Die Australierin Cassandra Karinsky ist vor dreizehn Jahren nach Marrakesch gezogen. Sie arbeitete lange als Restaurant Consultant in New York, Chicago und Sydney bis sie während eines Urlaubs ihre Liebe zu Marrakesch entdeckte, ihre Koffer packte und mit Mitte Dreißig hierher zog. Zunächst gründete sie ein Kaftan-Label und war als Interior-Stylistin tätig. Heute ist sie Besitzerin des Homewear-Labels „Kulchi“ und eröffnete vor kurzem das Restaurant „Plus61“, das Touristen und Locals gleichermaßen anzieht. Wir haben die 50-Jährige in ihrem 3-Zimmer-Apartment im Viertel Gueliz und ihrem neuen Restaurant besucht und mit ihr über ihre Faszination für Marokko, Herausforderungen im Restaurant-Business und die hiesige Kreativszene gesprochen. Außerdem verrät sie ihre Lieblingsspots in Marrakesch!
Cassandra Karinsky: Mitte der Neunziger habe ich in Chicago gelebt. Zu dem Zeitpunkt habe ich Urlaub in Marokko gemacht, mein letzter Stop war Marrakesch und ich habe mich sofort in diese Stadt verliebt. Die Restaurantauswahl war hier damals nicht so gut und ich wollte schon immer mein eigenes Restaurant eröffnen. Der Gastronom und Koch Bill Granger aus Australien ist ein sehr guter Freund von mir und ich habe teilweise seine Restaurants gemanagt. Meine Idee war, hier ein Restaurant mit dieser Küche, aber mit marokkanischem Einschlag zu eröffnen.
Ich habe eine positive Grundeinstellung und mache einfach Dinge, auf die ich Lust habe, ohne mir vorher zu viele Gedanken darüber zu machen.
Ich kannte eine Frau, die ich in Australien durch ihren Bruder kennengelernt hatte. Am Anfang habe ich auch bei ihr geschlafen, als ich nach einer Wohnung gesucht habe, aber ansonsten kannte ich niemanden.
Ich höre immer wieder: Das war so mutig von dir, aber ich sehe so einen Umzug nicht als große Herausforderung, ich habe eine positive Grundeinstellung und mache einfach Dinge, auf die ich Lust habe, ohne mir vorher zu viele Gedanken darüber zu machen.
Wenn man hier lebt, gibt es so viele Möglichkeiten und man wird von anderen Menschen, die hier leben und etwas gründen, total inspiriert.
Ich habe mit der australischen Freundin das Kaftan-Label “Kasbek“ gegründet. Parallel habe ich meine Freundin Laetitia vom Label und Store “Lalla” bei ihrem Personal Shopping Service unterstützt. Ich bin mit den Kunden in den Souks shoppen gegangen, habe Teppiche und Möbel mit ihnen ausgewählt und für sie gehandelt – das hat total viel Spaß gemacht. Außerdem habe ich eine Interior-Fotografin kennengelernt und dann Stylings und Texte für „Elle Deco“ und andere Interior-Magazine gemacht. Ich habe in der Zeit sehr viel über Teppiche gelernt und überlegt, wie ich mein Wissen anwenden kann. Und dann hatte ich die Idee, ein Teppich- und Homewear-Label zu gründen – so entstand mein Label “Kulchi”, das ich heute immer noch führe. Wenn man hier lebt, gibt es so viele Möglichkeiten und man wird von anderen Menschen, die hier leben und etwas gründen, total inspiriert.
Wer die Restaurantszene wie ich kennt, würde eigentlich nie ein eigenes Restaurant aufmachen, da es so viele Herausforderungen gibt und wirklich harte Arbeit ist, daher habe ich es in den letzten Jahren auch immer vor mir hergeschoben. Viele vor mir haben es einfach gemacht, sich das glamourös vorgestellt und sind dann gescheitert. Ich habe in den letzten Jahren lange abgewogen, ob ich es wirklich machen möchte und habe mich dann letztes Jahr doch dafür entschieden.
Ich lebe schon so lange in Marrakesch und immer, wenn ich mich mit Freunden verabredet habe, wussten wir nicht, wo wir hingehen sollen – so ist „Plus61“ entstanden. Wir gehen nicht in die Medina, um zu essen, das ist eher eine Sache für die Touristen. Ich wollte ein urbanes Café beziehungsweise Restaurant eröffnen, nicht nur etwas für Touristen, sondern auch für die Locals. Irgendwann hat sich die Idee immer mehr entwickelt, die australische Küche nach Marrakesch zu holen – vor allem die Art zu essen. In Australien ist immer alles sehr entspannt, es kommt eine Flasche Wein auf den Tisch und mehrere Schälchen und jeder probiert sich durch.
Australien ist ein sehr entspanntes Land – das reflektiert auch unsere Küche. Wir haben keine traditionelle Küche wie zum Beispiel Frankreich oder Italien.
Ja, Australien ist sehr multikulturell und daher treffen die unterschiedlichsten Küchen aufeinander. Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter mir als ich fünf war, Thai Curries gekocht hat. Wir sind sehr von anderen Kulturen inspiriert. Wir adaptieren Gerichte und geben ihnen einen modernen Twist. Hier im „Plus61“ servieren wir sehr frisches, unkompliziertes und saisonales Essen. Wenn du ein gutes Produkt hast, solltest du nicht mehr so viel dazugeben. Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir mit vielen lokalen Biobauern zusammenarbeiten.
Man mag es kaum glauben, aber es war tatsächlich eine kleine Challenge, die Leute, vor allem die Franzosen, an diese Art der Küche zu gewöhnen. Gerade in der französischen Küche funktioniert alles à la carte: Vorspeise, Hauptspeise, Dessert. Wir haben hier mittlerweile aber viele Locals, die mehrmals die Woche zum Essen kommen, weil sie unsere cleane und frische Küche so mögen.
Es ist auch nicht so einfach, Mitarbeiter zu finden. Wenn du in New York Kellner einstellst, wissen sie, was auf sie zukommt. Viele Marokkaner können es sich aber gar nicht leisten, privat in ein Restaurant zu gehen, sie wissen zum Beispiel nicht wie Wein serviert wird. Ich bringe ihnen alles selbst bei. Aber alle, die hier heute arbeiten, sind seit Tag eins dabei, was mich sehr freut. Ich sehe, wieviel Mühe sich alle im letzten halben Jahr gegeben haben und sich entwickeln.
Mein Freund Kamal hatte mich kurz nach der Eröffnung von seinem Restaurant „Nomad“ um Hilfe bei der Menügestaltung gebeten. Ich habe dann das Menü für sie designt und die ersten vier Monate mit in der Küche gearbeitet. Denn moderne marokkanische Küche war eigentlich genau das, was ich ursprünglich in Marrakesch selbst in einem Restaurant anbieten wollte – daher hatte ich sowieso schon viele Ideen. Kamal hat „Nomad“ zusammen mit Sebastian gegründet und so habe ich ihn kennengelernt und wir haben uns direkt gut verstanden. Unser Küchenchef Andrew besitzt vier erfolgreiche Restaurants in Australien – „Vini“, „Berta“, „121BC“ und „Bacco“. Ich war in Sydney großer Fan von seinem Restaurant „Berta“, weil es so unprätentiös, natürlich und gemütlich ist – in Australien habe ich auch schon für ihn gearbeitet und wollte mit ihm diesen Vibe nach Marrakesch holen.
Im Juni 2018 haben wir den Vertrag unterschrieben und im September 2018 schon eröffnet. Wir haben viel renoviert. Die Decke war abgehängt und die Fenster waren zum Beispiel viel kleiner. Wir wollten auf jeden Fall einen Sydney-Style haben: Clean und offen ohne Kunst an den Wänden. Die Agaven vor dem Fenster draußen sind auch typisch australisch. Marrakesch hat die ganze Zeit diesen Overload: Gerüche und Geräusche überall. Hier sollte es sehr fresh, clean und unkompliziert wirken und somit auch unser Essen widerspiegeln.
Genau! In Marrakesch gibt es keinen Laden, in den du gehst und dich dann einrichtest. Die Marmortische und Holzstühle haben wir zum Beispiel designt und von Handwerkern in Marrakesch fertigen lassen. Die Lampen hat ein algerischer Freund, der hier in Marrakesch lebt, für uns gemacht. Wir arbeiten nur mit lokalen Handwerkern und Designern zusammen.
Ich habe nur sonntags frei und Marrakesch ist laut und bunt. Mein Zuhause soll daher ein Ort der Ruhe und des Komforts sein.
Es hat sich nicht wirklich viel verändert, die französische Küche ist hier sehr präsent. Auch die Chefköche bringen ihren Lehrlingen nur die klassische French Cuisine der Achtziger-Jahre bei – die Szene steckt ein bisschen fest und es entwickelt sich nicht wirklich.
Ja, das ist ein Grund, warum ich hier sehr gerne lebe. Wenn ich mich hier mit Freunden freitagabends zum Dinner treffe, ist das total inspirierend. Jeder plant irgendwas oder hat sein eigenes Business – das ist ein toller kreativer Austausch, den ich aus Sydney so nicht kannte.
Das würde ich so nicht sagen. Ich bin Single und bewege mich in den unterschiedlichsten Kreisen und lerne immer wieder neue Leute kennen. Es passiert hier auf jeden Fall gerade viel Inspirierendes.
Den Leuten ist es hier egal, was du trägst, du wirst nicht bewertet – das nehme ich für mich selbst immer wieder mit.
Hier steckt dich niemand in Schubladen, nur weil du aus dem Westen kommst.
Ich habe hier definitiv gelernt, mit weniger zurecht zu kommen. Die Menschen hier leben dir das vor. Manchmal, wenn ich in Sydney bin, denke ich, ich komme zurück, alles ist dort so komfortabel und familiär. Aber nach zwei Wochen denke ich wieder, dass ich das Kommerzielle und, dass sich Leute so viel aus ihrem Image machen, nicht aushalte.
Als ich 1996 das erste Mal hier war, haben meine Freundin und ich uns einen Fahrer gemietet, der uns durchs ganze Land gefahren hat. Wir wussten gar nicht, wo wir schlafen sollten, da es keine klassischen Hotels gab. Wir haben dann gesehen, wie unser Fahrer mit jemanden in einem Café geredet hat. Am nächsten Tag meinte er, dass wir in deren Haus schlafen könnten. Und ich antwortete: Sind das Freunde von dir? Und er sagte: Nein, ich kannte ihn vorher auch nicht. Diese „Brotherhood“ fasziniert mich. Hier steckt dich niemand in Schubladen, nur weil du aus dem Westen kommst. Den Leuten ist es hier egal, was du trägst, du wirst nicht bewertet – das nehme ich für mich selbst immer wieder mit.
Nein, auf keinen Fall!
Ja. (lacht). Bereut habe ich die Entscheidung nicht, hierher zu ziehen. Ich liebe, was ich mit „Kulchi“ kreiert habe, ich mag die Menschen hier. Ich bin eher schnell gelangweilt. Ich kann nicht immer das gleiche machen und schaue immer nach neuen Herausforderungen, deshalb habe ich auch das Restaurant eröffnet.
Viele Touristen wissen, glaube ich, gar nicht, dass es diesen Stadtteil gibt. Viel hat sich in den letzten Jahren hier auch nicht verändert. Viele Leute machen tolle Sachen im Bereich Mode, Food und Interior, es hat sich aber trotzdem nicht so viel entwickelt wie es eigentlich sollte.
Dort gibt es viele Leute, die tolle Sachen machen. Ich mag „Magasin Général“, ein belgisch-französisches Label mit viel Leinen, und das Keramik- und Teppich-Label „LRNCE“ ist auch toll!
Mein Stil hat sich mit der Zeit auf jeden Fall verändert. Meine erste Wohnung hier in Marrakesch war sehr marokkanisch eingerichtet mit Matratzen auf dem Boden, viele Teppiche, ein bisschen Bohemian gemixt mit marokkanischem Lifestyle. Mittlerweile ist mein Stil etwas erwachsener geworden. Ich habe nur sonntags frei und Marrakesch ist laut und bunt. Mein Zuhause soll daher ein Ort der Ruhe und des Komforts sein. Bevor ich das Restaurant eröffnet habe, habe ich jeden Freitag immer fünfzehn Freunde zur Dinnerparty zu mir eingeladen mit Fischtakkos auf dem Tisch, deshalb wollte ich einen großen Esstisch haben.
Stimmt! (lacht)
Mein Sofa und meinen Couchtisch habe ich zum Beispiel von einem Freund designen lassen. Vieles finde ich hier auf Flohmärkten wie zum Beispiel meine beiden Arm Chaira oder meinen Coffee Table im Wohnzimmer. „Bab el Khemis“ ist mein Lieblingsflohmarkt. Übersetzt heißt das „Donnerstag“. Viele Märkte sind hier nach den Wochentagen, an denen sie stattfinden, benannt.
Das Yves Saint Laurent Museum, das Fliesen-Label „Popham Design“, Rando von “Marrakshi Life”, das Riad El Fenn und das Riad Beyond – die Besitzer erhalten die klassischen Riads und geben ihnen einen modernen Touch, das mag ich sehr.
Marrakesch hatte ich schon in den Neunzigern auf dem Schirm. Was man auf jeden Fall merkt: dass viel mehr amerikanische Touristen hier sind und es für sie der neue Hotspot ist.
Das Leben ist zu kurz. Genieße, was du hast. Verbringe deine freie Zeit mit deinen Freunden und sei dankbar.
Letztes Jahr sind viele meiner Freunde verstorben. Darauf bezogen würde ich sagen: Das Leben ist zu kurz. Genieße, was du hast. Verbringe deine freie Zeit mit deinen Freunden und sei dankbar.
96 Rue Mohammed el Beqal, Marrakesch 40000, Marokko
Fotos: Silje Paul
Layout: Kaja Paradiek
7 Kommentare
Liebe Cassandra,
wir sind im Oktober in Marrakesch – hast du eine Empfehlung für schöne Hotels?
Liebe Juliane,
morgen erscheint auf femtastics unser Travel Guide mit ganz vielen Tipps zu Marrakesch. 🙂
Liebe Grüße,
Anna
Danke für den Beitrag. Ich finde vor allem das Restaurant „Plus61“ sehr schön eingerichtet. Mein Freund geht super gerne essen und liebt besondere Orte.