Zurück aufs Land – das ist die Scheune von Architektin Stephanie Thatenhorst

Als Architektin gestaltet Stephanie Thatenhorst mit ihrem (rein weiblichen) Team Restaurants, Privathäuser, Hotels, Shops und mehr. Für sich und ihre Familie hat die 42-Jährige eine Scheune auf dem Bauernhof ihrer Eltern am Chiemsee in ein Wochenenddomizil verwandelt. Seitdem flüchtet sie regelmäßig aus München aufs Land, um den Alltag hinter sich zu lassen. Diese Dualität findet sich auch in Stephanies Arbeit wieder: das Laute, Bunte reizt sie genauso wie das Ruhige – und sie integriert in ihre Designs gerne bewusste „Störer“, um für Überraschung zu sorgen. Wir treffen Stephanie in ihrem Münchner Zuhause und sprechen über den Scheunenumbau, die Liebe zum Unperfekten und ihren bislang größten Auftrag.

 

femtastics: Wie kam es dazu, dass du dich für ein Architekturstudium entschieden hast?

Stephanie Thatenhorst: Nach dem Abitur war ich für zwei Jahre in Australien und Neuseeland, davon ein Jahr als Au-pair bei einer australischen Familie. Mein Au-pair-Vater war und ist Architekt und hat mich immer mit auf seine Baustellen genommen. Er hat im Umland von Sydney ganz tolle Holzhäuser gebaut, das hat mich getriggert. Allerdings hat mir damals der Mut für ein Architekturstudium gefehlt, deswegen wollte ich eigentlich Innenarchitektur studieren. Die Aufnahmeprüfung habe ich aber nicht geschafft und aus der Not heraus habe ich mich doch für Architektur entschieden. (lacht) Im Nachhinein bin ich total froh darüber, weil mir auf diese Weise ein ganzheitlicher, architektonischer Ansatz vermittelt wurde. Es ist als Innenarchitektin durchaus von Vorteil, wenn man mit den Architekten und Handwerkern vor Ort auf Augenhöhe sprechen kann. Ich empfehle all unseren Schülerpraktikant*innen, die Innenarchitekt*innen werden wollen, erst einmal Architektur zu studieren.

Mein Au-pair-Vater war und ist Architekt und hat mich immer mit auf seine Baustellen genommen.

Wann hast du dich entschieden doch in die Interior-Richtung zu gehen?

Daran, dass ich letztlich in der Innenarchitektur gelandet bin, hat mein Mann großen Anteil. Nach dem Studium war ich mit ihm in der Gastronomie tätig. Er hatte damals ein Restaurant, wo ich schon während des Studiums gearbeitet hatte. Als mein Studium beendet war, expandierte er, sodass ich die ersten zehn Jahre vorrangig seine Restaurants habe gestalten können. Was für mich natürlich super war, um in die Selbständigkeit reinzurutschen. Ich habe aber auch noch operativ die Restaurants mit ihm großgezogen, habe dann die Kinder bekommen und kleinere Projekte nebenher gemacht.

Für euer Wochenendhaus hast du die Scheune deiner Eltern im Chiemgau umgebaut. Was hat dich an diesem Objekt gereizt?

Das war wie ein Sechser im Lotto. Mein Vater kam auf uns zu und sagte, er bräuchte das große Heulager nicht mehr, in dem ich schon als Kind gerne gespielt habe. Es ist emotional ein sehr besonderes Projekt – der Hof meiner Eltern, ein denkmalgeschütztes Gebäude, die rückkehrende Tochter – und dann der Spagat, die historische Hülle und den Standort zu respektieren. Das alles nicht zu verfremden und dennoch diesen Jodel-Chalet-Chic vor der Tür und den Zeitgeist und meinen eklektischen Stil dort einkehren zu lassen. Den großen Raum von 11 auf 11 Meter und 7 Meter Giebelhöhe atmosphärisch so hinzubekommen, dass er Gemütlichkeit ausstrahlt, war eine große Herausforderung. Mir war klar, dass ich wahrscheinlich nie mehr die Möglichkeit bekommen werde, solch ein besonderes Bauvorhaben verwirklichen zu können.

Im Chiemgau renovierte Stephanie eine Scheune auf dem Bauernhof ihrer Eltern. Foto: Kerstin Weidemeyer

Foto: Kerstin Weidemeyer

Die Scheune ist emotional ein sehr besonderes Projekt – der Hof meiner Eltern, ein denkmalgeschütztes Gebäude, die rückkehrende Tochter – und dann der Spagat, die historische Hülle und den Standort zu respektieren.

Foto: Kerstin Weidemeyer

Foto: Kerstin Weidemeyer

Foto: Kerstin Weidemeyer

Du hast also versucht den Charakter dieser Scheune zu erhalten?

Genau, an ganz vielen Stellen haben wir ihn erhalten und dennoch mit stilistischen Mitteln etwas Besonderes daraus gemacht, beispielsweise mit andersartigen Möbeln oder Leuchten.

Der Umbau der Scheune hat ziemlich Aufsehen erregt. Woran, denkst du, liegt das?

Eben genau daran, dass wir diese historische, alpenländische Scheune wieder zum Leben erweckt haben und sie dabei ganz anders als mit dem üblichen „Kitzbühel-Chic“ behandelt haben.

Wieso hat es dich überhaupt in die Heimat zurück gezogen?

Ich kann und will meine Wurzeln nicht verleugnen. Als Teenager hat es mich zwar immer in die große, weite Welt hinaus gezogen, und meinem Vater war relativ früh klar, dass ich sicherlich nicht die Hoferbin sein werde. Doch mit zunehmendem Alter entdeckt man die eigentlichen Werte und ich bin wirklich sehr stark verwurzelt. Die Tatsache, dass ich durch meine Herkunft, durch meine Kindheit dieses ganz Bodenständige miterleben durfte, hilft mir jetzt so sehr, dass ich glaube, egal was passieren wird, ich würde niemals Gefahr laufen abzuheben. Diese bodenständigen Wurzeln darf ich jedes Wochenende wieder erfahren. In dem Moment, wenn wir auf diesen Hof fahren, fällt alles von mir ab, und sobald ich aus dem Auto steige, bin ich ein anderer Mensch. Dieser Kontrast und der Tapetenwechsel sind auch für unsere Kinder toll. Allerdings könnte ich mir das eine ohne das andere nicht mehr vorstellen. Ich brauche beides: die Stadt und das Land.

Ich könnte mir das eine ohne das andere nicht mehr vorstellen. Ich brauche beides: die Stadt und das Land.

Seit wann arbeitest du selbständig?

Seit rund fünf Jahren. Ich hatte das Glück, dass mir ein Privatbauherr sein Vertrauen geschenkt hat. Und ich durfte den Brillenladen meines sehr guten Freundes Chris Leidmann gestalten. Dadurch und die Restaurants hatte ich mehrere Referenzprojekte. Durch eine Freundin habe ich schließlich einen Platz in einem Gemeinschaftsbüro bekommen, habe da meinen Rechner aufgestellt und dachte mir: So, jetzt schaust halt mal, ob jemand anruft. Ich wusste außerdem immer, ich kann nicht tief fallen. Dann ging es aber doch alles recht schnell. Und letzte Woche haben wir, in der ehemaligen „Theresa Bar“, zusätzlich einen Showroom für Möbel und Wohnaccessoires eröffnet.

Du designst auch Möbel?

Zum Teil müssen wir Möbel direkt ins Projekt einpassen. Aber vor allem verkaufen wir in unserem Showroom Möbel, die es sonst fast nirgends in München zu sehen gibt, von Firmen, mit denen ich bei meinen Projekten zusammenarbeite. Mit dem Showroom möchten wir vermitteln, dass man als Endverbraucher auch zu uns kommen kann, wenn man nur ein neues Sofa oder eine neue Leuchte sucht. Bisher dachten die Kunden, bei uns müsse man immer das große Planungspaket buchen. Das ist nun nicht mehr der Fall, aber andersrum haben wir den Vorteil, dass wir dem Kunden genau das bieten können.

Was muss eine Wohnung haben, damit du dich wohl fühlst?

Luft für das Unperfekte. In einer Wohnung wird gelebt, da darf es nicht perfekt sein. Es darf auch mal unaufgeräumt sein und Mut zur Lücke geben. Das sieht man ja auch in unserer Wohnung, die ist alles andere als perfekt.

Hast du stilistische Vorbilder?

Es gibt ein paar Musen, von denen ich mich gerne inspirieren lasse. Da ist einmal Vincent van Duysen, den ich toll finde. Er steht für klare Linien, viel Naturmaterialien und erdige Töne. Auf der anderen Seite gibt es das Designerpärchen Dimore in Mailand, die wiederum sehr eklektisch arbeiten, mit viel Farbe und Mut zu besonderen Materialien. Auch von dem Designer- und Architektenpärchen, Marcante Testa, die ebenfalls sehr eklektisch und sehr mutig arbeiten, lasse ich mich gerne inspirieren.

In mir schlummern zwei Welten: einerseits das Schnelle, Laute, Bunte der Stadt, andererseits das Ruhige und Zurückgezogene, am Wochenende auf dem Land. Und genauso agiere ich auch in unseren Projekten. Ich liebe es, mit ruhigen, erdigen Naturtönen zu arbeiten, genauso wie ich auch die Projekte liebe, bei denen wir es richtig krachen und die Farbbombe platzen lassen können. In etlichen Projekten lässt sich beides wunderbar kombinieren.

Wenn es uns gelingt, eine bestimmte Wohlfühlatmosphäre zu erzeugen, dann folgt der Mensch automatisch dem Design, das wir kreieren.

Sollte Architektur deiner Meinung nach dem Menschen folgen oder umgekehrt?

Weder noch, es sollte ein Miteinander sein. Wenn wir am Anfang eines Projektes stehen, befassen wir uns stark mit dem Menschen, der diesen Raum nutzen soll, und folgen primär seinen Bedürfnissen. Schließlich muss er sich bewegen und wohlfühlen können. Wenn es uns gelingt, eine bestimmte Wohlfühlatmosphäre zu erzeugen, dann folgt der Mensch automatisch dem Design, das wir kreieren. Es ist ein Gegenspiel – wir müssen auf den Menschen eingehen, der wiederum muss sich auch auf die Architektur einlassen.

Du arbeitest viel mit Naturmaterialien. Wie kombinierst du diese am liebsten?

Das ist abhängig vom jeweiligen Projekt. Ich lasse die Naturmaterialien gerne unter sich sein, breche das aber auch gerne wieder auf. Manchmal braucht es genau diesen Bruch an einer Stelle. Gerade bei öffentlichen Projekten wie Restaurants oder Hotels muss sich das Auge des Betrachters auch mal an etwas reiben können. Wenn immer alles schön und glatt ist, dann wird es relativ schnell langweilig. Die „Störfaktoren“ sind das, wovon man später zuhause erzählt.

Du bist auch international tätig, wie kam es dazu?

Das ergibt sich einfach. Ein Bauherren-Paar, mit dem ich hier schon arbeiten durfte, ist in die USA gezogen und wollte das Interieur mit mir planen. Gleichzeitig haben sie sich ein Haus in der Toskana zugelegt und da lag es nahe, dass ich das auch mache.

Primär sind wir im deutschsprachigen Raum tätig: Deutschland, Österreich, Schweiz. Wir arbeiten auch international, aber ich forciere das nicht, weil es logistisch richtig schwierig ist, und echt anstrengend, mit Job und Familie.

Was richtest du am liebsten ein?

Ich mache eigentlich alles, und dafür bin ich sehr dankbar und hoffe, dass es auch in Zukunft so bleiben wird. Diese wahnsinnige Vielfalt in unterschiedlichen Projekten zu haben, mit Gastronomie, Hotellerie, privaten Häusern, Arztpraxen, Läden oder Offices – ich brauche diese Vielfalt, sonst bin ich schnell gelangweilt.

Gastronomie, Hotellerie, private Häuser, Arztpraxen, Läden oder Offices – ich brauche diese Vielfalt, sonst bin ich schnell gelangweilt.

Inwieweit ist es gewünscht, dass sich deine Kunden einbringen?

Manchmal sind gerade Privatbauvorhaben ein bisschen anstrengend, obwohl ich die sehr gerne mache, weil sie auch so wahnsinnig emotional sind, aber gewerbliche Kunden sind in der Regel pragmatischer. Ich appelliere an jeden Bauherren, uns zu vertrauen, uns machen zu lassen. Die Projekte, mit denen wir den größten Erfolg hatten, waren diejenigen, die wir in eigener Sache gemacht haben, oder wo uns der Bauherr sein vollstes Vertrauen geschenkt hat. Inzwischen haben wir uns ein Standing erarbeitet, sodass die Kunden wissen, wofür wir stehen – und sie wollen genau das von uns.

Wie entsteht ein Raumkonzept?

Das ist schwer zu beantworten. Das entsteht aus einer Inspiration, einem Keypiece, aus einem Gebäude, einem äußeren Einfluss oder einem Kundenwunsch. Es gibt kein Patentrezept und ich gehe auch ganz unterschiedlich an Bauvorhaben heran. Manchmal sitze ich tagelang da und versuche Dinge zueinander zu bringen, manchmal habe ich sofort Visionen. Oft nutzen wir Pinterest und sammeln dort Ideen, die passen könnten. Aus Zeitgründen lasse ich meine Mitarbeiter manchmal die Erstentwürfe machen und bringe mich erst später mit ein. Aber natürlich gibt es eine Basis, mit der man sich immer auseinander setzen muss, wie den Standort, die Aufgabe an sich und die Menschen.

Dein zwölfköpfiges Team besteht ausschließlich aus Frauen, ist das Absicht oder Zufall?

Das ist Zufall, kein Konzept. Das hat sich so ergeben. Wir würden schon gern den ein oder anderen Mann aufnehmen, aber mittlerweile hätte der ein schweres Standing. (lacht)

Ist das Hotelprojekt in St. Anton, von dem wir vorhin schon gesprochen haben, das, was dich die nächste Zeit beschäftigen wird?

Wir haben sehr viele Projekte, aber die nächsten Monate wird sich die Anzahl der Projekte verringern, weil dieses Hotelprojekt ein sehr, sehr großes ist. Da sitzen fünf Leute dran, weil es zusätzlich ein sehr zeitbrisantes Thema ist. Es soll in einem Jahr schon eröffnet werden, und wir machen dort wirklich alles, von Tiefgarage, über Fitnessraum, bis zur Lobby. Das ist das größte Projekt, was wir bisher umgesetzt haben.

Liebe Stephanie, wir danken dir sehr für das interessante Gespräch.

Hier findet ihr Stephanie Thatenhorst:

Layout: Kaja Paradiek

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