Chöre feiern 2019 ihr großes Comeback und sind in der Generation 30+ beliebter denn je. Ein Chor, der in Hamburg besonders von sich reden macht, sind „Die Hamburger Goldkehlchen“. Ihr Motto: „70 Männer, ein Chor – und keiner kann singen“. Ihre Weihnachtskonzerte in der Kulturkirche Altona sind in wenigen Minuten ausverkauft, Veranstalter und Regionalsender reißen sich um die trällernden Chorknaben und mit ihrem ersten eigenen Song „Moin Moin Hamburg“ haben sie die iTunes-Charts im Nu erobert. Co-Gründer ist der gebürtige Hamburger Flemming Pink. Der 30-Jährige hat in Kiel Produkt- und Industriedesign studiert und vor zehn Jahren sein Modelabel „Inferno Ragazzi“ gegründet. Wir treffen Flemming, Chorbrüdern besser bekannt als „Flame“, bei der montäglichen Chorprobe im „Kleiner Donner“ in der Schanze und sprechen mit ihm über die Anfänge der Goldkehlchen, Castings mit „Superstar“-Charakter, Chorfahrten und große Pläne.
Flemming Pink: Das Image vom Chor hat sich in den letzten Jahren ein wenig aufgelockert. Es war eingestaubt und man hat damit ältere Menschen, die in Kutten Kirchenlieder singen, verbunden. Es fehlte das Moderne. Mittlerweile gibt immer mehr Angebote von jungen, großen Gruppen, die in anderen Formaten zusammen singen.
Wir haben den Nerv der Zeit getroffen und das Chor-Image neu interpretiert.
Wir staunen selber, was mit und um uns passiert, weil wir das nicht geplant haben. Wir nehmen viele Sachen dankbar an, aber sagen auch einiges ab. Den Nerv der Zeit haben wir getroffen und das Chor-Image neu interpretiert. Alle Männer, die im Chor mitsingen, sind auf allen Social-Media-Plattformen unterwegs – so ist unser Chor schnell bekannt geworden.
Seit der Gründung sind nur Highlights passiert. Von Anfang an war uns wichtig, dass wir etwas zurückgeben möchten. Unsere Gagen spenden wir vor allem für gemeinnützige Organisationen. Wir sind damit gut unterwegs und das bringt uns Sympathie. Wir haben unseren Weg gefunden und kriegen viele Anfragen von anderen Städten, die wissen möchten, wie wir angefangen haben.
Nach einer Karaokenacht habe ich mit Max telefoniert und gefragt, ob wir uns nicht einen Männerchor suchen wollen, der moderne Lieder singt. Dann haben wir einen Facebook-Aufruf gestartet und gefragt, wer noch Bock hätte in einem Chor zu singen und darauf haben sich extrem viele Leute gemeldet. Daraufhin entstand die Idee, einfach einen eigenen Chor zu gründen. Wir hatten keine Vorbilder. Wir haben einen gemeinnützigen Verein gegründet und los ging es!
Ich bin Hamburger und habe ein großes Netzwerk durch das Hockey Spielen, meine Modemarke und meinen Freundeskreis. Nachdem wir ein paar Jungs zusammengetrommelt hatten, brauchten wir eine Location und einen Chorleiter. Wir haben dann wieder einen Aufruf gemacht und bekamen extrem viele Tipps für Chorleiter und Locations. Nach zwei Wochen hatten wir alles zusammen und haben dann die erste Probe gestartet. Es hat allen viel Spaß gemacht, sodass wir uns danach wöchentlich zur Chorprobe getroffen haben. Nach vier bis fünf Monaten haben wir gemerkt, dass immer mehr Personen mitmachen wollen. Aus Spaß haben wir uns dazu entschieden, ein Casting zu machen.
Wir haben das so aufgezogen wie man es aus dem Fernsehen kennt mit einer Jury und verschiedenen Aufgaben. Die Teilnehmer mussten sich schon ein bisschen beweisen und Mut aufbringen. Beim ersten Casting waren schon rund 50 Männer dabei. Beim zweiten Casting hatten wir 400 Anmeldungen, aber es wurden nur 40 Personen eingeladen. Jetzt ist unsere Inbox mit circa 700 Bewerbern voll. Wir haben beschlossen, dass wir jetzt in dieser Konstellation bleiben werden. Jetzt wird es schwer, in unseren Chor reinzukommen, aber ich schließe es nicht aus, dass wir noch einmal ein Casting machen.
Es gibt keine richtigen Aufnahmekriterien. Wir sagen also nicht, wenn du das nicht kannst, bist du raus. Es muss vielmehr der Charakter und die Person in die Truppe passen. So haben wir zumindest in der Vergangenheit ausgesucht. Man muss bereit sein, seine Freizeit ein wenig zu opfern und nicht nur alle vier Proben mal dabei sein. Wenn man dabei sein möchte, muss man ein gewisses Engagement mitbringen. Im Großen und Ganzen ist das bei allen vorhanden. Dann geht es darum, dass man die Idee versteht, zusammen Spaß hat und vielleicht mal zusammen einen trinken geht und sich privat austauscht. Das Puzzleteil, das den Chor ergänzt, muss passen.
Unsere Idee war es, einen Männerchor zu gründen, deswegen bleiben wir dabei. Wir haben viele Anfragen von Frauen bekommen, die sich als Männer verkleiden wollen, damit sie mitmachen dürfen. (lacht)
Wir wollen möglichst viele Lieder in einer kurzen Zeit lernen, damit es abwechslungsreich ist.
Wir haben unseren Chorleiter Christian Sondermann, der auch andere Chöre leitet. Unsere Probe findet jede Woche Montag für zwei Stunden im Kleinen Donner statt. Nach einem Konzert haben wir manchmal ein paar Wochen Pause, aber grundsätzlich proben wir jeden Montag. Erst beginnen wir mit dem Aufwärmen. Wir wollen möglichst viele Lieder in einer kurzen Zeit lernen, damit es abwechslungsreich ist. Es gibt immer ein Warmsingen und dann werden die Stimmen einzeln eingestellt, denn wir singen dreistimmig. Damit im besten Fall ein schöner Klang entsteht. (lacht)
Es läuft ständig etwas schief. Das ist das Gute bei uns, weil uns das jeder verzeiht. Es erwartet keiner Professionalität.
Wir haben alle ein großes Netzwerk. Oli ist mittlerweile ein guter Freund von mir und vielen anderen. Er ist Ehrenmitglied bei uns. Die Freundschaft war ein cooler Startschuss für ihn und uns als Chor. Da wird in Zukunft vielleicht noch ein bisschen mehr kommen.
Es läuft ständig etwas schief. (lacht) Das ist das Gute bei uns, weil uns das jeder verzeiht. Es erwartet keiner Professionalität. Es hatten einige falsche Klamotten an oder haben die Einsätze verschossen. Wir haben uns einmal stark versungen, aber das wird eher belächelt oder sogar mit Applaus honoriert. Es kamen bisher keine negativen Kommentare oder Buhrufe. Ich hoffe, die bleiben aus. Wir wollen die Songs oder Choreografien nicht perfektionieren. Wenn jemand etwas verkackt, dann ist es so und alle anderen lachen darüber.
Letztes Jahr haben wir beschlossen, dass wir 2019 unseren ersten eigenen Song rausbringen wollen. Für uns war klar, dass es ein Lied über Hamburg sein muss. Wir stehen hier im Hamburger Raum, „Hamburger Goldkehlchen“ ist unser Name und wir sind alle heimatverbunden. Wir beziehen uns mit allem, was wir machen immer auf Hamburg. Schnell war klar, dass es ein Liebeslied an Hamburg sein muss. Dann habe ich mit Simon von „2Music“ einen Song geschrieben, den wir beim Weihnachtskonzert im Michel im Dezember uraufgeführt haben. Der Song kam gleich sehr gut an. Danach haben wir den Song im Studio aufgenommen. Das war für alle eine neue Erfahrung. Wir sind mit dem Song am Valentinstag live gegangen und hätten ehrlicherweise nicht erwartet, dass es so abgehen wird!
Das machen meistens Max, Christian und ich zusammen, aber wir holen uns viele Ideen und Feedback von den Jungs ein. Das sind alles Songs, die man aus dem Radio kennt, die man schon hundertmal mitgesungen hat und die Songtexte auswendig kann. Wir versuchen von Emotional bis Pop, möglichst viele Genres abzudecken. Es soll vielseitig bleiben und wir stimmen manchmal im Chor ab.
Ab der ersten Probe habe ich gemerkt, dass ich beim Singen im Chor wirklich Luft ablassen und den Kopf vom Alltag ausschalten kann.
Ich habe mehrere Lieblingssongs, aber wir werden uns dieses Jahr an den absoluten Endgegner, was Songs angeht, wagen: „Bohemian Rhapsody“ von Queen. Das wird lange dauern und einige Nerven kosten. Wenn der Song einmal sitzt, wird es aber richtig geil.
Ab der ersten Probe habe ich gemerkt, dass ich beim Singen im Chor wirklich Luft ablassen und den Kopf vom Alltag ausschalten kann. Das habe ich mir vorher so nicht ausgemalt. Das ist für mich die erleuchtende Erkenntnis. Das merkt man auch bei allen anderen. Wenn man nicht gut singen kann, lässt man es raus und schaltet die Birne einmal auf null. Aber es stärkt ganz klar das Gemeinschaftsgefühl und es sind dadurch viele Freundschaften entstanden. Es ist ein großes internes Netzwerk.
Wir haben mit den Goldkehlchen schon so viele Highlights erlebt, die wir uns nie hätten erträumen können. Unser Auftritt vor 8.000 Leuten bei dem OMR-Festival, Platz 1 in den deutschen iTunes-Charts mit dem ersten eigenen Song oder in der NDR Talkshow neben Barbara Schöneberger zu sitzen – das sind jetzt schon viele schöne Erinnerungen.
Wir machen tatsächlich jedes Jahr eine Chorfahrt. Das erste Jahr ging es nach Innsbruck zum „Ugly Skiing Day“. Da zieht man sich hässliche Skisachen an und feiert einen Tag lang. Wir sind mit einem Bus nach Innsbruck gefahren und das war schon zum Schreien. Letztes Jahr waren wir auf der AIDA für fünf Tage eingeladen, wo wir mit 40 Jungs unterwegs waren und durch die Meere geschippert sind. Dieses Jahr werden wir wieder nach Innsbruck fahren.
Ich bin jemand, der immer wieder neue Herausforderungen sucht. Damit falle ich oft auf die Schnauze, aber das gehört irgendwie mit dazu.
Ich bin ein großer Fan von Hobbys. Ich probiere Sachen erst einmal aus, bevor ich sie auf Social Media teile. Das ist bei vielen nicht der Fall. Man muss sich neuen Sachen öffnen und nicht nur Inhalte über das Smartphone konsumieren. Das sehen leider aber viele als Hobby an. Wenn man sich Inhalte online ansieht, dann fordert man sich damit nicht heraus. Ich bin jemand, der immer wieder neue Herausforderungen sucht. Damit falle ich oft auf die Schnauze, aber das gehört irgendwie mit dazu. Das hilft in meinen Augen zum Weiterkommen und sich persönlich zu entwickeln. Jeder sollte sich täglich fragen: Was könnte dich weiterbringen, was könntest du Neues probieren und worauf legst du wert? Schaust du nur auf den Bildschirm? Oder gehst du auch mal raus und probierst Sachen aus?
Eins steht fest, wir werden nicht ruhen, bis wir unser eigenes Konzert in der Elbphilharmonie bekommen!
Wir wollen wieder ein Sommerkonzert mit kostenlosem Eintritt organisieren, damit möglichst viele Leute dabei sind. Dort möchten wir wieder Spenden sammeln. Bei den Online Marketing Rockstars im Mai sind wir ebenfalls wieder dabei und das Weihnachtskonzert steht auf jeden Fall wieder an. Außerdem wollen wir noch einen zweiten eigenen Song schreiben, mit dem wir dann beim Eurovision Songcontest antreten werden!
Autorin: Rike Weinert
Fotos: Pelle Buys
Layout: Kaja Paradiek