Eine Depression führte zum Traumjob: Julia Haneke vom Regal-Label Stocubo

27. Februar 2018

Wer wohnaffinen Instagrammern folgt, dem ist sicherlich schon mal ein Regal vom Berliner Label Stocubo begegnet – Cubes werden mit Klammern und ganz ohne Schrauben zu Regalen und Sideboards verbunden, fair und nachhaltig in Deutschland produziert. Dahinter steckt Julia Haneke. Die 35-Jährige wollte eigentlich in einer Anwaltskanzlei Karriere machen, hat aber schnell gemerkt, dass sie dort nicht glücklich wird. Eine Erschöpfungsdepression und ein Zufall brachten sie zu Stocubo: Dort ist sie vor fünf Jahren eingestiegen und hat vor zwei Jahren die Geschäftsführung des Unternehmens, das 2011 von einem Tischler gegründet wurde, übernommen. Wir haben die erfolgreiche Berlinerin in ihrer schönen Altbauwohnung in Kreuzberg und in der Produktion in Wedding getroffen und mit ihr über Wohnen in der Zukunft, ihren Quereinstieg und den Weg zu einer guten Work-Life-Balance gesprochen.

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Julia lebt in einer 4-Zimmer-Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Zwei Tage in der Woche arbeitet die Geschäftsführerin ganz bewusst im Homeoffice – warum, verrät sie im Interview.

femtastics: Was ist die Grundidee hinter Stocubo?

Julia Haneke: Die Grundidee war, ein Möbelstück zu erschaffen, das alles kann und überall mit hinzieht ohne, dass Werkzeug benötigt wird. Daraus ist mittlerweile ein ganzes System entstanden. Man kann sich mit Stocubo sein eigenes Regal passend zu seinen Bedürfnissen und der jeweiligen Situation zusammenstellen, es beliebig umbauen und erweitern. Es passt sich dem Leben an.

Einige unserer designaffinen Leserinnen und Leser werde jetzt sagen: Moment mal, das System kenne ich doch schon von einer großen skandinavischen Brand …

Wir werden oft darauf angesprochen. Unser Gründer hatte die Idee bereits 2000 und ließ einen Geschmacksmusterschutz erstellen, ein Patent war leider nicht möglich. Der Schutz war zehn Jahre lang gültig – und just als er abgelaufen war, kam Muuto mit einem Stecksystem auf den Markt, mit einer Verbindungsklammer aus Aluminium. Sehr ähnlich wie unser System. Unser Gründer hat versucht, juristisch dagegen vorzugehen, aber das war David gegen Goliath. Wir haben dann beschlossen, es als Auszeichnung zu sehen, wenn so ein großes Label wie Muuto das gut findet und übernimmt.

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Hallo, Hausbar! Die Stocubo-Cubes können auch einzeln in Szene gesetzt werden.

Mittlerweile sind ein paar weitere Brands mit auf den Zug aufgesprungen. Was ist euer Alleinstellungsmerkmal?

Was uns von den neuen Marken unterscheidet, ist vor allem, dass wir ein gewachsenes Unternehmen aus diesem Produkt heraus sind. Wir haben uns das handwerkliche Know-how angeeignet und sind dann in Produktion gegangen. Wir produzieren unter fairen Bedingungen in Berlin und unser Holz ist zertifiziert, es stammt aus europäischen Wäldern. Die Konkurrenz lagert das alles aus, nach Polen oder noch weiter östlich. Das war schon vor der Gründung unser Anspruch: zu zeigen, dass es möglich ist, hochwertig in Deutschland zu produzieren, zu einem fairen Preis-Leistungsverhältnis.

 

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In Zukunft wird man mit weniger Raum auskommen müssen und die Wohnungssituation wird tendenziell öfter verändert werden. Diesen Trend können wir gut bedienen.

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Wie schafft ihr es, erschwinglich zu bleiben, obwohl ihr in Deutschland produziert?

In dem man als Unternehmen langsam und stetig wächst. Wir haben eine sehr hohe Kundenbindung, unsere Kunden sind vom Produkt und von allem drumherum begeistert und bestellen dazu. Während das Produkt bei der Konkurrenz eher starr ist, wächst es bei uns mit und lässt sich ständig erweitern oder ändern. Dadurch, dass wir ausschließlich auf Direktvertrieb setzen, haben wir keine Händlermargen, was sich auf den Preis auswirkt.

Außerdem ermöglicht der Online-Handel es, diese Preise anzubieten, weil wir uns Ladenmieten sparen und wir eine ganz andere Reichweite haben. Wir verkaufen im gesamten deutschsprachigen Raum, also auch in die Schweiz und nach Österreich. Dadurch ist Wachstum möglich.

Die Möbel von Stocubo lassen sich flexibel verändern und euer System kommt ohne Schrauben aus. Glaubst du, dass das die Zukunft der Möbelbranche ist? Möbel ohne Schrauben, die sich den Lebensbedingungen anpassen?

Das glaube ich auf jeden Fall! Die Funktionalität und Flexibilität wird immer wichtiger, um mit Möbeln auf kleinem Raum leben zu können. Das wird sich so schnell nicht ändern, man schaue nur auf die Mietpreisentwicklung. In Zukunft wird man mit weniger Raum auskommen müssen und die Wohnungssituation wird tendenziell öfter verändert werden. Diesen Trend können wir gut bedienen. Ich selbst baue meine Regale zu Hause auch gern und viel um.

Für mich war schnell klar, dass Jura nicht meine Leidenschaft fürs Leben werden wird.

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Wie werden wir in der Zukunft wohnen?

Das ist eine spannende Frage. Ein Trend ist, dass wir nicht mehr so viel anschaffen und aufbewahren werden – weniger ist mehr. Im Zuge der Digitalisierung hast du beispielsweise keine CD-Regale mehr oder Bücher, die durch den digitalen Wandel wegfallen. Da wird sich sicherlich noch mehr verändern. Das ist auch für uns eine spannende Frage und Herausforderung, weil wir ja eigentlich Stauraum verkaufen. Das Gute auf der anderen Seite ist aber, dass man immer Dinge haben wird, die man gerne aufbewahren oder besonders zur Geltung bringen möchte.

Und im Zuge der Digitalisierung spielt auch das Thema „Rückzusgorte schaffen“ und das gerade etwas überstrapazierte Wort „Hygge“ eine immer größere Rolle …

… man möchte sich sein Zuhause individuell gestalten weg von einmal eine ganze Wohnwelt anschaffen und damit ist alles fertig. Das wird durch den Einfluss von Social Media noch stärker werden. Das Privatleben wird nach außen gekehrt, das Bedürfnis nach Individualisierung wird dadurch immer größer. Das spricht für kleinere Labels wie uns. Wenn man sich neu und schön einrichten möchte, hat man einen Bezug zu unseren Stücken, man weiß, wo sie herkommen. Alles wird manuell gefertigt und kommt nicht anonym von einer großen Kette. Dass ein junges Team dahinter steckt und es echte Wertarbeit ist, wird für Kunden immer wichtiger.

 

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Du bist Juristin. Wie bist du bei einer Tischlerei mit angeschlossenem Onlineshop gelandet?

Für mich war schnell klar, dass Jura nicht meine Leidenschaft fürs Leben werden wird. Ich wollte immer raus und in kleineren Unternehmen arbeiten – besonders das Feld Geschäftsführung hat mich gereizt.

Ich habe mir ein halbes Jahr Auszeit genommen – das war für mich der Anlass, mein Leben zu hinterfragen und nochmal neu zu überlegen, was ich eigentlich wirklich will.

Was hat dir bei deinem Beruf als Juristin gefehlt?

Jura ist ein spannendes Gebiet und intellektuell sehr anspruchsvoll. Es macht richtig Spaß, wenn Regeln, die vor 150 Jahren entstanden sind, auch heute noch anwendbar sind. In der Praxis bedeutet das aber, dass man ganz viel allein in seinem Büro sitzt, Fälle und Akten bearbeitet und wahnsinnig ins Detail geht. Mir macht es viel mehr Spaß, mit Menschen im ständigen Austausch zu sein, Dinge zu steuern und strategisch zu denken.

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Gab es einen bestimmten Impuls für deinen Jobwechsel?

Ich habe in einer Großkanzlei gearbeitet und nach einiger Zeit Erschöpfungs-Depressionen bekommen – ich bin quasi auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Ich habe mir ein halbes Jahr Auszeit genommen. Das war für mich der Anlass, mein Leben zu hinterfragen und neu zu überlegen, was ich eigentlich wirklich will.

Die Depression war das Beste, was mir passieren konnte.

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Fiel es dir leicht, deinen Erschöpfungszustand anzuerkennen und dir eine Auszeit zu nehmen?

Es war eine harte Zeit, von hundert auf null ausgebremst zu werden und erstmal damit klarzukommen. Es war schwierig, aber im Nachhinein ist es für mich wahnsinnig positiv behaftet, weil ich die Möglichkeit hatte, alles offen und ehrlich zu hinterfragen. Das hat mich frei gemacht! Es klingt vielleicht blöd, aber die Depression war das Beste, was mir passieren konnte. Die Jura-Welt ist ein hartes Korsett, in dem du gefangen bist und Hochleistungen erbringen sollst. Es war eine große Befreiung, auszubrechen.

Wie hat sich dein Posten als Geschäftsführerin bei Stocubo ergeben?

In dieser Zeit habe ich zufällig über einen Freund den Gründer von Stocubo kennengelernt. Seine Geschäftspartnerin war gerade ausgestiegen. Erstmal sollte ich ihn ein bisschen unterstützen, wir waren uns aber sofort einig, dass ich als stellvertretende Geschäftsführerin einsteige. Er hat den kreativen und künstlerischen Part übernommen, ich war für den organisatorischen Aufbau und die Strukturen verantwortlich und habe die Verwaltung und den Vertrieb aufgebaut. Außerdem war ich für die Prozessoptimierung zuständig, damit wir die hohe Nachfrage bewältigen konnten. Es war ganz viel Learning by Doing, weil wir beide das vorher noch nie gemacht hatten.

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Besonders in Julias Küche wird deutlich, wie flexibel man Regale mit den Stocubo-Cubes gestalten kann.

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Du bist Quereinsteigerin. Hast du das Gefühl, dass Frauen sich manchmal zu wenig zutrauen und sich zu viele Gedanken machen, bis sie sich auf einen Job bewerben, der nicht zu 100 Prozent ihren Qualifikationen entspricht?

Total, das kenne ich ja auch von mir selbst. Vorher habe ich mich auch nicht getraut, ich dachte, ich habe ja nur Jura studiert und nichts anderes. Das Risiko bei Stocubo war nicht so hoch, es war eine kleine Firma. Außerdem hatte der Gründer so etwas vorher auch noch nie gemacht, wir beide konnten uns nur positiv ergänzen. Ich kann nur jedem raten: Probiert es einfach aus! Du wirst in einem BWL-Studium nicht besser auf die Geschäftsführung in einem Möbelunternehmen vorbereitet. Man darf keine Angst haben, wenn man für den Job vielleicht nicht die perfekte Qualifikation auf dem Papier hat. Hauptsächlich braucht man einen gesunden Menschenverstand und ein wirtschaftliches Grundgespür. Damit ist man schon bestens gewappnet, die Herausforderung anzunehmen.

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Männer denken darüber gar nicht nach, die machen einfach! Die fordern Sachen ein, auch wenn sie nicht perfekt dafür qualifiziert sind.

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Was muss man mitbringen, um bei dir als Mitarbeiter/In im Unternehmen aufzusteigen?

Sehr viel Eigeninitiative und selbstständiges Arbeiten. Verantwortung für Probleme übernehmen und sich in die Lösung dieser einbringen. Man sollte auch eigene Ideen vorbringen und sich dafür einsetzen, sie umzusetzen. Wenn ich sehe, dass jemand für die Sache brennt und ich mich voll auf sie oder ihn verlassen kann, sind das Personen, die ich dann mehr einbinde und fördere. Ich bin ein großer Fan davon, Aufgaben so zu vergeben, dass die Mitarbeiter eigenständig daran arbeiten, ohne dass ich kontrollieren oder nachhaken muss. Man sieht sehr schnell, wer Potenzial hat, ein Team oder einen Bereich zu führen.

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Wir machen uns auf den Weg in die Produktion nach Berlin-Wedding.

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Hast du einen Tipp für Frauen, die in einem Unternehmen Karriere machen wollen?

Es kommt auf die jeweiligen Rahmenbedingungen an. Im juristischen Umfeld musst du dich als Frau viel mehr beweisen. Selbst wenn du schon Kinder beziehungsweise Familie hast, sollst du trotzdem ehrgeizig und ambitioniert sein. Ich denke, man muss nach vorne gehen und sich trauen zu sagen, was man kann und selbstbewusst in Erscheinung treten. Ich habe gelernt, dass man ein Stück weit dieses „Spiel“ mitspielen muss, um dann selbst die Spielregeln zu ändern. Man darf sich nicht unterkriegen lassen und nicht daran zweifeln, ob man sich das zutraut. Männer denken darüber gar nicht nach, die machen einfach! Die fordern Sachen ein, auch wenn sie nicht perfekt dafür qualifiziert sind. Geht einfach raus und probiert es aus!

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Die Cubes werden auf dem ExRotaprint-Gelände in Wedding produziert – der Showroom liegt nur einige hundert Meter entfernt in der Exerzierstraße.

 

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„Bei uns sind einige Leute beschäftigt, die 25 bis 30 Stunden bei uns arbeiten und parallel dazu zum Beispiel in Finnland Punk-Rockstars sind. „

Dein Tag ist wahrscheinlich sehr vollgestopft mit Terminen und Meetings. Wie schaffst du dir Freiräume, um über Visionen fürs Unternehmen nachzudenken?

Das ist tatsächlich eine große Herausforderung. Ich habe jetzt mal wieder den festen Vorsatz gefasst, in diesem Jahr nicht nur einen Homeoffice-Tag zu machen, sondern zwei. Das habe ich bis jetzt auch konsequent durchgehalten. Einfach, um mich aus diesem Meeting-Marathon rauszuziehen und konzentriert an strategische und visionäre Themen herangehen zu können. Ich habe immer noch ausreichend viele Termine, aber ich achte darauf, dass ich eine gute Life-Work-Balance habe. Ich fahre regelmäßig in den Urlaub, um den Kopf frei zu kriegen. Da kommen mir immer gute Ideen und Gedanken. Dieser Ausgleich ist wichtig, damit ich im Kopf noch Platz für das Leben habe, was hier draußen stattfindet und Spaß macht. Aber in einem wachsenden Unternehmen ist natürlich immer viel zu tun. Letztes Jahr haben wir Strukturen aufgebaut, sodass ich mich aus dem Tagesgeschäft herausziehen kann. Dieses Jahr wollen wir uns um die Marketing- und Sales-Strategien kümmern und schauen, wie wir uns weiter aufstellen können.

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„2016 haben wir mit Stocubo 1,6 Millionen Euro umgesetzt.“

Wie schaffst du dir eine gute Work-Life-Balance?

Ich bin sehr konsequent und rechne mir im Kopf aus, wie viele Stunden ich gearbeitet habe und überlege, wie ich Mehrstunden ausgleichen kann. Im Prinzip kannst du ja immer am Schreibtisch sitzen, man wird eh nie fertig. Ich finde es ganz wichtig, dass man sich dessen bewusst ist und auch zu einer vernünftigen Zeit Schluss macht. Ich nehme den Laptop ganz oft gar nicht mit nach Hause und meine Mails werden nur von Montag bis Freitag in der Zeit von 9 bis 19 Uhr abgerufen. Ich habe mich auch bewusst dagegen entschieden, mir unsere Umsatzzahlen über das Handy angucken zu können. Das ist zwar verlockend, bringt einen aber nicht wirklich weiter. Das Abschalten ist sehr wichtig.

Hast du einen Tipp für Gründerinnen und Gründer, die gerade ein Unternehmen aufbauen?

Das Allerwichtigste ist Personalführung und -entwicklung. Da stecke ich auch die meiste Arbeit rein. Wenn man von Anfang an darauf achtet, sich ein gutes Team und eine tolle Struktur sowie eine Verbindung mit dem Unternehmen aufzubauen, profitiert man davon in jeder Situation. Als ich vor zwei Jahren die Geschäftsführung übernommen habe, war das für mich ein ganz wichtiger Aspekt, ich konnte mich auf jeden Mitarbeiter zu hundert Prozent verlassen. Nur deswegen habe ich mir die Aufgabe zugetraut, ich war ja keine gelernte Tischlerin. Egal in welchem Bereich, man profitiert am meisten, wenn man sich auf seine Mitarbeiter einstellt, Transparenz zeigt und Eigenverantwortlichkeit unterstützt. Damit kann man nicht früh genug anfangen!

Vielen Dank für den Input und das inspirierende Interview, liebe Julia.

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Hier findet ihr Stocubo:

 

Fotos: Jaclyn Locke

Layout: Carolina Moscato

– Werbung: Diese Story ist in Zusammenarbeit mit Stocubo entstanden –

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