass er meine Aufmerksamkeit fordert, so schalte ich zwangsläufig automatisch ab. Mein Kind auf dem Arm zu haben, erfüllt mich mit unglaublichem Glück. Auch mein Freundeskreis hier in Köln gibt mir nicht nur tolles Feedback, sondern auch tolle Ablenkung. Um den Kopf frei zubekommen, gehe ich joggen, natürlich im Wald, oder spiele Fußball mit Kumpels.
Fotos: Annika Eliane
Interview: Gina Voß