Toxisches Arbeitsumfeld: Wenn der Job Bauchschmerzen macht

7. Oktober 2024

Joanne Glinka befand sich in einem toxischen Arbeitsumfeld – heute klärt sie über ungesundes Verhalten im Job auf.

Eigentlich dachte Joanne „Joi“ Glinka, ihren Traumjob gefunden zu haben. Doch nach ein paar Monaten verändert sich die Situation. Aus Euphorie und Tatendrang wurden Bauchschmerzen und Selbstzweifel. Plötzlich befindet sich Joi in einem toxischen Arbeitsverhältnis.

Damit ist sie nicht allein: Laut dem „Randstad“ Workmonitor von 2023 haben 21 Prozent der befragten Arbeitnehmenden in Deutschland bereits mindestens einmal ihren Job aufgrund eines toxischen Arbeitsumfelds gekündigt. So wie Joi. Eine Befreiung und der Schritt in die Selbstständigkeit. Heute klärt sie auf „Instagram“ über ungesundes Verhalten im Job auf und ermutigt ihre Follower*innen, die aktuelle Arbeitswelt zu hinterfragen. Im Interview erzählt sie, wie sie die Zeit erlebt hat, warum sie sich entschieden hat, offen über ihre Erfahrung mit toxischen Führungskräften zu sprechen und gibt Tipps, wie man in einer solchen Situation weitermachen kann.

Mein letzter Job im Angestelltenverhältnis war toxisch und ungesund. Eine Erfahrung, die mich stark geprägt hat.

femtastics: Vor Kurzem ist dein erstes Buch „Bye Bye, Toxic Leader: Was, wenn der Traumjob zum Albtraum wird” erschienen. Wie kam es dazu?

Joi: Leider war mein letzter Job im Angestelltenverhältnis nach meinem Empfinden sehr toxisch und ungesund für mich. Eine Erfahrung, die mich stark geprägt hat. Mit dem Buch will ich Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, zeigen, dass sie nicht allein sind und ihnen helfen.

Dann beginnen wir am besten am Anfang. Was waren deine Aufgaben in dem Unternehmen?

Ich habe Marketing und digitale Medien studiert und berufsbegleitend im Influencer-Marketing von einem Start-up gearbeitet. Ich war also drei Tage pro Woche im Unternehmen. In dieser Zeit waren meine Aufgaben die Optimierung der Influencer-Marketing Strategie, Kommunikation und Verhandlung mit Creator*innen oder Managements sowie die Umsetzung von Influencer-Marketing Kampagnen.

Wie ging es dir in dem Job?

Zu Beginn hat es mir unfassbar viel Spaß gemacht. Ich habe nebenbei bereits als Content Creatorin gearbeitet und schon im Vorstellungsgespräch wurde mir vermittelt, wie wertvoll mein Input für das Unternehmen sei. Wenn ich abends meinen Laptop zugeklappt habe, war ich glücklich. Ich fühlte mich sicher und richtig.

Dass die Diskrepanz zwischen meiner Wahrnehmung und der meiner vier Vorgesetzten so groß war, hat mich extrem verunsichert.

Das hat sich nach ein paar Monaten leider geändert.

Genau. Ein grundsätzliches Problem war, dass die Ziele, die mein Team in Absprache mit unseren Führungskräften langfristig verfolgen sollte, eigentlich entgegengesetzt zu den Zielen des Unternehmens standen. Zwar habe ich dazu auch mehrfach Feedback gegeben, doch nichts hat sich geändert.

Stattdessen wurde mir und meinem Team gesagt, dass wir uns einfach nicht genug anstrengen würden. Am Ende hatte ich außerdem vier verschiedene Vorgesetzte, wichtige Termine wurden spontan verschoben oder abgesagt und Kampagnen sollten von heute auf morgen geändert werden. Auch mein Gespräch zum Ende der Probezeit wurde mehrfach spontan verschoben. Als es schließlich stattfand, wurde mir gesagt, dass alles, was ich über das Jahr gemacht habe, nicht gut genug war.

Hast du damit gerechnet? 

Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich schätze mich grundsätzlich immer schlechter ein, hatte in diesem Termin aber tatsächlich ein relativ gutes Gefühl. Dass die Diskrepanz zwischen meiner Wahrnehmung und der meiner Vorgesetzten so groß war, hat mich extrem verunsichert. Insbesondere, da ich vorher immer ganz anderes, nämlich positives Feedback bekommen habe.

Es hat mir sehr zugesetzt. Ich habe total an mir und meinen Fähigkeiten gezweifelt.

Wie ging es dir in der Zeit?

Es hat mir sehr zugesetzt. Ich habe total an mir und meinen Fähigkeiten gezweifelt, alles hinterfragt und dachte, die Stelle überhaupt nicht verdient zu haben, weil ich offensichtlich nicht gut genug war. Aber auch körperlich gab es Warnzeichen. Ich hatte oft Kopfschmerzen, die teilweise so stark waren, dass ich alles nur noch verschwommen wahrgenommen habe.

Über einen sehr langen Zeitraum hatte ich außerdem ständig Magenschmerzen und habe sogar versucht, meine Ernährung umzustellen, weil ich dachte, eine Unverträglichkeit entwickelt zu haben. Komischerweise waren sie immer weg, sobald ich ein längeres Wochenende oder Urlaub hatte. Doch diese Verbindung ist mir erst aufgefallen, als ich beschlossen habe, zu kündigen.

Konstruktive Kritik gab es keine, genauso wenig wie Raum über Entwicklungspotenziale zu sprechen.

Wie kam es dazu?

Nach dem Feedbackgespräch habe ich mir noch mehr Mühe gegeben, um zu zeigen, dass ich wirklich motiviert bin. Zum Beispiel habe ich mit einer Kollegin einen sehr aufwendigen Strategie-Workshop aufgezogen. Doch es hat nichts gebracht. Stattdessen wurde mir in meinem Jahresendgespräch in einem 20-minütigen Monolog an den Kopf geworfen, dass ich teamunfähig bin, nicht engagiert genug und meine Zahlen nicht passen. Konstruktive Kritik gab es keine, genauso wenig wie Raum, um sich auszutauschen oder über Entwicklungspotenziale zu sprechen. Am Ende wurde mir nahegelegt, mir doch bitte zu überlegen, ob die Stelle noch das Richtige für mich ist oder nicht.

Ein krasse Situation.

Aber auch mein Klick-Moment. Da habe ich verstanden, dass ich – warum auch immer – in diesem Unternehmen keine Zukunft haben sollte. Egal, wie viel ich tue und wie viel Mühe ich mir gebe.

Ich habe versucht, mich emotional zu distanzieren.

Hast du direkt danach gekündigt?

Nicht direkt. Obwohl mich die vergangenen Monate extrem belastet haben, hing ich noch an meinem Job. Also habe ich zunächst versucht, mich emotional zu distanzieren. Ich habe meinen Laptop pünktlich um 17 Uhr zugeklappt und kein extra Engagement mehr reingesteckt. Das hat mir geholfen.

Leider hat sich die Situation danach noch weiter zugespitzt. Ich musste alles dokumentieren und hatte jeden Tag einen Termin mit einer Führungskraft, bei dem ich erklären musste, warum ich Sachen so und so gemacht habe. Natürlich kann ich nur aus meiner Perspektive sprechen, aber es fühlte sich so an, als sollte mir die Arbeit absichtlich schwer gemacht werden. Nach ein paar Wochen wurde ich krankgeschrieben. Und habe gekündigt. 

Du hast nebenbei schon als Content-Creatorin gearbeitet. Hat das deine Entscheidung beeinflusst?

Über kurz oder lang hätte ich auch ohne zweites Standbein gekündigt. Trotzdem ist mir bewusst, dass ich mich in einer privilegierten Situation befunden habe. Ich bin ein Sicherheitsmensch. Ohne Social Media hätte die Aussicht, ohne neuen Job meine Stelle zu kündigen, durchaus Existenzängste in mir ausgelöst.

Auf „Instagram“ folgen dir knapp 200.000 Menschen. Warum hast du dich entschieden, deine Erfahrung mit der Community zu teilen?

Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, ob ich darüber sprechen soll oder nicht. Obwohl ich die ganze Situation intensiv reflektiert habe und wusste, dass ich immer mein Bestes gegeben habe, war es mir unangenehm. Ich hatte Angst, dass die Leute mir nicht glauben, weil auch ich lange Zeit dachte: Wenn man ohne Grund gekündigt wird, hat man bestimmt seinen Teil dazu beigetragen. Hinzu kam, dass ich nicht als Content Creatorin in eine Schublade gesteckt werden wollte. Am Ende habe ich es trotzdem gemacht, weil über solche Situationen viel zu selten gesprochen wird und ich so vielleicht anderen zeigen kann: Ihr seid nicht allein.

Wie war das Feedback?

Durchweg positiv. Viele haben sich für meine Offenheit bedankt, mir Mut zugesprochen oder mir von ähnlichen Erfahrungen erzählt. Das hat mich unglaublich gefreut – und erstaunt. Ich hätte niemals gedacht, dass dieses Thema so viele betrifft. Bis heute bekomme ich Nachrichten von Menschen, die mir schreiben, dass ich der letzte Anstoß war, ihr toxisches Arbeitsverhältnis nach Jahren zu kündigen. In solchen Momenten bin ich sogar froh, all das erlebt zu haben, weil so vielleicht eine positive Veränderung passiert.

In dem Statement betonst du, dass du sonst sehr vorsichtig mit dem Wort „toxisch“ bist. Wieso hast du es in diesem Fall trotzdem bewusst verwendet, um die Arbeitssituation in der Firma zu beschreiben?

Ich versuche grundsätzlich, Begriffe nicht inflationär zu verwenden, um ihre Bedeutung nicht zu minimieren. Gerade auf Social Media kann das schnell passieren. Toxisch bedeutet so viel wie hochgiftig. Also eine Umgebung, in der ein Wesen nicht über längere Zeit überleben kann. Das hat für mich in meinem Fall gepasst. Es ging nicht nur darum, dass mir Aufgaben keinen Spaß gemacht haben oder ich mit dem Workload überfordert war. Ich hatte ab einem gewissen Punkt das Gefühl, ich sollte kündigen und dass dafür diese ungesunde Situation in Kauf genommen wurde.

Hast du Tipps für Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?

Das Leben besteht für mich aus unterschiedlichen Phasen. Mal geht es bergauf, mal bergab und manchmal geht alles einfach seinen gewohnten Gang. Fühlt man sich in seinem Job nicht mehr wohl, finde ich es wichtig, sich zuerst anzuschauen: In welcher Phase befinde ich mich gerade? Und davon ausgehend: Wie absehbar ist es, dass sich die Phase wieder ins Positive verändert, wie lange dauert das und komme ich mit der Zeitspanne zurecht? So habe ich das bei mir auch gemacht.

Auf diesem Weg kann man relativ schnell erkennen, ob man Maßnahmen ergreifen soll, um etwas zu verändern und sich wieder besser zu fühlen. Das kann ein Gespräch mit der Führungskraft sein, bei dem man im besten Fall gemeinsam nach einer Lösung sucht oder auch ein Jobwechsel.

In diesem Kontext ist auch die Frage nach dem Grund wichtig. Belastet mich die Zusammenarbeit mit einer Führungskraft oder liegt es an der Abteilung? Fühle ich mich in der Branche nicht wohl oder passt die Unternehmensphilosophie nicht zu mir und meinen Werten? Darin kann sich oft eine mögliche Lösung verstecken.

Was hat dir noch geholfen?

Was mir auch sehr geholfen hat, war mir Feedback von außen einzuholen, zum Beispiel von meinem Mann oder Freund*innen, die teilweise schon mit mir zusammengearbeitet haben. Dinge laut auszusprechen, kann helfen, sie bewusster wahrzunehmen und vielleicht lassen sich in den Gesprächen Möglichkeiten erkennen, mit der Situation umzugehen oder sie zu verändern.

Was hättest du dir von deinen Führungskräften gewünscht?

Dass sie mir aktiv zuhören, konstruktives Feedback geben und auch mal fragen: Hey, wie geht’s dir? Können wir dich irgendwo unterstützen? Das heißt nicht, dass man mich wie ein rohes Ei anfassen muss. Aber die Möglichkeit, gemeinsam an Baustellen zu arbeiten und offen über Probleme zu sprechen, gab es leider nicht.

In meiner Traumvorstellung fühlt sich jede Person in ihrem oder seinem Job wohl.

War es für dich die richtige Entscheidung zu kündigen?

Definitiv! Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es mir mental ginge, wenn ich geblieben wäre. Außerdem hat mich die Erfahrung motiviert, mich als Content-Creator*in selbstständig zu machen. Und damit bin ich sehr zufrieden.

Laut einer aktuellen Studie fühlt sich fast jeder zweite Arbeitnehmer gestresst. Welche Veränderungen wünschst du dir für die Arbeitswelt?

In meiner Traumvorstellung fühlt sich jede Person in ihrem oder seinem Job wohl. Und damit meine ich nicht, dass alle darin eine Sinnerfüllung finden müssen. Sondern, dass man nicht dauerhaft überlastet ist, immer ein offenes Ohr findet und nicht mit negativen Gefühlen nach Hause gehen muss. Wir verbringen in unserem Leben mehr als 52.000 Stunden mit Arbeit. Sollten wir uns in dieser Zeit nicht wohlfühlen?

Gleichzeitig hoffe ich, dass Führungskräfte und Mitarbeitende in allen Branchen wieder mehr zueinanderfinden. Sich gegenseitig zuhören und ernst nehmen, um auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren. Dasselbe gilt für die Generationen. Weg von dem Schubladen- und Klischeedenken. Ich glaube, zusammen können wir in allen Branchen viel mehr erreichen.

Wie können wir aktiv dazu beitragen?

Wichtig finde ich, dass nicht nur Führungskräfte regelmäßig Feedback geben, sondern auch Mitarbeiter*innen. Dessen sind sich viele vielleicht gar nicht bewusst, aber Feedback ist keine Einbahnstraße. Nur so können sich auch Führungskräfte weiterentwickeln. Außerdem sollten wir darauf achten, Führungskräfte nicht nur zu ernennen, sondern durch Coachings oder Fortbildungen auch richtig zu schulen. Die Schlussfolgerung, dass langjährige Mitarbeiter*innen auch automatisch eine gute Führungskraft sind, muss nämlich nicht stimmen.

Hier findet ihr Joi:

Collage/Foto: „Canva“/Philip Rösler

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