Manchmal sind es Zufallsbegegnungen, die unseren Lebensweg entscheiden. Stell dir vor, du machst ein Sabbatical, willst eine Auszeit von der Arbeit nehmen, du entscheidest dich spontan, einen Freund für ein Wochenende aufs englische Land zu begleiten – und kurz darauf packst du deine Sachen, um nach Marrakesch auszuwandern. Der gebürtige Niederländer Willem Smit lernte an jenem Wochenende zufällig zwei Menschen kennen, die sein Leben erheblich veränderten: die Besitzer des Hotels „El Fenn“. Das Riad-Hotel brauchte einen neuen Manager, Willem Smit war offen für neue Abenteuer – der Rest ist (Erfolgs-)Geschichte. Schon seit Jahren zählt „El Fenn“ zu den Top-Hotels in Marrakesch. Das Magazin „AD“ analysierte, warum „El Fenn“ die meisten Instagram-Likes in Marrakesch bekommt. Keine Frage, dass wir Designer und seit 2011 Managing Partner Willem Smit persönlich treffen mussten, um diese Frage zu klären.
Willem Smit: Die Aufmerksamkeit wird fast schon zu viel. Das meine ich nicht arrogant. Kürzlich hat ein Reise-Influencer geschrieben: „Marrakesch? Natürlich El Fenn!“. Da spürt man doch fast schon das „aber“ kommen. Für mich kam dieser Hype sehr plötzlich. Als ich vor acht Jahren hier im „El Fenn“ angefangen habe, haben wir einfach unser Ding gemacht. Und dann kamen Instagram und Co. – wir waren ziemlich früh mit dabei und unsere Social Media-Kanäle haben zu unserem Erfolg beigetragen. Zudem haben wir Preise für unser Interior Design gewonnen.
Was „El Fenn“ wirklich einzigartig macht, ist, dass wir nicht versuchen, eklektisch zu sein, wir sind es einfach. Wir haben mit sechs Zimmern angefangen, jetzt haben wir 28 Zimmer und Suiten, und das Hotel entwickelt sich immer noch weiter. Dadurch entsteht eine Vielfalt. Viele Hotels arbeiten einmalig mit einem Interior Designer zusammen und dann bleibt das Hotel jahrelang wie es ist. Wir dagegen verändern uns permanent. Dazu, dass unser Hotel so erfolgreich ist, tragen außerdem die großartigen Menschen bei, die für uns arbeiten. Das darf man nicht vergessen. Du kannst ein Hotel noch so schön dekorieren, aber wenn die Menschen vor Ort dir kein besonderes Erlebnis verschaffen, ist es einfach nur ein weiteres Hotel.
Damals ging es Marrakesch als Destination nicht besonders gut – und unserem Hotel auch nicht. Das war kurz nach dem Bombenanschlag auf dem Platz Djemaa el Fna. Das Hotel brauchte etwas Liebe und Fürsorge. Ich habe zwar Hotelmanagement studiert, aber ich war schon immer ein sehr ästhetischer, visueller Mensch. Als ich fünf Jahre alt war, war mein Schlafzimmer komplett weiß. Als es darum ging, mich für ein Studium zu entscheiden, habe ich Interior Design ernsthaft in Betracht gezogen, aber ich hätte dafür eine Kunstakademie besuchen müssen und das konnte ich mir nicht vorstellen. Also habe ich mich für Hotelmanagement entschieden. Glücklicherweise konnte ich immer auch mein Interesse für Inneneinrichtung ausleben. Und Vanessa und Howell, die Besitzer des „El Fenn“, hatten schon einen wunderbaren Ort geschaffen, das ursprüngliche „El Fenn“ war eine gute Arbeitsgrundlage.
Wir haben mit sechs Zimmern angefangen, jetzt haben wir 28 Zimmer und Suiten, und das Hotel entwickelt sich immer noch weiter. Dadurch entsteht eine Vielfalt.
Manche Dinge sind einfach Teil von dir. Immer, wenn ich zu Freunden nach Hause komme – 95% meiner Freunde haben das schon mitgemacht –, dann frage ich: „Darf ich mal kurz für zehn Minuten …?“ – und dann stelle ich ihre Möbel um. Wenn ich einen Raum betrete, weiß ich einfach, was Sinn ergibt und was nicht. Ich mag zum Beispiel Gruppen von Dingen und leere Flächen daneben. Hier im „El Fenn“ muss ich natürlich berücksichtigen, warum die Gäste nach Marrakesch kommen und was sie sehen wollen. Und ich denke, sie wollen unter anderem Farben sehen. Ich hatte das zu Hause auch eine Zeit lang, aber mittlerweile ist bei mir zu Hause wieder alles weiß. Im „El Fenn“ ermöglichen Farben aber ein Erlebnis außerhalb des Alltags. Sie transportieren die Gäste direkt in eine andere Welt. Es soll immer so wirken als wäre man zu Gast in einem Privathaus.
Ich habe gehört, es gab wenige Dutzend als Howell und Vanessa anfingen.
Egal, wo in der Welt du heutzutage hingehst, verschwindet die Kernidentität einer Stadt oder eines Landes immer mehr. Alles gleicht sich immer mehr an. Die Kelim-Kissen, die du hier in Marrakesch kaufen kannst, bekommst du auch in jeder deutschen Großstadt. In der Hotelbranche gibt es auch einen Shift – zum Teil durch Airbnb und ähnliche Anbieter, zum Teil, weil Menschen sich mehr Gedanken um ihren Konsum machen und heutzutage anders reisen. Die standardisierten großen Hotelketten werden es schwer haben. Ich denke, die neue Generation von Reisenden – und unsere Zielgruppe ist mittlerweile von Anfang 30 bis Mitte 40 – sucht besondere, einzigartige Erlebnisse. Es spielt nicht mehr eine so große Rolle, ein Auto zu besitzen, aber Reisen und Erlebnisse sind umso wichtiger geworden.
Ich denke, die neue Generation von Reisenden sucht besondere, einzigartige Erlebnisse. Es spielt nicht mehr eine so wichtige Rolle, ein Auto zu besitzen, aber Reisen und Erlebnisse sind umso wichtiger geworden.
Es soll immer so wirken als wäre man zu Gast in einem Privathaus.
Als ich herkam, gab es noch kein McDonalds, Zara oder H&M in der Neustadt von Marrakesch. Diese Entwicklung ist für die Einheimischen ja toll, aber man muss auch überlegen, was diese internationalen Ketten ersetzt haben. Die Authentizität von Marrakesch geht verloren – und das sage ich schon mit meinen acht Jahren Marrakesch-Erfahrung. Bekannte von mir haben erzählt, dass es hier vor zwanzig Jahren kaum Autos gab. Ich bin mir sicher, dass sich der Tourismus in Afrika noch sehr stark weiterentwickeln wird. Auch andere Orte in Marokko, wie Fès und Tanger, werden sicher noch viel beliebter.
Ich bin einfach sehr gerne am Meer. Erst hatte ich vor, ein Haus in Marrakesch zu bauen, aber ich wusste damals ja nicht, wie lange ich hier bleiben würde … Und ich dachte: Falls ich doch wieder wegziehe, möchte ich dann ein Haus in Marrakesch haben oder lieber am Meer? Und ich habe mich für die Küste entschieden. In Essaouira passiert gerade eine ähnliche Entwicklung wie hier: Alles wird aufpoliert und internationalisiert.
Im Ernst, überhaupt nicht. Ich hatte mir damals ein Sabbatical genommen und war in Barcelona, um Spanisch zu lernen. Ein Freund sollte mich für ein Wochenende besuchen und kurz vorher rief er mich an und sagte: „Ich wurde eingeladen, mit einer Gruppe von Freunden ein Wochenende auf dem Land in England zu verbringen. Kommst Du mit?“ Aus irgendeinem Grund bin ich mitgekommen. Wir haben das Wochenende in Vanessas [Vanessa Branson] Landhaus verbracht. Sie persönlich war nicht da, aber ihr bester Freund Howell [James]. Er erzählte mir von „El Fenn“. Ich war nicht auf Jobsuche und war daran gewöhnt, viel größere Projekte zu verantworten. Aber er ist sehr charmant; er war früher mal Sprecher für Downing Street, er weiß also, wie man eine Geschichte erzählt. Es gelang ihm, mich neugierig zu machen. Ein paar Tage später saß ich an Vanessas Küchentisch in London, um über „El Fenn“ zu sprechen. Sie sagte, ich müsse „El Fenn“ selbst erleben und lud mich nach Marrakesch ein. Ich wurde damals 40 und dachte mir: „Okay, wenn das meine Midlife Crisis ist, dann ist es eben so. Ich mache es.“ … Wenn ich diese Einladung nach England damals abgelehnt hätte, wäre meine Leben komplett anders verlaufen.
Ich wurde damals 40 und dachte mir: „Okay, wenn das meine Midlife Crisis ist, dann ist es eben so. Ich mache es.“ … Wenn ich diese Einladung nach England damals abgelehnt hätte, wäre meine Leben komplett anders verlaufen.
Die Kultur hier ist ganz anders. Wir werden so sozialisiert, dass man als Individuum aus der Masse hervorstechen soll. In der arabischen Kultur, besonders in Marokko, bist du Teil einer Familie, einer Gesellschaft, du selbst hast nicht erste Priorität. Während man bei uns sagt: „Ich habe ein Glas fallen gelassen“, sagt man hier: „Das Glas ist heruntergefallen“. Damit zusammen hängt eine Denkweise, an die man sich erst einmal gewöhnen muss. Die ersten Jahre hier waren für mich nicht einfach.
Darüber habe ich kürzlich mit Freunden gesprochen, die auch im Ausland leben. Wenn du eine gewisse Zeit im Ausland gelebt hast, dann gehörst du irgendwie nicht mehr in deine ursprüngliche Heimat, aber du wirst auch nie wirklich dahin gehören, wo du lebst. Ich bin in engem Kontakt zu meiner Familie und meinen Freunden aus den Niederlanden – ich sehe sie sogar häufiger als früher – aber mein Horizont hat sich erweitert.
Wenn man die Gelegenheit hat, sollte man sich nicht nur Marrakesch ansehen, sondern unbedingt durch Marokko reisen – es ist wunderschön!
Es sollte sich nie wie ein Showroom anfühlen. Ich persönlich mag einen wilden Mix – ich würde nie das Wandbild perfekt auf das Sofa abstimmen oder Ähnliches. Ich bin ein großer Fan von Midcentury-Möbeln. Es sollte luxuriös sein, eklektisch und persönlich. … Übrigens würde ich mich selbst nie Interior Designer nennen, denn das habe ich schließlich nicht studiert. Wenn ich etwas bin, dann bin ich ein Stylist. Ich kann eine Atmosphäre kreieren.
Worauf ich achte, ist zu versuchen, kein Messie zu sein. In meinem persönlichen Zuhause verzichte ich auf rein dekorative Objekte, auf Dinge, die einfach nur herumstehen. Ich mag lieber nützliche Dinge, die gleichzeitig schön sind, sowie Bücher und Kunst. Ich habe keine Küchenschränke – in meiner Küche sieht man alle meine Teller und Gläser, also achte ich sehr darauf, was ich habe und was ich wirklich brauche.
Seit ein paar Jahren kaufe ich gerne Midcentury-Möbelstücke auf europäischen Märkten ein und schicke die Stücke dann nach Marrakesch. Die Böden, die Decken, das Holz, die Teppiche, … das alles repräsentiert hier im Hotel Marokko und das mische ich dann gerne mit anderen Stücken.
Ich persönlich mag einen wilden Mix – ich würde nie das Wandbild perfekt auf das Sofa abstimmen oder Ähnliches.
Was mir am meisten Spaß macht, ist mein eigenes Ding zu machen, also mein eigenes Haus, dieses Hotel, … Wenn man für einen Kunden arbeitet, überreicht man den Schlüssel und danach hat man das Design nicht mehr in der Hand. Bei meinen eigenen Projekten bleibe ich involviert. Das gefällt mir am besten.
Ich war gerade in Asien und dort gibt es die schönsten Hotels. Pavillons, Swimming Pools, die Bettbezüge, … ich fand alles inspirierend. Alles ist simpel, es ist nie übertrieben. Ich finde auch das Konzept von Feng Shui sehr interessant. … Außerdem finde ich toll, was die „Soho House“ Gruppe macht: Es gelingt ihnen, in ihren Hotels eine sehr gemütliche Atmosphäre zu schaffen. Und kennst du das Hotel „Ett Hem“ in Stockholm? Wenn du es dir anschaust, verstehst du, warum es mir gefällt. Das Design hat Ilse Crawford gemacht, die unter anderem auch das „Soho House“ in New York gestaltet hat.
In Marrakesch mag ich das Restaurant „Plus 61“ sehr gerne. Wer die Zeit hat, sollte Tanger besuchen. Dort gibt es ein sehr schönes, kleines Hotel: „Nord-Pinus“. Jasper Conran wird dort auch bald ein Hotel eröffnen. Wenn du nicht aufs Geld achten musst und ein Once-in-a-Lifetime-Erlebnis haben willst, übernachte im „Dar Ahlam“ am Rande der Wüste. Sie entwickeln ein individuelles Erlebnis für dich, sie bauen nur für dich mitten in der Wüste einen Tisch zum Essen auf, eine Kinoleinwand zwischen den Dünen, alles wird individuell gestaltet. Essaouira, wo ich mein Beach House habe, ist auch eine Reise wert: Die Stadt hat einen tollen Vibe, eine Surfer-Community, gute Restaurants, …
Fotos: Silje Paul
Layout: Kaja Paradiek