„Wir brauchen die erste deutsche Frau im All, aber auch die zweite, dritte und vierte“ – Astronautin Dr. Insa Thiele-Eich auf Mission

Ins All fliegen, das klingt auch für Erwachsene immer noch nach Science-Fiction und nach dem größten Abenteuer, das unser Universum zu bieten hat. Zwölf Männer hat Deutschland schon ins All geschickt, eine Frau war bisher nicht dabei. Dr. Insa Thiele-Eich, Meteorologin, könnte für mehr Gleichstellung im All sorgen. Sie hat sich 2016 bei der privaten Initiative „Die Astronautin“, die die erste deutsche Frau im Rahmen einer Wissenschaftsmission zur internationalen Raumstation schicken möchte, beworben und sich gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Suzanna Randall gegen 400 Kandidatinnen durchgesetzt. Seit drei Jahren trainieren sie für eine zehntägige Raumfahrtmission, die voraussichtlich 2022 für eine von ihnen stattfinden soll.

Wir sprechen mit der 37-Jährigen über ihre Jugend in einer Raumfahrt-Community, ihr vielfältiges Training, den All-Tag in einer Raumstation und Sexismus auf der Erde. Außerdem verrät sie wie sich Schwerelosigkeit anfühlt und warum „Die Astronautin“ viel mehr ist als ein Flug einer Frau ins All.

Dr. Insa Thiele Eich lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Königswinter.

femtastics: Was ist dein innerster Antrieb, ins All fliegen zu wollen?

Dr. Insa Thiele-Eich: Als ich Kind war, waren meine Eltern mit uns in den Bergen. Mein Vater hat uns die Andromedagalaxie am Nachthimmel gezeigt. Das war zwar nur ein verschmierter Lichtfleck, aber trotzdem weiß ich noch genau, wie sich das angefühlt hat zu realisieren: Es gibt da wirklich noch andere Galaxien. Jedes Mal, wenn ich darüber rede, finde ich es wieder spannend und möchte es live erleben, von oben auf die Erde zu blicken.

Dein Vater war ebenfalls Astronaut. Wie hast du deine Kindheit mit einem Astronauten-Vater erlebt?

Ich bin in den USA aufgewachsen und mein Vater war bei der NASA. Er hat mit 40 Astronaut*innen zusammengearbeitet und trainiert. Sie waren alle sehr begeistert und auch sehr dankbar, diesen Job ausüben zu dürfen Die Vielfalt des Trainings und die Möglichkeit hat mich sehr angesprochen – und Grenzerfahrungen machen zu können, das ist etwas, das mir liegt und Spaß macht und es ist nichts, wovor ich Angst habe.

Es war für mich schon immer klar, dass die Raumfahrt ein Plan B ist. Man wird nicht einfach Astronautin, man kann es nicht klassisch studieren. Man kann Sachen machen, die einen Richtung Ziel führen, mir war aber klar, dass die Chance auch Astronautin zu werden, minimal bis verschwindend gering sein wird. Naturwissenschaften und Mathematik haben mich schon immer interessiert. Ich habe mich dann für ein Studium in der Meteorologie entschieden und arbeite heute hauptberuflich als Meteorologin und Klimaforscherin.

Besonders spannend finde ich, dass du in einer Art Astronaut*innen-Community groß geworden bist. Du hast zum Beispiel als Jugendliche auf die Kinder der NASA-Astronautinnen Heidi Piper und Laura Clark aufgepasst. Inwiefern hat dich diese Zeit geprägt?

Rückblickend war es ein großes Glück, dass es damals selbstverständlich war, dass Frauen und Männer und Mütter und Väter Astronaut*innen sein konnten. Ich musste als Frau nicht hinterfragen, ob ich das auch kann. Es war ganz normal und die Berufstätigkeit hat keiner hinter vorgehaltener Hand negativ kommentiert, wie es mir hier in Deutschland nicht nur einmal in meinem Leben passiert ist.

Für mehr Fempower im All: Astronautin Dr. Insa Thiele-Eich. (Foto: „Die Astronautin“)

Wir brauchen die erste deutsche Frau im All, aber auch die zweite, dritte und vierte – damit wir irgendwann in einer Gesellschaft leben in der es so normal ist, dass gar nicht mehr gezählt werden muss.

Die private Initiative „Die Astronautin“ ist so etwas wie die Frauenquote für das Weltall. Wie bist du 2016 auf die Aktion aufmerksam geworden?

Mein Mann und meine Mutter haben mir fast zeitgleich eine E-Mail geschickt mit einem Artikel, der über die Aktion berichtet hat. Am Anfang war ich ein bisschen skeptisch – ich hätte keine Quotenfrau sein wollen, die im All Purzelbäume schlägt. Mir war sehr wichtig, dass es eine solide Wissenschaftsmission gibt, vergleichbar mit bisherigen Raumfahrtmissionen. Ich hatte auch ein bisschen Bauchweh mit dem „Erste deutsche Frau im Weltall“-Ding und habe mich gefragt, ob wir wirklich noch so eine „Erste deutsche Frau“-Nummer brauchen. Ich durfte dann, als ich 2017 ausgewählt war, feststellen wie dringend wir sie brauchen! Ich habe durch die Teilnahme schmerzhaft erfahren, wieviel Sexismus in unserer Gesellschaft noch existiert. Wir brauchen die erste deutsche Frau im All, aber auch die zweite, dritte und vierte – damit wir irgendwann in einer Gesellschaft leben in der es so normal ist, dass gar nicht mehr gezählt werden muss.

Wir brauchen einen großen Schwung Frauen und Mütter in bestimmten Positionen, damit sich alles viel mehr durchmischt – nicht nur eine Quotenfrau.

Du hast mittlerweile mit deinem Mann drei Kinder. In Medienberichten lese ich Sätze wie „Wie Dr. Insa Thiele-Eich Familienbett, Langzeitstillen und Weltraum-Vorbereitungen unter einen Hut bekommt“, „Mutter ins Weltall“ und „Schwanger in die Astronautenausbildung – geht das überhaupt“? Über Astronauten, die Väter sind, wird so nicht berichtet.

… oder als mein Sohn bei Veranstaltungen dabei war, hieß es „Oh Gott, das arme Kind“. Es ist dem Baby aber total wurscht, dass es nach 20 Uhr außer Haus unterwegs ist. Der ist glücklich im Tragetuch bei mir und wird gestillt, wenn er möchte. Oder es hieß, natürlich halblaut, so dass ich es auch ja höre: „Das Baby wird ja aber wirklich herumgeschleift, unglaublich!“ Mein Mann und ich sehen das so: Hauptsache, die Bedürfnisse des Kindes kommen nicht zu kurz. Und in unserem Fall hatte unser Sohn eben das Bedürfnis, nicht aus Flaschen zu trinken – die hat er partout nicht angenommen. Ich hätte also sonst nur die Option gehabt, bis zu seinem 9. Lebensmonat zu Hause zu bleiben. Wozu, wenn die Dienstreise entspannt mit Zug und genug Zeit zum Ankommen machbar ist? Das Training so gestaltet wird, dass Stillpausen möglich sind? Dieses Gerede ist vor allem ein Problem in Deutschland. Von meinen Freund*innen in anderen Ländern kenne ich so etwas nicht. Da geht man mit dem Thema ganz anders um. In Deutschland scheint mir Elternschaft zum Großteil leider immer noch ein Frauenthema zu sein.

Fragen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beantworte ich gerne, aber nur mit dem Zusatz, dass man diese Frage doch bitte auch den Astronauten stellt, so man sie denn mal trifft.

Bei Veranstaltungen wird mir auch gerne Bewunderung ausgedrückt, dass ich das alles so schaffe, mit drei Kindern und Haushalt. Fragen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beantworte ich gerne, aber nur mit dem Zusatz, dass man diese Frage doch bitte auch den Astronauten stellt, so man sie denn mal trifft. Vielleicht schaffen wir so ja ein Umdenken? Mir ist wichtig, dass wir mit „Die Astronautin“ unser Ziel erreichen: die erste deutsche Frau ins All zu schicken. Aber das Thema ist vielschichtiger, und ich hoffe, dass wir nicht nur Aushängefrauen sind, die das schaffen, sondern, dass es generell zu einem Umdenken kommt.

Wir brauchen einen großen Schwung Frauen und Mütter in bestimmten Positionen, damit sich alles viel mehr durchmischt – nicht nur eine Quotenfrau.

90% der Astronaut*innen, die bisher im All waren, sind Männer, nur 10% davon sind Frauen. Deutet sich mittlerweile eine Veränderung Richtung Gleichstellung im All an?

In den Auswahlteams in den USA liegt die Verteilung mittlerweile tatsächlich circa bei 50/50. Das ist total interessant. Eine Kollegin meines Vaters, die auch mit ihm im All war, hat die Leitung der vorletzten Auswahl übernommen. Sie hat ganz klar darauf geachtet, dass die Personen die in den Auswahlkommissionen sitzen so divers wie möglich sind. Das war in der Vergangenheit nicht so. Allein dadurch, komplett ohne Quote, hat sie es geschafft, dass neun Männer und sieben Frauen ins Auswahlteam gekommen sind. Ich würde mir wünschen, dass darauf bei der nächsten ESA-Auswahl [Anm. d. Red: ESA = Europäische Weltraumorganisation] auch geachtet wird – aber laut Pressekonferenz ist es der ESA ein echtes Anliegen, und ich bin sehr gespannt, wie sich die Bemühungen letztendlich im finalen Corps auszahlen.

 

 

Dr. Insa Thiele-Eich (li.) gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Suzanna Randal und „Die Astronautin“-Initiatorin und Ingenieurin für Luft- und Raumfahrttechnik Claudia Kessler. (Foto: „Die Astronautin“)

 

Du wirst als Wissenschaftsastronautin auf Mission sein. Auf der ISS werdet ihr verschiedene Experimente machen, u.a. möchtet ihr erforschen, wie weibliche Hormone auf Schwerelosigkeit reagieren. Wie sehen solche Experimente konkret aus und was soll noch erforscht werden?

Bisher gibt es zwei Astronaut*innen-Kategorien: Berufsastronaut*innen wie bei der ESA, die für den Erhalt der Raumstation, aber auch für die Wissenschaft oben sind. Und „Spaceflight Participants“, die klassischen Raumfahrtflüge – man fliegt hoch und macht ein paar Purzelbäume. Durch die Kommerzialisierung der Raumfahrt, besonders durch das Raumfahrtunternehmen „SpaceX“, gibt es ganz neue Möglichkeiten und es soll die dritte Kategorie „Scientist Astronauts“, die für ganz spezielle Missionen im All sind, geben. Sie werden speziell ausgebildet und können nach der Mission in ihren alten Berufen weiterarbeiten.

Wir werden also ganz klar für die Wissenschaft oben sein. Wir dürfen dann leider keine Außenbordeinsätze an der Raumstation machen, um beispielsweise Solarpanele zu reparieren, aber dafür haben wir den ganzen Tag nur für die Wissenschaft Zeit. Wir würden dann ein Wissenschaftsprogramm durchführen, in dem unter anderem die Auswirkung der Schwerelosigkeit auf den weiblichen Körper erforscht wird, ganz speziell die Auswirkung der Schwerelosigkeit auf die Sehkraft. Bei circa 30% der Männer nimmt die Sehkraft im All signifikant ab. Bei Frauen wurde dieser Effekt noch nicht beobachtet, obwohl schon genug Untersuchungen stattgefunden haben. Mich hat es verblüfft, zu hören dass sich unsere Körper gerade bei den Augen unterscheiden – hier tragen wir mit Experimenten zum Erkenntnisgewinn bei. Zum weiblichen Hormonhaushalt in der Schwerelosigkeit wurde tatsächlich fast noch gar nicht geforscht. Ein Sechstel unserer Zeit ist dafür fest eingeplant. Für die anderen Experimente stehen die Themen noch nicht fest.

Ein Space-Shuttle hatte damals das Volumen eines größeren VW-Busses – das war also mehr ein Campingurlaub auf kleinstem Raum. Auf der Raumstation ist viel mehr Platz.

Wie würde dein All-Tag konkret aussehen?

12 Stunden am Tag sind in kleine Timeslots eingeteilt. Unser Tag ist bis auf fünf Minuten getaktet. Das wirkt im ersten Moment recht fremdbestimmt. Es gibt sogar ein Programm, wo eine rote Linie durchrennt und man sieht, wer wo was genau macht. Das finde ich sehr spannend, auch aus der psychischen Perspektive – man ist schon sehr fremdbestimmt. Einige Slots sind ganz fest, andere darf man tauschen. Man hat also eine gewisse Pseudoflexibilität.

Wie muss man sich die Raumstation genau vorstellen? Wie groß ist es dort und wie viele Räume gibt es?

Auf der Raumstation hat man den Vorteil, dass man alle vier Wände nutzen kann. An allen Wänden sind Sachen verstaut, was den Raum viel größer macht. Außerdem gibt es verschiedene Module auf der Raumstation: Es gibt den russischen Teil, und noch Module der NASA und anderen Partnern, zum Beispiel das Columbus-Modul der ESA. Würden wir mit den Russen fliegen, wären wir vorranging in ihrem Teil unterwegs und würden dort Experimente absolvieren. Man kann sich aber natürlich gegenseitig besuchen. Insgesamt gibt es genug Module, man hängt also nicht die ganze Zeit aufeinander – im Gegenteil, manchmal muss man sich zum Essen verabreden, um jemanden zu sehen. Ein Space-Shuttle hatte damals das Volumen eines größeren VW-Busses – das war also mehr ein Campingurlaub auf kleinstem Raum. Auf der Raumstation ist also viel mehr Platz.

Mit wie vielen weiteren Personen würdest du ins All fliegen?

Mit „SpaceX“ würde die Kapsel wahrscheinlich mit vier Personen belegt werden. Wenn wir mit den Russen fliegen sollten, wären es zwei weitere. Das ist aber leider alles auf Grund der Finanzierung noch nicht klar. Wir hatten Anfang 2020 Gespräche mit der Bundesregierung, die uns sehr positiv gestimmt haben – das war allerdings vor März 2020. Jetzt gerade hat das Thema an Priorität – berechtigterweise – etwas verloren, wir waren also ein wenig im „Corona-Schlaf“. Glücklicherweise wachen wir aus dem gerade langsam auf.

Foto: Airbus

Es geht mir nicht nur um den einen Flug. Der Weg ist ganz klar das Ziel, ich mache das Training nicht fünf Jahre nur, um 10 Tage im All zu sein.

Ist deine Ausbildung zur Astronautin mittlerweile abgeschlossen?

Die Ausbildung besteht aus mehreren Teilen. Der erste Teil ist das Basistraining. Alle Astronaut*innen haben einen bestimmten naturwissenschaftlichen Hintergrund oder sind Pilot*innen, gerade in den USA sind viele vorher beim Militär gewesen. Im Basistraining werden alle auf einen Stand gebracht. Da ist Raumfahrtgeschichte dabei, wie isst man auf der Raumstation, wie bewegt man sich auf der Raumstation, wie kommt eine Rakete ins All, wie kommt die Kapsel ins Orbit? Meteorologie und Astrophysik sind ebenfalls Elemente davon. Außerdem haben wir im Basistraining auch unseren Flug- und Tauchschein gemacht, haben Tauchsimulationen durchgeführt und waren in der Zentrifuge.

Danach kommt das erweiterte Basistraining, in dem wir zum Beispiel eine mehrtägige Höhlenexpedition planen. Während des Aufenthaltes gewinnen wir Proben für Experimente und Wissenschaftler*innenteams oben auf der Erde. Ein Höhlentraining ist üblich in der Astronaut*innen-Welt. Eine Höhle eignet sich so gut, weil es ein Ort ist, an dem man nicht ganz selbstbestimmt ist, wo man aufeinander achten muss, vor allem, während man klettert, und aufpassen muss, dass man keine Unfälle baut. Teilweise kann es je nach Unfallort Tage dauern, bis man aus einer Höhle gerettet werden kann! Man muss also sensibel für die Umgebung sein und arbeitet gleichzeitig unter schwierigen Bedingungen Experimente ab.

Am Ende folgt das missionsspezifische Training. Das werden wir erst machen, wenn die Finanzierung steht und wir wissen, wo und mit wem wir welche Trainingselemente absolvieren müssen.

Was fandest du bisher an der Ausbildung am spannendsten?

Ich wollte Astronautin werden, weil es ein so vielfältiger Beruf ist. Es geht mir nicht um den einen Flug. Der Weg ist ganz klar das Ziel, ich mache das Training nicht fünf Jahre, nur um zehn Tage im All zu sein. Ich finde es spannend, wenn man ein extern vorgelegtes Programm abarbeiten muss und spontan reagieren muss, wenn etwas schief geht. Ich finde aber auch das Fliegen spannend, mein erster Soloflug war mit Sicherheit ein besonderer Moment. Den Einblick in die Forschung zu erhalten und dazu auch etwas beitragen zu können, reizt mich ebenfalls sehr.

Es ist ganz gut, dass meine Kollegin und ich beide nicht nur an dem Flug ins All hängen, sondern die Schritte dazwischen so spannend finden. Es ist klar, dass diejenige, die nicht mit der ersten Mission ins All fliegt, eine zweite Mission bekommen soll – aber natürlich weiß man nicht, wann diese stattfinden wird. Das könnte dann noch dauern.

Könntest du dich mit deiner aktuellen Ausbildung auch für andere Missionen abseits von „Die Astronautin“  bewerben?

Ich könnte mich bei kommerziellen Raumfahrtanbieterin, die immer mehr kommen, bewerben. Gerade bin ich aber so in in das Programm involviert und arbeite außerdem als Meterologin mit 70% noch an der Uni, dass ich keinen Bedarf sehe, mich umzuorientieren. Ich bin mir aber sicher, dass ich mit dem Erfahrungspool, den ich gewonnen habe, und mit dem Einblick in die Raumfahrtwelt auch an anderen Missionen teilnehmen könnte.

Dr. Insa Thiele-Eich in der Schwerelosigkeit. (Foto: „Die Astronautin“)

In sogenannten Parabelflügen durftest du mehrfach für 22 Sekunden Schwerelosigkeit erleben. Wie fühlt sich das an?

Es ist schwierig, ein vergleichbares Gefühl zu finden. Am meisten ähnelt es dem Gefühl, wenn man kurz vor dem Einschlafen ist und „wegfällt“ – so fühlt sich ein bisschen der Eintritt in die Schwerelosigkeit an. Das Überraschendste in der Schwerelosigkeit ist tatsächlich, dass man sich überhaupt nicht mehr fortbewegen kann. Wenn ich beim Tauchen austariert bin und durchs Wasser schwebe, habe ich immer noch den Widerstand des Wassers. In der Schwerelosigkeit habe ich gar keinen Widerstand. Wenn man in der Luft hängt und man keinen Kontakt zu einer anderen Person, einer Wand oder einem Gitter hat, hängt man einfach da und kommt nicht vorwärts (lacht). Vorher ist man im Minimum der Parabel ganz schwer, alles wird nach unten gezogen, der Magen und Darm sind unten, die Muskeln, die Wirbelsäule wird zusammengestaucht – dann ist man plötzlich schwerelos und alles löst sich. Alle mussten immer sehr lachen – zumindest die, denen nicht schlecht war (lacht). Es ist ein sehr schönes Gefühl.

Astronaut*innen, die schon im All waren haben mir erzählt, dass dieses Gefühl, da oben so isoliert und von der Erde abgetrennt zu sein, eine ganz skurrile Erfahrung ist.

Du hast mal in einem Interview gesagt, dass du Angst hast, dich nach der Rückkehr aus dem All einsam zu fühlen, weil niemand, außer deiner Mitastronaut*innen, dieses Gefühl teilen kann, die Erde live von oben gesehen zu haben.

Das Thema macht mich wirklich sehr neugierig. Ich finde es grundsätzlich schon kompliziert mit den Kindern die Erfahrungen zu teilen, die man im Berufsalltag macht. Ich erinnere mich noch, dass ich meinen Vater als Kind nie wirklich gefragt habe, wie es im All war. Man nimmt das als Kind einfach so hin.

Ich glaube, es ist gar nicht so einfach einen Flug ins Weltall und die Zeit auf der Raumstation mit anderen zu teilen. Man muss zum einen die Zeit finden, weil man den Kontext herstellen und die Emotionen beschreiben muss und zum anderen ist es manchmal schwierig für andere zu verstehen, was man genau meint. Diese Isolation beobachte ich tatsächlich bei einigen Astronaut*innen, mit denen ich darüber gesprochen habe. Astronaut*innen, die schon im All waren, haben mir erzählt, dass dieses Gefühl, da oben so isoliert und von der Erde abgetrennt zu sein, eine ganz skurrile Erfahrung ist. Wie will man das teilen? Ich frage mich schon, ob und wie das geht. Außerdem stelle ich mir die Frage: Was passiert danach? Werde ich dann die nächste 40 Jahre meines Lebens darauf reduziert, dass ich mal zehn Tage lang im All war? Wie geht man damit um? Das sind Dinge, über die ich viel nachdenke.

Also auch inwieweit dich die Mission persönlich verändern könnte?

Genau, viele beschreiben auch einen Overview-Effekt, wenn man die Erde von oben sieht. Als Klimaforscherin weiß ich aber auch so, dass wir es hier auf der Erde mit komplexen globalen Zusammenhängen zu tun haben. Ich weiß nicht, ob es etwas verändert, wenn ich das von außen sehe – darauf bin ich gespannt.

Das Gute ist, dass du dich dann mit deinem Vater und deiner Astronaut*innen-Community austauschen kannst.

Es gibt eine sehr starke Community, die ganz eng vernetzt ist. Diese trifft sich regelmäßig auf Konferenzen und veranstaltet jedes Jahr ein Treffen – ich glaube genau aus dem eben genannten Grund.

Es ist wichtig, sich die Frage zu stellen: „Lebe ich mein Leben gerade so, wie ich es wirklich möchte?“

Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas bei einer Mission ins All schief gehen könnte, liegt bei 1 zu 50. Machst du dir manchmal Gedanken darüber, was schief gehen könnte?

Definitiv. Die Unglücke von Columbia haben mich und meine Familie besonders begleitet, weil es einer der besten Freunde meines Vaters war, der mit verunglückt ist. Wir kannten alle in der Crew. Das hat uns nachhaltig schockiert, weil es noch mal gezeigt hat, dass die Raumfahrt ein „risky Business“ ist.

Allein wegen der Kinder haben mein Mann und ich uns schon bei der Auswahl 2016 damit auseinandergesetzt: Möchten wir als Familie dieses Risiko wirklich eingehen? Wir sehen das beide so: man kann auch bei einem Autounfall ums Leben kommen, aber mit dem Risiko können wir umgehen, das hat unser Gehirn irgendwie einsortiert. Wenn ich mich bewusst in eine Rakete setze, erhöht das natürlich das Risiko, dass etwas passieren könnte, im Vergleich zu meinem restlichen Leben.

Ich habe das zum Anlass genommen, mir bewusster zu machen, dass man Dinge nicht aufschieben sollte à la „Das mache ich später irgendwann mal“. Sondern es ist wichtig, sich die Frage zu stellen: Lebe ich mein Leben gerade so, wie ich es wirklich möchte, oder spare ich für in 20 Jahren? Mein Mann und ich sind in dieser Hinsicht beide sehr auf einer Wellenlänge und hinterfragen immer wieder: Passt unser Leben für uns, oder sind wir extern so gesteuert, dass wir eigentlich gar nicht so leben wollen, wie wir es gerade tun? Dann justieren wir nach.

Würde ich auf den Flug ins All verzichten, wenn mir dafür garantiert wird, dass ich mit meinem Mann alt und faltig werden kann und meine Kinder aufwachsen sehe? Na klar. Aber die Garantie habe ich nie.

 

Vielen Dank für das Interview und deine offenen Worte, liebe Insa.

 

Hier findet ihr Dr. Insa Thiele-Eich:

Dr. Insa Thiele-Eich engagiert sich außerdem für #Klimavor8″. Mehr Infos dazu findet ihr hier.

Teaserfoto: „Die Astronautin“

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