Wer Anfang 2020 seinen Jahresurlaub plante, strategisch Urlaubstage um Brückentage legte und von Fernreisezielen wie USA, Australien oder Südafrika träumte – nun ja – der rechnete wohl kaum mit einem neuartigen Virus, das unsere gesamte (Reise-)Welt auf den Kopf stellen wird. Schritt für Schritt ist das Reisen innerhalb Europas wieder möglich. Manche sitzen bereits im Flieger nach Mallorca. Viele andere, dazu zähle ich, möchten ihren Urlaub lieber in Deutschland verbringen und neue Regionen aktiv entdecken. Geht es euch genauso, ihr wisst aber noch nicht, wo die nächste Reise hingehen könnte? Dann habe ich diese sechs Tipps für euch.
Entschleunigen, Alltagssorgen vergessen, Kraft schöpfen – das geht prima beim „Waldbaden“. „Shinrin Yoku“, so heißt Waldbaden in Japan, ist eine Form der Präventivmedizin. Insbesondere von Stress geplagte Städter*innen nutzen das naturtherapeutische Angebot. Achtsam durch den Wald spazieren, Blätterrascheln, Licht- und Schattenspiele und Geräusche im Unterholz wahrnehmen. Kurzum den Wald mit allen Sinnen spüren und die heilsame Wirkung genießen. Wem nach Homeoffice und Lockdown danach der Sinn steht, muss nicht um die halbe Welt fliegen. Deutschland eignet sich hervorragend zum Waldbaden. Und ein besonders schöner Ort ist der Nationalpark Jasmund auf der Insel Rügen in Mecklenburg-Vorpommern. Türkisblaue Ostsee, Kreidefelsen und obenauf frischgrüne Buchenwälder. Bei dieser faszinierenden Kulisse kommen Naturfreunde und moderne Romantiker*innen ins Schwärmen.
Zugegeben: Nordsee und Wattenmeer muss man mögen. Ich habe es im Laufe der Jahre lieben und schätzen gelernt. Dem Meer bei Ebbe hinterherlaufen? Im Sommer nicht so prickelnd. Doch wer sich näher mit dem Ökosystem und UNESCO-Weltnaturerbe beschäftigt, etwa beim geführten Wattwandern, wird schnell begeistert sein vom vielfältigen Leben vor der schleswig-holsteinischen Westküste. Barfuß über den Meeresboden, knöcheltief im Matsch versinken, nach Wattwürmern und Krebsen suchen – das macht alleine, in einer Gruppe oder mit der ganzen Familie richtig Spaß. Das Beste: Ein Urlaub an der Nordsee ist nicht nur etwas für den Sommer. Wer im Winter kommt, wird mit spektakulären Sonnenuntergängen belohnt.
Wer mit dem Begriff „Birder“ nichts anfangen kann – so werden passionierte Vogelbeobachter*innen liebevoll genannt. Und ebendiese Birder finden nicht nur im australischen Outback oder dem peruanischen Amazonasregenwald ihr Glück, sondern auch auf Deutschlands einziger Hochseeinsel. Helgoland ist ein Hotspot für zahlreiche Brut- und Zugvögel. Hin geht es mit dem High-Speed-Schiff zum Beispiel von den Hamburger Landungsbrücken oder ab Cuxhaven in Niedersachsen. Die Insel liegt rund 70 km vom Festland entfernt inmitten der Nordsee. Typische Postkartenmotive sind die roten Bundsandsteinfelsen mit der „Langen Anna“. Dort brüten auf und in den Felsspalten Vogelarten wie Trottellummen, Basstölpel und Heringsmöwen. Alle aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Helgoland ist mit seinem hohen Vorkommen an nachgewiesenen Vogelarten in Mitteleuropa einzigartig. Und wer keine Lust mehr auf Federvieh hat, findet am karibisch anmutenden Sandstrand von Helgoland Deutschlands größte Raubtiere meist faul in der Sonne liegend: Kegelrobben.
Keine Lust auf plattes Land und Reizklima? Ab ins Revier! Das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen hat sich als Urlaubsziel gemacht. Vorbei die Zeiten des „dreckigen“ Kohlenpotts. Nicht überzeugt? Dann empfehle ich eine Reise mit dem Rad von der Quelle der Ruhr bei Winterberg im Sauerland bis zur Mündung in Duisburg in den Rhein. Das sind 240 erlebnisreiche Kilometer auf dem Ruhrtalradweg. Die könnt ihr entweder in einer Tour (also in sechs Tagen) meistern, als Sternfahrt (mit einem festen Standort als Übernachtungsquartier) oder in Etappen zu verschiedenen Jahreszeiten abfahren. Der Mix aus Stadt, Fluss und Industriekultur macht das Ruhrgebiet für mich zu einem spannenden Urlaubsziel. Und das behaupte ich nicht nur, weil mein Herz per Geburt für’n Pott ein bisschen höher schlägt. Vom Rad steigen, Pommes rot-weiß am Baldeneysee verspeisen und den Abend beim Kunstwerk Tiger & Turtle Magic Mountain ausklingen lassen – so schön kann Ruhrpott sein.
Der Roadtrip durch die USA mit Besuch des Grand Canyon stand dieses Jahr auf eurer Bucketlist? Nicht traurig sein. Auch in Deutschland könnt ihr so etwas wie „Canyon Feeling“ erleben. Und zwar an der Mosel.
Der zweitlängste Nebenfluss des Rheins entspringt in den Vogesen in Frankreich. Und bahnt sich seinen Weg nordwärts entlang der deutsch-luxemburgischen Grenzen, vorbei an Deutschlands ältester Stadt Trier und mündet schließlich am Deutschen Eck in Koblenz in den Rhein. Der Flusslauf an Mittel- und Untermosel ist besonders spektakulär. Flussschleifen, die sich im Laufe der Erdgeschichte in das Rheinische Schiefergebirge eingruben, bilden eine nahezu perfekte U-Form. Das schaut ihr euch am besten von oben an. Kletterer wagen sich auf den steilsten Weinberg Europas, den Calmont und werden mit einer spektakulären Aussicht belohnt. Weniger schweißtreibend ist der Aufstieg zum Prinzenkopfturm bei Pünderich. Wer den Höhenrausch liebt, erlebt die schönsten Flussschleifen Deutschlands beim Tandemfliegen.
Mein Tipp: Im Spätherbst kommen. Dann leuchten die Blätter der Weinberge gelb und rot. Das kommt dem Farbenspiel des Grand Canyon in Arizona schon recht nah. Außerdem ist es in den Weinbergen nicht mehr so heiß wie im Sommer. Perfekt um die Wanderschuhe zu schnüren und durch die Weinberge hinauf in die Eifel oder den Hunsrück zu wandern.
Wem das Mittelgebirge noch nicht hoch genug ist, für den sind die Allgäuer Alpen in Bayern das passende Urlaubsziel. Langweilig wird es garantiert nicht. Ob beim Wandern über blühende Bergwiesen hinauf zum nächsten Gipfel. Beim Mountainbiken vorbei an Almen und Kuhweiden. Oder die Seele baumeln lassen mit Blick auf einen eisblauen Bergsee und dazu „Allgäuer Kässpätzen“ (Käsespätzle) oder „Nonnenfürzle“ (Schmalzgebäck) verspeisen. Aktiv sein und erholen geht im Allgäu sommers wie winters.
Sonja Anwar ist studierte Geografin, Reisebloggerin und Social Media Beraterin. Auf ihrem Blog „delightful SPOTS“ erzählt sie von der Suche nach den schönsten Reisezielen – von Deutschland über den Balkan bis nach Südamerika – immer mit persönlichen Erlebnissen, wunderschönen Fotos und jeder Menge fundierter praktischer Tipps! Dieses Frühjahr ist Sonjas Reiseführer „52 kleine & große Eskapaden Mosel, Saar und Hunsrück“ im Dumont Verlag erschienen, in dem sie zeigt, was sich alles in dieser facettenreichen Gegend Deutschlands unternehmen lässt – für wenige Stunden, einen Tag oder ein Wochenende.
Fotos: Sonja Anwar
Ein Kommentar
Das hat mir sehr gut gefallen . Ich wünsche Dir für die Zukunft alles gute und viel Erfolg bei Deinen Reisen . Dieser Bericht würde ein gutes Buch werden ! Gruß Ursula Groß .