„Nachhaltigkeit ist ein Must-have“ – Produktdesigner Mark Braun

Uhren, Vasen, Bestecksets, Schmuck, Gläser, Sofas – Mark Brauns Begeisterung für gut durchdachte und bestmöglich gestaltete Gegenstände lässt sich nicht auf eine Produktgruppe einschränken. Ähnlich lang wie die Liste der Dinge, die der 44-jährige Produktdesigner erschaffen hat, ist auch die Liste der Preise, die er für seine Arbeiten erhalten hat. Seit 2006 betreibt der Wahl-Berliner, der nach der Ausbildung zum Tischler in Potsdam Industriedesign studiert hat, ein eigenes Studio. Hier sind wir zu Besuch und bekommen einen Einblick in Mark Brauns Arbeit sowie in sein Leben mit seiner Frau, Grafikerin Anna Sartorius, und zwei Kindern in ihrer gemeinsamen Wohnung in Berlin-Kreuzberg.

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Mark lebt zusammen mit seiner Frau Anna und ihren zwei Kindern in Kreuzberg. In der Wohnung treffen Erbstücke auf zeitgenössisches Design – unter anderem Stücke, die Mark entworfen hat.

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homtastics: Wann hast du gemerkt, dass dir das Erschaffen von Neuem besonders liegt und Spaß macht?

Mark Braun: Meine Großeltern väterlicherseits sind Architekten und hatten einen tollen Bezug zu ihren eigenen vier Wänden. Sie haben ihr Haus selbst entworfen und hatten sehr geschmackvolle, stilvoll eingerichtete Interieurs. Bis hin zum Kochtopf waren das alles gute Produkte – und alle aus Skandinavien. Sie hatten eine sehr wertschätzende Haltung für ihr eigenes Leben. Meine Mutter wiederum ist Werklehrerin und hat mir früh einen Schraubstock geschenkt und zusammen mit mir Handwerk gemacht. Das war eine gute Frühprägung.

Also war sofort klar, dass du beruflich in die Designrichtung gehen willst?

Ich wollte eigentlich einen sozialen Beruf ergreifen, habe viel mit Suchtkranken gearbeitet. Ich musste dann aber feststellen, dass der Mensch an sich total schwierig zu retten ist. Also habe ich mich dazu entschieden, lieber Objekte zu machen, weil die besser zu kontrollieren sind. Über Objekte kann eine Sprache geschaffen werden, ohne Worte, und so können Menschen subtil zufrieden gestellt werden: wenn das Objekt funktioniert, schön aussieht, lange hält, preislich stimmt. Das Selbermachen hat mich schon als Tischler fasziniert, das ist etwas sehr Zufriedenstellendes. Man kann Dinge entstehen sehen, muss Entscheidungen treffen und dann wächst etwas, was einem direkt Feedback gibt.

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Mark und Anna ist ein offenes Wohnen als Familie wichtig.

 

Das Selbermachen hat mich schon als Tischler fasziniert, das ist etwas sehr Zufriedenstellendes.

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Wie würdest du deine Design-Handschrift beschreiben?

Ehrlich, qualitativ, immer mit einem Hintergrundrauschen – also „hidden values“, die vielleicht erst auf den zweiten Blick sichtbar sind. Auf den ersten Blick offenbart sich eine Ästhetik, die sofort da ist. Ich reduziere auf das Wesentliche, aber das Wesentliche kann ein sehr schönes Merkmal sein. Weglassen ist etwas ganz Schwieriges!

Was sind deine persönlichen Lieblingsstücke, die du entwickelt hast?

Besonders zufrieden bin ich mit der „Metro“, eine Uhr für Nomos Glashütte. Das Projekt hat mir besonders Spaß gemacht, weil ich es mit meiner Frau, die als Grafikerin wertvolle Impulse geben konnte, zusammen gemacht habe. Die Uhr ist behutsam entworfen worden, bis zum Ende. Die letzten fünf Prozent sind die schwierigsten. Viele Hersteller machen die gar nicht, weil ihre Zielgruppen diese letzten fünf Prozent eh nicht wahrnehmen. Wenn man als Gestalter diese letzten fünf Prozent machen darf, ist das besonders befriedigend. Für den Hersteller lohnt sich das Investment, denn genau so entstehen langlebige Produkte mit besonderer Qualität.

Gab es mal Projekte, bei denen du zwischendurch dachtest, das wird irgendwie alles nix?

Das denke ich leider aus vielen Gründen ganz oft. Wir haben als Dienstleister nicht alle Zügel in der Hand und es gibt eben Achillesfersen, von der Machbarkeit in der Fertigung bis zur Oberkante des vertretbaren Preises. Dann gibt es natürlich noch die Kommunikation mit dem Kunden, da gibt es auf Kundenseite oft personelle Veränderungen. Entwicklungsprozesse dauern ein bis zwei Jahre und da wechselt dann schon mal ein Brand Manager oder eine Brand Managerin. Es scheitert oft aus allen möglichen Gründen, du musst eine gewisse Gelassenheit haben.

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Das Interview führt homtastics-Autorin Josefine Andrae (links).

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Ich reduziere Produkte auf das Wesentliche, aber das Wesentliche kann ein sehr schönes Merkmal sein. Weglassen ist etwas ganz Schwieriges!

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Das Bett hat Mark vor 20 Jahren während seiner Ausbildung zum Tischler gebaut.

Die Liste der Preise, die du bisher eingeheimst hast, ist ziemlich lang – fühlst du dich manchmal unter Druck gesetzt, wieder etwas Preisträchtiges zu kreieren?

Der Druck, gut zu bleiben, ist natürlich da. Und der hochmotivierte Nachwuchs hält einen auch auf Trab. Man muss gelassen bleiben. Ich weiß, was ich mit meinem Büro kann. Und wenn ich gut abliefere, dann gewinne ich immer mal wieder einen Preis. Man sagt aber auch, dass Produkte, die Designpreise gewinnen, keinen Umsatz machen. Das ist natürlich nicht generell so, aber Designpreise sind vor allem Marketing. In den Firmen gibt es das Brot-und-Butter-Geschäft, das ist das Billy-Regal, das gewinnt keine Designpreise. Und dann gibt es den nachhaltigen „Click Chair“ von Ikea, der wird in der Presse rauf und runter gespielt, ist aber wirtschaftlich vielleicht ein Flop. Das eine braucht das andere.

Also sind Design-Preise nur fürs Image?

Nicht nur fürs Image. Das sind schon echte Werte, die Ikea da transportieren will. Aber bis die Mehrheit der Konsumenten, bis das Mittelmaß so weit ist, dauert das noch fünf Jahre. Und dann muss man das alles zu verorten wissen. Designpreise sind nur eine Baustelle von vielen.

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Im analogen Konsum wäre es schön, wenn die Leute merken, dass sie, wenn sie halb so schnell konsumieren, doppelt so teuer konsumieren können

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Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen spielen in der Mode eine immer größere Rolle. Gilt das auch für das Produktdesign und die Bereiche, in denen du tätig bist?

Wir haben als Gesellschaft hier in der ersten Welt die Hauptschuld, weil wir eben viel mehr verbrauchen: das Erdöl aus den Drittweltländern, die Rohstoffe, den Sand aus Afrika für unsere Straßen. Uns geht es gut auf Kosten der anderen – das schon lange – und das merkt man natürlich nicht, wenn man sich nicht damit auseinandersetzt. Das ist ein unangenehmes Thema, niemand will ja unglücklich sein. Ich glaube aber, dass der erhobene Zeigefinger nicht richtig ist. Nachhaltigkeit ist ein Must-have. Am besten ist es, wenn die Sachen nicht bio aussehen, es aber sind.

Was müssen wir alle ändern?

Das Konsumverhalten muss sich verändern, es muss langsamer konsumiert werden – im analogen Konsum, im digitalen kann man so schnell konsumieren, so lang es das Gehirn aushält. Aber im analogen Konsum wäre es schön, wenn die Leute merken, dass sie, wenn sie halb so schnell konsumieren, doppelt so teuer konsumieren können. Dann halten die Produkte länger. Es wäre so einfach, wenn dieser aggressive, schnelle, billige Konsum nicht so präsent wäre. Das wäre ein guter Wechsel. Ich glaube, da geht es auch hin.

Ist die Kundschaft schon bereit dafür?

Nein, die Kundschaft kapiert das noch nicht und im schlimmsten Fall gehst du einfach unter, weil du zu früh dran warst. Es ist auch immer leichter gesagt als getan. Mach erst einmal ein Produkt, das wirklich lange hält und eine nachhaltige Wertschöpfungskette hat! Die ganzen möglichen Schwachstellen kennt man vielleicht gar nicht genau. Das zeigt oft nur die Zeit. Aber die Devise sollte sein: So nachhaltig wie möglich.

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Mit welchen Fragen befasst du dich in deiner Rolle als Professor für Industriedesign an der HBKsaar?

Die bewegen sich zwischen Spaß und Verantwortung. Als ich studiert habe, wollten alle Autorendesigner werden, also ihre ganz eigene Handschrift ausleben, sei es in Richtung Jasper Morrison oder Marcel Wanders. Die 20-Jährigen jetzt sind sehr viel ernster, sehr politisch, wollen die Welt retten und beschäftigen sich mit Kreislaufwirtschaft. Im Winter soll es in einem Projekt um emotionale Gesundheit im Krankenhaus gehen. Auf Geburts- und Kinderstationen ist in den vergangenen Jahren schon viel passiert, aber auf anderen Stationen macht dich die Gestaltung vielleicht noch kranker. Wie machen Krankenhausprodukte die Menschen gesund?

Ist es für Studierende schwierig, später in der Branche Fuß zu fassen?

Die Branche ist ja sehr divers. Wenn du existenzängstlich bist, kannst du schauen, dass du eine Anstellung findest. Dann bist du ein funktionierendes Rad in einem System. Wer eher Design denken kann, arbeitet vielleicht als Berater. Die gibt es in vielen Agenturen, die zum Beispiel Corporate Designs entwickeln. Die Leute steigen gehaltsmäßig vielleicht höher ein.

Als Gründer mit dem Fokus auf „Make what people need“ musst du die Start-up-Logik verstehen und machst nicht nur eitles Autorendesign, sondern entwickelst vielleicht Produkte, die künstliche Intelligenz gut anwenden. Wenn du da innovative Sachen machst, kriegst du viel Förderung und kannst toll gründen. Wenn du aber ganz klassisch arbeitest, so wie ich, dann darfst du dich weniger für Geld interessieren und musst schauen, dass du anfangs mit weniger Einkommen im Monat gut durchs Leben kommst und dich durch unterschiedliche Förderformate pusht. Je nachdem, wie gut du gestaltest und wie du mit den Firmen klar kommst, läuft so ein Studio nach sieben Jahren. Oder eben nicht.

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Willkommen im Studio Mark Braun!

 

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Du arbeitest mit den verschiedensten Materialien, von Holz über Glas bis hin zu Porzellan. Mit welchem arbeitest du am liebsten?

Ich habe eigentlich keine bevorzugten Materialien. Ich bin total Material-affin, mag jedes Material gerne kennenlernen. Es gibt ja einige Materialien, die ein schlechtes Image haben, wie Plastik, Aluminium oder Melamin. Eigentlich ist aber nicht das Material das Problem, sondern die Art, wie es verwendet wird. Ich mag Plastik – wenn es sinnvoll verwendet wird, ist es ein hervorragendes Material. Es wird auch schwierig, wenn ich ein Plastikprodukt mit meinem Mindset mache, und dann dafür kritisiert werde, dass ich Plastik verwende, obwohl es in dem betreffenden Kontext richtig ist. Mein Produkt verschmutzt nicht die Weltmeere. Aber da wird nicht reflektiert, sondern alles in einen Topf geworfen. Es gibt allgemein positiv wahrgenommene Materialien, wie Porzellan, Holz und Glas. Dabei sind Porzellan und Glas total schwierig, da steckt ganz viel Energie drin und die haben schlechte CO2-Werte. Und wenn du Holz aus den Tropen herschiffen lässt, ist das auch nicht optimal.

Woher bekommst du neue Ideen und Inspirationen?

Man ist ja selbst wie eine Art Festplatte mit vielen Erinnerungen und je nach Projekt kommen welche nach oben. Wenn ich frische Inspiration suche, gehe ich in Ausstellungen oder schaue mir den Nutzungskontext an. Ich schaue dann nach Problemen – wir sind Problemlöser, und das ist auch etwas, was sehr inspirierend ist. Wenn man ein neues Problem, eine Schwachstelle entdeckt, und das löst, dann hat man gleich ein Unterscheidungsmerkmal. Manche Vintage-Entwürfe finde ich auch super inspirierend. Die alten Meister zu studieren und sich anzuschauen, was die klug gedacht haben, ist manchmal sehr hilfreich. Ohne sie zu kopieren, aber um sie zu verstehen.

Wie denkst du dich in ein neues Projekt hinein? Wie sehen die ersten Schritte aus?

Meistens besuchen wir die Partner zuerst in ihren Unternehmen oder Werkstätten. Da saugt man erst einmal auf, stellt viele Fragen und versucht, deren Zielgruppe und Know-how zu erkennen. Danach ist das ein Verdauungsprozess, wir stellen weitere Fragen und versuchen, Lücken im Sortiment entdecken. Die Leute, die mit mir arbeiten, machen noch Recherche und Mappings, die wir zur Stimulation bei uns im Studio an die Wand hängen. Wir haben dann im Team eine Entwurfssession, wo wir direkt scribbeln und zwei, drei Ideen wählen, die wir weiter überprüfen, Modelle bauen und im Rechner etwas entwerfen.

Dann kommt ein Schulterblick, den man weder zu früh noch zu spät machen darf. Wenn du zu weit bist und dein Kunde sich nicht mit dem Produkt identifizieren kann, ist es immer ein Verlust. Wenn du zu früh im Prozess bist, denkt der Kunde, er muss für dich entwerfen, was auch blöd ist. Nach dem Schulterblick und dem Entscheid für einen Entwurf geht es in die Produktentwicklung: Man sucht Zulieferer und kommt in ein realistischeres Level mit Test, ob das Produkt stabil genug ist, das richtige Gewicht und die richtige Oberfläche hat – da wird es dann sehr konkret. Das ist die längste Phase. Entwurfsphase und Ideenfindung machen ein Drittel des gesamten Prozesses aus, die Produktentwicklung zwei Drittel.

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Eigentlich ist nicht das Material das Problem, sondern die Art, wie es verwendet wird. Ich mag Plastik – wenn es sinnvoll verwendet wird, ist es ein hervorragendes Material.

 

Lass uns über eure Wohnung sprechen: Worauf habt ihr bei der Einrichtung eurer Wohnung besonderen Wert gelegt?

Das ist so gewachsen. Wir mögen den Bruch von alt und neu. Meine Frau Anna hat viele Erbstücke mitgebracht, das sind Brüche mit diesem zeitgeistigen Design, was von mir kommt. Das ist eine gute Balance. Wichtig war uns, dass die Abläufe stimmen. Eine der Türen hier war zum Beispiel immer zu, die haben wir wieder geöffnet, damit man als Familie offenere Bereiche hat. Meine eigenen Möbel habe ich sehr lange gar nicht verwendet. Ich fand das irgendwie immer komisch, meine Arbeit in meine Wohnung zu holen. Aber ich finde Langlebigkeit gut. Unser Bett zum Beispiel habe ich vor 20 Jahren während meiner Ausbildung zum Tischler gebaut. Der Entwurf besteht noch immer und altert mit Charme.

Hat sich die Einrichtung mit Kindern geändert?

Die Kinder haben ganz klar ihren eigenen Bereich. Rosa kann ihr eigenes Bett bemalen, das ist ein Ikea-Bett. Wir sind da nicht so empfindlich. Alle Dinge dürfen altern, aber es wäre auch ganz nett, wenn man sie mit Respekt behandelt. Wir haben nicht extra ein dunkles Sofa, weil das weniger empfindlich wäre. Wir nutzen auch mit Kindern Porzellangeschirr.

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Der Ultimaker ist ein 3D Drucker, ein hilfreiches Pendant zum analogen Modelbau.

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Zum Schluss: Was ist deiner Meinung nach der nächste große Design-Trend?

Weniger, aber bessere Produkte. Das wäre mein Wunschtrend. Kommt darauf an, wie viele Naturkatastrophen jetzt noch publiziert werden. Das muss halt in den Köpfen ankommen. Nachhaltigkeit muss verantwortlich eingesetzt werden und darf nicht nur ein Marketing-Trick sein. Der Trend geht ganz klar zu mehr nachhaltigen Produkten, die auch Spaß machen. Die Digitalisierung wiederum wird mehr empathische Produkte hervorbringen, die für dich mitdenken, zum Beispiel Elektroautos, in denen du nicht mehr auf einen Knopf drücken musst, um die Temperatur zu regeln, sondern die ganz automatisch dein Verhalten studieren. Dass Produkte immer intelligenter werden ist auf jeden Fall ein mega Trend.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

 

Hier findet ihr Mark Braun:

 

Fotos: Juliane Eirich 

Interview: Josefine Andrae

Layout: Kaja Paradiek

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