Am 11. März dieses Jahres steigt Nora Welsch, Beauftragte für Menschen mit Behinderung der Stadt Baden-Baden, in Frankfurt ins Flugzeug. Ihr Ziel: die ganze Welt! Seitdem hat sie neun Länder bereist und lebt ihren Traum einer Weltreise. Dass sie seit Kindheitstagen aufgrund einer genetischen Erkrankung im Rollstuhl sitzt, hält die 31-Jährige nicht auf. Was sie auf ihrer Reise bis jetzt erlebt hat und auf welche Hürden und Hindernisse sie gestoßen ist, erzählt sie im Interview.
Nora Welsch: Gestartet sind wir in Kenia, von da aus ging es nach zweieinhalb Wochen weiter nach Dubai und in den Oman. Dann verbrachten wir ein paar Tage in Ägypten, erst in Kairo und anschließend in Hurghada. Der erste Langstreckenflug brachte uns nach Tokio, von dort fuhren wir mit dem Zug nach Kyoto. Anschließend ging es auf die philippinische Insel Boracay, danach nach Bangkok, die thailändische Insel Koh Samui und von dort aus am 06. Juni für einen geplanten Zwischenstopp zurück nach Deutschland, weil ich alle vier Monate ein Medikament in einem deutschen Krankenhaus einnehmen muss.
Am 23. Juli ging es dann wieder los, zuerst in die albanische Hauptstadt Tirana, von dort in das Städtchen Vlora und schließlich nach Saranda, einer Stadt im Süden Albaniens. Eine Fähre hat uns dann von Albanien nach Korfu gebracht, wo wir vor zwei Tagen angekommen sind. Mit ‚wir‘ meine ich mich und meine zwei Assistent*innen.
Es muss immer jemand da sein. Das war organisatorisch die größte Aufgabe – und ist es immer noch.
Nein, da gibt es einen ständigen Wechsel. In der Regel sind immer eine Frau* und ein Mann* an meiner Seite, manche begleiten mich für drei Monate, andere bleiben nur für drei Wochen.
Über das Radio und die lokale Presse habe ich vor meiner Reise Aufrufe gestartet, um Assistent*innen zu finden. Daraufhin haben sich über 100 Leute gemeldet. Es folgten Telefonate, manchmal auch persönliche Treffen. Als geklärt war, wer mitkommt, habe ich einen genauen Plan erstellt, wer mich wann für wie lange begleitet; es muss immer jemand da sein. Das war organisatorisch die größte Aufgabe – und ist es immer noch. Denn manchmal springen Leute auch kurzfristig ab, dann muss ich schnell Ersatz finden.
Knapp eineinhalb Jahre war ich mit den Vorbereitungen beschäftigt. Neben der Suche nach Assistent*innen nahm auch die Recherche nach den passenden Unterkünften viele Stunden in Anspruch. Denn die müssen barrierefrei sein und das ist oft nicht richtig ausgeschrieben. Ich frage nach der Buchung immer extra nach, ob es wirklich keine Treppen gibt – und muss dann oft wieder stornieren oder stehe vor Ort dann doch vor Stufen. In der Unterkunft in Kairo war das besonders schwierig. Da gab es zwar einen Fahrstuhl, aber um den zu erreichen, mussten wir erst zahlreiche Stufen überwinden.
Auch die Flugbuchung ist ein bürokratischer Aufwand. Bei jeder Airline gibt es einen anderen Prozess, um meinen Rollstuhl und Hilfebedarf anzumelden. Manchmal kann ich das direkt beim Buchen des Tickets angeben, bei anderen Airlines muss ich nochmal anrufen oder ein Formular ausfüllen. Das wird schnell unübersichtlich bei vielen Flügen.
Dann musste ich die Frage klären, wie ich dieses große Projekt überhaupt finanzieren kann. Meinen Assistent*innen zahle ich ein Gehalt aus und übernehme die Reisekosten für sie.
Die Investition hat sich gelohnt – ich habe während der Reise viele neue Dinge ausprobiert.
Die Assistenz brauche ich auch in Deutschland in meinem Alltag. Hier werden die Gehälter über Gelder finanziert, die von der Krankenkasse, dem Sozialamt und der Agentur für Arbeit bereitgestellt werden. Diese Finanzierung läuft zum Glück im Ausland weiter, das war zu Beginn aber nicht ganz klar.
Und ich habe eine Crowdfunding Kampagne gestartet, über die ein bisschen Reisegeld zusammengekommen ist. Für die restlichen Ausgaben greife ich auf mein Erspartes zurück. Das war erst eine Überwindung. Ich bin eigentlich ein sehr sparsamer Mensch und jetzt gebe ich mein ganzes Geld auf einmal aus. Aber die Investition hat sich gelohnt – ich habe während der Reise so viele neue Dinge ausprobiert.
Im Oman habe ich mitten in der Wüste auf einer Decke unter freiem Himmel geschlafen.
In Ägypten war ich schnorcheln. Das hat mich eine Menge Mut und Vertrauen gekostet. Einmal im Wasser bin ich auf die Hilfe meiner Assistent*innen angewiesen, um wieder zurück auf das Boot zu kommen, alleine würde ich das nicht schaffen. Und ich hatte Angst, mich zu verletzen, wenn ich vom Wasser zurück ins Boot gehoben werden muss. Ich habe mich aber getraut und es hat richtig Spaß gemacht. Irgendwann habe ich meinen Assistenten im Wasser sogar losgelassen, lag bäuchlings auf den Wellen und habe die Fische beobachtet. Zurück ins Boot habe ich es unversehrt geschafft.
Im Oman habe ich mitten in der Wüste auf einer Decke unter freiem Himmel geschlafen, das war auch ein erstes Mal. Den schönsten Strand, den Diniwid Beach, habe ich auf der philippinischen Insel Boracay gesehen. Der Strand ist nicht sehr breit, so konnte mich mein Assistent ins Wasser tragen und ich war inmitten dieser Postkartenlandschaft baden.
Auch die Safari in Kenia werde ich nie vergessen. So nah an den Big Five vorbeizufahren, war einfach beeindruckend.
Nein, es geht nie alles glatt. Ganz schlimm war zum Beispiel, als ich mich mit Dengue-Fieber angesteckt habe. Die Symptome traten zum Glück erst auf, als ich für meinen Zwischenstopp in Deutschland ankam. Das war körperlich sehr schwierig. Ich bin froh, das überstanden zu haben und dass ich meine Reise fortsetzen konnte.
Auf dem Flug nach Japan wurde mein Assistent sehr krank, nach der Landung musste er mit dem Krankenwagen abgeholt werden. Ich wusste dann nicht, wie ich auf Toilette komme und musste japanische Polizisten um Hilfe bitten.
Hier auf Korfu ist ein Kabel meines Rollstuhls bei der Taxifahrt zur Unterkunft gerissen und ich konnte mich zwei Tage nicht richtig fortbewegen. Ein Elektriker konnte das zum Glück reparieren.
Und natürlich ist und bleibt die Reise ein organisatorischer Aufwand. Für den ersten Monat konnte ich im Voraus Flüge, Unterkünfte und Ausflüge buchen. Seitdem verbringe ich nach wie vor viel Zeit am Laptop, um zu recherchieren. Oft finde ich trotzdem keine passenden Angebote. In Albanien musste ich die meisten geplanten Ausflüge wieder stornieren. Und hier auf Korfu finde ich keine barrierefrei Bootsfahrt. Das ist manchmal sehr frustrierend.
Es ist klar, dass nicht jeder Tag hier der schönste meines Lebens sein kann.
Zweifel kamen immer mal auf, aber bei so einer langen Reise ist das normal. Es ist klar, dass nicht jeder Tag hier der schönste meines Lebens sein kann. Ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass nicht alles in meiner Kontrolle liegt und ich nicht immer alles bis ins Detail im Voraus planen kann. Ich bin entspannter geworden.
Und ich habe akzeptiert, dass manches in der Realität einfach ganz anders abläuft als in meiner Vorstellung.
Ich hätte früher nie gedacht, dass ich so ein großes Projekt umsetzen kann.
Ich dachte, dass ich viel mehr Einheimische und andere Reisende kennenlernen würde. Aber da Hostels oft nicht barrierefrei sind, waren meine Assistent*innen und ich überwiegend in Hotels und Ferienwohnungen und dadurch eher für uns. Das kann sehr intensiv sein – meine Assistent*innen und ich verbringen viel gemeinsame Zeit, obwohl wir uns zu Beginn kaum kennen. Wir lernen aber auch voneinander. Mein Assistent in Thailand hat mich zum Beispiel dazu ermutigt, scharfes Essen auszuprobieren. Bis zu dem Zeitpunkt dachte ich, ich kann überhaupt nichts Scharfes essen, dann mochte ich es doch.
Für den zweiten Teil meiner Reise habe ich bewusst mehr Zeit für die einzelnen Stationen eingeplant. Als erstes geht es nach Mailand, dort besuche ich eine Freundin. Anschließend bleibe ich für dreieinhalb Wochen in Palermo, dann fliege ich in die Türkei und danach nach Valencia. Hier habe ich während meines Studiums schon einmal zehn Monate gelebt und studiert. Umso mehr freue ich mich, der Stadt wieder einen Besuch abzustatten. Zum Schluss geht es für zwei Wochen nach Marokko.
Ab November bin ich wieder zuhause und kann meinen alten Job als Beauftragte für Menschen mit Behinderung der Stadt Baden-Baden wieder aufnehmen. Für meine Reise wurde mir ein Sabbatjahr genehmigt, dass dann zu Ende geht.
Vor allem jede Menge Selbstbewusstsein. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich so ein großes Projekt umsetzen kann. Meine Mutter hat mir erst geraten, lieber mehrere kleine Reisen zu machen, anstatt so lange unterwegs zu sein. Aber für mich war klar, dass ich einmal komplett aus meinem Alltag ausbrechen will, um Neues zu probieren und Zeit für mich zu haben. Also habe ich meinen Traum verwirklicht, trotz aller Schwierigkeiten. Niemand kann alles im Leben erreichen, aber es geht doch mehr, als man denkt.
Interview: Katrin Brahner
Foto: Nora Welsch
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