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Wellbeing

Guter Sex trotz Routine – Wie Sex auch in Langzeitbeziehungen Spaß macht

29. Oktober 2025

geschrieben von Gastautor*in

Foto Paar im Bett

Sexologin, Sexcoach und Paarberaterin Lea Holzfurtner über guten Sex in der Langzeitbeziehung

Wir kennen alle dieses Bild von den zwei Menschen, die sich lieben, die gut füreinander sind, die sich begehren. Und Sex passiert wie von selbst. Leidenschaftlich, unbeschwert, perfekt. So jedenfalls erzählen es uns Romcoms seit vielen Jahrzehnten. Doch die Realität sieht anders aus."Sex ist nur noch Stress. Wieso haben wir keine Lust mehr aufeinander?”. Das höre ich immer wieder von Paaren in meiner Praxis, die ihre Probleme im Sexcoaching gemeinsam angehen wollen. In Langzeitbeziehungen schleicht sich oft Routine ein, Lust lässt nach, Sex fühlt sich manchmal mehr nach Pflicht als nach Abenteuer an. Viele Paare erleben das – und halten es für ein persönliches Versagen. Dabei ist es vor allem eines: normal.

Guter Sex und das große Missverständnis

Als klinische Sexologin weiß ich: Guter Sex ist kein Zufall. Einer der größten Mythen über Sexualität ist, dass sie automatisch „läuft“, wenn die Beziehung stimmt. Wir haben gelernt, Sex sei etwas Natürliches, etwas, das ohne Anstrengung geschieht. Geschehen muss. Denn nur spontaner Sex ist heiß. In Wahrheit braucht Sexualität Aufmerksamkeit, Reflexion und manchmal auch Arbeit.

Genau hier liegt oft der Knackpunkt in Langzeitbeziehungen: Wir erwarten, dass Sex einfach „funktioniert“, statt ihn bewusst zu gestalten. Zu Anfang einer Beziehung (laut Studien max. 18 Monate lang) ist die Lust noch hormongeboostet und scheint oft wie von alleine da zu sein. Je länger wir mit Partnerpersonen zusammen sind, desto mehr Vertrautheit, Sicherheit und Routine entsteht - im Bestfall. Das ist für die Liebe wunderbar, aber diese Aspekte sind das genaue Gegenteil zu Neuheit, Ungewissheit und Aufregung, die sich in Studien immer wieder als luststeigernd zeigen.

"Einer der größten Mythen über Sexualität ist, dass sie automatisch „läuft“, wenn die Beziehung stimmt."

Elementar wichtig: Das Wissen über Lust

Wer langfristig guten, erfüllenden Sex möchte, muss sich aktiv mit den eigenen Wünschen auseinandersetzen und denen der Partnerperson. Kurz: Lust entsteht nicht zufällig, sondern weil wir sie gestalten.

Die meisten von uns haben im Rahmen von Aufklärungsunterricht und Gesprächen mit Ärzt*innen oder Bezugspersonen aber vor allem eines gelernt: wie man vermeidet. Ungewollte Schwangerschaften, Infektionen, Schmerzen. Aber kaum jemand hat gelernt, wie Lust entsteht, wie unterschiedlich Menschen Sexualität empfinden, oder wie man Wünsche offen kommuniziert. Stattdessen prägen uns Bilder aus Hollywood und Pornos, die weder Aufklärung noch Realismus im Sinn haben. Dort gibt es keine Unsicherheiten, keine Missverständnisse, kein „Heute irgendwie keine Lust“. Das Ergebnis: Wir halten uns selbst für defizitär, wenn es bei uns eben nicht so läuft.

Um die eigene Lust besser zu verstehen, und Wünsche und Bedürfnisse anschließend mit Partnerpersonen teilen zu können, braucht es Wissen. Wissen über menschliche Sexualität im Allgemeinen, aber auch über die eigene Anatomie und die individuellen Bedürfnisse, Wünsche und Fantasien.

"Wer langfristig guten, erfüllenden Sex möchte, muss sich aktiv mit den eigenen Wünschen auseinandersetzen und denen der Partnerperson."

Die zwei Lusttypen und was sie ausmacht

Ein Wissenshappen, der meinen Klient*innen bei Lustproblemen oft fehlt, ist dass es zwei Lusttypen gibt und viele Menschen, egal welchen Geschlechts, Lust (abgesehen von diesen ersten, hormongeboosteten Monaten) nie spontan empfinden. Manche Menschen spüren Lust plötzlich und ohne Anlass, einfach aus dem Nichts. Das ist der „spontane Typ“. Andere brauchen immer einen äußeren Reiz, eine Berührung, einen Duft, eine Stimme oder irgendeinen anderen Stimulus, um Lust als Antwort darauf empfinden zu können. Das ist der „responsive Lusttyp“. Es ist unglaublich hilfreich zu verstehen, welcher Typ man selbst, und welcher Typ die Partnerperson ist.

Denn gerade wenn unterschiedliche Typen aufeinandertreffen, führt das oft zu Frust. Die “spontane” Partnerperson fühlt sich zurückgewiesen, weil sie immer wieder initiiert. Die “responsive” Partnerperson spürt Druck und schlechtes Gewissen, weil Lust nicht einfach so entsteht. Schnell entwickelt sich eine Dynamik aus Missverständnissen und Verletzungen.

"Wer bewusst Zeit für Sex schafft, nimmt Druck heraus und eröffnet neue Möglichkeiten."

Warum geplanter Sex gar nicht unsexy ist

Die Lösung liegt in Offenheit und kleinen Vereinbarungen. Zum Beispiel kann der responsive Typ in regelmäßigen Abständen bewusst den ersten Schritt machen. Nicht, weil er in diesem Moment schon brennt vor Lust, sondern weil er weiß, wie er sich selbst in eine Situation bringen kann, in der Lust erwacht. Das durchbricht alte Muster und entlastet beide. Planung ist kein Lustkiller. Im Gegenteil.

Viele empfinden geplanten Sex als absolutes Taboo. Doch seien wir ehrlich: Auch am Anfang einer Beziehung war Sex nie völlig spontan. Wir haben uns verabredet, uns zurechtgemacht, überlegt, wann der richtige Moment ist. Planung war schon immer Teil der Erotik.

Wer bewusst Zeit für Sex schafft, nimmt Druck heraus und eröffnet neue Möglichkeiten. Dates, Fantasien, langsame Annäherung – all das funktioniert besser, wenn wir es nicht dem Zufall überlassen.

Wie lässt sich das Knistern also zurückholen? Nicht, indem wir auf magische Spontaneität warten. Sondern indem wir Räume und Zeit schaffen, in denen Lust entstehen könnte.

"Wer weiß, was er oder sie alleine genießt, kann dieses Wissen mit dem*der Partner*in teilen und damit die gemeinsame Sexualität bereichern."

Sex in der Partnerschaft ist nicht alles

Was sagt die Qualität des Sexlebens überhaupt über eine Beziehung aus? Wir alle nehmen Sex als Maßstab dafür, um zu messen, wie gut unsere Beziehung ist. Dabei gibt es viel bessere. Zum Beispiel: Wie sicher fühle ich mich, wenn ich nach Hause komme? Wie verstanden fühle ich mich? Lernen wir gemeinsam neue Dinge? Lachen wir? Sex ist wichtig, keine Frage – aber all das sind Maßstäbe, an denen wir viel besser messen können, wie gut und gesund eine Beziehung ist. Wer das versteht, nimmt Druck aus dem Schlafzimmer. Und genau dann, wenn weniger Leistungsdruck herrscht, hat Lust die Chance, neu zu entstehen.

Ebenso wichtig: das eigene Solo-Sexualleben. Masturbation ist nicht nur Selbstfürsorge, sondern auch ein Lernfeld. Wer weiß, was er oder sie alleine genießt, kann dieses Wissen mit dem*der Partner*in teilen und damit die gemeinsame Sexualität bereichern.

Sex in Langzeitbeziehungen stellt uns vor die oft überfällige Aufgabe, Lust neu zu lernen. Wer Sexualität als etwas betrachtet, das Aufmerksamkeit verdient, wird dafür belohnt: mit Sex, den man gar nicht erwarten kann. Auf den man richtig Lust hat.


Foto Lea Holzfurtner

Foto: Brigitte Dummer

Lea Holzfurtner (sie/ihr), MBA, BSC, ist klinische Sexologin und Autorin von "Dein Orgasmus". Online, in ihrer Berliner Praxis und in ihrem Podcast "Berlin Intim" sexcoacht sie Paare und Menschen mit Vulva, die mit Orgasmus- und Libidoproblemen kämpfen, ungewollt keinen Sex mehr haben oder mit Unterschieden in Lust oder Fantasien ringen. Als @sexcoach.berlin klärt sie auf. Lea ist Vorständin von Bi Berlin e.V. und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Ihre Ausbildung beinhaltet u.a. Studienabschlüsse in Wirtschaft, Psychologie und Sexologie. 

Lea Holzfurtner Buch Cover

Text: Lea Holzfurtner

Foto oben: Canva