„Die Kunst-Szene wird inklusiver – mehr Künstler*innen trauen sich, ihre Werke zu teilen.“ – Künstlerin Fabienne Meyer aka „Bings“

Fabienne Meyer kreiert farbintensive Ölbilder und ist auch sonst eine kreative Seele. Ihrer Wohnung in Berlin-Kreuzberg sieht man das an. An ihren Wänden hängen kunterbunte Gemälde zwischen lebhaften Fotografien, eine lebensgroße E.T.-Skulptur grüßt von einem Schrank herunter und ein gigantischer Spiegel lässt das warme Wohnzimmer noch größer wirken.

Hier lebt und arbeitet die 27-jährige Künstlerin, die auch unter dem Künstlernamen „Bings“ (@bbbingss) bekannt ist, seit zwei Jahren mit ihrem Freund. „Am Anfang hatte ich ein externes Atelier, aber ich bin nie hingegangen, weil ich mich zu Hause so wohl fühle.“ Vor zwei Jahren ging die Karriere von Fabienne, die eigentlich in der PR-Branche beheimatet ist, via „Instagram“ durch die Decke. Wir haben mit ihr über den Mut zu Neustarts, den Einfluss von Social Media auf die Kunstbranche und die Achtzigerjahre gesprochen.

Wir haben Künstlerin Fabienne Meyer aks "Bings" zu Hause besucht!
Fabienne Meyer, die unter ihrem Künstlernamen „Bings“ bekannt ist, malt ihre großformatigen Bilder zu Hause in ihrer Wohnung – hier haben wir sie besucht!

femtastics: Was war das letzte Bild, das du gemalt hast?

Fabienne Meyer: Vor zwei Jahren habe ich mit meiner ersten Serie „Local Gardens“ angefangen. Ich habe mir auf „Pinterest“ ganz viele Gärten angeschaut. Oder vielmehr ihre Komposition. Wie sind die Wege angelegt? Welche Formen haben die Büsche? In welchem Verhältnis stehen die einzelnen Elemente? Das war die Grundinspiration. Gerade versuche ich zurück zu diesem Ursprung zu finden. Zwischenzeitlich – und ich glaube, das passiert vielen Künstler*innen, die auf „Instagram“ aktiv sind – schaut man viel, was gerade in ist und verliert sich ein bisschen.

Wie entstehen deine Bilder?

Auf dem Boden vor meinem Fernseher. Früher hatte ich ein externes Atelier, aber ich bin nie hingegangen. Ich bin ein Drinnie und verbringe gerne Zeit zu Hause. In meinen eigenen vier Wänden zu malen, macht für mich viel mehr Sinn. Ich sitze auf dem Boden vor meiner Leinwand, der Fernseher läuft und ich schaue einen Film nach dem anderen. Meistens sind es die gleichen zehn Filme, die ich in- und auswendig kenne: „E.T.“, „Stand by me“, „Edward mit den Scherenhänden“. Es sind Filme aus meiner Kindheit, die mir ein nostalgisches Gefühl schenken.

In meinen eigenen vier Wänden zu malen, macht für mich viel mehr Sinn.

Kunst zu machen ist für mich ein völlig natürlicher Prozess.

Sind sie auch deine Inspirationsquelle?

Oh ja! Meine Brüder sind älter als ich, ich bin das absolute Nesthäkchen. Deshalb bin ich, obwohl ich 1995 geboren bin, mit den Einflüssen der Achtzigerjahre aufgewachsen. Gemeinsam haben wir die Filme gesehen, ich verbinde damit viele schöne Momente und es ist sehr ehrlich. Gleichzeitig bewundere ich die außergewöhnliche Bildsprache der Regisseure. Es passiert oft, dass ich einen Film zum hundertsten Mal schaue, ihn an irgendeiner Stelle pausiere, ein Foto von einer Ecke oder einem Detail – zum Beispiel von einem Stuhl – mache und das dann male. Die Referenz sieht keiner außer mir, aber gerade das finde ich schön.

Woher kommt deine Liebe zu Kunst?

Kunst zu machen ist für mich ein völlig natürlicher Prozess. Ich bin in einem total künstlerischen Haushalt ausgewachsen. Meine Mutter malt auch in ihrer Freizeit, sie hat sogar ein eigenes, kleines Atelier im Haus. Mein Papa ist Schriftsteller und sammelt Kunst. Wir haben in jedem Zimmer mindestens fünf Werke oder Skulpturen. Meine Eltern haben die Kreativität meiner Brüder und mir immer gefördert. Ich war dahingehend ein sehr glückliches Kind. Ich habe immer geschrieben, gemalt oder Musik gemacht.

Als Künstlerin „Bings“ bist du nun seit einiger Zeit bekannt. Wie wandelte sich die Kunst bei dir vom Hobby zu einem Beruf?

Ich habe nie gesagt: „Ich werde jetzt Künstlerin.“ Alles lief sehr organisch ab. Es ging damit los, dass ich vor drei Jahren nach Berlin gezogen bin, um in einer PR-Agentur zu arbeiten. Ich hatte ein WG-Zimmer am Maybachufer: 40 Quadratmeter, Altbau, knapp vier Meter hohe Decken. Aber die Wände waren viel zu weiß. Da musste Farbe dran.

Glücklicherweise hatte ich direkt um die Ecke einen kleinen Kunstladen, in dem Leinwände bespannt wurden und man Farben kaufen konnten. Ich bin da einfach mal hin, weil ich meinen Mal-Muskel mal wieder anspannen wollte. Irgendwann hing mein Zimmer voll mit Werken von mir. Währenddessen war ich minimal auf „Instagram“ aktiv, ich hatte vielleicht 500 Follower*innen. Ich habe mein Zimmer und meine Kunst geteilt, einfach, weil ich Lust darauf hatte. Da kamen die ersten Rückmeldungen, keine Anfragen, aber Leute haben mir gespiegelt, dass ihnen gefällt, was ich mache. Das war vor circa dreieinhalb Jahren.

Wie ging es weiter?

Lila und Lisa von „Kunst100“ sind relativ früh auf mich aufmerksam geworden. Sie haben mich über „Instagram“ entdeckt und wurden zu meiner ersten Plattform. Ihr Support war toll. Sie haben mich sehr in die Abläufe einbezogen. Durch sie konnte ich in der „König Galerie“ ausstellen. Das war ein Meilenstein für mich. Seitdem wurde ich viel selbstbewusster und es fiel mir leichter, mich als „echte“ Künstlerin zu sehen. Anfang letzten Jahres ging es dann Schlag auf Schlag: Ich wurde zu Ausstellungen eingeladen, Kooperationspartner*innen kamen auf mich zu, ich habe viel verkauft.

Ich habe nie gesagt: Ich werde jetzt Künstlerin. Alles lief sehr organisch ab.

Vor drei Jahren hat Fabienne ihre eigene PR-Agentur „Supergloo“ gegründet – und hat heute sechs Angestellte.

Mittlerweile habe ich meinen Stil gefunden. Er wird sich bestimmt noch verändern, aber das finde ich gut. Meine Entwicklung soll nicht mit 27 abgeschlossen sein.

Wie würdest du deinen Stil beschreiben?

Manche meinen, er sei kindlich und bunt. Das finde ich sehr heruntergebrochen. Für mich sind meine Werke Nostalgie; die organischen Formen, die Farben, die Geschichten dahinter. Ich möchte Dinge nicht so darstellen, wie sie in Wirklichkeit sind. Wenn ich Stühle male, sind die Beine zum Beispiel immer unterschiedlich lang. Sie könnten niemals stehen.

Als Kind habe ich versucht, Künstler*innen, die ich mochte, zu kopieren. Ich wollte lernen, wie sie malen. Mittlerweile habe ich meinen Stil gefunden. Er wird sich bestimmt noch verändern, aber das finde ich gut. Meine Entwicklung soll nicht mit 27 abgeschlossen sein.

Malst du einfach darauf los?

Hinter meinen Werken steckt viel konzeptionelle Arbeit. Es macht mir einfach viel Spaß, mich länger mit bestimmten Thematiken zu beschäftigen. Für meine letzte Solo-Ausstellung habe ich mich intensiv mit verschiedenen Aberglauben im Sport auseinandergesetzt. Serena Williams wechselt ihre Socken zum Beispiel nur, wenn sie ein Match gewinnt. Verliert sie viermal, spielt sie eben immer im selben Paar. Malt man dann Socken und nennt das Bild „Oh god, I didn’t win“ ist es ein Schmunzler auf den zweiten Blick.

Hätte ich meine Bilder nicht auf „Instagram“ gepostet, wäre alles vielleicht ganz anders gekommen.

In dem schönen Berliner Altbau wohnt Fabienne zusammen mit ihrem Freund.

Hast du noch andere Inspirationsquellen?

Mich ziehen interessante Farben und Formen an. Oft mache ich ein Bild von alltäglichen Dingen wie von einer alten Litfaßsäule, weil ich die Farben toll finde. Ich würde sie dann zwar nicht einfach abmalen, vielleicht aber ein Detail oder die Farben herausziehen. Ich habe einen sehr romantischen Blick auf die Welt.

Wenn ich meine Wohnung verlasse, höre ich meistens Musik aus den Siebzieger- oder Achtzigerjahren, weil ich sonst den Soundtrack aus den Filmen, den Soundtrack meines Lebens, vermisse. Vor Kurzem habe ich, weil ich so verträumt durch die Stadt gelaufen bin, eine komplette Ladung Wasser abbekommen.

Auf „Instagram“ folgen dir fast 17.000 Follower. Welche Rolle spielen die sozialen Medien für deine Karriere?

Hätte ich meine Bilder nicht auf „Instagram“ gepostet, wäre alles vielleicht ganz anders gekommen. Die sozialen Medien haben mir meine heutige Karriere und den Einstieg in die Kunstbranche ermöglicht. Trotzdem hatte ich lange die Befürchtung den Stempel „Instagram-Künstlerin“ aufgedrückt zu bekommen; aber ich wollte nicht in diese Schublade gesteckt werden. In erster Linie ist man schließlich Künstler*in, egal welche Plattform man nutzt.

Wenn man gründet, kann man auch nicht jeden Moment zu 100 Prozent planen, weil sich auf dem Weg so viel ändert.

Es gibt so viele tolle Künstler*innen auf „Instagram“. Warum glaubst du, ist der Stempel „Instagram“-Künstlerin noch immer negativ behaftet?

Ich kann mir vorstellen, dass Menschen die Kooperationen belächeln, obwohl Andy Warhol das mit seiner Factory schon in den Sechtzigerjahren gemacht hat. Kunst war noch nie da, um allen zu gefallen, sondern um mit der Zeit zu gehen und nach vorne zu denken.

Hat sich der Kunstbetrieb durch „Instagram“ und „TikTok“ verändert?

Die Szene wurde – meiner Meinung nach – inklusiver und demokratischer. Viel mehr Künstler*innen trauen sich, ihre Werke zu teilen; auch Menschen, die sonst nur für sich malen, ohne viele Follower*innen können auf „Instagram“ oder „TikTok“ ihren Moment haben. Es sind kostenlose Plattformen, die dir enorm viel Reichweite geben können, wenn deine Kunst gesehen wird.

Wenn ich „Instagram“ öffne und durch den Account einer tollen Künstlerin scrolle, ist es, als würde ich ihre digitale Ausstellung besuchen. Ich entdecke dadurch auch viel neue Kunst. Vor Kurzem habe ich auf „Instagram“ eine Holzkünstlerin aus Los Angels entdeckt und wir haben uns connected. Mit einem Klick, das ist doch toll. Wir haben uns gegenseitig unsere Sachen geschickt. Es ist ein toller Austausch.

Merkst du, dass Künstlerinnen durch „Instagram“ mehr Sichtbarkeit bekommen?

Auf jeden Fall. Und ich habe auch das Gefühl, dass sich Frauen* auf „Instagram“ mit ihrem Support gegenseitig sichtbar machen, sich feiern und unterstützen. Das ist ein positiver Wandel. Man unterstützt sich und bekommt dadurch wieder etwas zurück. Das finde ich toll.

Du bist nicht nur Künstlerin. Während des Corona-Lockdowns hast du auch deine eigene Agentur gegründet. Wie kam es dazu?

Ich wurde arbeitslos. Damit hat es angefangen. Die PR-Agentur, für die ich gearbeitet habe, hat die Zeit nicht überstanden. Meine damalige Chefin hat mir allerdings gleichzeitig den Schritt in die Selbstständigkeit ermöglich. Sie machte es möglich, dass ich die Kund*innen, die bleiben wollte, übernehmen durfte. Mittlerweile sind wir ein Team von sechs Leuten und sind gerade in ein größeres Büro gezogen.

Ihre Bilder stellt Fabienne aka „Bings“ in Galerien aus und verkauft sie via kunst100.com.

Wolltest du dich schon immer selbstständig machen oder war es eine spontane Entscheidung?

Sowohl als auch. Mich selbstständig zu machen, war für mich immer ein Ziel; ich bin einfach der Typ dafür. Aber der Moment war zufällig. Wenn man gründet, kann man auch nicht jeden Moment zu 100 Prozent planen, weil sich auf dem Weg so viel ändert. Ich habe mit Sicherheit tausend Fehler gemacht, aber unterwegs wieder ausgebügelt. Ich bin jemand, der etwas wagt, der das Vertrauen hat, das alles werden wird. Ist man zögerlich und hat bei jedem Schritt Angst, sollte man sich nicht selbstständig machen.

Was sind deine nächsten Schritte?

Gerade fokussieren wir uns verstärkt auf die Arbeit als Kreativstudio. Wir sind in ein neues Büro gezogen, dort haben wir auch einen Raum für Shootings. Nächstes Jahr wollen wir vielleicht unser eigenes Magazin rausbringen. Es ist ein Spielfeld und solange wir die Chance haben, machen wir, worauf wir Lust haben.

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch, liebe Fabienne!


Hier findet ihr Fabienne Meyer aka „Bings“:


Layout: Kaja Paradiek

3 Kommentare

  • Laura sagt:

    Irgendwie hätte ich mir beim Titel – Kunst wird inklusiver – etwas anderes erwartet. Wenn es um mehr Frauen in der Kunst geht ( definitiv notwendig), wäre das Wort gleichberechtigter. Darüber hinausgehend Inklusion auf eine weisse Frau, die sich ein 40 qm Zimmer am Maybachufer leisten kann und aus einer Künstler– ( nicht Arbeiter) Familie stammt anzuwenden – scheint mir fernliegender. Das Zitat ist von ihr, ich frag mich warum ihr es nach oben gezogen habt. Wenn ihr etwas über Inklusion schreiben wollt dann müsstet ihr mal ne andere Homestory als die (überwiegend) weissen, reichen Frauen ohne Behinderung suchen. Ich würds gerne lesen, und würd mich freuen wenns nicht bei einer Quotengeschichte bleibt

    • Lisa van Houtem sagt:

      Hallo Laura, vielen Dank für deine Rückmeldung! Es ist uns immer ein Anliegen, diverse Personen und ihre Geschichten hier bei femtastics zu zeigen, was wir in der Vergangenheit auch schon gemacht haben, siehe unsere Interviews mit Laura Gehlhaar oder Anastasia Umrik. Wir nehmen dein Feedback sehr ernst und werden auch künftig ein Augenmerk darauf legen, verschiedene Lebensrealitäten hier zu zeigen.
      Liebe Grüße,
      Lisa (Chefredaktion)

  • Ina sagt:

    So ein schönes und interessantes Interview! Vielen Dank für die schönen Hintergrund Infos von Fabienne.

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