Malte Brenneisen aka @brenneisen ist ein Tausendsassa in der Magazinwelt: Er arbeitet als freier Autor für Walden, Spiegel Online & Co., ist Mitherausgeber des Hamburger Stadtmagazins gentle rain und Mitgründer des Verlags „Die Brueder Publishing“ und der Indiecon, ein Festival für Independent Magazine, das vom 7. bis zum 9. September zum fünften Mal stattfindet. Pause macht er bei „Kotten“, seinem pastellweißen Bulli, ein 75er VW T2b Westfalia, mit dem er seit acht Jahren regelmäßig in seiner Garage auf Schraubfühlung geht und mit Co-Pilotin #mückethepointer kleine Alltagsfluchten und große Abenteuer unternimmt. Wir haben mit dem 32-Jährigen über das viel zitierte #vanlife, das Suchen und Finden eines Bullis und das nächste große Outdoor-Ding gesprochen – wo geht das besser als on the Road mit baumelnden Duftbäumen in der Front und brummendem Boxermotor im Heck.
Es ist verrückt, wie viel Freiheit dieses Auto liefert.
Malte Brenneisen: Puh, große Frage. Für einige ist es vielleicht die Alltagsflucht und das Offlinesein, für andere ein LEGO-Ersatz oder die Alternative zum Pauschalurlaub. Für mich eine Mischung aus diesen Sachen – und mein eigener kleiner Freiraum.
Ich sage Kotten. (lacht) Alles, was hinten den Motor hat – also bis zum T3 – ist für mich ein Bulli.
Als Kotten bezeichnet man in meiner Heimat in Niedersachsen alte Fachwerkhäuser – und so eins wollte ich immer haben.
Ich hatte mich einfach in die alten Karren verknallt und in den Gedanken, damit unterwegs sein zu können und total unabhängig zu sein. Mittlerweile ist es für mich wie ein dritter Ort – nicht das Zuhause, nicht die Arbeit, sondern ein Zwischenraum. Das ist nicht nur Kotten, sondern auch unsere Garage und die Leute, die hier ebenfalls mit ihren Bullis stehen. Aus dieser Sehnsucht heraus habe ich mich Hals über Kopf – so wie du das gerade vielleicht auch machst – in diese ganze Sache reingestürzt. Es ist verrückt, wie viel Freiheit dieses Auto liefert. Die Leute lächeln und winken, Bullis lösen bei vielen Menschen Freude aus.
Bei Ebay habe ich einen sehr schönen Bus entdeckt, einen 1972er T2a/b, das Zwittermodell zwischen der ersten und der zweiten Version der zweiten Baureihe, die von 1967 bis 1979 gebaut wurde. Das war ein umgebauter Eiswagen, der in Kassel stand. Online sah der meiner laienhaften Einschätzung nach super aus. (lacht) Ich habe den Verkäufer angeschrieben, ob wir noch ein paar Hunderter runtergehen können und den damals für 3.200 Euro gekauft. Aber zu dem Zeitpunkt war das totaler Schwachsinn. Ich hatte gar keine Ahnung – auf der ersten Fahrt bin ich direkt liegen geblieben. Dann stand der ein Jahr im Hinterhof, ohne Garage und der ist nur noch weiter vergammelt. Die TÜV-Zulassung war in weiter Ferne, dann habe ich aufgegeben. Heute würde ich ihn sofort zurücknehmen.
Die Enttäuschung nach dem ersten T2 war sehr groß, weil ich eine Menge Geld versenkt habe. Dann hat mich der Ehrgeiz doch getrieben. Ich bin eigentlich kein Mensch – man würde es anders erwarten – der viel liest, aber damals war ich zum ersten Mal an dem Punkt, dass ich dachte: Ich muss mich in die Thematik jetzt voll „reinnerden“. Auf Empfehlung von meinem Freund Tom bin ich dann auf ein Bulliforum gestoßen.
Am Ende ist es für die, die einen Bulli haben, total von Nachteil, wenn alle Bock drauf haben – die Preise steigen ins Unermessliche.
Man muss erstmal die Verhaltensweisen lernen und nicht einfach reinplatzen und sagen: So, ich hätte jetzt gerne einen Bus, der ganz günstig ist und alles hat – dann sind die Forenmitglieder sauer. Man muss sich einbringen, es ist wie überall ein Geben und Nehmen. Am Ende ist es für die, die einen Bulli haben, total von Nachteil, wenn alle Bock drauf haben – die Preise steigen ins Unermessliche.
Ich habe meine Suche bei Typen platziert, von denen ich wusste, dass sie ständig an mehreren Bussen schrauben, aber eigentlich keinen verkaufen. Dann hat mich doch einer von denen angerufen und ich bin mit Tom hingefahren. Ich hatte zu dem Zeitpunkt gerade einen Glückskeks mit einem Zettel in der Hand, auf dem stand „Du wirst bald etwas bekommen, das du dir schon immer gewünscht hast“. (lacht) Der Bus war von außen komplett mit Rostschutzlack eingeschmiert, hatte keinen Motor, Löcher im Heck aber die Innenausstattung von Westfalia war gut. Der sah nicht wie einer aus, mit dem man direkt losstartet, vor allem nicht, wenn man schon einmal auf die Schnauze gefallen ist. Ich habe erstmal abgesagt. Aber als ich im Forum gelesen habe, dass der Besitzer einen Motor gekauft hat, den Bulli aufarbeiten und mit Motor verkaufen möchte, habe ich angerufen: „Hey, hier ist Malte. Ich schlafe seit zwei Monaten nicht mehr, ich muss das machen!“ Dann habe ich mir Geld geliehen – das Auto hat 4.500 Euro gekostet, was für mich als Student damals mega viel Geld war.
In Wahrheit sieht das sogenannte #vanlife nämlich ganz anders aus: Man fährt 80, braucht sehr lange, um von A nach B zu kommen, es ruckelt, stinkt und lärmt und könnte sehr viel bequemer sein.
Das Thema #vanlife ist auf jeden Fall aufgeladen mit Sachen, die mich stören. Deshalb würde ich das, was ich mache, auch nicht als Vanlife betiteln, sondern eher mit dem romantischen Begriff Hobby versehen wollen. Klar ist das Thema auch Abhauen, den Stecker ziehen, aber es ist kein Geheimnis, ich begleite meine Reisen oft mit dem Handy. Ich filme mich, damit Muddi auch mal sieht, was man so macht. (lacht)
Ja, voll! Ich bin Teil des Problems. Ich glaube aber, dass sich das, wie so vieles, irgendwann auserzählt haben wird. Du kannst mit den Bildern ja schon tapezieren – all die Girls, die im Holz verkleideten Bus hinten sitzen und rausgucken. Schön finde ich den Account @the.real.vanlife. In Wahrheit sieht das sogenannte #vanlife nämlich oft anders aus: Man fährt 80, braucht sehr lange, um von A nach B zu kommen, es ruckelt, stinkt und lärmt und könnte sehr viel bequemer sein. Das versuche ich bei mir zumindest mit zu erzählen, weil ich es total wichtig finde, eine gewisse Authentizität zu wahren.
Ich halte mich längst nicht für einen Experten. Aber ich weiß, wo ich Hilfe bekomme oder wer Ahnung hat.
Mir haben damals viele abgeraten: „Malte, das ist kein gutes Auto, um damit anzufangen. Starte doch mal mit einem T3.“ Aber ich war zu eitel. Ich wusste, wenn ich mir so ein Ding kaufe, dann bleibt es auch das eine. Ich bin da perfektionistisch – ich würde sowas immer durchziehen. Ich halte mich längst nicht für einen Experten, das wäre all den wahren Experten gegenüber unfair. Aber ich weiß, wo ich Hilfe bekomme oder wer Ahnung hat.
Ich habe die Sitze vorne komplett machen lassen, den Boden neu verlegt, die Batterieböden hinten wurden neu geschweißt, die Heckklappe ist ausgetauscht worden, ich habe inzwischen hinten fast alle Fenster ausgetauscht und vieles mehr. Wenn du nicht willst, dass dein T2 irgendwann einen Punkt überschreitet und finanziell ein Desaster wird, musst du ständig nachbessern. Ich nehme mir im Jahr eine größere Sache vor und mache mir ein Budget dafür frei – zwischen 500 und 1.000 Euro darf das dann kosten. Entweder ereilt mich das als Schicksal, weil der Motor etwas hat oder ein Schweller – wie jetzt gerade – durchgerostet ist, manchmal suche ich mir aber auch selber Sachen. Ich habe eine Vorliebe für Excel-Tabellen (lacht). Ich habe Kotten acht Jahre und bestimmt locker nochmal 4.000 bis 5.000 Euro reingesteckt.
Ganz alleine mit Drunterliegen mache ich nur einen kleinen Teil selber, aber mit engen Freunden, die irgendwas gut können, bin ich auf jeden Fall bei 60 Prozent. Du kannst heute nicht einfach in eine Werkstatt fahren und sagen: Reparier das! Die Leute können das im Zweifel nicht oder machen das so wie es dir persönlich nicht gefällt. Du musst Werkstätten oder Spezialisten finden, die sich mit den alten Sachen auskennen und das nicht verhunzen. Das Wesentliche wie die Pflege und regelmäßige Wartungsarbeiten und kleinere Reparaturen habe ich mir über das Forum angeeignet, wo jede Frage, jede Modelvariante, jede Schraube für alle Autos und jedes Problem schon durchdiskutiert wurde.
Eine sehr wichtige Rolle. Wenn ich liegen bleiben würde, würde ich erstmal in unsere What’s-App-Gruppe schreiben. Wir sind etwa 30 Leute, die alle Bullis oder andere Vans haben – man findet sich an der Ampel. Das ist die erste Instanz und es gibt dann vielleicht zwei, drei Leute, die das Problem auch mal hatten. Wenn die erreichbar sind, helfen sie dir. Das nächste ist das Forum: Da kann ich auch reinschreiben, wenn ich auf der Autobahn liegen geblieben bin – wenn jemand zufällig in der Nähe ist, kommt er oder sie vorbei. Die letzte Instanz ist dann der ADAC, aber in der Regel schleppen die nur noch ab. Ohne Fachfreunde bist du oft aufgeschmissen und dann wird es teuer, weil du ständig in eine Werkstatt fahren muss.
Ich würde das, was ich mache, nicht als Vanlife betiteln, sondern eher mit dem romantischen Begriff Hobby versehen wollen.
Die wichtigste Frage ist: Was willst du damit machen? Willst du damit einigermaßen schnell und weit reisen? Falsches Auto! Willst du entschleunigen? Okay! Willst du der Großstadt entfliehen und am Wochenende mal ne‘ gute Zeit haben? Das passt! Wer ein paar Taler mehr hat, kauft einen perfekten Bulli und gibt ihn ab, wenn er mal nicht funktioniert. Aber das ist nichts für mich. Deshalb verbringe ich 60 Prozent meiner freien Kotten-Zeit im Auto und 40 Prozent drunter. Das musste ich am Anfang auch erstmal lernen. Wenn ich mit meiner Frau Mareike und unserem Hund Mücke in den Urlaub fahre, ist es oft ungewiss, ob oder wann wir ankommen – vielleicht landen wir auch woanders. Ich habe Freunde, die sich schon ein Jahr darauf gefreut haben, im September loszufahren und denen gerade der Motor abgeraucht ist. Darauf kann man sich vorher nicht einstellen.
Auf jeden Fall nicht die gängigen Wege. Auf mobile.de oder AutoScout24.de wird inzwischen viel Mist angeboten – du kannst da richtig übers Ohr gezogen werden und die Preise sind hoch. Foren, Facebookgruppen, Stammtische und Oldtimer-Treffen sind eine gute Sache.
Rost ist für mich gar kein großes Thema – guck dir Kotten an, da rostet es überall. Wichtig ist, dass die tragenden Elemente in einem guten Zustand sind – all das, worauf auch der TÜV achtet. Bei Bullis sollte man alle Scheibenrahmen rundherum angucken, die Radläufe, die Schweller, Einstiege, Fensterrahmen und Türen unten drunter – das sind die typischen Roststellen. Man kann versuchen, die Historie nachzuvollziehen: wo war das Auto, wem hat es gehört, könnte das eine Person gewesen sein, die auch mal Öl gewechselt hat und die Ventile eingestellt hat – das sollte man zum Beispiel alle 5.000 Kilometer machen. Wenn du den Eindruck hast, dass es ein ehrliches Fahrzeug ist und wenig verbastelt und geschweißt wurde, dann kann man vielleicht zum Kauf raten. Ich würde in jedem Fall jemanden mitnehmen, der sich damit gut auskennt. Und das behaupte ich nicht mal von mir.
Klar, dieses Auto ist über vierzig Jahre alt und ich habe mich auch schon gefragt: Wie cool ist das eigentlich, damit rumzufahren, wie gefiltert kommen die Abgase da raus? Deshalb war auch klar, dass ich mein „Alltagsauto“ verkaufe und aufs Rad umsteige – das muss alles im Gleichgewicht stehen. Gewisse Sachen sind möglich, andere eben nicht. Man erschafft sich selbst seine kleine bunte Welt und da gehört es für mich dazu, den Bulli als etwas Besonderes wahrzunehmen und nicht als Alltagswagen einzusetzen.
Wichtig ist, dass man am Anfang in gutes Werkzeug investiert und ansonsten braucht man alles Mögliche, um auch die Wartungsarbeiten auf der Strecke durchführen zu können. Ich weiß in der Regel nie, wie das Problem zu lösen ist, aber es gibt einen guten Reparaturleitfaden, den ich vorne im Auto liegen habe.
Auf Campingplätzen stehe ich nie, ich stehe eher auf Parkplätzen oder frage bei Privatleuten. In Deutschland war ich mit dem Bus bis jetzt vor allem im Norden unterwegs. Ich habe eine Liste mit ein paar Orten wie diesem hier, die ich dann abfahre, je nachdem wie viel Zeit ich habe und was ich erleben möchte. An der Nord- und Ostsee und zwischen Hamburg und Berlin kenne ich viele Orte. Irgendwann möchte ich mal die Alpen überqueren.
Portugal! In Frankreich ist es schwer möglich, wild zu stehen, in Portugal geht das zumindest in der Nebensaison ziemlich problemlos, außerdem ist das ein wundervolles Land.
Auf jeden Fall! In Portugal gibt es auch einige Überwinterer aus Deutschland. Es macht mich traurig zu sehen, wie es da aktuell aussieht – die Leute räumen ihren Müll nicht weg und gehen davon aus, dass Toilettenpapier einfach verrottet. Ich würde mehr Umsicht und Respekt für die Natur in der Szene sehr begrüßen, denn sonst kann man sich da bald keine Natur mehr ansehen. Es ist total wichtig, mit der Umwelt verantwortungsvoll umzugehen.
Hin und wieder. Dann sagt die Polizei freundlich, dass der Ort nicht zum Campen gedacht ist und dann packt man zusammen und fährt weiter. Aber viel mehr gibt es Leute, die vorbeischauen, Fragen stellen und sich dazusetzen – du lernst unheimlich viele Leute kennen.
Wenn ich mal ein Bulli-Magazin herausbringen würde, dann wäre das eher ein bisschen bodenständiger, schmutziger und unperfekter.
Ich ärgere mich manchmal über das, was es bisher dazu gibt – und das ist wenig. Ein Magazin, das ich gerne mag, ist der „Allradler“, eine Art Community-betriebenes Heft von Leuten, die mit ihren Bussen die Welt umrunden. Wenn ich mal ein Bulli-Magazin herausbringen würde, dann wäre das auch eher ein bisschen bodenständiger, schmutziger und unperfekter – ich würde keine 300-Euro-High-Tech-Jacke für den Wochenendtrip an der Müritz empfehlen, sondern die Menschen und Projekte begleiten, für die der Bus eher Mittel zum Zweck ist. Echte Aussteiger, mit Ideen und Ansätzen, von denen andere lernen können. Ich weiß nicht, ob ein neues Van-Magazin mein nächster großer Wunsch wäre. Die Zeit stecke ich vielleicht lieber in meine Familie – und – falls noch was über bleibt – in Kotten.
Definitiv Dachzelte! Es ist total krass, was da schon alles passiert – es wird sich noch eine richtige Community entwickeln. Die Zelte bekommt man mittlerweile im Baumarkt und sie passen auf fast jedes Auto. Ich mag den Ansatz, nicht gleich einen Bulli oder ein Wohnmobil zu kaufen – sondern das bestehende Auto zu nutzen und erstmal zu probieren.
Die Indiecon findet vom 7. bis zum 9. September 2018 im Oberhafen statt.
Die neue Ausgabe des Hamburger Stadtmagazins gentle rain erscheint am 6. September 2018.
Fotos: Martin Oelze
Layout: Carolina Moscato