Studio Visit und Homestory mit Ini Neumann vom Keramik- und Möbel-Label „We Are Studio Studio“

Wenn man sich das Leben von Ini Neumann (39) anschaut, scheint auf den ersten Blick alles perfekt: Sie hat einen süßen Sohn namens Yuma (3), führt gemeinsam mit ihrem Freund Thorben seit vier Jahren das Keramik- und Möbel-Label „We are Studio Studio“ und wohnt in einer top eingerichteten Altbauwohnung im Hamburger Grindelviertel. Doch auch Ini kennt manchmal Selbstzweifel, Ängste oder das Gefühl der Überforderung – wenn ihr am Anfang ihrer Karriere das Selbstvertrauen fehlt, ihre eigenen Produkte zu verkaufen, sie aufgrund der Betreuung ihres Sohnes nicht immer zum Arbeiten kommt, wenn ihr andere in ihr Lebenskonzept reinreden wollen, es als Paar mal nicht funktioniert, oder der Blick aufs Konto keine Mitarbeiter*innen zulässt. Wir besuchen sie in ihrem Keramikstudio in der Tischlerei Møbelwerft sowie in ihrer Wohnung und sprechen mit der gebürtigen Schwerinerin darüber, mit welcher Lebenseinstellung sie diese Herausforderungen meistert und was ihre ganz persönliche Definition von Glück und Erfolg ist. On top gibt sie Tipps für alle, die beruflich oder hobbymäßig mit dem Töpfern starten möchten.

Copenhagen Style: Wir besuchen Ini Neumann in ihrem Keramikstudio. Das befindet sich im ersten Stock der Møbelwerft. Die Møbelwerft ist eine Tischlerei in Bahrenfeld, die ihr Freund Thorben Bringezu vor 17 Jahren gegründet hat.

femtastics: Du warst eine der ersten Frauen, die wir für femtastics vor fünf Jahren getroffen haben. Damals hast du schwerpunktmäßig illustriert und im Interview gesagt: “Wenn ich jetzt 23 wäre, würde ich auf jeden Fall Keramikdesign studieren”. Heute hast du ein eigenes Keramiklabel und bist Möbeldesignerin. Wie kam es zu dem Wandel?

Ini Neumann: Kurz nach unserem Interview damals habe ich in einer Töpferschule einen Kurs gemacht und angefangen zu drehen. Es hat mir super viel Spaß gemacht, mich glücklich gemacht und ganz neue Energien in mir freigesetzt. Ich bin dann jede freie Minute in die Møbelwerft, die Tischlerei meines Freundes, wo ich drehen konnte, gefahren. Meine Energie hat sich Richtung Keramik geshiftet. Mein Selbstbewusstsein war aber noch weit davon entfernt zu sagen: Ich verkaufe das, was ich produziere.

Durch die Fehler, die ich gemacht habe, habe ich das Töpfern letztlich gelernt.

Wie hast du dich dem Thema weiterhin genähert und Selbstvertrauen aufgebaut?

Ich habe noch mal einen Kurs gemacht und angefangen, ganz viele Youtube-Videos zu schauen und mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Ich habe gemerkt, wo meine Fehlerquellen liegen, habe Sachen besser gemacht und mit Töpfereien, Keramikzuliefer*innen und Glasurhersteller*innen telefoniert und beispielsweise gefragt, warum die Glasur nicht gelingt. Ganz oft hat es überhaupt nicht funktioniert und ich habe viel Schrott aus dem Ofen geholt. Durch die Fehler, die ich gemacht habe, habe ich das Töpfern letztlich gelernt.

Für mich war es immer wahnsinnig wichtig, nicht zu sehr auf die anderen zu hören.

Wie ist daraus dann euer Label „We Are Studio Studio“ entstanden?

Thorben ist gelernter Bootsbauer und seit 2004 selbstständig. Direkt nach der Lehre hat er seine Tischlerei Møbelwerft in Hamburg gegründet. Thorben hat gesagt, es wäre doch total cool, Keramik und Möbel miteinander zu kombinieren, weil er schon immer eigene Produkte und nicht nur Auftragsarbeiten machen wollte. Zunächst haben wir Möbel für unser Zuhause gebaut. Wir brauchten ein Sideboard und einen Esstisch. Das ging relativ schnell, weil Thorben durch 17 Jahre Tischlereierfahrung nicht mehr lange an einem Prototyp arbeiten muss – das findet alles schon vorher in seinem Kopf statt. Ich habe noch ein bisschen mit ihm am Design gedreht und dann haben wir die Produkte gebaut. Thorben hat im Flugzeug nach Portugal 2016 zu mir gesagt: „Komm, wir nennen uns irgendwas mit “Studio”, weil alle designrelevanten Labels ein „Studio“ im Namen haben.“ Wir haben aus Witz ein doppeltes Studio draus gemacht. Zum einen, weil wir zu zweit sind, und zum anderen, um das ein bisschen auf die Schippe zu nehmen.

 

Habt ihr beide euch ursprünglich auf beruflicher Ebene kennengelernt oder habt ihr erst gedatet?

Wir wurden erst ein Paar. Ich bin in einer Tischlerei groß geworden und hatte immer eine große Affinität zu Tischlern. Als ich ihn kennengelernt habe und er gesagt hat, dass er Tischler ist, war bei mir sofort “bling, bling, bling”. (lacht) Er fand es auch super, dass ich den künstlerischen Part mitbringe und eine totale Begeisterung für Interior habe. Schon beim zweiten Date haben wir über Möbel geredet und darüber, dass wir uns so gut ergänzen und etwas zusammen machen könnten.

femtastics-Co-Gründerin Katha besucht Ini in ihrem Studio.

Ini kooperiert gerade mit dem Hamburger Künstler Ralf Nietmann. „We Are Studio Studio x Ralf Nietmann: 2020“ ist eine limitierte Keramik-Kollektion, bestehend aus 20 Karaffen und 20 Schalen, die vom Künstler bemalt, signiert und nummeriert wurden.

 Welche Tipps hast du für andere, die auch gern mit dem Töpfern loslegen möchten?

Töpfern ist ein bisschen anders als andere Handwerksberufe. Du kannst deine eigene Art finden, die Sachen herzustellen – zum Beispiel wie du drehst oder welche Fingerfertigkeiten du dir angewöhnst. Es gibt natürlich bestimmte Regeln und Gesetze, ich glaube, es ist aber wirklich wichtig sich mit dem Material zu beschäftigen und zu üben. Für mich war es immer wahnsinnig wichtig, nicht zu sehr auf die anderen zu hören.

Traut euch einfach. Je mehr es gibt, die Keramik machen, desto besser ist es!

Ich würde raten sich eine Scheibe zu kaufen, vielleicht auch einen kleinen Ofen. Meine Scheibe und meinen Ofen habe ich bei Ebay Kleinanzeigen gefunden. Und dann: üben, üben, üben. Es gibt so viele tolle YouTube-Tutorials, so viele tolle Leute, die bei Instagram zeigen, wie man dreht. Da kann man sehr viel lernen! Traut euch einfach. Je mehr es gibt, die Keramik machen, desto besser ist es! Es macht wirklich glücklich und ist ein richtig schöner Beruf. Handgedrehte Keramik ist einfach schöner als industriell gefertigte Sachen.

Mir haben viele Leute damals gesagt: Töpfern ist total brotlos. Kennst du irgendeine reiche Töpferin?

Wann hattest du das Selbstvertrauen und hast gesagt: Ab jetzt verkaufe ich meine Keramik?

Hauptsächlich durch das Feedback der anderen, die mich bestärkt haben. Ich fand es immer noch nicht perfekt genug. Es ist ja nach wie vor so, dass ich meine eigenen Fehler sehe oder einen anderen Anspruch habe, weil ich mich weiterentwickeln möchte. Die Leute um mich herum fanden es aber schon sehr gut und wollten Keramik von mir haben. Ich habe dann angefangen im Freundeskreis Sachen für kleines Geld zu verkaufen und auch zu verschenken. Ziemlich früh hat außerdem der Store “Human Empire” angefragt.

Mir haben viele Leute damals gesagt: „Töpfern ist total brotlos. Kennst du irgendeine reiche Töpferin? Das gibt es nicht, das funktioniert nicht, damit verdient man kein Geld.“ Das sei ein Handwerk, was langsam aussterbe. Was wirklich so ist – gerade kommt es aber wieder, was total großartig ist.

 

Welche Hebel setzt ihr in Bewegung, um “We are Studio Studio” bekannt zu machen?

Ich habe eine tolle Pressemitarbeiterin, die von Anfang an dabei war. Eigentlich bräuchten wir eine richtige Strategie und man müsste sich mit Leuten zusammensetzen, die einen professionell unterstützen. Dafür fehlt aber gerade das Budget. Wir müssen einfach bekannter werden und mehr erklären, wie viel Liebe und Zeit hinter einem Produkt steckt und das transparent machen. Das Bewusstsein vieler Menschen verändert sich ja schon dahin, dass weniger und dafür bessere Qualität gekauft wird. In der Mode ist dieser Shift schon da.

Wir beide sind manchmal an dem Punkt, dass wir sagen: Jetzt haben wir ein Kind zusammen, wie wohnen zusammen, wir arbeiten zusammen – vielleicht sollten wir irgendwas weglassen?

Unter dem Label „We are Studio Studio“ entwerfen Ini und Thorben u.a. Kindermöbel und die Küche „KØKKEN“ – das Thema Nachhaltigkeit spielt dabei eine große Rolle. Die Möbel werden in der Møbelwerft mit hiesigen Hölzern von zertifizierten Zulieferern gebaut.

Es braucht super viel Kommunikation und Disziplin, wenn man als Paar zusammenarbeitet und man muss sich darüber im Klaren sein, dass der andere total anders funktioniert.

Mittlerweile hat Ini beim Drehen Unterstützung. Ein Keramikmeister und eine Meisterin aus dem Wendland und Mecklenburg Vorpommern liefern ihr die Rohlinge.

Das heißt, ihr struggelt auch manchmal? Das ist ja dieses Instagram-Phänomen: Nach außen sieht alles perfekt aus. Verliebtes Paar, süßes Kind, eigenes erfolgreiches Unternehmen, tolle Wohnung …

Wir haben tolle Momente und dann gibt es Monate, wo man sich fragt: Wieso bestellt keiner was? Warum ist es so ruhig? Es geht auf und ab. Gerade, wenn man ein kleines Kind zusammen hat. Wir beide sind manchmal an dem Punkt, dass wir sagen: Jetzt haben wir ein Kind zusammen, wie wohnen zusammen, wir arbeiten zusammen – vielleicht sollten wir irgendwas weglassen? Man könnte natürlich nur das Label weglassen. (lacht) Es braucht super viel Kommunikation und Disziplin, wenn man als Paar zusammenarbeitet und man muss sich darüber im Klaren sein, dass der andere total anders funktioniert, andere Ängste oder einen anderen Anspruch an seine Arbeit hat. Thorben und ich haben beide einen sehr hohen Anspruch an unsere Arbeit. Er denkt aber viel wirtschaftlicher, ich bin viel leidenschaftsgetriebener. Er hat eine Tischlerei mit 15 Mitarbeiter*innen und muss daher natürlich viel auf Zahlen gucken. Wenn ich Bock auf etwas habe, dann mache ich das einfach. Eigentlich bräuchten wir einen Coach, der neben uns steht, jeden auf seinen Platz rückt und moderiert.

Nach dem Studiobesuch machen wir einen Abstecher in Inis Wohnung.

Ihr habt zusammen einen dreijährigen Sohn. Wie teilt ihr euch die Betreuung in der Selbstständigkeit auf?

Gerade versuchen wir 50/50. Wir hatten lange ein 70/30-Modell. Thorben hat das Kind 30% genommen und dafür 70% der laufenden Kosten getragen, weil er dadurch ja mehr arbeiten konnte. Er möchte gerade aber lieber mehr Zeit mit Yuma verbringen und ich möchte gern mehr arbeiten. Gerade schaffe ich vieles einfach nicht, daher machen wir seit zwei Monaten 50/50 und haben noch zwei Babysitterinnen, die wir ab und an dazu buchen. Yuma ist bis 16 Uhr in der Kita und wird einmal die Woche von einer Babysitterin abgeholt. Am Wochenende nehmen wir ihn manchmal mit in die Werkstatt, wenn wir was machen müssen. Mit Kind zu arbeiten funktioniert aber einfach nicht und jedes Mal sind wir danach frustriert. (lacht)

Nehmt ihr euch  bewusst Auszeiten als Familie?

Ja, wir sind oft bei meinen Eltern am Schweriner See. Außerdem suchen wir gerade – seit drei Jahren – nach einem Häuschen im Grünen, wo wir am Wochenende hinfahren können. Alles Richtung Mecklenburgische Seenplatte oder Holsteinische Schweiz. Da geht es zum einen um die Auszeit im Grünen, aber auch darum, dass wir beide total Bock haben ein Haus komplett auf links zu drehen und umzubauen.

Ich glaube, dass der berufliche Erfolg dann da ist, wenn du glücklich bist mit dem, was du tust.

Du hast eben schon kurz das Thema Glück angesprochen. Wie wichtig ist dir beruflicher Erfolg und wie definierst du Glück für dich?

Für mich ist es ein Erfolg, wenn ich vollkommen selbstbestimmt etwas machen kann, das mich total erfüllt, mich glücklich macht und woran ich hundertprozentig glaube. Ich finde das einfach so geil! Ich glaube, wenn du etwas wirklich, wirklich liebst, kommt das Geld irgendwann von alleine. Du kannst nicht mit etwas Geld verdienen, was dich nicht glücklich macht und wo du nicht hinter stehst. Deshalb ist „We Are Studio Studio“ für mich ein totales Erfolgsprojekt, auch wenn ich davon noch nicht allein meine Miete zahlen kann oder reich bin. Das denken auch oft die Leute, dass wir uns die Taschen voll machen und die Produkte deshalb so teuer sind – was nicht stimmt. Alles wird in Hamburg mit Hamburger Mieten, Gehältern und mit nachhaltigen und lokalen Materialien produziert, so entstehen die Preise.

Oft entsteht aus einer großen Leidenschaft heraus ein großer Erfolg, weil man sich zu 100% in dieses eine Thema stürzt.

Hätte man mir vor zehn Jahren gesagt: Du wirst irgendwann ein Keramiklabel haben, hätte ich geantwortet: Das habe ich doch gar nicht gelernt – wieso sollte ich? Das machen andere viel besser! Aber manchmal hat man so eine Stimme in sich, die sagt: Mach das jetzt! Egal, was die anderen sagen!

Als ich damals Illustratorin werden wollte, haben alle gesagt: Weißt du, wie viele Illustrator*innen es schon gibt? Mach doch was Anständiges! Aber was ist denn etwas Anständiges? Es geht darum, dass ich liebe, was ich tue. Mir erschließt sich die andere Herangehensweise nicht. Natürlich habe ich total Bock, dass unser Label erfolgreich wird und ich hätte gern irgendwann Leute, die mit mir daran arbeiten oder würde gern einen Showroom eröffnen. Gerade denke ich mir: Wie soll das gehen? Aber wer weiß, vielleicht wird das irgendwann passieren. Ich mache mir nicht zu viele Gedanken und fokussiere mich auf meine Produkte. Der Rest wird kommen, in dem Tempo, in dem es richtig ist.

Inis Homeoffice: Neben „We Are Studio Studio“ arbeitet Ini weiterhin als freie Illustratorin und übernimmt Art Director- und Styling-Jobs.

Ich möchte nicht die ganze Zeit das Gefühl haben, dass ich nicht das Leben führe, das ich leben will. Dann reduziere ich mich lieber ein bisschen und schaue, wie es gehen kann.

Viele trauen sich nicht ihre Träume zu leben und lassen sich zu sehr von ihrem Umfeld beeinflussen. Woher nimmst du dieses Vertrauen in dich selbst?

Ich habe eine innere Euphorie und ein Bauchkribbeln, wenn ich eine Idee visualisiere. Ich stelle mir vor, wie das ist, wenn ich davon leben kann und in meinem eigenen Showroom stehe. Das macht mir so viel Spaß. Und natürlich sind da Ängste und es ist total okay diese zu haben und sich nicht blindlings irgendwo hineinzustürzen. Ich bin auch vorsichtig, aber es gibt für mich keine andere Option. Ich möchte nicht irgendwo sitzen mit Magenschmerzen und die ganze Zeit das Gefühl haben, dass ich gar nicht das Leben führe, das ich leben will – das finde ich viel schlimmer. Dann reduziere ich mich lieber ein bisschen und schaue, wie es funktionieren kann.

Natürlich habe ich auch oft Angst, ob das aufgeht. Gerade, wenn ich überlege: Bleiben Thorben und ich ewig zusammen? Bin ich irgendwann eine alleinerziehende Töpfermutter? Geht das? Ich glaube, du entwickelst dich erst weiter, wenn du es trotz dieser Angst machst. Und durch diese Entwicklung ist alles möglich. Guck dir „Studio Ahoj“ in Kopenhagen an. Es läuft total super. Sie haben Angestellte, sie produzieren selbst, es ist ein tolles Label. In Skandinavien und auch in Portugal gibt es sowieso viele Keramiker*innen, die Geld verdienen – das kann auch in Deutschland funktionieren.

Ich glaube, das ist der einzige richtige Weg, egal, was du werden möchtest – ob Keramikerin oder Hebamme. Anders machst du dich einfach nicht glücklich. Und das Leben wird sowieso immer wieder kommen und dich in diese Richtung stupsen und dir kleine Arschtritte verpassen.

Danke für dieses ehrliche Interview, liebe Ini.

Hier findet ihr „We Are Studio Studio“:

 

Layout: Kaja Paradiek

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