Wie wohnt eine Galeristin, die in ihrem Showroom „func.“ rare Designklassiker aus der Bauhaus-Ära, funktionales Industriedesign sowie Midcentury-Möbel verkauft? Ulla Jahn, 47, hat mitten im quirligen Hamburger Westen durch die eigenwillige Gestaltung einer Neubauwohnung einen unverwechselbaren, urbanen Rückzugsort geschaffen. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Kommunikationsberater Mathias Jahn, genießt sie die Weite ihres 225 Quadratmeter großen Zuhauses inmitten unkonventioneller Nischen, Accessoires und Kunstobjekte. Der Kontrast zum vorherigen Wohnort, einer rustikalen Kutschen-Remise von 1872 am Starnberger See, könnte nicht größer sein.
Ulla Jahn: Wir dachten, dass wir kurz zur Miete wohnen, um eine Wohnung zum Kauf zu finden. Wir wollten ganz viel Platz und dachten an eine Penthousewohnung oder eine Fabriketage. Aber die Immobilienpreise waren in der Zwischenzeit so gestiegen, dass wir ein halbes Jahr lang jede Woche mindestens drei Wohnungen, Häuser oder Bungalows angeschaut haben. Wir waren offen für alles, außer für einen Altbau in Eppendorf, den wir auf gar keinen Fall wollten, und haben trotzdem nichts gefunden: klein, verschachtelt – irgendetwas stimmte immer nicht.
Nach dem halben Jahr mussten wir uns eingestehen, dass wir Abstriche machen müssen, weil das Budget nicht mehr reichte. Dann haben wir diese Wohnung angeschaut, sie aber abgelehnt, weil sie im ersten Stock liegt. Wochen später rief uns die Maklerin an, weil der Verkäufer einen Notartermin wegen Unstimmigkeiten hatte platzen lassen. Direkt am nächsten Tag haben wir uns hier getroffen und die Wohnung gekauft!
Parallel zur Wohnungssuche hatten Mathias und ich schon ein Pinterest-Board erstellt, mit Fotos von allem, was uns gefällt – egal, ob realisierbar oder nicht. Wir haben diese Wohnung im Rohbau gekauft. Den Innenausbau vom Verkäufer wollten wir nicht, wir wollten es selbst machen. Wir haben also geschaut, welche unserer Moodboard-Ideen realisierbar sind, haben angefangen zu planen, und dann zu bauen.
Die Wohnung mit ihren 225 Quadratmetern war eigentlich als 5-Zimmer-Wohnung ausgelegt. Mehr als vier Säulen war aber noch nicht drin. Die haben wir belassen. Darauf sind übrigens immer noch die Kritzeleien aus der Bauzeit zu sehen. (lacht)
Wir wollten unbedingt eine Sixties-Vertäfelung wie in Konferenzräumen haben, mit richtig schönem Furnier. Das war hier nur realisierbar, indem wir ganz viele Schrank-Kuben reingeschoben haben. Dazwischen ist kein Mauerwerk, keine Trockenbauwand, gar nichts – nur diese Schränke, die von beiden Seiten geöffnet werden können.
Nein, wir haben sowohl unsere erste Wohnung in der Hamburger Schlüterstraße mit fast allen Möbeln komplett verkauft als auch unser Haus in Tutzing am Starnberger See. Die Käufer wollten dort sogar noch die Tassen kaufen! Das Einzige, was wir immer mitnehmen, ist unser Sideboard im Wohnzimmer, von dem wir uns nicht trennen wollen, und der Glassessel, der im Wohnzimmer steht. Wir hatten also fast nichts beim Einzug.
Ja, die Wohnung ist quasi mein erweiterter Showroom. Diese Stühle standen beispielsweise ein Jahr lang im Laden – ich glaube, sie erinnerten die Leute zu sehr an eine Eisdiele. Dabei sind sie so selten und ich finde sie super
Bei mir im Showroom zeige ich ja fast nur Vintage Midcentury. So ausschließlich möchte ich das Zuhause nicht haben. Da möchte ich völlig enthemmt mischen und dabei nur auf den Bauch hören. Es ist ja unser Zuhause, ein intimer Platz. Da sollte man nur das machen, was einem gefällt, ohne jegliche Regeln.
Wir wollten schon lange Fliesen mit Op-Art-Muster zu einem Fliesenteppich verarbeiten. Es sollte so aussehen, als hätte man den Fliesenspiegel nochmal an die Wand genagelt. Das Muster hat dazu diesen dreidimensionalen Würfeleffekt, der an der Wand natürlich besonders auffällt.
“Mosaic del Sur” vertreiben die Zementfliesen auf einer Website zu fairen Konditionen. Die haben einen guten Online-Konfigurator mit tausenden von Vorschlägen. Wir haben uns 16 Farbmuster in Form von kleinen Farbfliesen schicken lassen und so den Teppich erstellt. Die Fliesen werden in der Nähe von Tanger produziert und müssen dann sechs Wochen in der Sonne trocknen. Nicht eine ist kaputt gegangen beim Transport hierher.
Mathias und ich können sehr gut zusammenarbeiten. Alle Ideen, die für uns finanziell realisierbar waren, haben wir versucht, einfließen zu lassen. Mathias hat es als Bauleiter geschafft, die Handwerker zu Höchstleistungen zu motivieren. Wir hatten das Badezimmer klein konzipiert. Um dort mehr Raum zu schaffen, haben wir den blauen Betonwaschtisch eingeschoben und im Esszimmer die Wand rausgezogen. Die Nische hat dann die Breite für den Fliesenteppich vorgegeben. Die Küchenelemente hatten jedoch Standardmaße, sodass wir den Fliesenteppich auch daran anpassen mussten.
Naja, der blaue Betonwaschtisch musste zweimal gegossen werden, denn er stand um zwei Millimeter vor, da sich der Fliesenleger doch mit dem Mörtel verrechnet hatte. Das war schon viel Frickelkram, aber wir hatten tolle Handwerker. Der größte Glücksgriff war der Tischler, der die Einbauschränke genau nach unseren Wünschen gebaut hat. Er hat sich reingekniet und an jedes Detail gedacht – zum Beispiel, dass man die Scharniere nicht sieht, wenn die Türen geschlossen sind. Bei „Ulrich Furniere“ im Hamburger Hafen haben wir uns getroffen und in deren riesigem Holzlager genau das Furnier ausgewählt, das wir haben wollten – alles aus einem Baum.
Die kompletten Einbauschränke sind mit dem Furnier eines amerikanischen Nussbaums angefertigt worden. Hier stimmt jedes Detail – bis zur minimalen Metallleiste, wo die weiße Wand auf das Holz trifft. Die Türscharniere mussten wir im Estrich einbetonieren, sogar bevor die Fußbodenheizung und der Boden drin waren. Die Tischler haben so sauber gearbeitet, dass es nachher alles passte.
Solche Probleme entstehen oft, wenn man immer den Billigsten nimmt. Das haben wir nicht gemacht, obwohl wir auch stark auf unser Budget schauen mussten. Wir haben abgewägt, wofür wir viel Geld brauchen und haben an anderen Stellen dann verzichtet. Wir haben uns zum Beispiel für die individuell gefertigten Zementfliesen entschieden und dafür dann das rabattierte Angebot der Baufirma auf die Einbauschränke mit „Küchen Hummel“ genutzt. Der Küchenbauer hat sich mit dem Trockenbauer und Tischler auseinandergesetzt und er hat einen super Job gemacht.
Wir wollen atmen können, das Raumgefühl ist uns wichtig. Auf der anderen Seite aber auch ein paar Bereiche abtrennen. Deshalb haben wir das auch mit den Türen in der Schrankwand zu den Schlafzimmern so gelöst. Man sieht nicht, dass sie da sind. Wenn wir alleine sind, stehen die Türen immer offen. Die Schlafzimmer liegen einander gegenüber, sodass man sich auch sehen kann. Die Zimmeraufteilung haben wir genau auf unsere Bedürfnisse ausgerichtet. Das Wohnzimmer betrachten wir als unseren Lebensraum. Vom Wohnzimmer aus sollte die Küche nicht zu sehen sein. Trotzdem gibt es eine Verbindung, wenn Mathias kocht, weil es zur Küche hin keine Wände und Türen gibt.
Wir sind total glücklich hier. Es passt genau für die Art und Weise, wie wir leben möchten und leben können. Weil wir viel mit Freunden kochen. Früher hatten wir nur eine Miniküche, wo 14 Leute um den Betontresen herum stehen wollten, jetzt haben wir Platz.
Eigentlich alles, vom Risotto über Spargel bis Nudeln. Und ich kann ziemlich gut Frankfurter Grüne Soße. Mathias ist Frankfurter und ich habe 15 Jahre gebraucht, um seiner Mutter ihr Geheimrezept abzuluchsen – jetzt kenne ich es. (lacht) Ich bereite auch schon mal Boeuf Bourguignon zu. Ich koche gerne und bin nicht gestresst, wenn 12 Leute da sind und ich währenddessen drei Gänge zubereite.
Nein, ich habe eine Hotelausbildung. Ich wollte die Welt bereisen und mit Menschen zu tun haben. Dann habe ich als Barkeeper gearbeitet, bin auf Umwegen zu einer Filmproduktion gekommen und habe eine ganze Reihe Werbefilme mit produziert. Das führte dann dazu, dass ich von einer Hamburger Werbeagentur sozusagen abgeworben wurde – und insgesamt über 20 Jahre in Film und Werbung gearbeitet habe. Daher habe ich mein Know-How zu Recherche, Organisation und Styling.
Ja, und das Einzige, was mich neben dem Film interessiert hat, war Design. Das hat eine Eigendynamik entwickelt und plötzlich stand ich am Starnberger See, wo wir damals in einem 3.000-Seelen-Dorf gelebt haben, und hatte einen Laden für Designklassiker und Industriemöbel! Das funktionierte aber erstaunlich gut – und man lernt viele tolle Menschen kennen, die rund um den See wohnen.
Das Schwierigste war, einen Einstieg in das Netzwerk des Handels zu finden. Das hat sicher ein Jahr gedauert, bis ich mich in der Parallelwelt des Handelns überhaupt zurecht gefunden habe. Während ich mich früher alle vier Wochen in Paris, Brüssel und Gent auf Antikmärkten herumgetrieben habe, ist das heute gar nicht mehr so: Ich kaufe überall und muss an ganz vielen Stellen Ausschau halten. Ich kaufe weltweit sehr viel auf Auktionen und habe ein sehr gutes Zwischenhändlernetz. Ich kaufe auch gelegentlich von Privatleuten. Das kommt aber am seltensten vor, da unsere Preisvorstellungen meist zu weit auseinanderliegen.
Die beiden größten Online-Plattformen, über die wir Vintage-Händler unsere Stücke verkaufen können, sind „1stdibs“, die amerikanische Nummer 1, und an zweiter Stelle die deutsche Antwort „Pamono“. Diese Plattformen werden mit einem sehr großen Marketingaufwand betrieben, wofür sie einen gewissen Prozentsatz des Verkaufserlöses behalten. Das müssen wir dann auch wieder an die Kunden weitergeben – denn unsere Margen sind nicht so groß wie z. B. in der Mode.
Verstreut über Europa und in zwei Häusern in den USA finden jedes Jahr zwei bis drei ganz große, lang vorbereitete Auktionen statt. Manchmal reist man zur Vorbesichtigung und schaut sich die Stücke an. Meistens fliegt man dann wieder nach Hause und bietet online mit. Generell gibt es sehr viele Online-Auktionen und mein Fachwissen ist inzwischen so ausgeprägt, dass ich sehr viel anhand von Bildern in Kombination mit der Reputation des Auktionshauses einschätzen kann. Oft ordere ich online. Es ist allerdings immer ein Risiko dabei.
Ja, die Logistik ist ein Riesenpart, wofür bei den Auktionshäusern gleich noch Firmen mit dran hängen. Manchmal muss man für den Verkauf auch selbst spezielle Kisten bauen lassen. Wenn man etwas in die USA schickt, muss das Holz so behandelt sein, dass da kein Holzwurm mehr überlebt. Logistik beschäftigt mich extrem und auch das ist ein sehr spezielles Know-How.
Bis 2018 hatte ich noch selber eine Restaurierungswerkstatt im Hafen. Ich habe die Industriemöbel aus Metall selbst restauriert, was eine harte, körperliche Arbeit ist. Das habe ich mir mühsam beigebracht und von anderen Restauratoren gelernt. Ich kann mit Metall sehr gut umgehen und das war eine sehr schöne Werkstattgemeinschaft in einem Schuppen direkt am Wasser. Aber das mache ich jetzt nicht mehr.
Eigentlich muss man jedes Stück anfassen. Ein abgeranztes Teil will ich auch nicht im Showroom stehen haben. Entweder geht es zum Metallbauer oder zu einem fantastischen Hamburger Restaurator, der Furniere reparieren und aufarbeiten kann. Alle Eames-Möbel geben wir zum Beispiel zu einem Vitra-zertifizierten Restaurator in Süddeutschland. Wenn ich einen „Egg Chair“ oder einen „Swan Chair“ von Arne Jacobsen habe, dann lassen wir die grundsätzlich in Dänemark neu aufpolstern.
Genau, ich überlege mir zu jedem Möbel, was passt überhaupt dazu, ersetzen wir einfach den Stoff eins zu eins – oder kann ich das Objekt in die heutige Zeit holen, etwa mit anderen Stoffen oder aktuellen Farben. Und wir überarbeiten natürlich auch die „Hardware“: Was ist mit der Unterkonstruktion, muss etwas repariert oder ausgetauscht werden etc.? Wir machen das alles immer neu, das ist gerade bei Polstermöbeln eine ästhetische Frage.
Über die Jahre sehe ich immer klarer die Idee hinter den Objekten. Ich erarbeite mir auch, warum, wie und unter welchen gesellschaftlichen und politischen Umständen die Dinge entstanden sind – ein einzelnes Stück, eine ganze Serie, eine ganze Stilrichtung. Ich sehe die Idee, die sich bis heute durchgesetzt hat. In dieser Idee für ein Möbel oder ein ganzes Setting steckt die Schönheit! Das berührt mich. Eine Idee auf die Welt zu bringen und quasi bis zum Abitur voranzutreiben, ist ein langwieriger Prozess, der viel Kraft und Kampf bedeutet.
Ja, denn in Deutschland einen Spielfilm finanziert zu bekommen und zu produzieren, das ist ein unheimlicher Akt! Wenn der Film dann im Kino läuft – das kann man eins zu eins vergleichen – dann ist das etwas Besonderes. Über die Jahre habe ich gelernt, diese Prozesse zu sehen. Darum mache ich heute meinen Job noch viel lieber als früher. Meine Liebe zu gutem Design wird immer größer.
Ja! Ich habe manchmal Stücke, von denen ich weiß, dass ich nie mehr eines davon finden werde. Hin und wieder treffe ich mit Kunden eine Vereinbarung, dass ich ein Erst-Rückkaufsrecht bekomme, falls der Kunde das gekaufte Objekt doch wieder veräußern möchte. Das habe ich schon ein paar Mal gemacht.
Wir in Deutschland sind immer ein bisschen hinterher: In Europa, Amerika und Asien ist Midcentury schon seit Jahren extrem gesucht – was auch die Preise sehr treibt. Jetzt kämpfen wir ganz stark mit der Problematik, dass der Markt mit Fälschungen überschwemmt wird. Da bin ich sehr vorsichtig: Die Angst davor, eine Fälschung zu kaufen, ist groß. Deshalb versuche ich immer, tief ins Thema einzutauchen und das Gespräch mit Experten zu suchen.
Alles, was jetzt an guten Stücken auf den Markt kommt, sowohl im Industriemöbelbereich als auch im Vintage-Bereich, ist schon mal verkauft worden, und ist in Preiskategorien unterwegs, wo dir wirklich schlecht wird und du es nicht mehr erklären kannst.
Ja, definitiv, und viele Stücke haben auch einen sehr hohen Wiederverkaufswert. Aber der Industriemöbel-Hype, der ist wirklich durch. Das, was seit ein paar Jahren auf den Markt kommt, ist aus den 70er- oder 80er-Jahren aus russischen Fabriken aus der Ukraine, da steckt kein Wert drin. Das wirkliche Industriedesign aus der Zeit zwischen 1880 und 1930, in der man auch mal etwas erfunden hat in Westeuropa, hat eine ganz andere Wertigkeit. So ein seltenes Stück zu finden, das man auch integrieren kann, wie unsere „Triplex-Lampe“ überm Sofa, ist dann schon etwas Besonderes. Solche Objekte funktionieren eben auch in einem modernen Ambiente.
Ja, ich verleihe regelmäßig an Magazine. Das war witzig: Einen Tag vor der Eröffnung meines Ladens in der Hamburger Kaiser-Wilhelm-Straße, war ich dort am Putzen und Räumen. Der Stylist Peter Fehrentz stand lange vorm Schaufenster und schaute und überlegte. Bis ich ihn fragte, ob ich helfen könne. Er fragte: „Kann ich den Stuhl leihen und den Schrank? Die könnte ich sofort gebrauchen.“ Seitdem leiht Peter regelmäßig Objekte und Möbel für seine Fotoproduktionen. Er ist bezaubernd! Seine eigene Wohnung finde ich auch großartig.
Mathias ist in allem mein Ansprechpartner und Ratgeber. Für „func.“ macht er zudem das Marketing. Unsere Wohnungen haben wir immer zusammen geplant und gebaut, gerne würden wir auch mal zusammen ein größeres Interiorprojekt umsetzen. Ich mache das irre gerne. Die meisten großen Interiorprojekte sind jedoch davon geprägt, dass man mit ganz tollen Ideen kommt, jedoch nicht mehr als 50 Prozent davon umgesetzt werden, da der Mut fehlt.
Eine ganze Wohnung oder sogar ein Haus – ich mag Farbe, ich mag Kontraste. Ich möchte gerne ganze Räume gestalten und nicht ein einziges Möbel.
Fotos: Silje Paul
Interview: Stefanie Behrens
Layout: Kaja Paradiek