Anja Tripmaker hat ihre Liebe für „Do it Yourself“ privat und beruflich perfekt miteinander vereint: Bei der Arbeit entwickelt die Ingenieurin beim größten europäischen Flugzeughersteller Fasern für Flugzeuge, und zu Hause töpfert, strickt und näht sie sich ihre Welt, wie sie ihr gefällt. Wir besuchen die 27-Jährige in ihrem dreistöckigen Mietshaus in ihrer Heimatstadt Stade. Bei Erdbeeren und Butterkuchen sprechen wir mit ihr über ihre Arbeit, das Kleinstadtleben und ihre zwei nächsten To Do’s: Seife endlich selbst herstellen und den Doktor in der Luftfahrt machen.
Anja Tripmaker: Nach dem Abitur habe ich mit meiner besten Freundin eine neunmonatige Weltreise gemacht. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht wirklich, was ich beruflich machen möchte. Eigentlich wollte ich schon immer Modedesign studieren. Ich hatte mich auch vor der Reise in Berlin an der Modeschule Esmod beworben und wurde auch genommen. Als ich dann fünf Monate unterwegs und gerade in Australien war, hatte ich eine Mail im Postfach: Du musst jetzt die erste Rate überweisen, weil es bald losgeht. Das hat mich dann wachgerüttelt, denn eigentlich war ich mir in dem Moment gar nicht mehr sicher, ob ich wirklich Modedesign studieren will – dann habe ich bei der Esmod abgesagt.
Ja, das Interesse am Ingenieurwesen kam durch eine Facharbeit, die ich während der Schulzeit in Erdkunde geschrieben habe. Da ging es um Standortfaktoren in Stade, ich habe mich vor allem mit dem Forschungszentrum CFK-Valley (CFK = Carbon-Faser verstärkte Kunststoffe) beschäftigt, Interviews geführt und auch mit dem Netzwerk beschäftigt, was dort aufgebaut wurde. Bei einem Interview haben sie mir dann erzählt, dass sie extra dafür einen Studiengang einrichten wollen. Das fand ich sehr spannend und habe nach meiner Weltreise angefangen, dort zu studieren.
Ich finde, es ist gar kein riesengroßer Unterschied, weil du als Ingenieurin auch mit Textil und Materialien zu tun hast. Die ziehst du zwar nicht an, trotzdem gibt es einen kreativen Teil. Das wird nur viel zu wenig in der Öffentlichkeit herausgestellt.
Das Studium ist sehr technisch, man hat technische Mechanik, Mathe, Physik, Chemie und Grundlagen der Werkstoffkunde als Fächer.
Ja, aber das Gute an dem Studium war, dass die Ausbildung integriert wurde. Wir hatten also immer ein Praxissemester dazwischen, in dem wir dann auch wirklich mit dem Werkstoff gearbeitet haben und in der Produktion eingesetzt worden sind. Es gab auch Momente, in denen ich im Studium gedacht habe: Vielleicht hätte ich doch mal Modedesign studieren sollen – weil es wirklich anstrengend war. Aber im Nachhinein ist es gut so, weil ich mir jetzt das Hobby bewahrt habe.
Zum Beispiel im Seitenleitwerk und im Flügel beim Flugzeug. Es ist viel leichter als Aluminium. Und du kannst die Faser genau in die Richtung ausrichten, in der sie am stabilsten sein muss. Die neuen Langstreckenflugzeuge bestehen zu mehr als 50% aus CFK. Du richtest die Fasern nach den Belastungsrichtungen aus, dann wird das Gelege mit Kunststoff imprägniert und in einer Art Ofen ausgehärtet. Dafür gibt es große Maschinen.
Handwerklich mache ich sehr wenig. Ich bin Entwicklungsingenieurin und da geht es hauptsächlich darum, bei Problemen in der Produktion oder mit der Bauteilqualität, zu überlegen: Wie kann man das verbessern, was gibt es für Maßnahmen, wie kann man den Prozess gestalten und auch Kosten einsparen? Ich arbeite in internationalen Teams mit Spaniern und Franzosen zusammen – das macht total Spaß.
Ja, häufig sind das transnationale Projekte, an denen ich arbeite. Wenn man zum Beispiel ein neues Material entwickelt oder einen neuen Hilfsstoff qualifizieren möchte, dann sind alle Standorte davon betroffen. Man trifft sich also vor Ort und guckt sich Anwendungsbereiche in der Produktion an, weil jedes Land ja auch andere Bauteile herstellt.
Im Studiengang waren wir nur zwei Mädchen und 24 Jungs. In der Arbeitswelt sind es auch sehr wenige Frauen. Es werden jetzt immer mehr, weil das Unternehmen versucht, zunehmend junge Mädchen für die Ausbildung zu gewinnen. Generell habe ich aber fast nur Meetings, in denen ich mit Männern zusammensitze, da bin ich häufig die einzige Frau.
Es ist einfach kein typischer Frauenberuf. Als Frau wird man von der Gesellschaft oft noch in eine bestimmte Rolle gedrängt. Es gibt leider nach wie vor typische Frauen- und typische Männerberufe. Ich habe immer sehr viel mit meinem Papa handwerklich gearbeitet – diese strikte Trennung wurde bei uns nie so gelebt. Und ich kann mir schon vorstellen, dass es in einigen Familien immer noch anders ist.
Mir fällt es mittlerweile gar nicht mehr auf, aber wenn man darüber nachdenkt, ist es schon interessant. Ich höre auch öfters von Kollegen, dass ein Meeting anders verläuft, dass sie sachlicher diskutieren und es nicht so persönlich wird, wenn ich dabei sitze. Manche sagen sogar: Ich nehme dich jetzt immer mit (lacht) – das will man aber natürlich auch nicht.
Ich versuche nicht nur am Schreibtisch zu sitzen und etwa die Hälfte der Zeit mit den Mitarbeitern zu sprechen und in der Produktion unterwegs zu sein, um mir alles vor Ort anzugucken. Dort kann man viel lernen und sehen, welche einzelnen Prozessschritte durchgeführt werden müssen – auf Papier sieht das natürlich anders aus, als in der Realität. Häufig schaffe ich das aber nicht und sitze viel am Schreibtisch, schreibe Berichte oder bereite Präsentationen für das Management vor.
Ja, ich möchte im Bereich Leichtbau in der Luftfahrt promovieren. Hauptsächlich werde ich Projektarbeit machen, mein Forschungsthema wird sich dann aus den Projekten vor Ort ergeben. Ich bin schon gespannt!
Ja, ich bin früher schon immer mit meinem Vater zum Flugplatz gefahren und wir haben da dann ein paar Runden gedreht, also sind bei Piloten mitgeflogen, in kleinen einmotorigen Maschinen – ich finde Fliegen generell spannend.
Ich finde diese Größe eigentlich ganz gut. Ich bin ja auch öfters in Hamburg, weil meine Freunde da wohnen und weil ich dort auch parallel zum Job zweieinhalb Jahre meinen Master an einer Fachhochschule in Hamburg gemacht habe. Ich bin eigentlich immer ganz froh, wenn ich wieder Zuhause bin und es dann ein bisschen ruhiger und nicht so anstrengend ist. Und Hamburg ist ja auch ganz nah, innerhalb von einer Stunde ist man da.
Nähen, Stricken und Töpfern sind mein perfekter Ausgleich.
Ich glaube, das kommt von meiner Familie. Meine Tanten stricken alle, viele nähen, meine Mama hat auch viel selbstgemacht – damit bin ich groß geworden. Und ich finde es auch schön, wenn man etwas Eigenes in den Händen hält und anziehen kann.
Ich bin eher eine Autodidaktin. Ich habe mal einen Nähkurs an der Volkshochschule gemacht, meine Tanten kann ich natürlich auch fragen und bei Youtube gucke ich auch mal nach. Aber meistens erst, wenn es schiefgegangen ist.
Ja, auf jeden Fall. Nähen, Stricken und Töpfern sind mein perfekter Ausgleich. Ich bin morgens meistens kurz nach 7 Uhr bei der Arbeit und dann gegen 16 Uhr wieder zu Hause. Dann nutze ich den späten Nachmittag oft für meine DIY-Projekte oder koche abends immer mit meinem Freund. Also er kocht (lacht).
Ja, meint ihr? Ich möchte unbedingt mal Seife selber machen und Holzbearbeitung finde ich auch super interessant, da bräuchte ich aber noch ein bisschen mehr Platz.
Bei Pinterest und Instagram lasse ich mich gerne inspirieren. Meine liebsten Instagram-Accounts sind:
Meine liebsten Stoff- und Wollshops sind Handarbeiten Strube in Stade, Frau Tulpe in Altona, Kiseki auf dem Stoffmarkt Holland und Stoff und Stil in Halstenbek in Hamburg. Strick- und Schnittmuster finde ich vor allem bei Grainline Studio, Brooklyn Tweed und The Purl Bee.
Einen Etsy-Shop habe ich noch nicht. Tatsächlich schreckt mich die Gewerbeanmeldung ab und im Moment habe ich da leider keine Zeit für. Vorstellen kann ich mir das aber auf jeden Fall! Das wäre auch mein Plan B (lacht).
6 Kommentare
Ich liebe, liebe, liebe euren Blog. Ihr stellt so tolle Mädels vor, die wirkliche Vorbilder sind. Ich weiß aus Erfahrung, dass sehr männerlastige Berufe für Frauen oft nicht besonders reizvoll sind. Deshalb braucht es einfach Ricardas und Anjas, um das zu ändern. Ich habe selbst inmitten von Männern als eine von zwei Frauen meinen Master in Finance/Accounting gemacht (im Anschluss an ein Printvolo in einer frauendominierten Redaktion) und ich muss sagen: Das war meine beste Entscheidung!
Es ist großartig, was für tolle Frauen ihr hier mit an Bord holt! Das motiviert einen richtig, das zu tun worauf man Lust hat und sich nicht von gesellschaftlichen Erwartungen in eine bestimmte Schublade stecken zu lassen. Ich bin nämlich noch mittendrin im „Wo will ich eigentlich später mal hin?“-Gedankensprozess und freue mich jedes Mal über eure Interviews <3
Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen: ich liebe eure Interviews. Wann sonst hat man mal die Gelegenheit „hinter die Kulissen“ zu schauen und zu fragen, warum jemand den Beruf gewählt hat. Und jede Frau die ihr hier vorstellt, hat ihre ganz eigene spannende Geschichte. Bin schon auf die nächste Homestory gespannt <3
Franzi von https://www.beeminent.wordpress.com
Anja hat’s in Sachen Studienwahl genau richtig gemacht – sich Zeit lassen und aufs Bauchgefühl hören! Hat bei mir etwas länger gedauert: nach Studium und 2,5 Jahren in der PR bin ich nun in der Ausbildung zur Krankenpflegerin. Mal schauen, was danach beruflich noch so kommt, aber im Moment kann ich mir nichts besseres vorstellen
Toll und super sympathisch! 🙂