Gro Spiseri – willkommen in Kopenhagens Urban-Gardening-Restaurant

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24. Oktober 2018

Im Kopenhagener Stadtteil Østerbro liegt, von der Straße aus kaum sichtbar, ein urbaner Garten hoch oben auf dem Flachdach eines ehemaligen Industriegebäudes. Hier wachsen Tomaten, Möhren, Kohl, Erdbeeren und unzählige andere Sorten von Obst und Gemüse, in einem Stall laufen Hühner, nebenan hoppeln Kaninchen, und um mehrere Bienenstöcke herum summt es wie im Sommergarten auf dem Land. Der Grund für diese Gartenidylle ist das Urban-Gardening-Projekt ØsterGRO, aus dem vergangenes Jahr das Restaurant „Gro Spiseri“ entstanden ist. Die Gäste des Restaurants sitzen gemeinsam an einem langen Holztisch im gläsernen Gewächshaus mitten im Garten, zwischen Sonnenblumen und Tomatenpflanzen. Allein dieses Setting macht „Gro Spiseri“ zum In-Restaurant in Kopenhagen – aber dahinter steckt viel mehr, wie uns der 38-jährige Landschaftsarchitekt Kristian Skaarup, Co-Gründer des Projektes, erzählt.

homtastics: Dein Restaurant „Gro Spiseri“ hat mit einem Urban-Farming-Projekt namens „ØsterGRO“ begonnen. Was war die Idee hinter dem Projekt?

Kristian Skaarup: Im Jahr 2014 haben Livia, Sofie und ich die urbane Farm gegründet, nach dem Prinzip der solidarischen Landwirtschaft. Die Idee war, dass Menschen aus dem Viertel unseren urbanen Garten gemeinsam nutzen können. Wir hatten schon damals den Traum, ein Restaurant zu eröffnen – schließlich bauen wir ja Lebensmittel an. Für zwei Jahre hatten wir einen Vertrag mit einem Gastronomen, aber dann haben Livia und ich entschieden, dass wir das Restaurant selbst betreiben möchten. Sofie ist nach einem Jahr aus unserem Projekt ausgestiegen, aber Livia und ich sind seit Anfang an dabei.

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Dieses Gebäude wurde früher für Autoauktionen genutzt, deshalb ist das Dach besonders stark und tragfähig.

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Wie habt ihr überhaupt diese Fläche gefunden?

Das war ein Zufall, wie vieles im Leben. Der Besitzer dieses Gebäudes ist Jac Nellemann, ein ehemaliger dänischer Autorennfahrer. Ihm gehören auch ein Autohaus und die Nachbargebäude. Die Nachbarschaft hier nennt sich „Klimaquartier“ – die Stadtverwaltung testet Projekte rund um die Sammlung von Regenwasser. Denn unser großes Klimaproblem wird Regen sein: Dänemark wird in Zukunft besonders stark von Sturzregen, also heftigem Regenfall in kurzer Zeit, betroffen sein. Und die Abwassersysteme in Kopenhagen werden damit nicht klarkommen, sie müssten 30 Prozent größer sein, damit diese Regenmassen ablaufen können und nicht alles überfluten. In Kopenhagen gibt es zu viele geschlossene Oberflächen, auf denen das Wasser nicht versickern kann. Und hier in diesem Quartier arbeitet die Stadtverwaltung daran, neue Flächen zur Sammlung von Regenwasser zu schaffen.

Wir haben mit den Leuten vom „Klimaquartier“ gesprochen und sie haben uns in Kontakt mit Jac gebracht. Er war sehr offen dafür, neue Projekte zu unterstützen. Dieses Gebäude wurde früher für Autoauktionen genutzt, deshalb ist das Dach besonders stark und tragfähig. Es trägt 400 Kilogramm pro Quadratmeter, das gibt es in Kopenhagen nicht oft. Wir haben einen Vertrag mit Jac gemacht, er stellt uns das Dach zur Verfügung und im Gegenzug darf er so oft er möchte hier essen. Wir wurden zudem vom „Klimaquartier“ sowie von einem Fonds für Bio-Landwirtschaft unterstützt.

Das ist ein guter Deal! Wurde euer Garten in der Nachbarschaft gut angenommen?

Ja, wir waren überrascht darüber, wie sehr Menschen ein Projekt in ihrer Nachbarschaft unterstützen. Wir haben zum Beispiel dazu eingeladen, an einem Wochenende die Erde für die Beete zu bearbeiten und allein am ersten Tag kamen 75 Menschen. Dadurch war die Arbeit viel schneller erledigt, als wir dachten. Auch das Interesse daran, Mitglied in unserem Verein zu werden, ist groß. Wenn man Mitglied wird und uns finanziell unterstützt, bekommt man zur Erntezeit jeden Mittwoch einen Korb voll Gemüse – und natürlich kann man das Dach nutzen.

Nicht alle Produkte im wöchentlichen Korb stammen von unserem Dach, wir beziehen auch Produkte von einem Partner-Bauernhof. Das veranschaulicht, dass ein solches Urban-Farming-Projekt nie dazu dienen kann, die Bevölkerung einer Stadt zu ernähren – in Kopenhagen leben 1,2 Millionen Menschen, so viel Essen lässt sich nicht auf Dächern anbauen, dazu braucht man das Umland. Aber ein Projekt wie unseres dient dazu, die Menschen in Kontakt mit der Landwirtschaft zu bringen, ihnen zu zeigen, wie Produkte entstehen.

Euer Projekt schafft ein anderes Bewusstsein für Lebensmittel.

Genau. Menschen schätzen Produkte, die aus ihrem eigenen Garten kommen, viel mehr wert als Lebensmittel, die sie im Supermarkt kaufen. Äpfel aus dem eigenen Garten bringt man stolz mit zur Arbeit, um sie mit Kollegen zu teilen, aber mit Äpfeln aus Costa Rica, die man im Supermarkt gekauft hat, würde man das nie machen. Es wird immer erwähnt, wenn man etwas selbst gemacht oder selbst angebaut hat, darauf weist man immer gern hin. Das hat einen Grund, es hat mit Respekt zu tun.

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Ein Projekt wie unseres dient dazu, die Menschen in Kontakt mit der Landwirtschaft zu bringen, ihnen zu zeigen, wie Produkte entstehen.

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Und was ist die Philosophie des Restaurants?

Lokales, gutes Essen zu machen. Wir nennen unser Konzept „Social Dining“: Alle sitzen zusammen an einem langen Tisch und in der Regel bedienen sich zwei Gäste an einem Teller, der in die Mitte gestellt wird. Das Essen ist nicht typisch dänisch, aber saisonal, biologisch und lokal.

Wie unterscheidet sich euer Restaurant von anderen?

In erster Linie durch den Ort, den wir geschaffen haben. In anderen Lokalen betritt man einen Raum und ist direkt im Restaurant. Hier kommt man über die Treppe oder den Aufzug aufs Dach und läuft durch den Garten ins Restaurant. Es geht also um die Umgebung. Das Erlebnis im Restaurant ist ebenfalls besonders: Man sitzt in einem Gewächshaus aus Glas an einem langen Tisch – das findet man woanders nicht. Außerdem nutzt das Restaurant Erzeugnisse aus unserem Garten, wie essbare Blüten, Kräuter, Fenchel, Rucola, …

Auf der Speisekarte steht immer ein Fünf-Gänge-Menü. Warum?

Es ist Teil unseres Konzeptes: Man muss vorab reservieren und den Menüpreis bezahlen. Dadurch gehen wir sicher, dass die Gäste auch verbindlich kommen, was hier sehr wichtig ist, weil wir Plätze nicht einfach durch Laufkundschaft besetzen können. Dann gibt es für alle Gäste das gleiche Menü und alle essen gemeinsam.

Wie groß ist euer Team?

Aktuell sind wir rund zehn Leute. Im Winter werden es etwas weniger sein, aber wir möchten gerne unsere Angestellten behalten. Es wäre schwierig für uns, wenn wir jede Saison mit neuen Köchen noch einmal ganz von vorne anfangen müssten.

Wird das Restaurant denn im Winter geöffnet sein?

Ja, aber mit einem etwas anderen Konzept. Das haben wir vergangenen Winter schon ausprobiert und hoffentlich wird es dieses Jahr noch besser. Die Umgebung spielt im Winter natürlich keine so große Rolle wie im Sommer, weil im Garten dann nichts wächst, also machen wir den Innenraum des Restaurants noch gemütlicher, vielleicht mit einem Holzofen. Es wird auf jeden Fall schön!

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Ich mache mir viele Gedanken darum, wie die Stadt anders gestaltet werden könnte und wie städtische Grünflächen aussehen können.

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Du arbeitest aber nicht mehr in deinem Beruf als Landschaftsarchitekt?

Nein, eigentlich nicht. Ich denke, dass ich als Landschaftsarchitekt einige Dinge gelernt habe, die mir hier nützlich sind. Aber ich wollte nie in einem Office sitzen und Entwürfe für neue Landschaften zeichnen – ich hoffe, ich werde nie wieder in einem normalen Büro-Job arbeiten. Trotzdem mache ich mir viele Gedanken darum, wie die Stadt anders gestaltet werden könnte und wie städtische Grünflächen aussehen können. Viele der Grünflächen, die wir in Kopenhagen haben, sind durchgeplante königliche Gärten oder Fußballfelder. Ich möchte etwas anderes. Das hier ist meine eigene Grünfläche.

Welche Pläne habt ihr mit eurem Projekt?

Wir möchten gern noch mehr Dächer begrünen. Wir haben ein paar Dächer in Kopenhagen gefunden, mit denen das möglich wäre.

Das wäre also machbar?

Generell ja, aber es ist eine Challenge. Es gibt immer so viele Regulierungen und Menschen, die diese Regeln verwalten – und die muss man überzeugen.

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Warum gibt es nicht noch viel mehr Gebäude, die bepflanzt werden oder Dachgärten haben?

Es wird zum Glück immer populärer: Viele neue Gebäude haben mittlerweile begrünte Dächer. Aber das Problem ist definitiv oft das Gewicht, das die Dächer tragen können. Ein grünes Dach wie dieses ist nicht auf jedem Gebäude möglich, weil ein solcher Garten viel wiegt. Das Dach des Nachbargebäudes, zum Beispiel, kann nur 50 Kilogramm pro Quadratmeter tragen – und wie gesagt trägt dieses Dach 400 Kilogramm pro Quadratmeter. In der Regel werden Dächer so gebaut, dass sie Regen, Schnee, Vogeldreck und leichtes Gewicht tragen, aber mehr nicht. Es ist teuer, tragfähigere Dächer zu bauen.

Lassen sich Dächer nachträglich verstärken und tragfähiger machen?

Ja, aber das kostet viel Geld und oft müsste die Verstärkung von unten bis oben gemacht werden, durch jede Etage. Das ist also sehr aufwändig.

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Ich würde mir wirklich wünschen, dass private Besitzer von Gebäuden offener dafür wären, innovative Projekte umzusetzen und zu unterstützen.

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Was würdest du an Kopenhagen gerne verändern?

Geld ist immer das Problem. Es gibt so viele idealistische Menschen, die gerne neue Projekte umsetzen würden, aber sie scheitern oft an den Finanzen. Ich wünsche mir, dass private Besitzer von Gebäuden offener dafür wären, innovative Projekte umzusetzen und zu unterstützen. Natürlich macht es ihnen zusätzliche Arbeit und sie müssen sich um Dinge kümmern – aber das ist in der Regel überschaubar, und zusätzlich haben solche Projekte wie unseres ja auch einen Werbeeffekt für die beteiligten Immobilienbesitzer.

Auch private Investoren und Menschen, die neue Gebäude bauen, sollten den Anspruch haben, ein kleines bisschen weniger Geld mit ihrem Projekt zu verdienen, aber dafür etwas Gutes zu tun. Man sieht ja überall, dass die Kreativen immer weiter aus den Städten verdrängt werden, durch die Gentrifizierung …

… und das verhindert auch, dass innovative Projekte umgesetzt werden.

Ich war als Landschaftsarchitekt oft beruflich in Hamburg und gerade in eurer Stadt gibt es ein großes Problem mit der Zusammenarbeit zwischen der Stadt und den Kreativen. Die Stadtverwaltung agiert quasi hinter geschlossenen Türen. Hier in Kopenhagen arbeiten wir eng mit der technischen Abteilung der Stadt zusammen – mit der wirtschaftlichen und der rechtlichen Abteilung haben wir aber auch manchmal Schwierigkeiten.

In Hamburg hatten wir als Vertreter eines Uni-Forschungsprojektes ein Meeting mit der Stadtverwaltung und unser Eindruck war, dass die kreativen Leute dort gar nicht mit der Stadtverwaltung zusammenarbeiten wollen und ihnen das geradezu einen Kick gibt, weil sie diese so hassen. Man kann uns das auch vorhalten – aber wir, als höfliche Dänen, die wir sind, bemühen uns, mit der Stadtverwaltung in Kopenhagen zu kooperieren und unsere Visionen umzusetzen. Und diese Situation ist mir lieber als die in Hamburg, wo sich gar nichts bewegt. Ich kann die Kreativen bei euch verstehen, aber sie tun mir auch leid.

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Ist die Stadtverwaltung in Kopenhagen also generell offen für eure Ideen und für neue kreative Projekte?

Ja, das ist sie. Aber natürlich wird es immer Regeln und Gesetze geben. Auf diesem Kataster zum Beispiel muss es 29 Parkplätze geben, das ist so reguliert. Es gibt aber keine 29 Parkplätze und hat es nie gegeben. Also sagt jetzt die Stadtverwaltung: Dann gibt es eben Parkplätze auf eurem Dach. Und wir sagen: Nein, wird es auch nie geben. Aber laut Papier müssen hier 29 Parkplätze sein und das macht uns eine Menge Ärger. Niemand hat sich dafür interessiert, bis wir kamen. Wir saßen deshalb schon mit dem Bürgermeister zusammen. Manchmal braucht man viel Geduld und Durchhaltevermögen.

Wir wünschen euch auf jeden Fall weiterhin viel Erfolg! Danke für das Gespräch, Kristian!

 

 

Hier findet ihr Gro Spiseri:

   

Fotos: Silje Paul

Layout: Carolina Moscato

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