Die „Slow Flower Bewegung“ wächst – zu Besuch bei den Flowerfarmerinnen von „Mentha Piperita Flowers“

Kunterbunte und üppige Sträuße sind Trend. Doch über 90 Prozent unserer Schnittblumen in Deutschland werden aus den Niederlanden oder aus Entwicklungsländern importiert. Böden werden durch Spritzmittelrückstände vergiftet, die Blumen werden oft sogar unter schlechten Arbeitsbedingungen produziert und legen zudem mehrere tausend Kilometer zurück bis sie letztendlich in unserer Vase landen.


Dem will die „Slow Flower Bewegung“, die aus einem Zusammenschluss von Flowerfarmer*innen, floralen Designer*innen, Florist*innen und Schnittblumengärtner*innen besteht, entgegen wirken. Vor einem Jahr haben sich Xenia Bluhm und Nadja Neumann (beide 32) der Bewegung angeschlossen, die sich für einen nachhaltigeren und pestizidfreien Blumenanbau in Deutschland einsetzt, kurzerhand ein Feld gepachtet und Blumensamen gesät. Daraus ist „Mentha Piperita Flowers“ entstanden. Die Blumen-Aktivistinnen wollen mit ihren Sträußen, Events und Workshops darauf aufmerksam machen, dass der Massenblumenmarkt so gar nicht nachhaltig ist und zeigen aktiv, wie lokale und saisonale Flower Power funktionieren kann. Seitdem wächst ihr Business – vom Verkauf von bunten Sträußen auf Instagram hin zum blühenden Eventspace. Wir besuchen die Fotografin und die Hair- und Make-up-Artistin auf ihrem Feld mit Bauwagen am Stadtrand von Hamburg und sprechen über Bienen und Businessplan, Herausforderungen bei der Gründung und ihren Masterplan für den Herbst und Winter, wenn ihre kunterbunten Blüten welken.

Wir besuchen Xenia Bluhm (li.) und Nadja Neumann (re.), die Gründerinnen von „Mentha Piperita Flowers“, auf ihrem Blumenfeld am Stadtrand von Hamburg.

Nachhaltig wachsen.

Die Blumen von „Mentha Piperita Flowers“ wachsen ganz ohne den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln und mineralischem Dünge.

Man merkt den aktivistischen Gedanken hinter der „Slow Flower Bewegung“, von allen Seiten wurden uns die Hände gereicht, als wir Teil der Bewegung wurden.

femtastics: Wie seid ihr auf den Namen „Mentha Piperita“ gekommen?

Xenia Bluhm: „Mentha Piperita“ ist der botanische Name für Pfefferminze. Wir lieben beide Minze und haben nach einem schön klingenden Namen gesucht, der einen Bezug zu unseren Blumen hat. Kräuter finden sich auch oft als Bestandteil in unseren Sträußen wieder.

Ihr gehört seit 2020 der „Slow Flower Bewegung“ an: Was genau steckt dahinter und wer ist noch Teil davon?

Xenia: Die Idee an sich kommt ursprünglich aus den USA und England, im deutschsprachigen Raum ist sie noch relativ jung und erst 2018 oder 2019 in Deutschland angekommen mit anfangs nur fünf Mitgliedern. Mittlerweile sind es über hundert. Wir sind seit letztem Jahr Mitglied bei der Bewegung. Seitdem ist sie krass gewachsen. Wir hatten zuvor einen Artikel über zwei Blüten-Sammlerinnen aus Dänemark gelesen. Darin wurde der Gedanke der “Slow Flower Bewegung” erklärt, was wir super inspirierend fanden, weil wir beide gerne gärtnern.


Es klang traumhaft, wie sie früh morgens auf dem Feld im Nebel Blumen ernten. Wir hatten vorher nicht darüber nachgedacht, dass normale Schnittblumen um die halbe Welt reisen und sehr stark mit Pestiziden belastet sind, dass Kunstdünger eingesetzt wird, um sie haltbarer zu machen und so weiter. Die “Slow Flower Bewegung” setzt sich dafür ein, dass Blumen regional und naturbelassen angebaut werden, und in der Floristik ohne Steckschaum gearbeitet wird. Der kommt super viel zum Einsatz bei Events und Hochzeiten, aber es ist ein Wegwerfprodukt, das sehr viel Mikroplastik erzeugt. Und natürlich soll auch auf die ganze Plastikverpackung verzichtet werden. 


Nadja Neumann: Alle Mitglieder werden auf der Website gelistet und es gibt regelmäßige Mitgliedertreffen. Am Anfang waren es nur ein paar Florist*innen und Blumengärtnereien, die sich gemeinsam für diese Idee einsetzen wollten. Zum einen geht es darum aufzuklären, es muss viel mehr Presse darüber geben, wie Blumen normalerweise angebaut werden und, dass es auch anders geht. Zum anderen verkaufen viele der “Slow Flower”-Mitglieder ihre Blumen und geben Workshops. Es ist ein loser Zusammenschluß von Leuten aus unterschiedlichen Bereichen, die für diese Idee einstehen.

Das klingt toll. Gibt es so etwas wie eine offizielle Prüfung?

Nadja: Es gibt Leitlinien, an die man sich halten muss, aber es gibt keine Prüfung. Manche setzen die Richtlinien nur in ihrem eigenen Garten um, berichten nur darüber aber verkaufen nicht. Aber auch riesige Gärtnereien sind dabei. Generell ist es wichtig zu erwähnen, dass nicht alle Slow Flowers Bioqualität haben oder zertifiziert sind – das wird gerne mal verwechselt. 

Welche Hürde müsstet ihr nehmen, um ein Biosiegel zu erhalten?

Xenia: Wir hatten überlegt, ob wir “Mentha Piperita Flowers” mit einem Biosiegel zertifizieren lassen und uns prüfen lassen, da wir mit den Richtlinien übereinstimmen, aber es ist eine große finanzielle und bürokratische Hürde, die momentan keinen Sinn für uns macht. Man muss zum Beispiel ganz streng über sein Saatgut Buch führen usw.

Katharina Charpian, femtastics-Co-Gründerin, hat Xenia und Nadja auf ihrem Blumenfeld am Stadtrand von Hamburg besucht.

Tauscht man unter Mitgliedern eigentlich auch Blumensamen aus?

Xenia: Ja auch. Man merkt den aktivistischen Gedanken hinter der Bewegung, von allen Seiten wurden uns die Hände gereicht, als wir Teil der Bewegung wurden und wir haben viele Tipps bekommen. Es geht sehr gemeinschaftlich zu, gegenseitige Unterstützung wird großgeschrieben. Alle Mitgleider freuen sich, wenn sich noch mehr Menschen der Bewegung anschließen.

Woher kennt ihr beide euch?

Nadja: Wir kennen uns seit sechs Jahren durch unsere Selbstständigkeit im Bereich Haare, Make-up und Fotografie. Xenia ist Fotografin und ich mache Haare und Make-up. Vor ein paar Jahren haben wir gemeinsam das „Mentha Piperita“-Atelier eröffnet. Es ist einfach schön, in der Selbstständigkeit etwas gemeinsam zu machen und nicht immer allein zu Hause zu arbeiten. 

Wann habt ihr mit dem Feld losgelegt?

Nadja: Den Artikel, von dem wir eben erzählt haben, haben wir im Herbst 2019 gelesen. Unter normalen Umständen hätte sich die Gründung von “Mentha Piperita Flowers” wahrscheinlich noch über Jahre hingezogen, aber dann kam Corona und wir beide hatten kaum noch Aufträge in unseren anderen Jobs. 


Xenia: Ich hatte ein kleines Stück Feld in Niendorf, einen Saisongarten, gepachtet und Nadja hatte einen Schrebergarten. Ursprünglich lag da unser Fokus jeweils auf Gemüse, wir haben dann aber im Frühjahr 2020 angefangen, Blumen auszusäen. Die Grundidee war erstmal auszuprobieren, ob es uns Spaß macht, und zu testen, welche Stolpersteine es geben könnte. Wir wollten nicht gleich eine riesengroße Fläche pachten. Es war naheliegend, die bereits vorhandenen Flächen zu nutzen, komplett risikofrei. Wir haben uns in kurzer Zeit sehr eingelesen und auch ein Blumen-Coaching bei einer Kollegin gemacht, um dann möglichst viel in kurzer Zeit auszuprobieren. Wir haben ganz viele Blumensorten gepflanzt, um zu gucken, was sich gut mit dem Klima hier im Norden verträgt. Wir sind also ohne Businessplan gestartet.


Lief dann alles so, wie ihr euch das vorgestellt hattet? Das war bestimmt eine kleine Geduldsprobe, mehrere Monate darauf zu warten, bis die ersten Blumen blühen…


Nadja: Wir sind beide sehr ungeduldig (lacht) und mussten uns erst daran gewöhnen, dass alles wachsen muss und seine Zeit braucht und, dass nicht von heute auf morgen alles explodiert.


Xenia: Ich war so pessimistisch und dachte, dass es nicht klappen und nichts blühen wird, aber irgendwann kamen endlich die ersten Blüten und es klappte! Es explodierte wirklich, wir hatten letzten Sommer aber auch richtig gute Bedingungen, dieses Jahr war das nicht ganz so gut.  


Nadja: Letztes Jahr war es zwar trocken, aber sehr sonnig, das hat den Blumen gut gefallen. Wir haben dann angefangen kleine Sträuße über Instagram zu verkaufen. 

Und wann habt ihr entschieden, dass ihr es professioneller angehen und eine größere Fläche pachten möchtet?

Xenia: Bereits nach ein paar Monaten. Der Saisongarten ist relativ teuer und man konnte nur von Mitte April bis Mitte November da sein. Außerdem hätten wir alles wieder umpflügen müssen, also keine Stauden stehen lassen dürfen. Es lief gut an und wir wollten es gerne weiterführen, gucken was noch so passiert. Also haben wir angefangen zu recherchieren, wo man sich für die Pachtung einer größeren Anbaufläche melden kann.


Nadja: Wir dachten, wir fragen einfach bei ein paar Bäuerinnen/Bauern nach und dann wird sich schon etwas ergeben. Das war allerdings richtig schwierig, kaum eine*r hatte Flächen übrig und erst recht nicht 500 Quadratmeter, die wir suchten. Wir haben dann zufällig im Saisongarten jemanden von der Stadt Hamburg kennengelernt, der den Kontakt mit dem Verpächter von dieser Fläche für uns hergestellt hat. Das war ein Glücksgriff.

Mit der Zeit haben wir gemerkt, dass wir uns ruhig mehr zutrauen können

Das sieht hier jetzt aber deutlich größer als 500 Quadratmeter aus.

Nadja: Es sind 2.000 Quadratmeter! Das ist das Gute daran, dass die Suche etwas länger gedauert hat, wir haben jetzt etwas mehr Fläche. Mit der Zeit haben wir gemerkt, dass wir uns ruhig mehr zutrauen können und jetzt müssen wir nicht direkt wieder umziehen. Die ganze Fläche hier hat zwei Hektar, also 20.000 Quadratmeter. Wir könnten also theoretisch noch mehr dazu pachten.

Das heißt, ihr vergrößert eure Fläche nächstes Jahr?

Nadja: Das wissen wir noch nicht genau. So eine Fläche ist viel Arbeit und wuchert schnell mit Unkraut zu. Diese Fläche können wir gut schaffen, alles was darüber hinaus geht, wird zeitlich schwierig.


Xenia: Vom Gefühl her hätten wir dieses Jahr noch dichter bepflanzen können und wir werden sicherlich irgendwann vergrößern. Ich glaube nicht, dass wir nächstes Jahr auf die volle Fläche gehen, sondern unsere aktuelle Fläche jetzt noch effizienter bepflanzen. Wir hatten hier keine leichten Startbedingungen, es war alles sehr überwuchert und wir mussten viel wegnehmen. Es ist viel Arbeit jedes Beet per Hand anzulegen und Wege freizuhalten.

Viele stellen sich das sicherlich ganz romantisch vor: Entspannen im kunterbunten Blumenbeet und den selbstgepflückten Strauß abends mit nach Hause nehmen. Als Schrebergartenbesitzerin weiß ich aus eigener Erfahrung, dass viel Arbeit anfällt, besonders, wenn man neben dem Job nur abends oder am Wochenende Zeit hat…

Xenia: Es ist Fluch und Segen. Wir schaffen nie alles, was wir uns vornehmen, weil wir wirklich relativ begrenzt Zeit haben. Natürlich hätte ich gerne, dass immer alles perfekt aussieht. Man ist hier, um frische Blumen zu ernten, aber eigentlich will man auch noch ganz gern Blumen trocknen und und und. Aber da wir von Vorneherein wissen, dass wir nicht alles schaffen können, gehen wir auch entspannter heran. Wir können Prioritäten setzen und der Rest ist egal. Aber es ist spannend zu sehen, wieviel dann trotzdem funktioniert. 

Mittlerweile lassen wir uns mehr treiben und hören auf mit festen Plänen.

Euer Blumenfeld ist mittlerweile zu einem Event Space geworden. Man kann es für Junggesell*innenabschiede und Picknicke buchen. Yogastunden habt ihr hier auch schon angeboten. Eine ganz logische Entwicklung. Wollt ihr das ausbauen?

Nadja: Es hat sich gezeigt, dass die Events doch eher unser Ding sind. Es ist organisatorisch einfacher als einzelne Sträuße an einzelne Personen zu verkaufen. Das haben wir dieses Jahr kaum gemacht, außer die Leute waren hier am Feld und haben sich etwas mitgenommen. Veranstaltungen hier am Feld sind super schön und der ganze Aufwand lohnt sich mehr. Die Leute mögen den Ort, Xenia fotografiert hier und ich veranstalte Workshops. Die meisten Menschen sind schon entspannt, wenn sie hier vorfahren und das Feld sehen. Das ist total schön mitzuerleben.


Xenia: Das wollen wir nächstes Jahr auf jeden Fall ausbauen. Bei der ersten Yoga-Veranstaltung hatten wir nur wenige Anmeldungen, doch dann gab es Bilder bei Instagram davon und es meldeten sich viel mehr Menschen bei der zweiten Veranstaltung an. 


Nadja: Mittlerweile lassen wir uns mehr treiben und hören auf mit festen Plänen. Wir können uns jetzt auch vorstellen Hochzeiten mit Blumen auszustatten – das war am Anfang ein No Go für uns! Es macht aber super viel Spaß, wir können kreativ gestalten und Konzepte entwickeln. 


Xenia: Wichtig ist uns aber, dass wir dabei frei sein können. Wir bieten das an, was bei uns auf dem Feld wächst und wollen nichts dazukaufen. Es ist total konträr zu unseren anderen Selbstständigkeiten, hier haben wir sehr freie Hand und das wollen wir auf gar keinen Fall verlieren. Als Fotografin und Make-up-Artist muss man sich oft an ganz konkrete Kundenwünsche halten. 


Nadja: Wir haben hier nicht so viel Druck und erinnern uns immer wieder daran, dass hier nichts muß, das würde es auch kaputt machen.

Seht ihr das Thema Blumen auch im großen Kontext. Stichwort: Bienensterben, Klimawandel…?

Nadja: Definitiv. Wir achten darauf, dass wir Sorten anpflanzen, die Bienen- bzw. Insektenfreundlich sind. Zuerst waren hier kaum Bienen und mittlerweile sind hier ganz viele. Die mussten uns erstmal finden. (lacht) Ein Traum wäre es, hier noch jemanden zu haben, der imkert und seine Körbe hinstellt. Im Moment trauen wir uns noch nicht, weil wir hier leider relativ viele Probleme mit Vandalismus hatten. 

Wir haben auch die Idee, Trockenblumen zu verleihen, im Sinne der Nachhaltigkeit.

Im Sommer kann man das Feld erleben und hier zusammenkommen, im Winter verkaufen wir Trockenblumensträuße und Kränze und geben Workshops. 

Ich kann den regelmäßigen Kauf von bunten Blumensträußen nicht mehr wirklich mit meinem Gewissen vereinbaren und versuche auch nur noch lokal zu kaufen – oder setze auf Trockenblumen. Das Thema spielt auch bei euch eine große Rolle. Was ist in diese Richtung geplant? 

Nadja: Bei Trockenblumen ist es genauso wie bei frischen Blumen, die werden auch krass behandelt und chemisch “verschönert”, mit Bleichmitteln bearbeitet und eingefärbt. Wir trocknen mehr als die Hälfte der Blumen, die wir ernten, und achten auf Sorten, die sich gut trocknen lassen, damit sie auch in Herbst und Winter schön sind. Gerne würden wir in Zukunft auch Veranstaltungen mit Trockenblumen ausstatten.


Xenia: Wir haben auch die Idee, Trockenblumen zu verleihen, im Sinne der Nachhaltigkeit. Sie halten schön lang und die Nachfrage ist tatsächlich größer, als das, was wir produzieren können. Das wäre besonders schön für Veranstaltungen im Winter, da gibt es keine frischen, lokalen Blumen und wir könnten etwas Passendes aus getrockneten Blumen zusammenstellen.


Nadja: Trockenblumen kann man immer wiederverwenden. Das ist ein großes Thema, wo wir am meisten wachsen werden. Im Sommer kann man das Feld erleben und hier zusammenkommen, im Winter verkaufen wir Trockenblumensträuße und Kränze und geben Workshops. 

Das klingt nach dem perfekten Plan! Vielen Dank für das Interview, Xenia & Nadja!

Hier findet ihr „Mentha Piperita Flowers“:

 


Fotos: Linda David


Layout: Kaja Paradiek

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