Bisrat Negassi wurde in Eritrea geboren und kam als junges Mädchen zusammen mit ihren Eltern und drei Geschwistern als Geflüchtete nach Deutschland. Über Umwege fand sie zum Modedesign und gründete nach Stationen bei Designern wie Xuly Bet und Donna Karan ihr eigenes Modelabel Negassi in Paris. Negassi ist, anders als die meisten Labels, in keinem Store erhältlich, sondern nur direkt bei Bisrat Negassi – in ihrem Showroom, der sich in ihrer geräumigen Altbauwohnung im Grindelviertel befindet. Dort besuchen wir sie an einem Novembervormittag, um über die Arbeit als Modedesigner von Paris bis Berlin zu sprechen und darüber, wie man dem hektischen Rhythmus der Modebranche entkommt.
Bisrat Negassi: Seit dem 10. November habe ich einen kleinen Miniladen in der Weidenallee 57. Und dort wäre ich jetzt sonst und würde meine Mode verkaufen.
Eigentlich mache ich ausschließlich hier in meinem Showroom Verkauf und gehe ab und zu auf Tour, als Pop-up, in diverse Städte. Durch einen Bekannten hatte ich die Möglichkeit, den Verkauf in einem Store auszuprobieren. Das ist jetzt das erste Mal für mich. Ich werde den Laden auf der Weidenallee bis Februar 2016 haben.
Ich finde, es ist meine Aufgabe als Mutter und Weltbürger, darauf zu achten, dass ich weder in meinem Alltag noch mit meiner Arbeit der Umwelt und meinen Mitmenschen Schaden zufüge.
Multipel einsetzbare Kleidungsstücke, schmeichelnde Schnitte und hochwertige Stoffe. Dadurch, dass ich selbst eine sensible Haut habe, achte ich sehr darauf, was sich auf der Haut besonders gut anfühlt und verwende zum Beispiel viel Seide und Wolle. Negassi ist ausschließlich „made in Germany“, in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist fair und nachhaltig produziert, ich weiß wer meine Mode genäht hat und woher sie kommt.
Ich finde, es ist meine Aufgabe als Mutter und Weltbürger, darauf zu achten, dass ich weder in meinem Alltag noch mit meiner Arbeit der Umwelt und meinen Mitmenschen Schaden zufüge. Ein zusätzlicher Service meiner Mode ist, dass es Halbkonfektion ist, das heißt, ich gehe auf meine Kundschaft ein und die Kunden können Stücke individuell gestalten.
O je, das war ein ganz langer Weg. Ich wollte eigentlich nie Modedesignerin werden. Aber irgendwie wussten es alle um mich herum.
Ich wollte Ärztin werden. In der neunten Klasse habe ich dann ein Praktikum im Krankenhaus gemacht und gemerkt: Das wird nix. Danach wollte ich Journalistin und Kriegsreporterin werden. Warum? Ich habe als Kind Krieg erlebt. Ich bin als Flüchtling aus Eritrea nach Deutschland gekommen, zusammen mit meiner Mutter und meinen drei Geschwistern. Diese Bilder wird man nie vergessen und ich wollte anderen Menschen helfen.
Nach dem Abi war ich etwas ratlos und bin erst einmal als Au-pair nach Italien gegangen, für ein Jahr. Anschließend habe ich begonnen, Kommunikationsdesign zu studieren – aber das war nichts für mich. Dann dachte ich: Architektur vielleicht? Ich wollte zurück nach Eritrea gehen und helfen, das Land aufzubauen. Also habe ich angefangen, in Lübeck Architektur zu studieren, aber das war auch nichts für mich. Viel zu technisch und das Künstlerische, Kreative hat mir gefehlt. Das Interessante ist, während alle meine Kommilitonen auf Baufachmessen waren, war ich immer auf Modemessen. Aber ich habe immer noch nicht geschnallt, dass ich vielleicht Mode studieren sollte. Ich dachte immer: Ich kann und darf nicht Mode zu studieren, das ist zu oberflächlich, was kann ich damit geben?
Ich habe einen Modedesigner aus Paris kennengelernt, der mich eingeladen hat, bei sich ein Praktikum zu machen. Er hat, vor seiner Modekarriere, auch Architektur studiert und bot mir an, die Mode einmal auszuprobieren.
Ich dachte: Wahnsinn, das ist es! Ich habe mich an der JAK Akademie beworben und auf Rat von Frau Kunz, der JAK-Gründerin, direkt auch für ein Stipendium. Das habe ich bekommen und von da an lief es super.
Ja, ich habe in Paris Praktika gemacht, unter anderem bei Xuly Bet. In New York zuerst bei Donna Karan und dann bei dem Haute Couturier Manolo, der mitten in Manhatten ein Atelier hatte. Zu den Terminen kamen Kundinnen wie Julianne Moore und wurden beraten, wobei die Seidenstoffe direkt am Körper drapiert wurden. Das war super! Eine sehr spannende Zeit. Da sind viele wundervolle Freundschaften entstanden.
Haider Ackermann hat mir gesagt: Bevor du in dieses Modekarrussell springst und nicht mehr herunterkommst, weil es sich immer schneller dreht und man nicht einmal kurz anhalten kann, nimm dir so viel Zeit wie du brauchst.
Ja, viele. Einen ganz wichtigen habe ich von Haider Ackermann bekommen: Bevor du in dieses Modekarrussell springst und nicht mehr herunterkommst, weil es sich immer schneller dreht und man nicht einmal kurz anhalten kann, nimm dir so viel Zeit wie du brauchst.
Klar! Wo bleibt die Zeit für Gedanken, Inspirationen und Kreativität? Der heutige Moderhythmus hat nichts mehr mit Kreation zu tun. Ein immer schnelleres Konsumieren und immer billiger werdende Konsumgüter. Was ich heute geschaffen habe, ist in drei Monaten schon wieder out und kann auf den Müll. Daher habe ich mir den Ratschlag von Haider Ackermann zu Herzen genommen.
Ich bin nach Paris gegangen, weil es für mich die Modehauptstadt ist. Und wenn ich Mode mache, dann möchte ich das auch in der Modehauptstadt tun. Ich habe nebenher noch als Stylistin gearbeitet und mir mein Label langsam aufgebaut. Vor allem das Multikulturelle hat mir in Paris sehr gefallen. In Hannover und Hamburg war ich immer die einzige Dunkle. Und in Paris war während meiner Praktika die ganze Welt versammelt.
Die Liebe. Mein Freund ist in Hamburg geblieben als ich nach Paris gegangen bin. Wir hatten sieben Jahre lang eine Fernbeziehung.
Das war super! Er hat sich auch gefreut. Sonst wäre er gar nicht so oft rausgekommen aus Hamburg. Aber als ich schwanger geworden bin, wollte ich lieber, dass mein Kind auch mit seinem Papa aufwächst. Und das Leben in Deutschland ist entspannter als in Paris. Nachdem ich zurückgezogen bin, habe ich Paris anfangs sehr vermisst, aber inzwischen bin ich froh, hier zu sein. Die Anschläge, die in Paris passiert sind, haben mich so mitgenommen – zumal manche genau in meinem alten Viertel waren … Es ist schrecklich.
Naja, geht so. Ich finde, man muss lange suchen, bis man gute Schneider, Schnittmeister, Produzenten etc. in Hamburg findet. Da ist noch viel zu tun! Vielleicht ist Berlin in dieser Hinsicht ein bisschen besser als Hamburg – aber es ist jedenfalls nicht mit Paris, Mailand oder London zu vergleichen.
In Paris bekommt man als Modedesigner ganz viel Unterstützung.
In Paris ist es sehr gut strukturiert. Man bekommt als Modedesigner ganz viel Unterstützung. Als ich mich entschieden habe, nach Hamburg zurückzuziehen, bekam ich von der Stadt Paris unter anderem eine Boutique angeboten. Es gibt diverse Locations in ganz Paris, die Kreativen zur Verfügung gestellt werden. Außerdem Schulungen dazu, wie man ein Label aufbaut, gründet, Marketing-Seminare usw. … Es gibt so viel Unterstützung! „Fédération du prêt-à-porter“ oder „Chambre Syndicale de la Couture“ – solche Organisationen sind mir in Deutschland nicht bekannt. Der Beruf Modedesigner hat in Frankreich ein anderes Gewicht als hier.
Ja, mit Sicherheit hat es auch etwas mit der Tradition zu tun. Und parallel zur Berlin Fashion Week bräuchte man in Deutschland eben auch diese Organisationen. Da ist noch einiges zu tun.
Eine große Rolle. Ich bin regelmäßig in Eritrea und sehe mich als Eritreerin, obwohl ich die deutsche Staatsbürgerschaft habe und schon ewig hier wohne. Von der Mentalität her bin ich vielleicht inzwischen etwas mehr deutsch als eritreisch. Eritrea ist ein wunderschönes Land, vor allem Asmara, die Hauptstadt, ist sehr besonders.
Bestimmt. Aber vielleicht mache ich es unbewusst. Kundinnen, die meine Mode sehen, sagen schon mal: „Das hat etwas Afrikanisches“. Aber bis jetzt habe ich mir nicht konkret überlegt, etwas Eritreisches in meine Designs einfließen zu lassen.
Oft sind es Details, die einen Anstoß geben. Zum Beispiel hat mich der Kreis als Form sehr interessiert und lange beschäftigt, bezüglich meiner Schnitte.
Dass ich mich in den Kleidungsstücken wohl fühle. Jedes Muster trage ich erstmal selbst, um den Tragecomfort zu überprüfen. Die Kollektionsteile sehen an einer Größe 36 wie auch an einer Größe 42 super aus. Viele Kleider, die ich entwerfe, haben den Bauch-, Po-, oder Hüft-Kaschierer. Meine Kleidungsstücke sollen nicht nur an einem Modelkörper gut aussehen, sondern auch an Frauen mit Kurven. Manche Stücke habe ich auch speziell für stillende Frauen entworfen. Da lässt sich das Shirt vorne dann ganz leicht hochheben, ohne, dass die Frau halbnackt in der Öffentlichkeit sitzt.
Die Bandbreite ist wirklich sehr groß: von 20- bis 70-Jährigen. Meine Kundschaft reicht von der Rechtsanwältin bis zur Hausfrau, von der Schauspielerin bis zur Sportlerin. Ich empfange meine Kundinnen hier im Showroom, lade sie zum Beispiel zum Brunch oder Dinner zu mir ein oder zu einer „Fashion meets Music“-Session, einem Verkaufsevent, bei dem Livemusik dabei ist. Das macht total viel Spaß!
Das funktioniert gut. Es läuft in der Regel über Mund-zu-Mund-Propaganda und ich habe treue Kundinnen. Es ist eine Art Luxus für mich, mein Label so zu führen – unabhängig vom schnellen Rhythmus und dem Druck der Modebranche. Es fühlt sich gut an für mich. Aber ich bin auch gespannt, wie mein erster kleiner Laden auf der Weidenallee ankommen wird.
Hier findet ihr Bisrats Laden:
Weidenallee 57
5 Kommentare
Ein ganz tolles Interview mit einer tollen Frau! Ich finde es grossartig, dass sich Bisrat Negassi dazu entschieden hat, das Modekarussell zu entschleunigen und ihre „leise“ Art der Vermarktung gefunden hat. Und auch wie sie berichtet, dass Umwege manchmal zum Ziel führen, finde ich sehr sympathisch.
Bin begeistert und inspiriert, werde morgen mal dorthin fahren. Hab mir vorgenommen, in 2016 wenig zu Konsumieren, und wenn, dann so nachhaltig und bewusst wie möglich. Da passt dieses Label vielleicht zu mir!
Ich fand dieses Interview ganz interessant. Es ist bestimmt das erste Mal, dass ich ein Interview mit einer schwarze Frau in Deutschland liest.
Also, danke!
Ich fand dieses Interview ganz interessant. Es ist bestimmt das erste Mal, dass ich ein Interview mit einer schwarzen Frau in Deutschland lese.
Also, danke! Ich finde ebenfalls ihr Werdegang inspirierend. Sie wusste nicht unbedingt, dass sie in der Modebranche arbeiten wollte. 🙂