Vom Pharmaziestudium zum Spezialitäten-Label? Bei Dr. Christina Jagla ist das gar nicht abwegig. Sie stammt aus einer Apothekerfamilie, in der schon seit Jahrzehnten Magenbitter-Spirituosen hergestellt werden. Irgendwann hat sie zusammen mit ihrem Vater die Idee, ein eigenes Spezialitäten-Label zu gründen – mit hochwertigen Kräuterbittern, basierend auf alten Rezepturen, die einen modernen Twist und einen schicken Look bekommen. Heute ist „Dr. Jaglas“ in Szene-Restaurants wie „Nobelhart und Schmutzig“ und „Cornelia Poletto“ sowie in Stores wie „Manufactum“, dem „Alsterhaus“ und dem „KaDeWe“ erhältlich. Wir treffen Christina in Berlin und sprechen über die traditionsreichen Elixiere, die Zusammenarbeit mit ihrem Vater und wie sie die Gründung gestemmt hat.
Christina Jagla: Ja, richtig. Nach meinem Pharmaziestudium in Freiburg bin ich für mein Praktisches Jahr und das dritte Staatsexamen nach Berlin gezogen. Dort war ich ein paar Jahre in der Schmerzforschung an der Charité tätig und habe meine Promotion gemacht. Anschließend bin ich in unsere Familienapotheke in Wuppertal zurückgekehrt. Dort habe ich gelernt wie man eine Apotheke führt und nebenher die Marke „Dr. Jaglas“ aufgebaut. Ich bin einige Zeit zwischen Wuppertal und Berlin gependelt und war jeweils eine Woche vor Ort.
Im Dezember 2015 haben wir erstmals den Onlineshop live geschaltet. Wir haben zuerst nur über den Onlineshop verkauft und erst einige Monate später das erste Mal über Händler.
Ja, das war früh klar. Unsere Familienapotheke ist etwas Besonderes, denn wir sind auf Eigenrezepturen spezialisiert. Wir haben über 300 Tees und wir stellen sehr viele Produkte aus dem Naturbereich her, wie beispielsweise Naturkosmetik. Mir war klar, dass ich mehr in diesem Bereich machen möchte.
Unsere Familienapotheke ist etwas Besonderes, denn wir sind auf Eigenrezepturen spezialisiert.
Ja, genau. Ich habe mir die Finanzierung mit meinem Vater geteilt und bewusst auf Investoren verzichtet. Mir war und ist es wichtig, dass ich selbst die Zügel in der Hand halte und somit das Tempo vorgeben kann. Organisch wachsen, um einen stabilen und langfristigen Markenaufbau zu gewährleisten, bei dem wir unsere versprochene Qualität halten können, das war und ist mir wichtig. Daher sehe ich mein Unternehmen nicht als Start-up, die ja oft einen schnellen Exit forcieren.
Nein, wir mazerieren unsere Kräuter nach wie vor per Hand in unserer Apotheke und entwickeln weiterhin neue Rezepturen. Heute Morgen habe ich beispielsweise die Kräutermengen für die neue Produktion ausgerechnet, bestellt und an die Apotheke weitergeleitet sowie die nächsten Produktionsschritte besprochen. Das kann ich sehr gut von Berlin aus machen. Dennoch versuche ich so oft wie möglich bei der Produktion dabei zu sein.
Die funktioniert ausgesprochen gut. Er brennt für dieses Thema schon seit den Siebzigern und ist einerseits mit Stolz erfüllt, dass es einen Bekanntheitsgrad erreicht hat und andererseits noch ungläubig, dass es so gut läuft. Die Zusammenarbeit läuft ganz natürlich: Wir haben unterschiedliche Aufgabenbereiche und er vertraut mir in meinen Bereichen sehr.
Zertifizierte „Arzneibuchqualität“ ist eine Qualitätsstufe, die über Lebensmittelqualität liegt. Sie gilt zum Beispiel bei Kräutern, die für pflanzliche Arzneimittel weiterverarbeitet werden. In Apotheken ist diese Qualitätsstufe Pflicht. Alle Kräuter, die man in der Apotheke kauft, müssen eine gleichbleibend hohe Qualität haben, im Bezug auf Reinheit und Gehalt von ätherischen Ölen und Bitterstoffen, also den Wirkstoffen. Das hebt sich von Bio-Qualität ab, denn diese bezieht sich nur auf die Herstellung bzw. den Anbau, also zum Beispiel, dass die Produkte pestizidfrei sind. Das beinhaltet Arzneimittelqualität auch, aber sie überprüft zusätzlich die Qualität des Endproduktes, zum Beispiel einen standardisiert hohen Gehalt an ätherischen Ölen. Bei Zimtstangen beispielsweise wird vorgeschrieben, dass mindestens 13 Prozent ätherische Öle enthalten sein müssen, um die Wirkung zu gewährleisten. Das macht den tollen Geschmack in den Produkten aus.
Unser Klassiker ist das „Klosterelixier“, ein Magenbitter. Enthalten sind über 30 Bitterkräuter, die in Klostergärten wuchsen. Von ihnen nimmt man eigentlich einen Teelöffel nach dem Essen zum Verdauen. Das ist die Grundlage dieser Rezeptur, die mein Vater weiter entwickelt hat. Er hat sie in den 70er-Jahren durch Artischocken ergänzt und es deshalb „Artischocken-Elixier“ getauft. Es ist geschmacklich so verfeinert, dass es nicht nach Medizin, sondern rund schmeckt. Die Artischocke hat auch Bitterstoffe, hebt sich aber von den anderen Zutaten, die hauptsächlich Kräuter und Wurzeln sind, ab. In den 70er-Jahren hat sich eine Aperitif- und Digestif-Kultur entwickelt, mit beispielsweise Cynar, dem italienischen Artischocken-Likör. Mein Vater wollte, inspiriert davon, Wirkung und Geschmack verbinden. Das „Artischocken-Elixier“ trinkt man entweder pur, zum Beispiel als Digestif, mit ein paar Eiswürfeln als Aperitif oder als Basis von Longdrinks.
Unser Gin ist komplett zuckerfrei, was für einen Gin selten ist. Außerdem ist der Alkoholgehalt sehr hoch.
Als ich vor zehn Jahren in die Apotheke eingestiegen bin, war das „Artischocken-Elixier“ bereits unser Klassiker. Wir hatten einen Kunden in der Apotheke, ein passionierter Golfer, der eines Tages mit einem Augenzwinkern fragte, ob wir das Elixier mit einer Wurzel ergänzen könnten, die konzentrationsfördernd ist. Daraufhin haben wir die Ursprungsrezeptur des „Klosterelixiers“ anstatt durch Artischocke durch Ginseng ergänzt. Wir haben das damals zum 60. Geburtstag des Kunden „Golfers Ginseng-Elixier“ getauft und produziert. Es kam gut an als Alternative zum „Artischocken-Elixier“, weil es etwas lieblicher schmeckt und dennoch viele Bitterstoffe beinhaltet.
Als ich beide Elixiere ein paar Jahre später auf den Markt brachte, habe ich den Namen beibehalten. Anfangs hatte ich vom „Golfers Ginseng-Elixier“ nur 500 Flaschen produziert, aber viele Redakteure und vor allem die Gastronomie fanden das „Golfers Ginseng-Elixier“ extrem spannend, weil wir mit ihm die erste Kräuter-Spirituose entwickelt hatten, die den medizinischen Ginseng beinhaltet. Ein absolut neues Geschmackserlebnis – insbesondere für den anspruchsvollen Gaumen.
Unsere beiden Kräuterbitter enthalten Wacholderbeeren, was untypisch ist. Wacholderbeeren sind ein wichtiger Bestandteil von Gin. Die Bitter kann man deshalb zum Beispiel gut mit einem Tonic trinken. So kam mir die Idee, dass wir das „Ginseng-Elixier“ noch einmal destillieren könnten. Dafür arbeiten wir mit einem Destillateur zusammen, der unsere Kräuterauszüge vom „Ginseng-Elixier“ bekommt und diese zu Gin weiterdestilliert – daher auch „Dry GIN-seng“. Das heißt, die Inhaltsstoffen von Gin und Elixier sind identisch, nur die Konzentration ist eine andere. Unser Gin ist komplett zuckerfrei, was für einen Gin selten ist. Außerdem ist der Alkoholgehalt sehr hoch: Unser Gin zählt mit seinen 50% vol zu den „Navy Gins“ – Gin wurde ja ursprünglich für die Seefahrt entwickelt.
Je höher der Alkoholgehalt, desto mehr werden den Kräutern die ätherischen Öle entzogen. Das heißt, man bekommt mehr Aroma, was man natürlich schmeckt.
Das Schönste ist, dass jeder, dem ich begegne, das Produkt zu schätzen weiß. Das zieht sich durch jede Altersgruppe – vom Hipster-Food-Blogger bis zur 80-jährigen Oma.
Per Definition ist ein „Elixier“ ein Auszug aus Heilkräutern. Wir schließen eine Lücke zwischen reinen Kräuterbittern und Kräuterlikören – wir fokussieren uns auf die Kraft der Kräuter. Die Kräuter haben eine Bedeutung – nicht nur geschmacklich. Unsere Produkte sind keine Medizin, aber unsere Kräuter sind generell eher in der Medizin als in Lebensmitteln oder Spirituosen beheimatet.
Das Elixier gab es wie gesagt schon, aber wir haben, bevor wir es auf den Markt gebracht haben, die Rezeptur verfeinert und ergänzt. Da ich alles selbst finanziert habe und wir organisch wachsen wollen, hat es ungefähr zwei Jahre gedauert. Allerdings habe ich halbtags am Unternehmen gearbeitet. Die Recherche für Packaging und Design habe ich schon während meiner Promotion begonnen.
Das Schönste ist, dass jeder, dem ich begegne, das Produkt zu schätzen weiß. Das zieht sich durch jede Altersgruppe – vom Hipster-Food-Blogger bis zur 80-jährigen Oma. Wir bekommen oft Briefe und Mails von Kunden, die begeistert sind. Damit hatte ich nicht gerechnet, das ist wahnsinnig schön. Das macht mich gerade extrem glücklich, dass wir die Leute erreichen, die diese Qualität zu schätzen wissen.
Es gab anfangs immer wieder Herausforderungen. Zum Beispiel hat es ein halbes Jahr gedauert, den perfekten Korken zu finden, der absolut dicht und optisch ansprechend ist. Dann galt es, die richtigen Produktpreise für den Handel zu finden. Danach kam die Gastronomie. Die Gastronomen wollten Vorschläge für Drinks haben – daran hatten wir nicht gedacht. Ich arbeite jetzt mit Christof Reichert, dem Bartender der Lobby-Bar des „Hotel Adlon“, zusammen. Gemeinsam haben wir einige Drinks mit unseren Elixieren entwickelt.
Er ist sehr abwechslungsreich: Produktentwicklung, Logistik, Herstellung, Personal, Vertrieb, Marketing, Pressarbeit, Social Media. Das macht alles Spaß, man muss nur aufpassen, dass man sich nicht verzettelt. Anfangs hatte ich eine Sieben-Tage-Woche – das habe ich jedoch nicht als belastend empfunden. Im Gegenteil. Jetzt arbeite ich immer noch viel am Wochenende und bin oft auf Messen und natürlich immer in Kontakt mit meinem Vater. Aber es ist entspannter geworden und ich arbeite nicht immer sieben Tage in Vollzeit.
Produktentwicklung, Logistik, Herstellung, Personal, Vertrieb, Marketing, Pressarbeit, Social Media. Das macht alles Spaß, man muss nur aufpassen, dass man sich nicht verzettelt.
Das stimmt, vor allem bei den Spirituosen bin ich meistens die einzige Frau. Mir ist das ehrlich gesagt nie negativ aufgefallen. Aber du hast Recht, es ist eine absolute Männerdomäne. Da ich ein anderes Produkt habe als die meisten Spirituosenhersteller, bin ich nicht in Konkurrenz. Insgesamt herrscht in der Branche eine gute Atmosphäre und ein respektvoller Umgang.
Dass ich nebenher noch gearbeitet und alles selbst finanziert habe, hat mir von Anfang an ein sehr gutes Gefühl gegeben und ich war dadurch weniger gestresst. Mit einem Kredit oder einem Investor, der mir auf die Finger schaut, hätte ich mehr Nerven gebraucht. Mir war die finanzielle Sicherheit wichtig. So konnte ich mit meinem Job nebenher erstmal abwarten wie es läuft, bis ich es hauptberuflich machen konnte. Wenn man überlegen muss, ob man seine Miete finanzieren kann, trifft man eventuell andere Entscheidungen. Zum Beispiel möchte ich meine Produkte nie im normalen Supermarkt sehen, einige Angebote habe ich ausgeschlagen. Ich bin froh, dass ich in dem Fall nicht vom Geld Verdienen getrieben bin. Seit letztem Jahr kann ich komplett von „Dr. Jaglas“ leben und wir haben angefangen, Mitarbeiter einzustellen.
Fotos: Virginia Garfunkel
Interview: Marie Freise
Layout: Kaja Paradiek
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