Das Leben ist nicht immer planbar und hält oft Überraschungen für uns bereit. Eigentlich hatte die Grafikdesignerin Ines Lopin gar nicht vor ein eigenes Business zu starten. Während einer Reise durch Lateinamerika entdeckte sie den Acapulco Chair und entschloss sich spontan ihn nach Deutschland zu importieren. Daraus ist vor acht Jahren ihr Unternehmen „Viva Mexico Chair“ entstanden. Mittlerweile lässt sie auch Kissen und Teppiche unter dem Namen „Viva Interior“ in Mexiko produzieren. Wir haben Ines in ihrer Wohnung und in ihrem Showroom in Hamburg-Eimsbüttel besucht und sprechen mit der 39-Jährigen über die Anfänge, darüber, was sie antreibt, warum sie sich keinen Investor ins Boot holen möchte und welche Rolle das Thema Spiritualität in ihrer Wohnung spielt.
Ich habe in Mexiko alles gefunden, was ich in New York gesucht hatte.
Ines Lopin: Ich war vor zehn Jahren auf Weltreise und etwas länger in Mexiko, vorher hatte ich drei Monate in New York als Designerin gearbeitet. Ich war neugierig und wollte die Welt sehen. Eigentlich war Mexico City nur eine Station, aber ich habe in Mexiko alles gefunden, was ich in New York gesucht hatte. Es war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Mexico City und seine Bewohner haben eine unglaubliche Energie. Ich habe viele Kreative kennengelernt und plötzlich haben sich alle Türen geöffnet. Ich hatte wirklich eine Glückssträhne. Ich konnte sofort bei einem Freund einziehen, war verliebt und alles kam zusammen. So bin ich fünf Monate statt eines Wochenendes da geblieben (lacht). Als ich dort war, habe ich den Acapulco Chair entdeckt und kennengelernt. Mit dem Typen hat es dann nicht geklappt, aber ich hatte Freunde gefunden, bin weiter nach Südamerika gereist und dann wieder zurück nach Hamburg geflogen.
Anfang Januar sollte ich wieder in meinem Job anfangen, das war aber keine gute Idee. Ich war ein Jahr lang ganz frei und es gar nicht mehr gewohnt, nur vorm Rechner zu sitzen. Nach einem Jahr des Durchhaltens bin ich wieder für ein paar Monate nach Mexiko gereist. Dieses Mal wollte ich etwas mitnehmen, um etwas Mexikanisches hier in meiner Hamburger Wohnung zu haben. Ich war zu dem Zeitpunkt hin- und hergerissen, ob ich in Hamburg bleiben oder nach Mexiko ziehen soll.
Damals hat mein Umfeld gesagt, ich wäre sehr mutig. Erst heute weiß ich, was sie damit meinten.
Ich erinnerte mich an den Acapulco Chair, den ich in der Wohnung eines mexikanischen Freundes gesehen hatte. Diesen wollte ich auch in meiner Hamburger Wohnung haben. Es gab damals kein deutsches Unternehmen, das den Stuhl verkauft hat. Da kam der Gedanke: Wenn ich den so fantastisch finde, finden den andere bestimmt auch gut. Also bin ich wieder nach Mexiko geflogen, habe dort recherchiert und nach der Nadel im Heuhaufen gesucht. Damals hat mein Umfeld gesagt, ich wäre sehr mutig. Erst heute weiß ich, was sie damit meinten. Dann habe ich einen Container mit Stühlen nach Hamburg bestellt.
Ich hatte schon an ein Business gedacht, aber nicht erwartet, dass es so durch die Decke gehen wird. Ich war davon ausgegangen, dass ich weiter als Grafikdesignerin arbeiten würde, aber plötzlich konnte ich von den Stühlen leben. Ich habe aber auch wahnsinnig viel gearbeitet, am Anfang viel improvisiert. Eine Freundin hat das Styling übernommen, ein Freund die Fotos gemacht, und meine alte Deutschlehrerin hat für unser Lookbook-Shooting ihre Villa zur Verfügung gestellt. Es war zunächst eine Family and Friends Production, das hätte anders gar nicht geklappt. Ich hätte es mir nicht leisten können das alles zu finanzieren.
Ich hatte tolle Bilder und eine Geschichte. Das fanden die Redakteur*innen interessant. Der Acapulco Chair hat etwas Strahlendes und sieht auch auf Bildern gut aus. Er wurde in vielen Magazinen und Blogs vorgestellt und immer populärer.
Ich hatte zunächst naiv gedacht, ich finde vielleicht einen Mexikaner, der Acapulco Chairs in seinem Hinterhof fertigt, aber das ist Quatsch.
In einer Fabrik in Mexiko. Sie beliefern auch andere Kunden in Japan, den Niederlanden und den USA. Ich hatte zunächst naiv gedacht, ich finde vielleicht einen Mexikaner, der Acapulco Chairs in seinem Hinterhof fertigt, aber das ist Quatsch. Man braucht die beste Qualität. Nur so sind die Kunden glücklich und es gibt keine Reklamationen.
Am Anfang war ich erschrocken, als die alle auf den Markt kamen, habe mich aber relativ schnell beruhigt, weil sie sich optisch und qualitativ stark unterscheiden. Viele Leute kaufen bewusst bei mir, weil sie sich auf die Qualität verlassen können und weil sie die Einstellung haben, dass Langlebigkeit Nachhaltigkeit ist und eine faire Produktion unterstützen möchten.
Bei mir im Showroom steht von jeder Farbe ein Stuhl, damit ich die Hamburger*innen bedienen kann. Ich freue mich immer, wenn jemand vorbeikommt. Die Leute schätzen es, dass es ein Gesicht hinter der Marke gibt und man vorbeikommen kann, gerade bei einem Onlineshop. Das Probesitzen wird gerne angenommen. Die meisten setzen sich rein und sind überrascht, dass er wirklich so gemütlich ist.
Ich habe Leute, mit denen ich zusammenarbeite und die mir bei der Buchhaltung, Logistik, Programmierung etc. helfen.
So, wie es jetzt ist, fühle ich mich frei und beschenkt. Ich kann über meine Zeit frei verfügen, habe keinen finanziellen Druck, weil ich Gehälter zahlen oder Kredite aufnehmen muss, um zu wachsen.
Wenn ich von mir und meinem Unternehmen erzähle, finden es viele etwas unvernünftig. Ich bräuchte einen Investor, muss größer werden, mehr Möbel haben, es muss jetzt losgehen. Aber so, wie es jetzt ist, fühle ich mich frei und beschenkt. Ich kann über meine Zeit frei verfügen, habe keinen finanziellen Druck, weil ich Gehälter zahlen oder Kredite aufnehmen muss, um zu wachsen.
Finanzieller Erfolg war nicht mein Antrieb. Ich wollte etwas Eigenes haben, selbst gestalten und frei und unabhängig sein.
Der eigenen Intuition zu folgen und sich nicht vorschnell von anderen Meinungen aus dem Konzept bringen zu lassen. Und Leidenschaft! Wenn man wirklich von einer Sache oder einem Produkt überzeugt ist, fällt es leichter es zu verkaufen. Und das macht es auch leichter bis spät in die Nacht zu arbeiten.
Ich mag Herausforderungen, ich hatte keine Angst, mit dem „Acapulco Chair“-Projekt zu scheitern.
Mittlerweile verkaufst du auch Kissen und Teppiche aus Mexiko. Wie hat sich das ergeben?
Im Süden Mexikos, in Oaxaca und Chiapas, war ich sofort fasziniert von der indigenen Bevölkerung. Sie sprechen eine andere Sprache, sehen ganz anders aus und tragen diese schöne Textilien, die sie dort auf den Märkten verkaufen.
Wie bist du in Kontakt mit den Weberinnen getreten?
Die ersten Kontakte habe ich auf den Märkten geknüpft, aber schnell gemerkt, dass dort oft nur für die Touristen verkauft wird. Teilweise verkaufen die Frauen dort sogar Textilien aus China. Ich habe dann eine soziale Organisation gefunden, die eng mit den Frauen in den Dörfern zusammenarbeitet. Sie verbessern die Lebensumstände der Frauen und ihrer Familien, stärken ihr Selbstbewusstsein und helfen die komplexen Webtechniken zu bewahren.
Hast du die Frauen auch persönlich getroffen?
Ich habe die Frauen in ihrem Zuhause besucht. Ich saß bei ihnen in der Küche, dort steht der Webstuhl, drumherum laufen Kinder und Hühner. Wie lange sie für ein Kissen brauchen, konnten sie mir gar nicht sagen: Sie weben ein bisschen, füttern die Hühner, weben ein bisschen, bringen die Kinder zur Schule und so weiter. Die Frauen nehmen das nicht als Arbeit wahr, es ist ein Teil ihres Alltags und ihrer Identität, ihrer Kultur. Sie haben das schon immer so gemacht.
Wie habt ihr kommuniziert?
Bei der Organisation arbeiten zwei Frauen, die ihre indigene Sprache und Spanisch sprechen. Sie haben beim Übersetzen geholfen. Aber am Ende findet die Kommunikation ohne Worte statt. Lächeln und kleine Scherze funktionieren auch ohne gemeinsame Sprache. Die Frauen waren meistens schüchtern, ich übrigens auch. Sie wunderten sich, dass ich von so weit her komme, und so fasziniert von ihren schönen Produkten bin. Dieses Interesse ist gut für die kulturelle Identität. Die indigene Bevölkerung besinnt sich zurück auf ihre Wurzeln, trotzdem gehen viele nach Mexico City, um dort zu arbeiten. Es besteht immer die Gefahr, dass diese Kultur und die Kunst des Webens verloren gehen, denn wir können das nicht lernen. Die Webkunst wird von Generation zu Generation weitergegeben und die meisten haben das Weben schon früh gelernt.
Die Muster haben alle tiefergehende Bedeutungen wie zum Beispiel „Schutz und Kraft“. Ich habe sie größtenteils übernommen und nur die Farben gestaltet. Dann bin ich mit den Skizzen zu einem Copy-Shop gefahren, habe sie in Originalgröße ausgedruckt und bin wieder zurück zu den Frauen gefahren. Einmal habe ich in Mexico City Garne gekauft und habe sie zu den Frauen gebracht. Macht wirtschaftlich wenig Sinn, aber es ist mein Herzensprojekt. (lacht)
Man wohnt nicht, um andere zu beeindrucken, sondern um sich selbst wohlzufühlen.
Ich habe nie das Gefühl, dass ich etwas absichtlich gestalte, alles wächst durch die Reisen. Die Objekte kommunizieren miteinander, es ist eine sensuelle Angelegenheit. Ich kaufe kaum Neues, ich stehe total auf Second-Hand, auch bei Kleidung. Es macht mich wirklich glücklich, in einer schönen Umgebung zu wohnen. Das hat Einfluss auf meinen Körper und meine Psyche, ich finde das Wohnthema nicht so oberflächlich, wie es manchmal wirken kann. Wenn man sich mit Gegenständen umgibt, die gut riechen, eine gute Energie oder eine schöne Geschichte haben, kann man das spüren. Ohne jetzt die Eso-Schublade aufzumachen, aber die Leute sollten weniger kaufen und mehr spüren, den eigenen Geschmack finden und nicht so viel bei anderen abgucken. Es ist doch ermüdend, wenn man die Wohnungen alle nicht mehr auseinanderhalten kann. Man wohnt nicht, um andere zu beeindrucken, sondern um sich wohlzufühlen.
Auf jeden Fall! Ich habe in Mexiko die Erfahrung gemacht, dass alles möglich ist und es immer noch einen Raum gibt zwischen dem, was man sieht und dem, was man fühlt. Das sind keine übersinnlichen Sachen. Je mehr ich mich mit der indigenen Bevölkerung beschäftigt habe oder mit alten Traditionen, desto interessanter wurde es. Wenn ich jedes Jahr nach Schweden fahre, weiß ich, wie Schweden ist, bei Mexiko weiß man es nicht. Es ist immer überraschend und fremd und das liegt nicht daran, dass ich nicht aus dem Kulturkreis komme, das habe ich auch bei mexikanischen Freunden erlebt. Wenn man an Orten ist, wo die Natur so stark ist, wie zum Beispiel im Urwald, fängt man an, sich anders mit den Dingen auseinanderzusetzen als hier. Die Kraft von Bäumen, die Naturkräfte spürt man anders, wenn man vor Ort ist.
Neugier. Ich bin immer viel gereist, auch schon früh nach Indien oder mit dem Rucksack durch Ägypten. Ich mag Herausforderungen, ich hatte keine Angst, mit dem „Acapulco Chair“-Projekt zu scheitern, ich wollte es einfach wissen. Für mich hat finanzieller Erfolg keine große Bedeutung, das war nicht mein Antrieb. Ich wollte etwas Eigenes haben, selber gestalten und frei und unabhängig sein.
Showroom: Eimsbütteler Chaussee 37, 20259 Hamburg
Layout: Kaja Paradiek
6 Kommentare
Viva Ines! Wer sie kennenlernt und ihr zuhört, der kauft den Acapulco chair nur noch bei ihr. Gut so.
Viva la Silja! Te mando un abrazo amigamia!!!
Hallo sehr geehrte Frau Lopin, ich finde diesen Wertegang ganz toll. Es ist gut das sich Menschen wieder auf schöne und nutzbare Dinge besinnen. Also ich bin 73 Jahre und Ossi. In der damaligen DDR gab es diese Stühle bereits in den 70iger Jahren. Meine Schwiegerelter hatten diese bereits im Schrebergarten aufgestellt. Zu finden sind diese Stühle auch oft in Ausstellungen über Gebrauchsgegenstände in der ehem. DDR. Ich werde mir aber für meinen Balkon auch einen zulegen. Alle guten Wünsche für Sie und für Ihr Unternehmen. Gruß A.Eckert
Liebe Frau Eckert, vielen Dank für Ihre freundliche Nachricht; über die ich mich sehr gefreut habe! Ich höre immer wieder von Kunden, dass sie sich an diese Art von Stühlen aus Ihrer Kindheit erinnern. Wenn Gegenstände Erinnerungen schaffen und Geschichten erzählen können, dann macht Interior-Design wirklich Freude
: ) Ich hoffe, dass Sie viele schöne Stunden in Ihrem Acapulco Chair verbringen! Herzliche Grüße, Ines Lopin