Von Bonbonverpackungen zum Teppich: Den „Candy Wrapper Rug“ von „Nomad“ wollen jetzt alle haben!

Die Sonne scheint als wir Jutta Werner in ihrem Atelier in Hamburg-Harvestehude besuchen. Zum Glück! So stehen wir staunend vor den glitzernden Teppichen, deren metallische Fäden die Sonnenstrahlen einfangen und bei jeder Bewegung wie Chipstüten rascheln. Ein Vergleich, der gar nicht so weit hergeholt ist.

Mit 18 Jahren ist Jutta Werner von Westfalen nach Hamburg gezogen, mit 25 machte sie sich als Designerin selbstständig. Heute sitzt die 51-Jährige in ihrem lichtdurchfluteten Atelier. Nachdem sie jahrelang für Interior-Kunden wie „Ligne Roset“, „Dedon“ oder „JAB Anstoetz“ Kollektionen kuratiert, Fotoshootings organisiert und Messestände betreut hat, liegt ihr Augenmerk seit vergangenem Jahr auf ihrer eigenen Brand für Upcycling Rugs: „Nomad“. Ein Stockwerk tiefer befindet sich seit Kurzem auch ihr Showroom. „Das ist super. So kann ich einfach schnell runter springen, wenn sich jemand die Teppiche ansehen will.“, sagt Jutta und lacht. Punkt und Komma? Sind nichts für sie. Jutta ist eine begnadete Geschichtenerzählerin und nimmt uns mit auf einer Reise nach Indien. Außerdem sprechen wir mit ihr über die Zukunft der Interiorbranche und sie erklärt, warum Kooperationen so wichtig sind.

Der Showroom von „Nomad“ befindet sich in der Oberstraße in Hamburg.

femtastics: Jutta, du hast dich direkt nach deinem Studium selbstständig gemacht. War das von Anfang an dein Plan?

Jutta Werner: Ich bin im Möbelhandel aufgewachsen. Mein Vater hat für eine Möbelfirma gearbeitet und mich schon als 16-Jährige mit auf Messen genommen. Dann habe ich Architektur studiert, bin über einen großen Kunden aber schnell in den Textilbereich gekommen. Die haben mich quasi aus dem Studium heraus engagiert. Und auf einmal habe ich mit 23 den größten Messestand auf der „Heimtextil“ Messe verantwortet.

Wieso hast du entschieden, dich auf „Nomad“ und deine eigenen Entwürfe zu fokussieren?

Ich habe schon länger damit geliebäugelt, aber es kam immer das nächste Projekt und ich habe den Gedanken wieder verworfen. Ich habe viel kuratiert, als Speakerin gearbeitet, einen Spiegel für „Ligne Roset“ entwickelt, …. Und viele Jahre lang war das perfekt. 2020 war dann wie ein Kick: Immer mehr Leute haben nach dem „Candy Wrapper Rug“ gefragt, den ich 2018 entwickelt habe. Da dachte ich mir: „Okay, jetzt ist die Zeit.“ Man muss sich dann auch trauen. Ich glaube sehr an mein Label und bisher läuft alles gut. Es fühlt sich einfach richtig an. Ich bin dankbar, dass ich Themen in meinem Leben habe, die mich wirklich begeistern, und dass ich andere damit anstecken kann. So ein Feuer ist ein Geschenk!

Die Schnüre werden aus alten Bonbon- und Plastikverpackungen produziert. Eine Freundin von mir hat neulich sogar die Verpackung ihrer liebsten Süßigkeit in einem Teppich gefunden.

Vor uns auf dem Boden glitzert der „Candy Wrapper Rug“, der zum Teil aus alten Bonbonverpackungen besteht. Wie hast du dieses besondere Material gefunden?

Ich bin mit einem befreundeten Fotografen durch den Himalaja gereist. Auf den Märkten hingen an fast jedem Stand glitzernde Schnüre. Das hat mich neugierig gemacht. Die Leute binden damit Heu zusammen. Eigentlich bin ich kein Fan von Glitzer, aber das fand ich faszinierend und habe ein Knäuel gekauft.

Die Schnüre werden aus alten Bonbon- und Plastikverpackungen produziert. Eine Freundin von mir hat neulich sogar die Verpackung ihrer liebsten Süßigkeit in einem Teppich gefunden. In der Sekunde, als ich das Knäuel in der Hand hielt, wusste ich genau, wie der Entwurf aussehen soll. Weil die Schnüre glitzern, wollte ich sie mit Schurwolle – einem stumpfen Material – verbinden. Das Besondere ist: Ich kann nicht steuern, wie der Teppich am Ende aussehen wird. Wenn wir dreimal das Modell „White Sand“ bestellen, bekommen wir drei unterschiedliche Teppiche. Ich kenne keinen Rug, der so individuell ist. Es hängt davon ab, wie der Webstuhl eingespannt ist, wer ihn webt und welche Farbe der Abfall hatte. Der Charakter kann je nachdem sanfter oder wilder sein.

Von der ersten Idee bis zur Lancierung: Wie lange hat die Entwicklung gedauert?

Wir haben bestimmt eineinhalb Jahre daran gearbeitet. Obwohl der Teppich recht simpel aussieht, steckt viel Entwicklungsarbeit dahinter. Die Schnüre verhalten sich anders als normales Garn und müssen auch entsprechend anders gewebt werden.

Durch meine Aufenthalte bin ich mit Indien und meiner Weberei sehr eng verbandelt. Sie sind meine Familie. Wir facetimen fast jeden Tag, haben eine WhatsApp-Gruppe, ich kenne die Gesichter meiner Weber*innen und arbeite vor Ort mit ihnen.

Du lässt deine Teppiche in Indien fertigen …

Indien liebt oder hasst man. Es gibt keinen Mittelweg. Und ich liebe es. Seit 2013 bin ich bestimmt zehn bis 12 Mal nach Indien gereist. Durch meine Aufenthalte bin ich mit dem Land und meiner Weberei sehr eng verbandelt. Sie sind meine Familie. Wir facetimen fast jeden Tag, haben eine WhatsApp-Gruppe, ich kenne die Gesichter meiner Weber*innen und arbeite vor Ort mit ihnen. Manche Hersteller schrecken vor Indien zurück. Bei uns arbeiten natürlich keine Kinder, die Löhne sind gut. Ich will, dass wir zusammen etwas erarbeiten. Ich habe auch deutsche Webereien angefragt, aber das funktioniert nicht – wegen der Löhne, die die Teppiche viel zu teuer machen würden, und der Handwerklichkeit. Die Webstühle in Deutschland sind ganz anders; sie können mit so grobem Material nicht umgehen.

Apropos, woher bekommt ihr eure Materialien?

Die Materialien, die ich benutze, werden alle in der Region von meiner Weberei gesourced. Das Garn gibt es auf den Märkten in den unterschiedlichsten Farben und Ausführungen. Jede Region hat ihre eigene Quelle.

Woraus bestehen eure anderen Teppiche?

Für den „Coco Rug“ verweben wir Schaffellreste. Der „Rubber Rug“ besteht aus alten, in Streifen geschnittenen Fahrradschläuchen. Er ist ein echter Architekt*innenliebling. Mir war wichtig, drei unterschiedliche Kollektionen zu haben, die verschiedene Geschmäcker bedienen und trotzdem dem gleichen Gedanken folgen: mit übrig Gebliebenem zu arbeiten und unifarben zu bleiben.

Es gefällt mir, mit dem zu arbeiten, was man findet, es neu zu designen und neu zu denken.

Upcycling ist fest in der DNA von „Nomad“ verwoben. Kannst du kurz erklären, worin der Unterschied zu Recycling besteht?

Bei Recycling wird aus einem Material ein neues Material. Beim Upcycling benutzen wir ein Material, das schon da ist, und setzen es in einen neuen Kontext. An dem Material selbst verändern wir nichts. Die Schnüre beispielsweise gibt es schon und wir machen aus ihnen etwas Neues. Noch mal Energie aufzuwenden, um sie in eine andere Materialität umzuwandeln, fände ich nicht gut. Es gefällt mir, mit dem zu arbeiten, was man findet, es neu zu designen und neu zu denken.

Hast du ein Motto für deine Arbeit?

Unsere Leitsätze „One of a kind design rugs“ und „Rugs for individualists“ sagen es ganz gut. Wir wollen ein einzigartiges Produkt auf Highend-Niveau schaffen. Ein Produkt, das eine künstlerische, individuelle Seele hat, das wir aber trotzdem in Serie produzieren können. Nach diesen Gedanken prüfe ich jedes neue Design.

Über die Jahre durfte ich viele Erfahrungen sammeln. Die stecke ich jetzt alle in mein Herzensprojekt „Nomad“. Das heißt nicht, dass ich davor unglücklich war. Ich habe immer gerne gearbeitet und mochte die Projekte, die ich realisiert habe. Aber jetzt ist die „Nomad“-Zeit. Es hat noch nie einen besseren Zeitpunkt gegeben, um kreativ zu arbeiten. Vieles ist so glattgebügelt. Mit „Nomad“ besetzen wir eine Lücke im Markt. Wir versuchen Sachen zu machen, die nicht laut sind, aber innovativ.

Ihr definiert euch als nachhaltige Marke. Was bedeutet das für dich?

Nachhaltig zu arbeiten heißt nicht nur, ein Material wiederzuverwenden, das es schon gibt. Das machen wir. Für mich stehen besonders Transparenz und ethisches Handeln im Fokus. Die Weber*innen werden gut behandelt und fair bezahlt, sodass sie davon leben können.

Mir ist Nachhaltigkeit wichtig. Es gehört zu meinem Gedankengut. Trotzdem möchte ich nicht, dass „Nomad“ ausschließlich als nachhaltiges Label wahrgenommen wird. Ich möchte die Marke über einen speziellen Look aufbauen. In meinen Teppichen verarbeite ich 20 Prozent Plastikschnüre. Damit rette ich nicht die Welt. Aber ich kann andere animieren und Aufmerksamkeit schaffen. Ich versuche meinen Beitrag zu leisten. Wenn du Kinder hast, ist dein Ansporn noch ein bisschen größer. Du hast Menschen vor Augen, die du liebst, und du willst, dass es für sie gut weitergeht. Das ist mein Motor.

Was uns am meisten ausmacht, ist, dass wir ehrlich, transparent und inspirierend sind. Wie ein bunter Blumenstrauß.

Ich versuche meinen Beitrag zu leisten. Wenn du Kinder hast, ist dein Ansporn noch ein bisschen größer. Du hast Menschen vor Augen, die du liebst, und du willst, dass es für sie gut weitergeht. Das ist mein Motor.

Immer mehr Unternehmen springen auf den Nachhaltigkeitszug auf. Glaubst du, das ist mehr als ein Trend?

Es ist eine echte Veränderung. Bald werden wir gar nicht mehr darüber sprechen, wenn etwas speziell nachhaltig ist. Das sind Aspekte, die wie Zähneputzen dazugehören. 2020 sind nachhaltige Konzepte wie Pilze aus dem Boden geschossen. Da gibt es auch viel Greenwashing. Ein großes Unternehmen kann seine Produktion nicht innerhalb von einem Jahr komplett umstellen. Manche, die die finanzielle Power haben und darauf achten, stellen langfristig um. Das sind Prozesse.

Wie siehst du die Zukunft der Interiorbranche?

Der Markt wandelt sich gerade extrem. Das konnte man schon vor Corona beobachten. Aus meiner Sicht findet im Moment eine Verarmung statt. Die Branche wird auf eine Handvoll Designer*innen reduziert, die du überall siehst, weil sie in PR und Marketing sehr stark sind. Ein positives Beispiel ist Sebastian Herkner. Er macht coole Produkte und hat den Markt die letzten Jahre stark beeinflusst, weil er viele Marken bedient. Dadurch ist er sehr präsent. Es gibt aber auch viele Designer*innen ohne Inhalt. Man muss aufpassen, dass die Branche nicht von zehn Leuten beherrscht wird.

Gerade gibt es sehr viel Interior-Design, das nach dem „Copy-Paste-Prinzip“ funktioniert, das dem Zeitgeist gefallen will und auf bereits existierende Trends aufspringt. Deshalb gibt es andersherum wiederum eine große Chance für Design, das ganz neu und innovativ ist, und einen Nährboden für Kreative, die sich Zeit nehmen, tief in den Gestaltungsprozess einzutauchen und etwas wirklich Eigenes zu schaffen. „Produce less but produce well“ ist auch ein Mantra von „Nomad“.

Um dem entgegenzuwirken: An welchen Projekten arbeitest du mit „Nomad“ aktuell?

Im Moment fahren wir nicht zwei-, sondern zehngleisig. Wir haben den Showroom, den wir im nächsten Jahr interaktiv nutzen wollen. Wir bringen den „Candy Wrapper Rug“ in einem kleineren Format fürs Badezimmer raus. Das ist eine schöne Einstiegsgröße, wenn man noch nicht zu 100 Prozent sicher ist, ob man das Material gut findet. Der „Candy Wrapper Rug“ ist generell ein Dauerbrenner. Wir werden ihn noch in unterschiedlichen Farbeditionen produzieren. Parallel arbeiten wir an unserem ersten Lookbook. Outdoor wird ein Thema sein. Außerdem arbeiten wir an einem neuen Upcyclingmaterial. Dafür möchte ich eine Kooperation mit einer dänischen Designerin eingehen. Wer es ist, verrate ich noch nicht. Es wird auf jeden Fall spannend.

Gerade gibt es eine gr0ße Chance für Design, das ganz neu und innovativ ist, einen Nährboden für Kreative, die sich Zeit nehmen, tief in den Gestaltungsprozess einzutauchen und etwas wirklich Eigenes zu schaffen.

Spielen Kooperationen für „Nomad“ generell eine Rolle ?

Für mich könnten sie sogar eine noch größere spielen. Ich bin ein Riesen-Fan von Kooperationen – wenn sie nicht nach der Anzahl von Follower*innen ausgesucht werden, sondern weil es inhaltlich passt. Wir bekommen auch Anfragen von Influencer*innen. Habe ich das Gefühl, das sind wir nicht, dann lehnen wir ab. Ich will nicht nur Reichweite bekommen.

Damit die inhaltliche Kreativität nicht nachlässt, sind Kooperationen toll. Als Produzent*in ein Projekt von Anfang bis Ende zu begleiten, ist unglaublich zeitintensiv. Du hast nicht immer den Kopf frei, um das allerneueste Design zu entwerfen. Dafür braucht man Muße. Es ist großartig, wenn andere Leute ihren Input geben. Ich hoffe, das können wir weiter ausbauen.

Mit wem würdest du gerne kooperieren?

Ich würde super gerne etwas mit „Pulpo“ machen. Sie schaffen eine ähnliche Gratwanderung wie „Nomad“ – irgendwo zwischen Serienprodukt und Kunst. Zu ihnen würde der „Candy Wrapper Rug“ gut passen.

Hast du das Gefühl, dass der Support unter Designerinnen zunimmt?

Auf jeden Fall. Gerade Designerinnen connecten und supporten sich sehr stark untereinander. Natürlich passiert das auch aus der Not heraus. Wenn wir es schaffen wollen, brauchen wir andere Frauen. Es gibt vielleicht eine Handvoll erfolgreiche Designerinnen wie Patricia Urquiola oder Inga Sempe, die in der Oberliga mitspielen. Wenn du Männer aufzählen solltest, hättest du gleich mehrere an der Hand.

Ist auch die restliche Interiorbranche in den letzten Monaten enger zusammengerückt?

Zusammenrücken klingt so kuschlig. Im Kreativzweig der Interiorbranche findet aktuell ein großer Wandel statt. Die Vernetzung unter Kreativen wird immer besser und offener. Ich denke, die gesamte Interiorbranche, also der Handel, die Manufakturen, hat sich strukturell noch nicht verändert. Das kommt erst noch. Aktuell denken viele, wenn alle geimpft sind, wird es weitergehen wie vorher. Daran glaube ich nicht. Durch Corona wird sich die Interiorbranche ganz stark verändern.

Wir sind sehr gespannt, wie es weitergeht. Vielen Dank für das offene Gespräch, liebe Jutta!

 

Hier findet ihr „Nomad“:

 

Layout: Kaja Paradiek

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