Wenn zwei Kreative zusammenziehen, kann nur etwas Großartiges entstehen. Vor zwei Jahren lernten sich Anni Glahn (30), Co-Gründerin des Concept Stores Hello Love mit deutsch-libanesischen Wurzeln, und Toar Avni (30), Industriedesignerin und Art Director aus Tel Aviv, kennen. Vor einem Jahr sind sie in ihre erste gemeinsame Wohnung in Ottensen gezogen und zeigen seitdem immer wieder kleine Snippets ihrer wunderschönen vier Wände auf ihren Instagram-Accounts. Wir wollten alles sehen und haben das sympathische Pärchen besucht und mit Ihnen über Vielfalt in der Medienbranche, ihre Hotspots in Tel Aviv und darüber, wie man seinen ganz eigenen Interior-Stil findet, gesprochen.
Anni: Wir haben uns vor zwei Jahren bei Tinder kennengelernt (beide lachen). Ich war in München auf einer Hochzeit und Toar hat in Hamburg für ein Modeprojekt gearbeitet. Als ich zurück in Hamburg war, war sie aber wieder in Tel Aviv. Drei Monate haben wir uns hin und her geschrieben und telefoniert. Vom ersten Moment an stimmte zwischen uns die Chemie und wir hatten die gleichen Interessen.
Anni: Am Flughafen in Tel Aviv. Und ich hatte ein bisschen Angst…Toar hat mir vorher erzählt, dass es einen riesengroßen Bereich gibt, wenn man aus dem Sicherheitsbereich kommt. Und alle schauen auf diese eine Tür.
Ja! (beide lachen)
Toar: Anni hat zu der Zeit noch in Winterhude gewohnt. Ich war in Tel Aviv das beste Wetter gewohnt und immer in Shorts und Flip Flops unterwegs. In Winterhude waren alle sehr schick angezogen und ich dachte: Oh mein Gott, ich muss meinen Kleidungsstil sofort ändern (lacht). Damit es sich mehr nach Tel Aviv anfühlt, sind wir nach Ottensen gezogen.
Anni: Hier gibt es unterschiedliche Kulturen, man unterhält sich mit Fremden auf der Straße. Die Vibes sind ganz anders.
Ich habe für mich persönlich festgestellt, dass es gar kein großes Thema ist, die Stadt zu wechseln.
Toar: Ja, es ist eine wunderschöne Stadt. Es ist eine Stadt der Sonne, der Parties und des Essens. Essen ist in Tel Aviv wie eine Zeremonie. Du sitzt mit Freunden zusammen, der Tisch ist immer gedeckt und jeder kennt jeden, weil Israel ein sehr kleines Land ist. Wenn du durch die Straßen gehst, fühlst du dich wie zu Hause – hier in Hamburg ist alles etwas anonymer. Ich vermisse es, aber für den jetzigen Zeitpunkt meines Lebens ist Hamburg perfekt. Ich kann mich hier viel mehr auf meine Arbeit und meine Beziehung konzentrieren und werde nicht abgelenkt.
Anni: Wir können uns auf jeden Fall vorstellen, woanders zu leben, zum Beispiel in Mexiko oder Thailand. Es muss ein Land mit viel Kultur sein, mit vielen Farben.
Toar: Und das Essen muss richtig gut sein! Ich habe für mich persönlich festgestellt, dass es gar kein großes Thema ist, die Stadt zu wechseln. Vorher macht man sich viel zu viele Gedanken – dabei ist es nicht so schwer. Einfach machen!
Wir wollten mit unserer Wohnung einen „Happy Place“ kreieren und das ist uns auch gelungen!
Anni: Ja, sehr oft. Und das wollen wir auch. Jeden Sonntag ist bei uns “Shakshuka Sunday”. Jeder unserer Freunde weiß, dass Shakshuka auf dem Tisch steht und kann einfach vorbeikommen, wenn es passt. Wir wollten mit unserer Wohnung einen „Happy Place“ kreieren und das ist uns auch gelungen!
Toar: Auf jeden Fall die Bäckerei “Abouelafia”, sie ist 24/7 geöffnet. Man kann also sogar nach dem Feiern vorbeigehen. Wir lieben beide den Stadtteil Jaffa – dieser Ort ist so toll, ein Ort voller Kultur. Das Nachtleben sollte man dort auch unbedingt testen. Alle Bars und Clubs liegen dicht beieinander.
Anni: Das Nachtleben in Tel Aviv kann man nicht mit dem Nachtleben hier vergleichen. Alles hat Stil ohne total fancy zu sein. Gute Musik, schön verrückte Menschen, man will sofort bleiben. Sogar Berlin ist nichts gegen Tel Aviv – man muss es selbst erleben! Allein, dass es so warm ist, macht so viel aus – alle sind gut gelaunt und der Vibe ist atemberaubend.
Toar: Das “Jaffa Hotel” ist ganz neu und hat ein tolles Design – Art Deco in Kombination mit Kirchenelementen. Das “Poli House Boutique Hotel” ist auch super. Es liegt mitten in der Stadt und hat einen Skyline-Pool. Immer wenn wir nach Tel Aviv reisen, schlafen wir aber bei meinen Eltern. Sie leben etwas außerhalb von Tel Aviv. Direkt in Tel Aviv zu leben, kann sich kaum einer leisten.
Anni: Die Mietpreise sind vergleichbar mit London, also sehr hoch. Und In London verdient man auch mehr, was in Tel Aviv nicht der Fall ist.
Anni: Ja, ich wurde das besonders am Anfang von meinen Freunden und meiner Familie oft gefragt: Du reist nach Tel Aviv? Ist das nicht gefährlich, da herrscht doch Krieg?
Toar: Das ist ein Bild, das von den Medien kreiert wird. Speziell in Tel Aviv bekommst du davon gar nichts mit – man lebt dort in einer Blase. Menschen von außerhalb denken, dass es dort total gefährlich sei, ich hatte nie ein krasses Angstgefühl. Wir haben ein gutes Raketenabwehrsystem, das uns beschützt. Sollte eine Rakete in der Luft sein, wird sie noch in der Luft abgeschossen. Wir sehen und hören nichts. Im Norden oder in den ländlichen Regionen bekommt man davon mehr mit, aber nicht in der Area in der ich aufgewachen bin.
Anni: Toar ist damit aufgewachsen. Hier in Deutschland ist der Krieg gefühlt so weit weg.
Toar: Wer Tel Aviv besuchen möchte, sollte diese Ängste hinter sich lassen. Viele Menschen verpassen so viel Spaß, weil sie einen gewissen Stereotyp im Kopf haben, wenn sie an Tel Aviv denken.
Anni: Wir haben fünf Monate gesucht. Es war wirklich hart. Wir hatten zwar oft nicht viel Konkurrenz, haben aber die Wohnungen trotzdem nicht bekommen. Diese Wohnung haben wir über einen Freund gefunden – bei der Besichtigung sah sie überhaupt nicht schön aus und war ziemlich heruntergekommen. Viele Wände waren schwarz gestrichen, überall Rauhfasertapete. Aber als ich die Fenster gesehen habe, wusste ich: Hier müssen wir einziehen. Lass’ uns das als Projekt sehen!
Anni: Wir haben die komplette Rauhfasertapete abgemacht. Im Schlafzimmer haben wir das noch selbst gemacht, aber danach tat uns schon alles weh und wir haben Handwerker gebucht. Die Handwerker waren hier fünf oder sechs Wochen tätig, während wir hier schon gewohnt haben. Leben auf einer Baustelle!
Toar: Das war interessant aber auch eine große Herausforderung!
Anni: Und Toar ist von Tel Aviv nach Hamburg ohne Möbel und ich bin aus einer 1-Zimmer-Wohnung hierher gezogen. Ich hatte also nur ein Bett, alles andere habe ich verkauft oder in der alten Wohnung gelassen. Also mussten wir fast alles neu kaufen. Und dann kamen die Fragen auf: Was ist eigentlich unser Stil? Was möchten wir kreieren? Es gibt so viele Möglichkeiten und wir hatten fast jeden Tag eine neue Idee – das war am schwierigsten. An dem einen Tag wollten wir einen pinken Raum, dann einen blauen… (beide lachen).
Toar: Jep! Erst auf Papier, dann in Illustrator, dann in AutoCAD, um zu sehen, ob das mit den Maßen auch alles hinhaut. Anni hat dann jedem Raum einen Namen gegeben.
Anni: Genau, gerade befinden wir uns in Mexiko, in unserem Esszimmer. Das Wohnzimmer ist Tel Aviv und das Schlafzimmer der Kuba-Raum.
Dass unsere Stile aufeinandertreffen, kreiert den individuellen Look unserer Wohnung.
Toar: Auf jeden Fall nicht! (beide lachen). Wir sind zwei kreative Menschen, die beide ihre ganz genauen Vorstellungen und Ideen haben.
Anni: Und manchmal hat Toar mir Bilder gezeigt, zum Beispiel von einem ganz typischen deutschen „Oma Sessel“. Für mich ein ganz normaler Sessel und Toar rastet völlig aus, weil sie diesen Stil vorher noch nicht gesehen hat: “Anni, das musst du dir angucken”, höre ich dann.
Toar: Dass unsere Stile aufeinandertreffen, kreiert aber auch den individuellen Look unserer Wohnung. Allen, die hier reinkommen, kann man ihre Begeisterung ansehen. Es ist eine Wohnung ohne Regeln – alles ist möglich. Wir dekorieren so, wie es uns gefällt. Wir mixen viele unterschiedliche Stile, gerade Vintagemöbeln kann man in neuer Kombination mit besonderen Accessoires oder mit knalligen Farben ein ganz neues Leben einhauchen, plötzlich wirken sie nicht mehr schwer und altbacken, sondern modern.
Anni: Einmal. Da hat ein Verwalter zu mir am Telefon gesagt, dass es sicherlich nicht für den Eigentümer in Frage kommen würde, wenn ein homosexuelles Pärchen einziehen würde. Ich wusste in dem Moment nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich habe danach noch länger überlegt, wie ich damit umgehen soll. Soll ich ihm eine Mail schreiben? Soll ich das Thema öffentlich machen?
Toar: Du musst nicht andere erziehen, das klappt nicht. Jeder muss sein Leben leben. Die meisten unserer Freunde sind straight und wir machen kein Thema daraus, dass wir ein homosexuelles Paar sind, wir denken gar nicht darüber nach. Wir leben einfach unser Leben. Wenn man nicht darüber nachdenkt, fühlen sich auch andere Menschen automatisch wohl damit.
Tel Aviv ist die “Gay Hauptstadt der Welt“!
Anni: Wir leben in Deutschland. Wir sind immer spät. Und das Problem ist generell: Jeder macht sich Gedanken darüber, was der andere über einen denken könnte…
Toar: …dabei geht es darum, einfach sein eigenes Leben zu leben und mit dir selbst im Reinen zu sein.
Anni: In der Medienbranche haben Brands Angst an Kampagnen anders heranzugehen.
Toar: Genau das ist das Problem. Menschen werden von Angst geleitet statt von Kreativität und der Suche nach Neuem. Es ist nicht easy für Brands, sie denken immer an ihr Image. In Israel ist das ganz anders. Die Homosexuellen sieht man überall. Tel Aviv ist die “Gay Hauptstadt der Welt”!
Anni: Genau so ist es und niemand würde das mit Israel in Verbindung bringen.
Toar: Da sind wir wieder beim Thema Stereotype – es ist mal wieder ganz anders, als es sich die Menschen vorstellen. Wir haben in Israel im Fernsehen und in den Medien wunderschöne Transgender – ich habe auch viele Freunde, die Transgender sind – aber es ist bei uns kein Ding über das wir sprechen, es ist einfach normal. Menschen verpassen gute Inhalte, wenn sie sich dazu entscheiden, Transgender oder Homosexuelle nicht in ihre Kampagnen zu integrieren.
Wir wollen nicht in einer Pinterest-Wohnung leben, sondern in einer Wohnung in unserem Stil.
Die Realität ist gerade, dass Social Media dich und deinen Stil kreiert. Jeder wird davon beeinflusst, uns eingeschlossen. Davon sollten wir wegkommen.
Anni: Es geht auf jeden Fall nicht um Marken. Wir halten unsere Augen immer und überall offen.
Toar: Es geht um die Eklektik, um die Ideen. Anni hat einen eigenen Concept-Store und ich komme aus dem Industriedesign.
Anni: Das Tolle ist, dass Toar alles reparieren und easy verändern kann. Wir kaufen Sachen, die nicht so gut aussehen und machen sie schön.
Toar: Wir hauchen ihnen ein neues Leben ein, malen die Dinge an oder restaurieren beziehungsweise reparieren sie.
Anni: Wir wollen nicht in einer Pinterest-Wohnung leben, sondern in einer Wohnung in unserem Stil. Ich lege selbst Pinterest-Ordner an, aber man darf nicht zu oft dort gucken, sonst verliert man die eigene Inspiration. Ich schaue für die Wohnung am liebsten auf Flohmärkten oder auf Reisen. Es ist auch immer gut in Viertel zu gehen, in denen man sich sonst nicht bewegt, um andere Menschen und andere Styles zu sehen.
Toar: Die Realität ist gerade, dass Social Media dich und deinen Stil kreiert. Jeder wird davon beeinflusst, uns eingeschlossen. Davon sollten wir wegkommen.
Toar: “The Curtain”, ein Vorhang aus Acryl, der bei uns im Wohn- und Schlafzimmer hängt, ist ein Objekt von mir. Ich habe daran einen Monat gearbeitet. Mir war es wichtig, dass man nicht sieht, wie er an der Wand befestigt ist. Für mich ist der Vorhang eine Kombination aus Tel Aviv und dem sehr cleanen europäischen Look. Als Anni mich das erste Mal in Tel Aviv besucht hat, hat sie zu mir gesagt: „Diese Stadt riecht nach frisch gewaschener Wäsche!“ Die Wäsche wird immer draußen aufgehängt, es sieht aus, als würden Flaggen in den Straßen hängen. Das war meine Inspiration.
Toar: Die rosafarbene Vase, die im Wohnzimmer steht, habe ich auch designt – sie heißt „Natasha“. Das würde ich auf jeden Fall sehr gerne machen. Als Industriedesignerin ist es aber nicht so einfach wie zum Beispiel als Grafikdesignerin. Ich brauche viel Material und das kostet viel Geld. Man braucht Platz, Werkzeuge usw. Es entwickelt sich Tag für Tag. Gerade arbeite ich als Freelancerin, unter anderem für eine Agentur, und mache dort Concept und Set Design. Dadurch entwickle ich mich immer weiter.
Auf jeden Fall!
Toar: Hakuna Matata!
Fotos: Nassim Ohadi
Layout: Kaja Paradiek
6 Kommentare
Ach bitte verratet doch woher euer tolles rosa Sofa ist! 🙂
Sehr sympathisches Interview!
Vielen Dank! 🙂 Das rosa Sofa ist ein Vintage-Fundstück (via eBay). Liebe Grüße!
Und können wir mal bitte über diese Wahnsinnswandfarbe reden?! WUNDERSCHÖN! Meine Küche schreit nämlich nach einem neuen Anstrich….