Der Radfahrer bremst, während er in der spanischen Hitze die steile Straße herunterfährt – wer weiß, was hinter der nächsten scharfen Kurve kommt. Am Ende der Hauptstraße geht es wieder steil bergauf, mitten ins Wohngebiet. Hier am Rande der Berge, am Montgó – einem der höchsten Berge der spanischen Costa Blanca – hat Coco Collmann vor bald einem Jahr ihren Traum vom Auswandern nach Spanien, in Form von weißem Mauerstein und Tonpfannendach, wahr gemacht.
Coco Collmann ist Inhaberin einer Design- und Kommunikationsagentur. Seit diesem Jahr kann sich Coco nun auch Geschäftsführerin eines spanischen Co-Livings „Castillito“ – einer traumhaften Finca im typischen, spanischen Baustil – nennen. Je nach Anforderung kommen jetzt noch Jobs wie Architektin und Bauherrin dazu, erzählt Coco bei einem Besuch in ihrem neuen Zuhause zwischen Pinienbäumen und Palmen. Wie es ist, im Ausland zu gründen, auf welche Hindernisse man stößt und was Coco ihren Gästen vermitteln will, erzählt uns die 39-Jährige im Interview.
Coco Collmann: Ich wollte immer schon in warmen Gefilden alt werden und als 2020 die Corona-Pandemie und der Lockdown kamen, hatte ich das Gefühl: Jetzt ist es soweit. Ich bin jetzt fast 40. Mein Mann und ich sprachen irgendwann darüber, wie es wäre, auszuwandern. Mein Mann träumte damals davon, in Kalifornien zu leben, mich zog es nach Südafrika.
Wir haben zusammen überlegt, was uns überhaupt an unseren Traumorten reizen würden, was unseren Traumort zum Traumort macht: zum Beispiel das Wetter, die Berge, das Meer, der Genuss. Wir haben dann nach einem Kompromiss gesucht, der sich relativ zeitnah umsetzen lässt, und sind aufs Auswandern nach Spanien gekommen. In Spanien haben wir uns in die Costa Blanca verliebt und uns den Ort zu mehreren Jahreszeiten angeguckt. Konnten wir uns vorstellen, hier auch im Herbst, im Winter, das ganze Jahr über zu leben? Als wir das für uns mit „Ja“ beantworten konnten, ging es mit der Häusersuche los.
Anfangs wollten wir nur privat auswandern nach Spanien und hatten noch keine Business-Idee. Als die Idee vom Auswandern immer konkreter wurde, sprachen wir immer mehr davon und unter anderem mit meinem Cousin. Der war sofort Feuer und Flamme; er konnte sich ebenfalls vorstellen, auszuwandern. Mein Cousin ist aber wegen seiner Familie an einen Ort gebunden und wollte deshalb mit uns zusammenlegen und ein Ferienhaus kaufen.
Ihm kam dann die Idee, das Ganze Business-mäßig aufzusetzen und schon war die Idee vom Co-Working Space geboren. Danach ging alles sehr schnell. Wir hatten im Frühjahr letztes Jahres darüber gesprochen, zusammen im Ausland zu gründen. Im Juli haben wir die Location gefunden und ein paar Tage später den Vertrag unterschrieben. Zum Umzug sind wir von München aus – mein Mann war gerade beruflich dort – mit unserem vollgepackten Auto durchgefahren. Morgens um 3 Uhr ging es los, um 22 Uhr waren wir hier in unserem neuen Zuhause.
Anfangs wollten wir nur privat auswandern und hatten noch keine Business-Idee.
Ich hatte vom ersten Augenblick an, als ich hereinkam, ein unglaublich gutes Gefühl. Hier ist eine positive Energie, man sieht den Montgó, der direkt gegenüber liegt und ich wusste sofort, dass dieses Haus Potenzial hat. Auch wenn manche Schokoladenseiten erst bei der Renovierung selbst aufgefallen sind. So wie die Terrassen hier vorne zum Beispiel. Als wir ankamen, war hier alles noch von Pflanzen bedeckt und man konnte nicht sehen, was darunter lag. Jetzt haben wir diese wunderschönen Steinterrassen, die wir für die Gäste als Work Place umgebaut und die wir teilweise mit Hängematten ausgestattet haben. Davon war anfangs noch nichts zu sehen.
Hier ist eine positive Energie, man sieht den Montgó, der direkt gegenüber liegt und ich wusste sofort, dass dieses Haus Potenzial hat.
Es ist wahnsinnig schwer, die richtigen Leute zu finden. Das ist in Deutschland wahrscheinlich schon schwierig genug, aber hier kommt hinzu, dass man nach dem Auswandern nach Spanien noch niemanden hier kennt und sich nur auf „Facebook“ und Handwerker-Anzeigen verlassen kann. Wir hatten das Glück, dass wir auf einen wirklich guten Architekten gestoßen sind, der uns mit allem Möglichen weitergeholfen hat.
Wir bauen jetzt ausschließlich mit Leuten, die er uns empfohlen hat. Ein paar Probleme gibt es natürlich trotzdem immer mal. Ein Handwerker fragte neulich die ganze Zeit, nach „meinem Mann“ und ob „mein Mann“ ihm zeigen könne, wo die Steckdosen eingebaut werden sollen. Als ich meinte, ich könne das übernehmen, hat er große Augen gemacht. Als Frau werde ich nicht immer ernst genommen. Ich glaube aber nicht, dass das mit der spanischen Mentalität zu tun hat. Eher damit, dass ich eine Frau bin und man es beim Bau eher gewohnt ist, sich Ansagen von Männern machen zu lassen.
Nein, aber ich bin ein sehr harmoniebedürftiger Mensch. Das heißt aber nicht, dass ich mir alles bieten lasse, manche verstehen das falsch. Ich finde aber, dass man seine Anliegen grundsätzlich auf eine freundliche Art kommunizieren kann. Dann atme ich durch, nehme mir ein paar Stunden Auszeit und mache weiter.
Ich mache vieles selbst: Das Poolhaus soll zu einem weiteren Zimmer umgestaltet werden – dafür habe ich gerade den Plan entworfen. Ich habe auch viele Möbel selbst gemacht, wie die Betten aus alten Paletten oder die Wandregale. Und als Web-Designerin mache ich natürlich die Website neu. Ich bin schon lange selbstständig und mag es, Dinge selbst in die Tat umzusetzen.
Ich bin schon lange selbstständig und mag es, Dinge selbst in die Tat umzusetzen.
Ich tendiere dazu, viele Dinge gleichzeitig zu machen. Aber dann sage ich mir: Das Universum ist träge und wenn nicht alles an einem Tag gleichzeitig fertig wird, ist das auch okay.
Sport spielt hier natürlich eine Rolle. Wir haben ein eigenes Gym für unsere Gäste. Und ich möchte Retreats anbieten.
Ich tendiere dazu, viele Dinge gleichzeitig zu machen. Aber dann sage ich mir: Das Universum ist träge und wenn nicht alles an einem Tag gleichzeitig fertig wird, ist das auch okay.
Grundsätzlich ist hier jede*r willkommen, der oder die einen Ort zum Leben und Arbeiten sucht, die Gegend hier mag und sich mit unserem Konzept identifizieren kann. Wir hatten schon ein kleines „Soft Opening“ mit Bekannten, die hier gewohnt haben – das waren zum Teil Selbstständige, andere waren angestellt und haben Remote gearbeitet. Der „perfekte Gast“ ist irgendwas zwischen 35 und 55, kommunikativ, kontaktfreudig, aber sucht hier keine WG oder beste Freund*innen – obwohl das natürlich nicht heißt, dass das nicht trotzdem gern passieren darf.
Es soll ein Ort sein, an dem sich die Menschen gegenseitig inspirieren und Kontakte knüpfen, die ihnen möglicherweise weiterhelfen. Außerdem können sie die Magie der spanischen Küste erleben – als Ortsansässige, nicht einfach nur als Tourist*innen – ohne dafür wirklich auswandern zu müssen. Das habe ich sozusagen schon für meine Gäste übernommen.
Ich hoffe, dass wir Ende Juni soweit sind. Die Gäste, die aus meinem privaten Bekanntenkreis zu Besuch waren, waren bisher allesamt begeistert.
Es soll ein Ort sein, an dem sich die Menschen gegenseitig inspirieren und Kontakte knüpfen, die ihnen möglicherweise weiterhelfen.
Ich denke nicht, dass die Lebenshaltungskosten „outgesourced“ werden. Sie zahlen einen nicht gerade niedrigen Preis in den meisten Unterkünften für einen flexiblen, ortsunabhängigen Lebensalltag, der viel Struktur bedarf um wirklich — für teilweise diverse Zeitzonen — zuverlässig arbeiten zu können. Das sollte nicht unterschätzt werden.
Aus meiner Sicht wird viel Planungsaufwand und auch Mut benötigt. Ein Digital Nomad (nicht zu verwechseln mit Remote Work) hat keinen festen Ort, an den er oder sie sich einfach zurückziehen kann. Hinzu kommt, dass sie meistens, wenn sie Co-Living Spaces beziehen, Gemeinschaftsräume in Anspruch nehmen und so auf einem kleineren Raum mit mehr Menschen leben.
Ich denke, jede*r sollte seine oder ihre Lebensvorstellungen leben dürfen. Glück und Zufriedenheit stehen in meinem Wertesystem ganz oben, ob nun mit einem festen Wohnsitz oder ohne.
Dennoch muss jede*r in so einem Fall auch erstmal sehen wie er oder sie in dem jeweiligen Ursprungsland wieder Fuß fasst. Natürlich haben wir mit unserer deutschen Staatsangehörigkeit ein recht gut funktionierendes Sozialsystem „im Rücken“, das garantiert aber kein einfaches Wiederkommen.
Viele Digital Nomads melden sich auch staatenlos. Das bedarf viel Orga, Mühe, Zeit und Geld. Ich denke, jede*r sollte seine oder ihre Lebensvorstellungen leben dürfen. Glück und Zufriedenheit stehen in meinem Wertesystem ganz oben, ob nun mit einem festen Wohnsitz oder ohne. Und „regulär“ arbeiten kann man heutzutage von fast überall aus.
Fotos: Mirjam Kilter