Wieso sollten Süßigkeiten eigentlich immer Zucker, Butter und Sahne enthalten? Anna Gliemer dachte sich: Das muss auch anders gehen. Im Jahr 2015 gründete sie Gleem – Finest Natural Sweets, ihr Patisserie-Label, unter dem sie gluten- und zuckerfreie, vegane Süßigkeiten herstellt. Unterstützung bekommt sie dabei von ihrem Freund. Auch Workshops zur zuckerfreien Schokoladenherstellung hat Anna schon angeboten. Und auf Startnext hat sie kürzlich im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne über 7.000 Euro eingesammelt, um ihr Projekt auszuweiten (noch bis 17. Juni könnt ihr sie unterstützen). Was sie mit Gleem vorhat, wie sie zuckerfreie Schokolade herstellt und warum die Produzenten ihrer Zutaten dabei eine wichtige Rolle spielen – darüber sprechen wir mit der 26-Jährigen in ihrer Loftwohnung, die – was für ein toller Zufall! – im Gebäude der Alten Schokoladenfabrik in Hamburg liegt.
femtastics: Wie kamst du dazu, mit zuckerfreien Rezepten zu experimentieren?
Anna Gliemer: Als ich klein war, hat meine Mutter abends Seminare zu Vollwertküche gegeben und so haben wir zu Hause auch gekocht. Weißen Zucker gab es bei uns nicht und wir haben auch immer alles selbst gemacht. So habe ich direkt gelernt, nicht irgendetwas zu essen, sondern nachzulesen, was drin ist. Vor rund sieben Jahren haben die Ärzte bei mir eine Glutenunverträglichkeit festgestellt, also habe ich mich noch mehr mit Ernährung beschäftigt. Dann habe ich meinen Freund kennengelernt und er hat tiereiweiß- und zuckerfrei gelebt.
Warum verzichtest du auf Zucker?
Der normale Zucker – egal, ob er aus Rohrzucker oder aus Kokosblüten ist – wird eingekocht, dann getrocknet, dann zermahlen … Es fehlen am Ende ganz viele Inhaltsstoffe, die normalerweise im natürlichen Produkt, zum Beispiel Zuckerrohr, drin wären. Der Körper bekommt Zuckermoleküle zugeführt, aber um sie im Stoffwechsel umzuwandeln, bräuchte er eigentlich noch die anderen Inhaltsstoffe der Pflanze. Diese Nährstoffe nimmt er sich dann aus dem Körper. Als ich das gehört habe, erschien es mir direkt logisch. Und seitdem ich auf raffinierten Zucker verzichte, geht es mir super. Ich habe gesundheitlich seitdem keine Probleme mehr gehabt.
Ich habe schon früher traditionell zu Weihnachten Pralinen gemacht. Ich habe mit normalen Rezepten angefangen. Irgendwann dachte ich mir: Das muss man doch auch mit anderen Zutaten machen können.
Wie kamst du dann zu zuckerfreien Pralinen?
Ich habe schon früher traditionell zu Weihnachten Pralinen gemacht. Es war immer megaviel Arbeit, aber es hat mir immer Spaß gemacht. Ich habe mit normalen Rezepten angefangen. Irgendwann dachte ich mir: Das muss man doch auch mit anderen Zutaten machen können. Ich habe mir rohe Zutaten zusammengestellt, damit die Pralinen auch alle Nährstoffe enthalten, und habe angefangen, zu experimentieren.
Wie ist daraus Gleem entstanden?
Ich war auf der Social Media Week hier in Hamburg und hörte den Vortrag einer Frau, die in Ecuador ihre eigene Kakaoplantage hat. Eine ganz tolle Frau! Ihr Unternehmen heißt „Bliss Chocolate“. Sie hat mich total inspiriert. Ich bin mit ihr nach dem Vortrag ins Gespräch gekommen und habe sie ein paar meiner Produkte probieren lassen, die ich eigentlich als mein Mittagessen mitgenommen hatte. Zwei Monate später rief sie mich an und fragte: „Willst Du nicht auf die Messe Next Organic in Berlin mitkommen und deine Produkte mitbringen? Und bring auch deine Visitenkarten mit!“ Ich hatte damals noch gar keine Visitenkarten, aber ich habe schnell welche gemacht. Und auch direkt ein Gewerbe angemeldet.
Wie stellst du die zuckerfreie, vegane Schokolade her?
Normalerweise bekommt man die Kuvertüre fertig zu kaufen, aber dann ist sie nicht zuckerfrei und schon verarbeitet. Wir beziehen unsere rohe Schokolade aus Bali und Peru. Das sind wirklich nur zermahlene Kakaobohnen. Da sieht man wirklich noch die Strukturen der Kakaobohne. Und daraus rühre ich selber Schokolade an.
Worauf muss man dabei achten?
Die Temperatur ist sehr wichtig. Die Schokolade wird bei 32 bis 34 Grad erhitzt. Wenn du sie über 40 Grad erhitzt, schmilzt die Schokolade später wieder, wenn du sie in die Hand nimmst. Bei 32 Grad erhitzt, schmilzt sie später nicht direkt. Im Fall dieser Pralinen hier habe ich noch etwas Kokosöl beigefügt, weil die Schokolade sonst sehr leicht bricht.
Das findet man alles erst heraus, wenn man es ausprobiert, oder?
Man kann viel zum Thema lesen und trotzdem muss man es alles selbst ausprobieren. Das ist gar nicht so einfach. Es hat auch etwas gedauert, bis wir den richtigen Kakao gefunden haben. Wenn du keine weitere Süße in der Schokolade verwendest, kann der Kakao manchmal zu sauer schmecken. Es kommt wirklich auf das Anbaugebiet und die richtige Kakaosorte an.
Woher beziehst du die Zutaten? Selbst im Bioladen finde ich zum Beispiel meist keinen rohen Kakao.
Da ist das Internet dein Freund und Feind. Wir mussten viel suchen. Und es ist auch wichtig, dass du die Geschichte hinter den Produkten erfährst. Vielleicht findest du einen Produzenten und seine Website ist nicht aussagekräftig. Du denkst dann vielleicht, es sei kein gutes Produkt. Aber vielleicht haben die Produzenten einfach nur keine Ressourcen, eine tolle Website zu machen, weil sie so beschäftigt damit sind, mit den Leuten auf dem Feld zu stehen und die Ernte zu organisieren. Es ist wichtig, mit den Produzenten zu sprechen. Und das versuchen wir auf unserer Website abzubilden, sodass wir ihre Geschichten erzählen können.
Vielleicht findest du einen Produzenten und seine Website ist nicht aussagekräftig. Du denkst dann vielleicht, es sei kein gutes Produkt. Aber vielleicht haben die Produzenten einfach nur keine Ressourcen, eine tolle Website zu machen, weil sie so beschäftigt damit sind, mit den Leuten auf dem Feld zu stehen und die Ernte zu organisieren.
Was sind eure Hauptzutaten?
Der rohe Kakao und die Dattelpaste. Letztere bekommen wir aus den Niederlanden geschickt, aber die Datteln selbst kommen aus Saudi-Arabien. Die Zutaten für die Rawnies zum Beispiel sind Datteln, rohe Schokolade, rohes Kakaopulver und Kokosraspeln. Die Datteln bringen Süße hinein und halten die Masse zusammen.
Ist die Herstellung der Schokolade und Pralinen für dich auch ein bisschen meditativ?
Total. Ich finde es total schön, mir die Pralinen anzusehen. Wenn ich die Nussstückchen auf die Pralinen fallen lasse und sie sinken in die Schokolade ein, dann sieht das so schön aus.
Wie hast du deine Rezepten entwickelt?
Ich überlege, in welche Geschmacksrichtung es gehen soll und was die Leute gerne mögen – und dann versuche ich das umzusetzen. Nehmen wir zum Beispiel meine Schokotorte: Sie besteht zu 70% aus Zucchini. Das stand aber so in keinem Rezept. Die normale Schokotorte ist aus Sahne, Butter und irgendeiner Creme. Das will ich nicht. Die vegane Alternative ist meist Kokos- oder Sojacreme. Das möchte ich auch nicht. Ich möchte ja eine rohe Torte machen. Was gibt es dafür? Cashewkerne. Aber dann verwende ich ein halbes Kilo Cashewkerne für meine Torte. Das ist eine richtige Kalorienbombe und hat kein gutes Nährwertprofil. Irgendwo habe ich mal gesehen, dass jemand etwas mit Zucchini gebacken hat. Ich habe ein Rohkostlexikon und habe das Nährstoffprofil zu Zucchini nachgeschlagen. Da stand, dass man sie gut roh essen kann. Also habe ich es ausprobiert. Die erste Torte hat aber total eklig geschmeckt. Ich habe dann mehr Datteln beigefügt und mehr Schokolade und irgendwann hatte ich es raus.
Man muss also einfach ausprobieren?
Ja. Irgendwann kam ich auf die Idee, Tiramisu aus Zucchini zu machen – und da habe ich direkt die richtige Zutatenmischung getroffen. Meine Kaffeepralinen dagegen waren am Anfang viel zu bitter.
Können deine Produkte süße Gelüste genauso stillen wie herkömmliche Süßigkeiten?
Ich kann das gar nicht mehr richtig sagen, weil ich mich an den Geschmack ohne raffinierten Zucker gewöhnt habe (lacht). Ich esse ja keinen herkömmlichen Kuchen oder Ähnliches. Ich hole mir zu meinen Produkten immer Feedback von anderen Menschen ein.
Du ernährst dich seit sieben Jahren gluten- und laktosefrei. Wo findest du Rezepte, wenn du für dich privat kochst?
Mittlerweile komme ich mit dem Kochen sehr gut zurecht, aber für den Anfang kann ich die „Green Kitchen“-App empfehlen, da gibt‘s viele Rezepte.
Gehst du auch mal auswärts essen?
In Hamburg ist das relativ schwierig. Ich mag das „Tassajara“ und das „Paledo“, weil sie dort wissen, was glutenfrei genau bedeutet. Und in der Hafencity gibt es eine Pizzeria, „Rudolph‘s“, die glutenfreie Pizza macht.
Gibt es deine Pralinen eigentlich schon außerhalb deines Online-Shops zu kaufen?
Wir hatten letztes Jahr angefangen, unsere Produkte in Cafés zu verkaufen. Aber da hatten wir das Problem, dass immer jemand die Rawnies oder Pralinen erklären musste. Also haben wir unsere Verpackungen mit Icons optimiert, die anzeigen, dass die Produkte vegan, gluten- und zuckerfrei sind, sodass man die Produkte ohne weitere Erklärung versteht. Trotzdem haben wir noch die Schwierigkeit, dass ich laut Gesetz meine Produkte nicht in meiner eigenen Küche herstellen darf. Ich muss mir also eine Küche anmieten, die den Anforderungen entspricht, aber dafür müsste ich erst einmal genügend Produkte verkaufen, um mir eine solche Küche leisten zu können – dafür habe ich das Crwodfunding online gestellt. Wir entwickeln gerade aber auch schon einen Plan B, falls es nicht klappt.
Wie sähe der aus?
Es würde erst einmal keine Produkte geben. Ich würde dann weiter meine Workshops anbieten. Sie waren sehr gut besucht und die Leute hatten viel Spaß. Vielleicht würde ich auch Dinner-Abende anbieten. Und vielleicht keinen klassischen Online-Shop, sondern eine Art Abo-Modell.
Wie waren deine Erfahrungen mit Crowdfunding?
Ich glaube, Deutschland ist in Sachen Crowdfunding noch nicht so weit wie andere Länder. Die Leute sind sehr skeptisch und glauben der Plattform auch nicht, dass sie ihr Geld zurückbekommen, wenn ein Projekt nicht umgesetzt wird. Die Schwierigkeit bei Lebensmitteln ist natürlich auch, dass du die Produkte nicht probieren kannst, wenn du sie nur übers Internet kennenlernst. Viele Menschen haben keine gute Erfahrung mit Produkten gemacht, auf denen „vegan“ steht. Aber wenn sie meine Produkte probiert haben, zum Beispiel auf Märkten, finden sie sie richtig lecker.
Aus welchem Bereich kommst du eigentlich ursprünglich?
Studiert habe ich BWL mit Schwerpunkt Marketing und Coaching. Ich hatte damals keine Ahnung, was ich studieren soll (lacht). Ich war nach dem Studium unter anderem bei Xing im Brand Marketing und bei einer Agentur fürs Content Marketing. Ich merke jetzt, dass ich für den Content meiner eigenen Website relativ wenig Zeit habe (lacht).
Arbeitest du noch nebenbei?
Ja, ich arbeite noch 16 Stunden nebenher im Visual-Team des Apple-Stores. Das Coole ist, dass dort eigentlich jeder noch etwas nebenher macht und alle supporten sich gegenseitig. Die einen machen meine Fotos, die anderen haben meine Homepage gemacht und so weiter. Außerdem kommt man mal raus in ein komplett anderes Umfeld.
Kennst du andere Patisserien, die zuckerfreie und rohe Süßigkeiten machen?
Oh mein Gott, ich würde so gerne in Australien leben! Da gibt es so viele tolle zuckerfreie Patisserien! Wir folgen uns alle gegenseitig auf Instagram. Schade, dass wir nicht einfach mal Produkte austauschen können. Ich verstehe nicht, warum es in Deutschland noch nicht so populär ist.
Wir wünschen dir auf jeden Fall weiterhin viel Erfolg mit Gleem und bedanken uns für das Gespräch!
15 Kommentare
Moinsen, super toll Eure Idee-wie ist der aktuelle Stand für eine Produktions Standort?
Gibt es inzwischen einen Shop wo man Eure Produkte erwerben kann?
Hallo Matthias,
alle Produkte sind auf jeden Fall online bei Gleem erhältlich: https://www.gleem.de/
Liebe Grüße,
Anna