Warum wir Scheitern nicht (immer) persönlich nehmen sollten

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28. August 2022

femtastics-Autorin Corinna Mamok hatte den Traum, Unternehmerin zu sein. Diesen Traum erfüllte sie sich nach der Geburt ihres ersten Kindes und mithilfe eines Kredits. Sie gründete ihr eigenes Unternehmen und geriet schnell in eine Spirale aus Erschöpfung, unerreichter Ziele und dem eigenen, viel zu hohen Anspruch an sich selbst. Wie sie es geschafft hat, das Scheitern ihres Unternehmens nicht persönlich zu nehmen und welche Glaubenssätze sie dafür über Bord werfen musste, das hat sie für uns aufgeschrieben.

Mutig zu sein war unglaublich aufregend. Und ich war bereit, meinen Traum zu verwirklichen.

Der Traum vom Leben als Unternehmerin

Als ich 25 Jahre alt war, träumte ich von einem Leben als Unternehmerin. Ich war gerade Mutter geworden und konnte mir nichts Aufregenderes vorstellen, als direkt nach meinem Studienabschluss den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Ich hatte das Gefühl, eine Marktlücke entdeckt zu haben und die wollte ich unbedingt schließen. Meine Geschäftsidee war so etwas wie „Grover“, nur dass ich keine Technik, sondern hochwertige Baby- und Kinderartikel zum Mieten/ zum Mietkauf anbieten wollte. Ich wollte anderen Eltern kostspielige Fehlkäufe, wie ich sie getätigt hatte, ersparen. Also schloss ich mein Studium ab, schrieb einen vielversprechenden Businessplan und lieh mir 20.000 Euro Startkapital von meinem Vater, um meine Idee zu verwirklichen. Mutig zu sein war unglaublich aufregend. Und ich war bereit, meinen Traum zu verwirklichen.
 
Dass mein Traum nicht viel mit der Realität zu tun hatte, merkte ich allerdings schnell. Denn in meinem Traum gab es all die Einsamkeit und Überforderung nicht. Gerade am Anfang gab es so viele Dinge gleichzeitig zu tun, dass ich mehr als einmal heulend in der Ecke saß. Ich wünschte mir jemanden, die*der mich an die Hand nahm und mir zeigte, wie alles funktionierte, aber da war niemand. Da war nur ich. Doch man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles. Und so ging ich nach dem Learning by doing-Prinzip vor, während ich gleichzeitig versuchte, mir ein Netzwerk aufzubauen.

Die Tatsache, dass ich arbeitete, aber dennoch finanziell komplett abhängig von meinem Mann war, machte mir besonders zu schaffen.

Nach ein paar Monaten konnte ich die ersten Minierfolge erzielen. Auch, wenn sich mein Business anders entwickelte als gedacht. Der einkalkulierte Mietkauf blieb weitestgehend aus und die meisten Artikel wurden nur für kurze Zeit vermietet, sodass der Umsatz geringer und der Logistikaufwand deutlich höher war als geplant. Doch ich blieb dabei, ich wollte Unternehmerin werden. Und so investierte ich jeden Tag aufs Neue mein ganzes Herzblut in diese Idee. Eine echte Belastungsprobe, der ich mit dem Prinzip Hoffnung entgegentrat. Es gab so viele Hürden, hinzu kam die Vereinbarkeitsproblematik und mentale Durchhänger meinerseits. Die Tatsache, dass ich arbeitete, aber dennoch finanziell komplett abhängig von meinem Mann war, machte mir besonders zu schaffen. Ich gab mein Bestes, doch nach etwas mehr als zwei Jahren merkte ich, dass das nicht reichte.

Ich zögerte das Scheitern hinaus bis nichts mehr ging

Doch anstatt der Wahrheit ins Auge zu sehen, machte ich einfach blind weiter. Ich zögerte mein Scheitern hinaus,bis es nicht mehr ging, was hauptsächlich daran lag, dass ich es persönlich nahm. Mir fehlte der Abstand zu meinem Business und so interpretierte ich das Scheitern meiner Businessidee als ein persönliches Scheitern. Es fühlte sich so an, als wäre ich als Mensch gescheitert und das war unerträglich. Genau wie die Tatsache, dass ich 20.000 Euro Schulden hatte. Es kam mir vor, als hätte ich auf ganzer Linie versagt. Ich war 28 Jahre alt, hatte ein zweijähriges Kind, 20.000 Euro Schulden und war finanziell komplett abhängig von meinem Mann. Und wofür? Nur, um mir meinen Traum vom Unternehmertum zu erfüllen?

Es fühlte sich so an, als wäre ich als Mensch gescheitert und das war unerträglich.

Ich schwieg weiter, bis mich das Universum mehr oder weniger dazu zwang, mein Scheitern offiziell zu machen und die Situation noch unerträglicher wurde. Ich war gerade mit Kind Nummer zwei schwanger, als es in der 16. SSW Komplikationen gab und ich zu sechs Monaten strikter Bettruhe verdonnert wurde. Boom. Das hatte gerade noch gefehlt. In der Zeit fühlte sich alles nach einer Katastrophe an. Die Angst um mein ungeborenes Baby, das Wissen, nun offiziell gescheitert zu sein, die Schulden, einfach alles. Ich war am Boden und völlig entmutigt und so fing ich an das Scheitern meines Business‘ mit der Bettruhe zu argumentieren, auch wenn ich wusste, dass ich schon vorher am Arsch war.
 
Zu der Zeit war die ganze emotionale Last so hoch, dass ich einfach dankbar für die Ausrede war. Durch die Bettruhe war das Scheitern nicht mehr meine Schuld und das half mir auf eine verkorkste Art und Weise. Dass ich damit einen Dämon erschuf, der mich auch Jahre später noch verfolgte, sah ich zu der Zeit noch nicht. In den darauffolgenden Monaten lag ich einfach nur da und schaute aus dem Fenster. Ich wollte weder Lesen, noch Filme schauen noch sonst irgendwas. Die Information zu verarbeiten, dass ich plötzlich nicht nur  finanziell abhängig war, sondern auch sonst noch komplett handlungsunfähig, nahm eine Menge Raum ein. Von jetzt auf gleich war der einzige Weg, den ich am Tag gehen durfte, der Weg vom Bett bis aufs Klo. Das war’s. Es war hart. Sehr hart. Und es waren die wohl längsten sechs Monate meines Lebens. Mehr als einmal fragte ich mich: War es das wert? Hatte es sich gelohnt mutig zu sein? War Scheitern wirklich besser als es nie versucht zu haben? Zu dem Zeitpunkt glaubte ich nicht daran.
 
Ich kam mir einfach blöd vor. Und die ganzen “Ich habe es dir doch gleich gesagt”-Kommentare machten es auch nicht besser. In unserer Gesellschaft ist es leider immer noch oft so, dass wenn du etwas wagst, was für die meisten unvorstellbar ist, es nur dann cool ist, wenn du am Ende gewinnst. Wenn du es versuchst und scheiterst, dann haben es dir alle anderen sowieso schon vorhergesagt, aber du wolltest ja nicht hören. Ich wollte auch nicht hören. Also auf die anderen. Ich wollte auf mich hören. Ich wollte an meine Fähigkeiten glauben und etwas Großartiges starten, mit dem ich die Welt ein bisschen besser machen konnte. Doch es hat nicht geklappt.

In unserer Gesellschaft ist es leider immer noch oft so, dass wenn du etwas wagst, was für die meisten unvorstellbar ist, es nur dann cool ist, wenn du am Ende gewinnst.

femtastics-Autorin Corinna Mamok schreibt übers Scheitern.
femtastics-Autorin Corinna Mamok, 36, ist Autorin und Fotografin und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Saarland.

In der Therapie warf ich alte Glaubenssätze über Bord

Wie stark mich diese Erfahrung prägte und was für ein durchgeknallter Glaubenssatz mein Hirn daraus kreierte, wurde mir erst letztes Jahr im Rahmen einer Therapie klar. Für mein Hirn war die logische Schlussfolgerung aus der Überidentifikation mit meinem Business und der Erfahrung des Scheiterns: Der Glaube an sich selbst führt zu schmerzhaften Erfahrungen, also lassen wir das besser.
 
Ich war absolut blind für all das Positive, was ich durch die Selbstständigkeit, aber auch durchs Scheitern gelernt hatte. Auch die Tatsache, dass generell 80 Prozent aller Start-ups in den ersten drei Jahren scheitern, führte nicht zu mehr Objektivität meinerseits. Ich sah weder meinen Mut, mein Durchhaltevermögen, meine Kreativität noch all die Dinge, die ich richtig gut gemacht hatte. Alles, was ich sah, war mein eigenes Versagen. Und das ließ mich klein werden. Ich rutschte in einen Zustand des Beweisens ab. Nicht nur beruflich, sondern auch in jedem anderen Lebensbereich. Unbewusst wollte ich beweisen, dass ich trotz des großen Misserfolgs etwas wert war. Ich übernahm 100 Prozent der Care-Arbeit für beide Kinder, schmiss den Haushalt und arbeitete in Teilzeit. Ich versuchte, das Gesellschaftsbild einer westlich geprägten Mutter zu erfüllen. Gleichzeitig wollte ich so wenig Umstände wie möglich machen. Ich war schließlich schuldig, nutzlos und wertlos. Dachte ich.
 
Dieses Muster zog sich noch eine gefühlte Ewigkeit durch mein Leben. Doch neben den ganzen Bullshit-Gedanken erwachte plötzlich auch wieder diese kleine Flamme in mir. Dieses kleine rebellische Licht, das einfach nicht daran glauben wollte wertlos zu sein. Ein Minianteil in mir wollte weiter an sich glauben und auch einen neuen Versuch in Sachen Selbstständigkeit wagen. Nach monatelangen inneren Diskussionen entschied ich mich schließlich für einen Kompromiss: Teilzeitjob mit nebenberuflicher Selbstständigkeit als Fotografin. Natürlich mit 90 Prozent Care-Arbeit nebenbei. In meinem Kopf war ich immer noch eine Versagerin, die Buße tun musste. Doch zum Glück ließ mich dieser unfassbare Wille meinen Wert beweisen zu wollen nicht müde werde. Alles, was ich spürte, war ein gewisses Maß an Unzufriedenheit, die ich allerdings als normal einstufte. 2018 brachte mich dann eine Fehlgeburt von Zwillingen zum Umdenken. Ich fing an meine Unzufriedenheit und auch mein Verhalten zu hinterfragen. Und Stück für Stück verstand ich, in was für eine Scheiße ich mich geritten hatte und was das für Konsequenzen hatte.

Die Sache mit der Eigenverantwortung

Ich fing an Eigenverantwortung zu übernehmen, was auch bedeutete, dass ich nicht mehr bereit war so viel Care-Arbeit zu übernehmen. Das kam zunächst weder bei meinen Kindern, noch bei meinem Mann gut an. Im Gegensatz zu mir wollten die drei nicht, dass sich etwas ändert. Nicht aus bösem Willen, sie waren es einfach nicht gewohnt. Und so kam es, dass es auch hier eine lange Zeit der Reibung gab. Aber die saß ich einfach aus, auch wenn es schwer war. Zusätzlich kündigte ich meinen Teilzeitjob und baute mein Foto-Business weiter aus. Für einen Moment wiegte ich mich in dem trügerischen Gefühl das Scheitern überwunden zu haben. Aber stimmte das?

Nein! Kurz vor der Veröffentlichung eines eigenen Buchs holte mich der Dämon, den ich Jahre zuvor durch das unverarbeitete Scheitern erschuf, wieder ein. Ich lag heulend im Bett und beichtete meinem Mann unter dramatischem Schluchzen, dass ich Angst davor hatte schon wieder auf dem Weg des Scheiterns zu sein. Diese Gedanken machten mich fertig. Irgendwie wiederholte sich alles. Die Angst. Das Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben. Als das Buch dann erschien und die Verkaufszahlen anders als erhofft waren, sagte diese fiese Stimme in meinem Kopf: „Siehst du, ich habe es dir doch gleich gesagt. Es ist gefährlich, an sich zu glauben.”

Ich stellte mich meinem inneren Dämon, dass ich an allem Schuld sei.

Doch dieses Mal war diese kleine Flamme, die mich erst dazu gebracht hatte, wieder den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, stärker und mutiger. Statt mich ein weiteres Mal meiner Enttäuschung hinzugeben und alles auf mich zu beziehen, suchte ich mir eine Therapeutin. Ich wollte meine eigene Fehlermoral endlich in den Griff bekommen. Und so investierte ich insgesamt sechs Monate in eine Therapie. Ich entlarvte den Bullshit-Glaubenssatz, dass der Glauben an mich selbst gefährlich sei und stellte mich meinem inneren Dämon, dass ich an allem Schuld sei. Insgesamt war es eine sehr intensive Zeit mit großen Learnings. Der wohl wichtigste Punkt, den ich dabei gelernt habe, ist: Ich bin nicht meine Arbeit. Ich habe gelernt Abstand davon zu nehmen. Klar will ich sie gut machen und natürlich will ich erfolgreich sein. Doch ich will nicht mehr um jeden Preis die Beste sein, sondern nur noch mein Bestes geben.

Der wohl wichtigste Punkt, den ich gelernt habe, ist: Ich bin nicht meine Arbeit.

Und als ich das wirklich verinnerlichte, war auch plötzlich mein Scheitern in der Vergangenheit zwar immer noch unangenehm, aber es war kein Weltuntergang mehr. Ich verstand, dass nicht ich gescheitert bin, sondern lediglich meine Businessidee. Und dass ich es selbst in der Hand habe, welche Momente mich im Leben definieren und welche nicht. Und ich werde es immer wieder versuchen. Denn ich will meinen Weg gehen und nicht den Weg von irgendjemand anderem und wenn das Scheitern dazu gehört, dann ist es so.

Ihr hadert selbst gerade mit dem Thema Scheitern? Hier hat Corinna fünf wichtige Learnings zusammengefasst!

Hier findet ihr Corinna Mamok:


Teaserbild: Lustre / AdobeStock

Ein Kommentar

  • Heidi Hauer sagt:

    Liebe Corinna – Danke für das Teilen deiner Geschichte, die mich sehr berührt. Ich finde es schön wie du deiner inneren Flamme gefolgt bist. Auch den Satz: „Meine Business-Idee ist gescheitert und nicht ich selbst.“ finde ich grossartig. Am Ende geht es um Selbstliebe und Selbstfürsorge. Oft unterschätzt aber wesentlich für jede Art von Weiterkommen und Wachstum. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute! Heidi

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