Warum muss man eigentlich ständig neue Möbel bauen? Kann man nicht alte Möbel erhalten und wieder attraktiv machen? Das war die auslösende Idee für das Hamburger Label Originol. Julie Dieckmann und ihr Lebensgefährte Pascal Snoeck arbeiten gemeinsam Möbelstücke aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts auf und geben ihnen einen modernen Look. Auch Erbstücke kann man ihnen bringen und umarbeiten lassen. Dabei kommen nicht nur angesagte Farben ins Spiel, sondern auch Textilien aus Südafrika. Julie, die in Kiel geboren wurde, steht noch immer in Kontakt zu südafrikanischen Designern, die sie während ihres Interior Design Studiums in Kapstadt kennengelernt hat. Deshalb gehören auch Accessoires aus Südafrika zum Sortiment von Originol. Den eigenen Shop hat Julie im Juni 2014 eröffnet und den Onlineshop gibt es seit Juli 2014. Wir besuchen die 30-Jährige in der Originol-Werkstatt im Kolbenhof in Hamburg-Ottensen, um über diesen spannenden Mix zu sprechen – und statten gemeinsam ihrem Laden und Julies und Pascals stilvoller Schanzenwohnung einen Besuch ab.
Femtastics: Ihr begeistert euch für Möbel aus den 50er und 60er Jahren – wieso gerade aus dieser Zeit?
Julie Dieckmann: Es sind tatsächlich die stilistischen Elemente, also die Geradlinigkeit der Möbel. Dann wiederum die Art, wie Sessellehnen, vor allem aus den 70ern, geschwungen sind. Die Formgebung interessiert mich. Und welches Potential die Oberflächen bieten, um sich auszutoben.
Wie kamt ihr darauf, alte Möbel aufzuarbeiten?
Ich bin Interior-Designerin und Pascal hat die Tischlerei hier und wir haben uns, seitdem wir uns kennen, mit der Gestaltung von Möbeln beschäftigt – auch über Kundenaufträge hinaus. Ich habe zu der Zeit, als ich Pascal kennengelernt habe, noch Wirtschaftpsychologie studiert und habe mich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt. Irgendwann habe ich mich gefragt: Warum muss man ständig neu erfinden, warum muss man neu bauen? Was passiert eigentlich mit alten Möbeln, wie kann man sich mit ihrem emotionalen Wert auseinandersetzen? Wie kann man die Gestaltung so positiv beeinflussen, dass diese alten Stücke nicht auf dem Dachboden landen? Das ist ein bisschen wie eine Lebensverlängerungsmaßnahme.
… für die Möbel, meinst Du?
Ja. Gerade Design aus den 60er Jahren ist oft geradlinig und schlicht. Nur diese massiven Holzfronten werden einem schnell mal zu viel. Da haben wir einfach angefangen, auszuprobieren, den Möbeln ein neues Gesicht zu geben und zu schauen, wie das funktioniert. Wir waren von Anfang an angetan davon und haben gedacht: Das machen wir jetzt weiter.
Und wo findet ihr die Möbel mit denen ihr arbeitet?
Das ist total unterschiedlich. Tatsächlich haben wir am Anfang viel über eBay gefunden. Dann haben wir Beziehungen zu Händlern aufgebaut, die professionell Vintage-Möbel vertreiben. Bei denen stellen wir entweder direkt Anfragen oder schauen einfach so, was uns gefällt. Manchmal finden wir auch, wenn wir mit dem Auto unterwegs sind, Stücke auf dem Sperrmüll oder wir sehen irgendwo auf dem Weg eine Scheune, in der wir noch Sachen finden.
Gibt’s das also noch?
Das gibt es natürlich eher auf dem Land. In der Stadt findet man dagegen viele Klassiker – und die sind nicht unser Steckenpferd. Wir wollen keine absoluten Klassiker verändern, sondern eher mit Stücken arbeiten, die sonst vielleicht in Vergessenheit geraten würden.
Hast Du einen Tipp, wo man gut Vintage-Möbel finden kann?
Natürlich bei mir (lacht). Es ist immer so eine Glückssache, weil das eben Einzelstücke sind. Manchmal suchst du dich tot nach einer Sache und findest Ewigkeiten nichts und dann hast du eine Glückssträhne und findest überall plötzlich was.
Wie lang hat es gedauert, bis ihr euch das Netzwerk an Händlern aufgebaut habt?
Das dauert immer noch an.
Und wenn ihr dann ein Stück gefunden habt, mit dem ihr gerne arbeiten wollt, wie geht ihr da vor?
Bei unserer ersten eigenen Kollektion gab es ein Grundthema, das ich „Back to the roots“ genannt habe. Für mich war es wie eine Zeitreise durch meine Studienzeit in Südafrika. Ich habe mich an der dortigen Farbwelt orientiert. Zusammen mit Pascal habe ich mir die möglichen Möbelstücke angeschaut und wir haben uns für alle eine unterschiedliche Herangehensweise überlegt. Es geht nicht immer nur ums Lackieren – wir haben über 2000 Farben, aus denen wir wählen können – es geht auch um die verschieden Oberflächen und wie man sie einsetzen kann. Am Anfang steht die Frage: Was lassen wir natürlich, was verändern wir farblich? Dann wird es komplexer, es geht darum, wie viel Prozent an Lack geben wir rein, soll man die Holzoptik noch erkennen oder machen wir die Farbe ganz dicht, wird es matt oder seidenmatt? Dann gibt es auch Stücke, die wir mit neuen Stoffen oder Oberflächen wie Linoleum beschichtet haben …
Braucht es dazu viel Fachwissen oder funktioniert das durch Ausprobieren?
Sowohl als auch. Pascal hat über zehn Jahre Erfahrung als Tischler und ein großes Know-how. Aber dadurch, dass die Möbel Einzelstücke und vor Jahrzehnten zusammengebaut worden sind, muss man sich an jedes Stück individuell rantasten. Man weiß nicht, wie die Farben angenommen werden, wie das Möbelstück verleimt ist … Man lernt viel darüber, wie damals Möbel gebaut worden sind und wie hochwertig und nachhaltig die Möbel sind. Die Möbel sind so gut verarbeitet, dass wir manchmal Schwierigkeiten haben, sie auseinander zu bauen, um die überall zu lackieren.
Die sind für die Ewigkeit gemacht.
Genau. Und wir müssen es so hinbekommen, dass wir eine zweite Ewigkeit schaffen.
Früher wurden Möbel auf längere Sicht gebaut. Heute ist es schnelllebiger.
Viele Menschen sagen ja, dass die Qualität früher viel besser war und man diese Qualität heute gar nicht mehr findet …
Das ist schon so. Ich habe vorher länger im hochpreisigen Möbeleinzelhandel gearbeitet. Und das sind schon tolle Möbel und Designs, die man da findet, aber trotzdem ist die Verarbeitung für mich nicht gleichzusetzen mit den alten Möbeln. Pascal baut hier ja auch neue Möbel und ich entwerfe ja auch Möbel – die werden heute einfach anders zusammengebaut. Die Techniken wurden weiterentwickelt. Früher wurden Möbel auf längere Sicht gebaut. Da hat man zum Beispiel Nägel verwendet und es wurde viel verleimt. Heute wird das anders gemacht. Es ist schnelllebiger heute.
Man baut nicht mehr drei Monate lang an einem Schrank.
Genau.
Du hast schon angesprochen, dass Du in Deinem Shop auch Accessoires aus Südafrika verkaufst. Wie kam es dazu?
Ich hatte schon immer einen emotionalen Bezug zu Südafrika, weil mein Vater Südafrikaner ist und meine Familie dort noch lebt. Deshalb bin ich damals zum Interior Design Studium dorthin gegangen. Ich habe ein Designstudium an einem kleinen College in Kapstadt gemacht, wir waren 26 Studenten pro Jahrgang. Wir haben viele praktische, reale Projekte umgesetzt. Die kreative Szene und der Lebensstil dort haben mich sehr bereichert. Man gönnt sich gegenseitig seine Leistungen und die Menschen sind sehr mutig. Ich hatte einen großen Anteil an der kreativen Szene in Kapstadt. Ich war dabei als der „Neighbourgoods Market“ in einem Wohnzimmer erdacht wurde.
Wusstest Du nach Deinem Studium direkt, was Du beruflich machen willst?
Das war mir noch nicht klar. Ich habe zuerst selbstständig in Kapstadt gearbeitet, ein paar Bars designt und so etwas. Dann habe ich ein tolles Jobangebot in Kapstadt bekommen und ich habe mich gefragt: Wenn ich mir jetzt hier etwas aufbaue, komme ich dann jemals zurück nach Deutschland? Und da kam das Sicherheitsdenken der Norddeutschen bei mir durch und ich habe mich entschieden, nach Deutschland zu gehen. Ich bin im Mai 2008 in Hamburg angekommen und habe angefangen, im Möbeleinzelhandel zu arbeiten. Das war nicht mein Traum, aber ich habe viel Kaufmännisches gelernt, das mir jetzt hilft. Ich wollte damals gerne schon etwas Eigenes machen, aber mir fehlte noch Erfahrung … Ich habe sogar noch parallel zu meinem Job ein neues Studium angefangen … aber meine Bachelor-Arbeit habe ich dann über Originol geschrieben. So wurde daraus eine runde Sache.
Und wie kam Pascal dazu?
Den habe ich über meine Arbeit in Hamburg kennengelernt. Und relativ schnell habe ich durch ihn gemerkt, dass ich selbst wieder gestalterisch arbeiten möchte. Ich habe angefangen, Entwürfe für ihn zu machen und wir haben Projekte zusammen umgesetzt. Und dann ist irgendwie Originol entstanden. Pascal kommt verrückterweise gebürtig aus Kapstadt. Deshalb fand er meine Idee, die Vintagemöbel mit südafrikanischen Textilien zu kombinieren, auch toll.
Und den Kontakt zu den Kreativen und den Designern in Kapstadt hast Du gehalten?
Ich kenne einige Designer noch aus meiner Studienzeit. Es sind alles kleine Labels, mit denen wir zusammenarbeiten. Alle Sachen werden in Südafrika produziert, die meisten in Handarbeit. Aus dem Netzwerk während meines Studiums sind neue Kontakte entstanden.
Als die Idee für Originol stand, war es direkt Dein Ziel, einen Laden zu haben?
Jein. Am Anfang hatten wir unser Studio oder Ladengeschäft hier in Pascals Tischlerwerkstatt. Gleichzeitig habe ich den Online-Shop gebaut. Plötzlich gab es eine temporäre Ladenfläche in der Weidenallee, in die wir sofort einziehen konnten, mit einer Miete, die einigermaßen bezahlbar war. Da war ich ein halbes Jahr. Mein Leben hat sich komplett verändert. Ich saß plötzlich von morgens bis abends im Laden. Und das ließ sich nicht stemmen, mit meinen Jobs als Interior Designerin, die ich nach wie vor parallel mache und brauche. Deshalb sind wir vor zwei Monaten in eine Ladengemeinschaft gezogen.
Jetzt teilt sich Deine Arbeitszeit zwischen Laden, Online-Shop und Interior Design?
Ja, genau. Es ist angenehm, dass ich wieder ein paar Tage die Woche hier in der Werkstatt mit Pascal bin. Das funktioniert für uns privat auch besser.
Es stört euch nicht, dass ihr sowohl privat als auch beruflich zusammen seid?
Nein, das funktioniert super. Unsere Freunde haben auch einen großen Anteil an unserer Arbeit: wir haben meinen dreißigsten Geburtstag hier in der Tischlerei gefeiert, unser engster Freund ist auch unser Fotograf, meine Freundin baut jetzt mit mir unsere neue Website … Unsere Arbeit hat viel mit unserem Privatleben zu tun, aber das ist schön.
Und hier im Kolbenhof seid ihr ja auch Teil einer Gemeinschaft, richtig?
Das Ganze basiert ja auf dem Kolbenhof e.V., der sich dafür einsetzt, bezahlbare Arbeitsflächen für inhabergeführte Unternehmen zu erhalten. Wenn wir alle zusammen in die neue Halle ziehen, wird dort eine Genossenschaft gegründet. Alle die hier im Verein sind, werden dort mit einziehen können.
Es gibt Tage, an denen ich nicht mehr am Rechner arbeiten will. Dann komme ich hierher und helfe dabei, Möbelfronten abzuschleifen.
Du arbeitest ja sozusagen zwischen zwei Welten: Einerseits die schicke Interior Design-Welt, andererseits die staubige Werkstatt.
Ja, das ist unheimlich toll. Es gibt Tage, an denen ich nicht mehr am Rechner arbeiten will. Dann komme ich hierher und helfe dabei, Möbelfronten abzuschleifen. Ich habe schon immer eine Affinität zum Handwerk gehabt. Und natürlich brauche ich auch ein Verständnis dafür, wie die Möbel hergestellt werden, die ich entwerfe.
Trotz Interior Design Trends gibt es ein emotionales Gefühl, auf das man sich immer stützen kann.
Beschäftigst Du Dich auch mit Wohn-Trends?
Definitiv. Durch das Internet beschäftigen sich die Menschen immer intensiver mit diesen Themen, weil es einfacher ist, herauszufinden, welcher Designer eine bestimmte Leuchte entworfen hat. Man hat heute sehr viele Experten-Kunden. Ich versuche, einen Mittelweg zu finden. Mir hilft es, mich zu informieren – zum Beispiel über Farb- und Oberflächen-Trends. Der eigene Stil verändert sich natürlich auch. Vor ein paar Jahren hättest Du mich mit Gelb jagen können, und jetzt stehe ich total auf Gelb. Aber es gibt trotzdem ein emotionales Gefühl, auf das man sich immer stützen kann. Das ist auch das Wichtige, wenn man einen Kunden berät. Man muss herausfinden, was der Kunde sucht. Ich bin keine Designerin, die dem Kunden ihre eigene Persönlichkeit aufschwatzt. Am liebsten lasse ich mich auf den Kunden ein und stelle so viele Fragen wie möglich. Dann empfinde ich auch die größte Begeisterung, wenn ich weiß: Was wünscht sich der Kunde? Dann bin ich mit ihm eine Einheit und kann ihn beraten. Man kommt gemeinsam in einen Flow.
Ich habe nichts gegen DIY, aber wenn DIY so weit geht, dass jeder seine selbstgemachten Sachen verkauft, was ist dann mit den Leuten, die Design studiert haben?
Was ist denn gerade sehr gefragt?
Tatsächlich sind unsere Vintage-Unikate gerade sehr zeitgemäß. Das eigene Gestalten, außerdem matte Oberflächen und spannende Farben kommen gut an. Zum Glück geht es langsam weg von diesem kompletten DIY-Denken – kauf Dir einen alten, billigen Schrank und roller ihn ein bisschen mit Farbe an. Da habe ich prinzipiell nichts gegen, ich finde DIY toll, aber wenn DIY so weit geht, dass jetzt jeder seine selbstgemachten Sachen verkauft, was ist dann mit den Leuten, die wirklich Design studiert haben und sich Mühe geben, etwas zu werden? … Aber zurück zu den Trends: Ich beobachte auch, dass Naturstein als Oberfläche wieder kommt. Das finde ich sehr spannend. Weißer Marmor ist ja schon länger sehr angesagt, aber jetzt sieht man auch, dass farbiger Naturstein im Kommen ist. Es ist wie in der Mode, es gibt immer wiederkehrende Phasen. Die Herausforderung ist, frühere Trends wieder aufzugreifen, aber geschmackvoll.
Es hat vielleicht auch mit Generationen zu tun, welche „Revivals“ man mag oder nicht mag …
Total. Es kommt darauf an, wann man geboren ist, glaube ich. Pascals Eltern haben unsere Möbel gesehen und sind kopfschüttelnd wieder rausgegangen. Im Laden bekomme ich auch sehr direktes Feedback von den Kunden. Viele erkennen Möbelstücke wieder – gerade unser Steckenpferd, die alte Telefonbank Eiche Rustikal. Da wurden bei manchen Kunden Erinnerungen wach, als man noch saß beim Telefonieren mit Schnur. Damals waren diese Bänke angesagt. Selbst ältere Kunden stellen da einen Bezug her und finden das Möbelstück spannend. Und jüngere Kunden mögen es in einer knalligen Farbe mit neuer Persönlichkeit.
Vielen Dank für das Gespräch, Julie!
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