Erfinden sich „Hexen“ gerade neu? Räuchern, Kristalle, Kräuterheilkunde, Aromatherapie und Energieheilung sind bei jungen Menschen sehr angesagt. Begriffe wie Esoterik und Spiritualität definieren sie neu – mit Leichtigkeit und Flexibilität. Sie meditieren im Flugzeug auf einem Business-Trip, checken ihr Tageshoroskop in ihrer Astro-App, dekorieren ihre Wohnung mit Kristallen und möchten mehr über spirituelle Praktiken lernen. Für diese „Modern Mystics“ hat Tina Mia Weidmann eine digitale Shopping-Welt geschaffen. Die 34-jährige Wahlkölnerin hat viele Jahre im Online Marketing gearbeitet und im September ihren Online-Shop „Witchlandia“ gelauncht. Wir besuchen Tina in ihrer Kölner Wohnung zum Gespräch über diese neue Spiritualität und die Entscheidung für die Selbstständigkeit.
Tina Mia Weidmann: Mir ist aufgefallen, dass es die Frau gibt, die nicht alles von A bis Z spirituell angeht, die keine Yoga-Queen ist, die Spiritualität nicht zu ihrer „Marke“ gemacht hat, die sich aber dennoch für spirituelle Themen interessiert. Ich sehe meine Kundin als die Frau, die gar nicht darüber spricht, die Spiritualität aber im Blut hat.
Ich nutze den Begriff manchmal. Er ist so eingestaubt und ich finde es interessant, das Thema ganz neu aufzurollen, frisch und jünger. Bei „Esoterik“ denkt man immer an die Generation unserer Eltern. Das geht in die Richtung Räucherstäbchen und Co. Ich biete auch Räucherstäbchen an, aber anders. Was ich lange nicht wusste: Ganz oft sind sie giftig. Der Rauch kann so schädlich sein wie Zigarettenrauch, weil die Produkte so viele Giftstoffe enthalten. Ich beziehe meine Räucherstäbchen aus London von einer Frau, die Räucherstäbchen von Hand aus Rinden und Kräuteressenzen rollt.
Ja, weil sie oft Giftstoffe und künstliche Aromen beinhalten. Ein gutes Räucherstäbchen riecht anders, viel besser.
An diesem Tisch. Ich saß hier eines Abends mit meinen liebsten Freundinnen und die eine Freundin erzählte, dass sie gerade eine Haarsträhne zur Analyse zum Heilpraktiker eingesendet hat, die zweite erzählte, dass sie später noch eine Skype-Energie-Session mit ihrer Energieberaterin hat und die dritte, dass sie zum Fashion-Foto-Shoot eine Figur des heiligen Pankratius mitgenommen hat. Und ich dachte nur: Wir sind alle Hexen! Wir wären alle verbrannt worden! (lacht) Und heute ist das ganz normal. In dem Moment wurde mir bewusst, dass solche spirituellen Themen in unserer Generation voll angekommen sind.
Bei mir war schon immer die Faszination für Steine da. Es zieht sich durch mein Leben, dass ich mit Steinen und Kristallen auseinandergesetzt habe. Die Collage an der Wand habe ich vor einigen Jahren gestaltet und ich male gern Kristalle. Darüber habe ich den Zugang zu diesem Thema gefunden: Ich war in Berlin in einem typischen Esoterikladen auf der Suche nach Kristallen und der Laden war so lieblos – die haben mir den Kristall in altes Zeitungspapier gepackt und dann in eine Plastiktüte. Da dachte ich: Das muss doch besser gehen! Es geht doch schließlich um Energien und Ästhetik. Da habe ich Feuer gefangen. (lacht)
Ich dachte nur: Wir sind alle Hexen! Wir wären alle verbrannt worden!
Ich habe mir Bücher über Kristalle gekauft. Wenn man online sucht, findet man viele Informationen dazu, welche Krankheiten die sogenannten „Heilsteine“ angeblich heilen. Mir ist wichtig, einen anderen Ansatz zu finden. Ich möchte auf keinen Fall falsche Versprechungen machen und Steine als Heilmittel präsentieren. Es gibt tolle Bücher, die Steine und Energien beschreiben. Das hat auch viel mit Farbenlehre zu tun.
Alles weitere Wissen, was zum Beispiel Räuchern betrifft, habe ich mir nach und nach angeeignet. Das hört nicht auf. Gerade beschäftige ich mich viel mit dem Thema Palo Santo. Vielleicht hast du gehört, dass man das Holz nicht mehr kaufen sollte?
Ich habe vor kurzem den Satz gehört: Wenn du im Jahr 2019 ein Unternehmen gründest, solltest du dich schämen, wenn du es nicht so nachhaltig wie möglich gestaltest. Man hat mit einem Unternehmen einen größeren Fußabdruck als eine Einzelperson und ich finde es einfach wichtig, darauf zu achten. Außerdem verkaufe ich ein Gefühl, ich verkaufe Good Vibes, und ich möchte nicht, dass andere Menschen oder die Umwelt darunter leiden.
Was Palo Santo betrifft, würde ich in Zukunft alternativ gern Zedern- oder Sandelholz verwenden. Mein Vater war Gärtner – er ist mittlerweile in Rente – und er hat mir schon ganze Ladungen Zedernholz andrehen wollen. Und warum nicht? Wenn ich es entsprechend in Form bringen kann, um es zum Räuchern zu verwenden, und es lokal aus der Eifel kommt, dann ist das doch viel schöner und nachhaltiger als wenn ich Hölzer aus Südamerika einfliegen lasse.
Ich muss meinen Zulieferern vertrauen. Es gibt zum Beispiel einen Verein, der sich für einen fairen Abbau von Kristallen einsetzt; und ich kaufe bei den Großhändlern, die das unterstützen. Noch bin ich nicht soweit, dass ich selbst nach Brasilien reisen und das kontrollieren kann.
Ich verkaufe Good Vibes und ich möchte nicht, dass andere Menschen oder die Umwelt darunter leiden.
Ich finde es interessant, dass gerade bei Menschen in den 30ern so ein Revival von Esoterik passiert.
Ich finde es interessant, dass gerade bei Menschen in den 30ern so ein Revival von Esoterik passiert. Ich denke, es hängt mit der Technik und urbanen Lebensräumen zusammen: So viele von uns wohnen in Großstädten und vermissen die Natur. Der Notstand, dass wir uns alle wieder auf uns selbst besinnen müssen, kommt daher, dass wir alle zu hektisch und zu stressig leben, und zu häufig aufs Handy gucken.
Ich habe ganz viele Ideen, um meinen Shop zu erweitern. Ich möchte einige eigene Ideen umsetzen, zum Beispiel Aromatherapiekerzen. Auch eine Duftöllampe würde ich gern neu auflegen, mit Kristallen, auf die man ätherische Öle träufelt. Ich möchte neue Ansätze finden, jenseits der herkömmlichen Esoterik-Shops.
Ich möchte neue Ansätze finden, jenseits der herkömmlichen Esoterik-Shops.
Es war mir total wichtig, einen Gegenentwurf zum anonymen, automatisierten, mit Künstlicher Intelligenz optimierten Online-Shopping zu schaffen. Ich finde, das geht in eine falsche Richtung. Man geht davon aus, dass der Kunde umso mehr kauft, je automatisierter der Shop ist, aber ich glaube an das Gegenteil. Mir war es ganz wichtig, eine persönliche Erfahrung zu schaffen. Ich muss gestehen, dass ich alles einfach komplett nach meinem eigenen Geschmack gemacht habe. (lacht) Aber das finde ich auch gut, weil es dadurch persönlich wird.
Ja, mein Shop basiert auf Squarespace. Photoshop und andere Programme habe ich mir schon vor Jahren beigebracht. Ich finde es interessant, meine Fühler auszustrecken und unterschiedliche Dinge zu lernen. Auch die Illustrationen für „Witchlandia“ habe ich selbst gemacht. Dafür habe ich mir das digitale Illustrieren beigebracht. Wenn ich etwas nicht kann, dann lerne ich es. Ich finde, das ist das Schönste an der Selbstständigkeit: sich Zeit zu nehmen, etwas Neues zu lernen. All das zu lernen, war einfach – schwieriger war, irgendwann zu sagen: Das ist es, jetzt ist es fertig!
Es war mir total wichtig, einen Gegenentwurf zum anonymen, automatisierten, mit Künstlicher Intelligenz optimierten Online-Shopping zu schaffen.
Ich hatte eine sehr lange Liste mit Ideen. (lacht) Irgendwann kam ich auf „Witchlandia“ und wusste direkt: Das ist mein Name. Mir war es wichtig, den Begriff „Witch“ einzubringen. Ich finde es interessant, dass „Hexe“ hierzulande für moderne Frauen, die sich als Feministin definieren, kein Schimpfwort mehr ist. Das war mal ein Schimpfwort, aber wir haben das Wort für uns vereinnahmt und sehen es positiv, wenn auch mit einem Augenzwinkern. Ich möchte dazu beitragen, diesen Bergriff neu zu definieren.
Ich habe lange mit der Entscheidung gehadert, aber mich letztlich entschlossen, mich ganz auf „Witchlandia“ zu konzentrieren. Ich wollte es parallel laufen lassen, aber dann hat man nie genug Zeit für sein Projekt und die anderen Alltagsaufgaben haben immer Vorrang. Ich möchte es deshalb einfach mal versuchen. Es fiel mir schwer, diese Entscheidung zu treffen, aber als sie gefallen war, fühlte es sich sehr gut an. Jetzt ist für mich ganz klar, dass das mein Weg ist.
Das Wort „Hexe“ war mal ein Schimpfwort, aber wir haben das Wort für uns vereinnahmt und sehen es positiv, wenn auch mit einem Augenzwinkern.
Ich würde „Witchlandia“ gern ein Jahr lang alleine machen und davon leben können. Anschließend kann ich schauen, wie es mit einem Team aussieht. Es war schon immer ein Traum von mir, eine Unternehmenskultur aufzubauen. Ich habe nicht vor, damit reich zu werden oder das Unternehmen eines Tages zu verkaufen, ich möchte einfach davon leben und meinen Tag mit schönen Dingen füllen können.
Die Prognose ist, dass Ayurveda stark zurückkommt. Das fließt in viele Lebensbereiche ein.
Ich persönlich meditiere nicht mit Kristallen, mir reicht es, wenn sie mich umgeben und ich mich an ihnen erfreue. Mein Freund ist ziemlich skeptisch, was diese Themen betrifft, aber selbst ihn konnte ich mittlerweile dafür begeistern, unsere Wohnung auszuräuchern. Es riecht einfach sehr gut und die Düfte beruhigen den Geist. Das wirkt auch auf Menschen, die nicht daran glauben.
Fotos: Martin Schoberer
Layout: Kaja Paradiek
6 Kommentare
Hachhhh, Tina ist so ein Herzensmensch und hat mich mit meiner ersten Witchlandia-Bestellung schon so umgehauen! So viel Liebe zum Detail kennt man heute gar nicht mehr. Ich wünsche dieser großartigen Frau alles erdenklich gute und freue mich, Witchlandia weiterhin fleißig zu unterstützen <3
💗💗💗 So so toll!! I am in love with her!! ✨