Macht junge Künstler groß: Kunstdirektorin Bettina Steinbrügge vom Kunstverein in Hamburg

29. Oktober 2016

Bettina Steinbrügge ist seit 2014 die Direktorin des Kunstvereins in Hamburg – und damit die erste Frau in der 200-jährigen Geschichte des Vereins. Sie wurde 1970 im niedersächsischen Ostercappeln geboren und ist Kuratorin, Dozentin und Kunstkritikerin. Der Kunstverein in Hamburg ist einer der ältesten seiner Art in Deutschland und hat sich zur Aufgabe gemacht, zeitgenössische Kunst zu zeigen. Bettina Steinbrügge bietet Raum für junge Künstler und ihre Positionen, die vermehrt zum Diskurs anregen und gesellschaftliche Probleme aufzeigen. Wie sie diese Künstler findet, erzählt sie uns in ihrer Wohnung in Hoheluft-Ost. Im Kunstvereins unweit des Hauptbahnhofs sprechen wir außerdem über das Hamburger Kunstpublikum, die Selbstverständlichkeit von Feminismus und die Eventisierung der Kunst.

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Bettina Steinbrügge wohnt in einer Altbauwohnung in Hoheluft-Ost

femtastics: Wie leicht oder schwer fiel es Ihnen, in 2013 von Wien nach Hamburg zu ziehen?

Bettina Steinbrügge: Es fiel mir außerordentlich leicht, weil Hamburg eine sehr schöne Stadt ist, man in Hamburg sehr gut leben kann und ich Hamburg außerdem schon kannte.

Das Hamburger Kunstpublikum ist unglaublich gut informiert und sehr offen.

Sie wussten, worauf Sie sich einlassen. Was schätzen Sie an dem Hamburger Kunstpublikum?

Das Hamburger Kunstpublikum ist unglaublich gut informiert und sehr offen. Man kann in Hamburg wirklich viel ausprobieren, weil es eine große Akzeptanz gegenüber zeitgenössischer Kunst gibt. Wir arbeiten mit ganz jungen zeitgenössischen Künstlern, die manchmal überraschende Dinge tun. Das ist weit entfernt von klassischer Skulptur oder klassischer Malerei. Entsprechend müssen wir immer wieder Vermittlungsarbeit leisten. Aber das Hamburger Publikum freut sich darüber, Neues zu entdecken und es gibt sehr viele Menschen hier, die sich sehr gut mit Kunst auskennen – das macht natürlich Spaß.

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Das Hamburger Publikum freut sich darüber, Neues zu entdecken.

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Momentan wird viel über die Eventisierung der Kunst gesprochen. Junge Galerien scharen hippes Volk um sich, das vielleicht viel Weißwein, aber am Ende des Tages wenig Kunst kauft. Wie stehen Sie zu dem Thema?

Die jungen Galerien haben am wenigsten damit zu tun. Es sind vielmehr die klassischen Galerien, die immer größer werden. Und bei den Museen geht es um Besucherzahlen und die bekommt man nicht mit der ganz jungen Kunst. Wir haben heute ein Publikum, das mitmachen möchte und was ganz Anderes von einem Kunst-Event erwartet. Da gehört dann die Eventisierung mit Previews, Empfängen und Partys dazu. Auf der einen Seite ist es toll, dass sich immer mehr Leute für die junge Kunst interessieren. Auf der anderen Seite muss man aufpassen, dass man dieser jungen Kunst immer noch gerecht wird. Dass man ihnen den Freiraum gibt und auch unpopuläre Entscheidungen trifft.

Die Eventisierung ist Fluch und Segen.

Das ist auch Ihr Weg?

Ja, klar. Und wir sind ein Mitgliederverein. Wir funktionieren etwas anders und leben nicht von Tageseinnahmen. Wir haben die Aufgabe, zu experimentieren. Aber wir müssen auch schauen, dass wir die Kunst so gut wie möglich vermitteln, damit wir ein gewisses Publikum bekommen. Die Eventisierung ist Fluch und Segen. Sie kann oft zu weit gehen und man fragt sich, ob man auf einem Rummelplatz ist und was es mit einer gewissen Ernsthaftigkeit von Kunst noch zu tun hat. Es ist ein Balance-Akt und jede Institution muss entscheiden, wie sie damit umgeht.

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Im Esszimer hängt ein Bild von Franz Ackermann

Sie haben eben schon angesprochen, dass das junge Publikum eine andere Erwartungshaltung hat. Wie holen Sie dieses Publikum im Kunstverein ab?

Wir haben das Glück, dass viele Künstler das auffangen. Lili Reynaud Dewar hat gerade eine große Performance mit DJ gemacht – damit ist das schon erledigt. Dann haben wir das Young at Art Projekt an Schulen und die Kunstpioniere, die in der Ausstellung ihre eigene Ausstellung machen dürfen. Das finden die natürlich toll. Das ist ein erster Ansatz, wo die Barrieren runtergerissen werden und man sich selbst ausprobieren darf.

Was umfasst Ihr Job als Direktorin des Kunstvereins?

Man ist gleichzeitig Direktorin, Aushängeschild, Geschäftsführerin. Die Finanzen müssen stimmen und es geht um Mitarbeiterführung und die Motivation der Mitarbeiter. Die Arbeit im Kunstverein ist immer noch ein Knochenjob und umfasst viel Basisarbeit, wo jeder mehr machen muss, als es in der Jobbeschreibung steht. Dann kümmert man sich um das Programm für die Ausstellung und setzt dieses um. Wir kümmern uns um die Mitglieder, machen Reisen mit ihnen, organisieren die Versammlungen. Es ist ein weiter Bereich, genau das macht aber eben auch so viel Spaß an dem Job.

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Rechts: Ein Werk der jungen Künstlerin Lydia Balke

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Links: Ein Werk von Martha Rosler, rechts: Arbeiten von Andro Wekua

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Die Institution des Vereins wirkt etwas outdated. Wollen die Menschen noch Vereinsmitglieder sein?

Ich finde die Diskussion immer sehr interessant, denn es wurden ja noch viel mehr Vereine gegründet. Jedes Museum hat seinen Verein, jede Kunsthalle und die Leute treten auch ein. Man ist Mitglied und bekommt etwas dafür. Nächstes Jahr wird der Kunstverein 200 Jahre alt. Das Grundmodell ist sehr alt und in den Neunzigern wurde gesagt, das braucht man nicht mehr und das funktioniert nicht mehr. Und in der Tat sind in einer gewissen Zeit weniger Leute in Vereine eingetreten, aber das ändert sich gerade wieder. Das hängt auch mit der Diskussion zusammen, wie man unterstützen kann und wie bürgerliches Engagement aussehen kann.

 

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Die goldene Plastik am Boden – ein gegossenes Schafsmaul – stammt von Ursula Mayer.

 

Gerade ist die Einzelausstellung von Lili Reynaud Dewar im Kunstverein zu sehen – Science-Fiction wird hier mit Rapmusik und Emanzipations- und Kolonialismusdiskursen zu einer Installation verknüpft. Wie finden Sie die jungen Künstler?

Man findet sie, indem man viel reist und sich viel anschaut. Man wird auch aufmerksam, indem man mit Künstlern oder befreundeten Kuratoren spricht. Aber es ist heute viel schwieriger, weil es viel mehr gibt und weil es internationaler geworden ist. Man schaut auch mal nach China und Japan, das gab es früher nicht. Lili habe ich speziell in Wien kennengelernt, sie hatte ein Stipendium am Belvedere Museum, mein früherer Arbeitsplatz. Ein Kollege hatte sie eingeladen und wir hatten einen Abend lange zusammen gesessen. Als ich nach Hamburg kam, war klar, dass wir was zusammen machen müssen. Sie rief dann an und erzählte von einem Konzept von 2009, das niemand realisieren möchte. Da ich sehr viele Carte Blanche gebe, habe ich gesagt, ok wir machen das jetzt. Wir haben dann zwei Jahre an dem Projekt gearbeitet, bis wir es realisieren konnten.

 

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Ich wollte nicht in die feministische Schublade.

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Die Ausstellung umfasst auch eine Videoarbeit, in der Reynaud aus einem sozialistisch-feministischen Manifest rezitiert. Eine Ihrer ersten Projekte war die Ausstellung “Cooling Out – On the Paradox of Feminism”. Das Thema interessiert Sie?

Das Thema ist mir wichtig, ich würde es heute aber nicht mehr permanent thematisieren …

… so wie es gerade ständig passiert.

Das Thema war damals wichtig. Kulturwissenschaften in Lüneburg studieren fast ausschließlich Frauen und als wir über Bourdieus Buch Chancengleichheit gesprochen haben, waren gerade die Frauen abwehrend und sagten, das brauchen wir heute nicht mehr. Wir haben dann diesen „Cooling Out“-Begriff genommen. Dabei geht es darum, dass Frauen heute in sogenannten Männerberufen hereingebracht werden, um zu studieren. Nach Abschluss ihres Studiums merken sie aber, dass sie doch nicht die gleichen Chancen haben. Daraus haben wir ein Projekt gemacht, um genau das zu thematisieren.

Während des Projekts habe ich aber gemerkt, dass man schnell in eine Schublade gesteckt wird und ich wollte nicht in die feministische Schublade. Ich arbeite anders. Ich gebe Frauen ihre ersten großen Solo-Ausstellungen. Das ist für mich eine Form von Normalität und eine Selbstverständlichkeit. Ich schaue bei Gruppenausstellungen auch auf Quoten, ich würde es aber nicht mehr thematisieren. Ich habe auch keine Lust mehr, es zu thematisieren.

 

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Der Feminismus war für mich die erfolgreichste Bewegung des 20. Jahrhunderts, es hat aber keiner so richtig geschätzt.

Trotzdem sind weibliche Künstlerinnen eher unterrepräsentiert. Woran liegt das? Ändert sich das gerade?

Der Feminismus war für mich die erfolgreichste Bewegung des 20. Jahrhunderts, es hat aber keiner so richtig geschätzt – in dem, was durchgesetzt wurde. Und es wird immer mehr durchgesetzt. Ich bin die erste Frau in diesem Job – nach 200 Jahren. Man merkt es auch in den Museen: Frauen kommen in wichtige Positionen rein und Künstlerinnen kommen immer stärker in die Listen der erfolgreichen Künstler. Es verändert sich, aber es verändert sich langsam. Boudieurs allerletztes Buch hieß „Die männliche Herrschaft“, hier beschreibt er unser Gesellschaftssystem und warum es so schwierig für Frauen ist, in einem System Fuß zu fassen, was nach männlichen Werten funktioniert. Ich finde, wir sind ziemlich gut dabei und wir erreichen ganz viel, worüber man sich auch mal freuen kann. Es wird sicherlich noch eine Weile dauern, aber es ist auch schon viel erreicht. Ich bin da nicht so wahnsinnig negativ.

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Der Kunstverein engagiert sich mit Workshops für geflüchtete Menschen. Was genau passiert in diesen Workshops und wie kam Ihnen die Idee?

Wir haben überlegt, was man tun kann und ich glaube, dass man auf gesamtgesellschaftlicher Ebene etwas tun muss und versuchen muss, Integration zu leisten. Wir haben dann Personen gesucht, die Lust haben, Workshops zu machen. Für mich geht es darum, dass Geflüchtete etwas tun und aus den Heimen raus in eine andere Welt kommen. Es geht nicht notgedrungen darum, dass sie Kunst machen. Für uns war es wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem sie zusammen kommen können, die Stadt und andere Leute kennenlernen können. Dabei sind aber doch Fotografien entstanden, die wir dieses Jahr auch noch zeigen werden.

 

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Die Kunst fängt bestimmte Bälle sehr früh auf und denkt darüber nach.

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Kunst ist ein Indikator für gesellschaftliche Veränderungsprozesse – lässt sich das am Beispiel der Flüchtlingskrise verdeutlichen?

Ich glaube, dass Kunst einen sehr wichtigen Stellenwert in unserer Gesellschaft einnimmt, weil die Kunst bestimmte Bälle sehr früh auffängt und darüber nachdenkt. Das liegt daran, dass wir relativ wenige Rahmenbedingungen haben. Es ist eins der letzten Felder, die nicht nach bestimmten Messlatten bewertet werden. Man kann erstmal frei denken und bestimmte Themen aufwerfen, selbst, wenn diese unvernünftig erscheinen. Lili stellt die Frage, wie sehr ich als Weiße in die Identität eingreifen kann und ob bestimmte Grenzziehungen zwischen Schwarz und Weiß oder Mann und Frau nicht eigentlich komplett überflüssig sind. Das sind aber Diskussionen, die in der Gesellschaft erst später ankommen.

Die Geflüchteten sind ein Sonderfall, hier ist die Kunst nicht so früh dran. Anfang 2004 habe ich ein Projekt zu Grenzen, Identität und Migrationsströmungen gemacht. Da ging es aber primär um Osteuropa. Es gibt viele gesellschaftliche Spielfelder für mich. Ich habe mich für die Kunst entschieden aufgrund dieser Offenheit und den Fragen, die man relativ früh stellen kann. Ein bestimmter Prozentsatz interessiert sich dafür, aber ich glaube, ein HSV-Spiel ist besser besucht. Das ist aber auch in Ordnung. Es dauert sehr, sehr lange, bis Kunst in die Gesamtdiskussion mit einfließt. Wenn man zeitgenössische Kunst macht, muss man damit leben, dass man erstmal ein sehr elitäres Feld bedient und dann langsam darüber hinaus wächst.

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Ich gebe Frauen ihre ersten großen Solo-Ausstellungen.

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Zum Schluss ein Ausblick in 2017 – der Kunstverein wird nächstes Jahr 200. Was erwartet uns?

Im Januar eröffnen wir eine Ausstellung, in der wir mit Künstlern zusammenarbeiten, die sich über die Geschichte des Kunstvereins Gedanken machen. Wir beleuchten bestimmte Themen aus dieser Zeit, zum Beispiel Hildebrand Gurlitt, mit dem wir heute wieder zu kämpfen haben. Also mit der Frage, was macht man mit diesen Arbeiten? Dann wird es ein Buch geben zur Geschichte und ein Fest im September mit Party sowie eine Ausstellung, die noch geheim ist.

Wir freuen uns drauf! Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Steinbrügge.

Hier findet ihr Bettina Steinbrügge und den Kunstverein:

Fotos: Pelle Buys

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