Uwe Ehinger – die Custombike-Koryphäe aus Hamburg

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17. August 2018

Wer sich für Custombikes interessiert, kennt den Namen Uwe Ehinger. Der 58-Jährige ist eine echte Größe in der Motorradszene. Geboren in Lübeck verbrachte Uwe Ehinger einen Großteil seiner Kindheit in Argentinien, auf dem Land in der Nähe von Córdoba, wo er schon als Kind Auto- und Motorradfahren lernte. In jungem Alter baute sich der Querdenker sein eigenes Business auf und handelte weltweit mit antiken Motorrädern. Im Jahr 2008 gründete er, zusammen mit seiner Partnerin Katrin Oeding, Ehinger Kraftrad in Hamburg. Unter dem Label entwirft er Custombikes – vor allem basierend auf antiken Harley Davidsons – für Kunden aus aller Welt. Wir treffen Uwe im Hamburger Showroom von Ehinger Kraftrad und sprechen über seine abenteuerliche Jugend, seine minimalistische Motorrad-Philosophie und die Suche nach neuen Herausforderungen.

 

homtastics: Wann entstand dein Interesse für Motorräder?

Uwe Ehinger: Sehr früh, als ich noch ein kleines Kind war. In Argentinien wurden Motorräder überall auf dem Land genutzt und mir fiel damals schon der besondere Sound der alten Motorräder auf. Natürlich wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass es antike Motorräder waren, das habe ich erst viel später gemerkt. In Südamerika waren die antiken Motorräder nichts wert, sie waren einfach da und werden eher als „alter Schrott“ betrachtet.

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Der Showroom von Ehinger Kraftrad liegt in der Hamburger Speicherstadt.

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Ich hatte nie etwas dagegen, anders zu sein.

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Warum warst du als Kind in Argentinien?

Ich war ein wildes Kind, ich habe mir auf dem Dreirad viele Platzwunden zugezogen und musste mehrfach von der Feuerwehr von Bäumen geholt werden. Meine Tante hat damals in Argentinien gelebt – eigentlich sollte ich sie nur für einen Sommer besuchen, aber ich bin für zehn Jahre geblieben. Allerdings bestand mein Vater darauf, dass ich regelmäßig nach Deutschland komme.

Wie ging es nach deinem Schulabschluss weiter?

Ich habe zuerst eine Ausbildung zum Schlosser, dann Fachabitur gemacht und dann ein Stipendium für ein Studium in den USA bekommen. Ich habe Maschinenbau und Partikelphysik studiert. Nebenbei habe ich Football gespielt – mit langen Haaren bis an die Oberschenkel. Ich bin aufgefallen. Aber ich hatte nie etwas dagegen, anders zu sein.

Und waren Motorräder damals für dich ein Thema?

Absolut. Ich habe begonnen, mir neben dem Studium ein Business rund um Motorräder aufzubauen. Von meinem ersten selbst verdienten Geld habe ich alte Motorräder aufgekauft.

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Ich habe begonnen, mir neben dem Studium ein Business rund um Motorräder aufzubauen. Von meinem ersten selbst verdienten Geld habe ich alte Motorräder aufgekauft.

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Foto links: eine original Harley Flathead von 1939.

Wann hast du ein bewusstes Interesse für die antiken Motorräder entwickelt?

Ich war in dieser Hinsicht ein early Adopter, kann man sagen. Durch den Film „Easy Rider“ entstand langsam ein Interesse an alten Harleys – und ein Markt. Anfang der Achtziger habe ich in den USA einen Schrotthändler getroffen, der einen ganzen Hof voller alter Harleys hatte. Ihr Wert läge heute sicher im Millionenbereich. Ich habe ihn gefragt, was er dafür haben will und er hat nur gesagt: „Clean it up!“, also: „Nimm es mit!“ Die Motorräder hatten damals nur einen Metallwert, es waren ausgediente Polizeimotorräder, an denen herumgeschraubt wurde. Durch einen Freund wusste ich auch, dass in Santiago de Chile sehr viele alte Motorräder standen. Und auch nach England hatte ich Beziehungen, wo ich ebenfalls alte Harleys gekauft habe.

Du hast erkannt, dass man mit den alten Harley Davidsons ein Business machen konnte?

Ich hatte irgendwann 12 Leute, die für mich gearbeitet haben: vier haben für mein Studium gearbeitet, haben für mich Vorlesungen besucht und die wichtigsten Informationen zusammengeschrieben, und acht Leute haben für mein Motorrad-Business gearbeitet. Wir haben Motorräder aus aller Welt aufgekauft, aufgearbeitet und weiterverkauft. Ich habe über zehn Jahre, zwischen 1979 und 1989, viele Hundert Motorräder weltweit gehandelt. Ich war in Uruguay, in Paraguay, in Südkorea … In Mexiko habe ich direkt von der Polizei alte Harleys gekauft und musste den bewaffneten Typen, denen ich nicht getraut habe, richtig große Summen in Cash auf den Tisch legen. Das war nicht ohne.

Hast du das zum Spaß gemacht oder hattest du damals schon den Wunsch, das zu deinem Beruf zu machen?

Ich bin da ein anderer Mensch. Ich habe in dem Sinne keinen „Spaß“ – und ich denke auch nicht an die Zukunft. Ich habe einfach eine Herausforderung gesehen, eine Möglichkeit, Geld zu verdienen.

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Schneetauglich dank Schneeketten: die „Snowracer“.

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Wir haben Motorräder aus aller Welt aufgekauft, aufgearbeitet und weiterverkauft. Ich habe über zehn Jahre, zwischen 1979 und 1989, viele Hundert Motorräder weltweit gehandelt.

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Show-Chopper: die Born-Free 8 Knucklehead von Ehinger Kraftrad.

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In gewisser Weise entstand damals schon die Idee für Ehinger Kraftrad?

Die Idee gab es irgendwie schon immer. Aber die Marke Ehinger Kraftrad ist zusammen mit meiner Partnerin Katrin entstanden. Sie führt die Designagentur Studio Oeding und die Marke Ehinger Kraftrad ist ein gutes Aushängeschild für ihre Agentur, weil wir die Marke von Grund auf erschaffen haben. Natürlich stehen wir voll und ganz hinter der Marke – und meine persönliche Geschichte steckt in Ehinger Kraftrad.

Was ist eure Motorrad-Philosophie?

Ich mag Harleys deshalb so gern, weil es eine simple Art ist, Motorräder zu bauen. Fast wie ein Fahrrad mit Motor. Es ist eine gewisse Einfachheit in der Technik – mit Historie.

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Ich mag Harleys deshalb so gern, weil es eine simple Art ist, Motorräder zu bauen. Fast wie ein Fahrrad mit Motor.

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Was muss am idealen Bike dran sein?

Nur das, was dran sein muss. Kein Firlefanz. Der Begriff „customisen“ bedeutet für mich: weglassen.

Bist du auch in anderen Lebensbereichen Minimalist?

Ja, absolut. Es gab eine Zeit, in der ich allein gelebt habe, als ich wie ein Mönch lebte. Besitz verpflichtet. Am liebsten möchte ich auch kein Motorrad besitzen, ich will es nur fahren. Ich will nicht wissen, wo der Schlüssel ist, ob es versichert ist und so weiter. Das interessiert mich nicht wirklich.

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Arbeitet ihr nur mit Harleys oder auch mit anderen Marken?

Hauptsächlich Harleys aus den 30er und 40er Jahren. Ab und zu auch mal etwas Anderes, wie zum Beispiel Triumph. Ich baue dir auch einen A380 um – Hauptsache, ich kann mich kreativ austoben und habe eine neue Herausforderung.

Wo findest du heute die alten Motorräder?

Ich habe gerade wieder einen großen Garagenfund gemacht: unglaublich viele Motorräder in Teilen. Ich finde einfach immer wieder etwas und natürlich habe ich auch noch viel von früher.

Wie kommst du an die Originalteile?

Harley hat für jedes Motorrad, was gebaut wurde, noch mal zwei Motorräder in Ersatzteilen gebaut. Es gibt also sehr viele Ersatzteile, das war damals das Konzept. Harley folgt einem super einfachen System: Jeder sollte in der Lage sein, das Motorrad selbst reparieren zu können, die Technik ist sehr einfach – ähnlich wie bei einem alten Traktor.

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Das Buch „Rusty Diamonds“ dokumentiert die motorradarchäologischen Funde von Uwe Ehinger in der Zeit von 1979 bis 1989 – mit Uwes eigenen Fotos.

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Man nimmt das Werkstattbuch von 1939 und arbeitet penibel so wie es dort drin steht. Und dann funktionieren die Motoren auch.

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Ihr arbeitet immer mit den alten Originalmotoren, richtig? Welche Leistung haben sie?

Wenn möglich, ja, klar. Wir tunen sie nicht. Dahinter steckt eine Philosophie: Wenn du versuchst, die alten Motoren umzubauen und zu tunen, dann verschlimmbesserst du sie nur. Man muss sie so lassen wie sie sind. Man nimmt das Werkstattbuch von 1939 und arbeitet penibel so wie es dort drin steht. Und dann funktionieren die Motoren auch. Vielleicht muss man fünf mal drauf treten, damit das Motorrad anspringt und vielleicht frustriert das manche Leute, die keine Ahnung von alten Motoren haben und die lieber nur auf einen Knopf drücken würden, damit der Motor angeht. Aber vielleicht verstehen sie die Philosophie dann einfach nicht. Aufgrund der alten Technik und aufgrund des Alters brauchen die Motoren eben eine Weile, das ist so.

Stehst du auch in Kontakt mit anderen Custombike-Machern?

Ja, hauptsächlich aus den USA, aber auch anderen Ländern. In den Staaten ist bis heute die größte Custombike-Szene. Sie ist traditionell eng verknüpft mit der Skater- und der Surf-Szene.

Und ist die Szene sehr männlich dominiert?

Ja. Ich kenne keine Frau, die Motorräder customized. Die Szene entwickelt sich auch etwas in Richtung Altherren-Club – es braucht jetzt ein paar junge Leute, die sie aufmischen.

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Zu Uwes Sammlung gehören auch alte Tanks, Motorradteile – und natürlich Motoren.

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Wer sind eure Kunden?

Junge Kunden, die sich sehr für alte Motorräder interessieren, können sie sich in der Regel leider nicht leisten. Das ist wirklich schade! Unsere Motorräder kosten ab 30.000 Euro – nach oben offen. Sehr seltene Exemplare aus bestimmten Jahren, besonders die allerersten „Knuckleheads“ aus 1936, können einen Preis im fünf- bis sechsstelligen Bereich haben. Unsere Kunden sind oft Ausländer, Sammler, die bei uns bestimmte Custom Bikes in Auftrag geben. 60 Prozent meiner Instagram-Follower, zum Beispiel, kommen aus den USA.

Wie kann man sich den Entstehungsprozess eines Ehinger Kraftrads vorstellen?

Die meisten Kunden wissen schon ziemlich genau, was sie wollen. Es ist eine reine Budgetfrage – bauen können wir alles. Der Prozess bis zum fertigen Motorrad kann theoretisch nur sechs Wochen dauern, aber das ist eine Frage des Geldes. Wir konzipieren hier die Motorräder und entwickeln 3-D-Modelle und dann werden die Motorräder, in 90 Prozent der Fälle, von meinem Freund Udo Sacher von U.S. Custombikes gefinished. Mit ihm arbeite ich schon seit Jahren zusammen. Er kümmert sich auch um die TÜV-Tauglichkeit.

Wann und wieso sind die anderen Produkte hinzugekommen, die die Welt von Ehinger Kraftrad ergänzen – Shirts, Lederjacken, Accessoires?

Es war schon immer Teil unseres Konzeptes, dass Ehinger Kraftrad nicht nur aus den reinen Motorrädern bestehen soll, sondern, dass wir eine Welt drum herum schaffen. Mit dem Buch konnten wir uns in Sachen Design kreativ austoben. Alle Fotos im Buch sind von mir. Ich habe 1984 ernsthaft versucht, als Fotograf zu arbeiten  …

Warum hast du mit dem Fotografieren aufgehört?

Ich gehe alles immer mit großer Leidenschaft an und will wissen, wie Dinge funktionieren. Als ich die Technik beherrschte und nichts mehr dazu gelernt habe, stellte ich fest, dass es vielen nur um die Show, aber nicht um das Fotografieren ging. Das hat mich dann nicht mehr begeistert und ich habe aufgehört.

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Als ich angefangen habe, Motorrad zu fahren, fuhr man Motorrad, damit einen die Masse der Menschen nicht mochte und um sich abzuheben. Heute fährt man Motorrad, um cool zu sein und gemocht zu werden.

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Außen Glas, innen Gin und verzinnte Originalteile

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Neu ist euer Gin, „The Archaeologist“, der auch mit einem „Goldenen Löwen“ bei den Cannes Lions prämiert wurde. Was ist die Geschichte dahinter?

In den Flaschen befindet sich nicht nur Gin, sondern auch original Motorradteile von 1939, 1947 und 1962, die lebensmittelecht verzinnt wurden. Das Packaging der Flaschen spiegelt jeweils das betreffende Motorrad und seine Historie wider. Hinter jeder Flasche steckt eine Geschichte und jede Flasche ist ein Unikat. Deshalb kostet eine Flasche auch über 1.000 Euro. Uns ging es darum, zu zeigen, was sich kreativ mit Motorradteilen machen lässt. Wir haben „The Archaeologist“ in einer kleinen Auflage produziert.

Hast du eigentlich noch Zeit, selbst Motorrad zu fahren?

Zur richtigen Zeit und am richtigen Ort auf jeden Fall. Ich fahre nur nicht so gerne durch den Hamburger Stadtverkehr von Ampel zu Ampel. Das ist nicht das richtige Motorrad-Feeling. Sowieso hat sich viel geändert. Früher hatte das Motorrad die Rolle, zu zeigen, dass man rebellisch und anders ist – das ist heute nicht mehr so. Als ich angefangen habe, Motorrad zu fahren, fuhr man Motorrad, damit einen die Masse der Menschen nicht mochte und um sich abzuheben. Ich wurde früher beschimpft, weil ich Motorrad gefahren bin und anders aussah. Das fand ich gut. Heute fährt man Motorrad, um cool zu sein und gemocht zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Uwe!

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Hier findet ihr Uwe Ehinger und Ehinger Kraftrad:

Fotos: Silje Paul

Layout: Carolina Moscato

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