Skulpturale Formen und starke Farben – in ihrer Zweizimmerwohnung in einem denkmalgeschützten Haus im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg lebt Kerstin Diehl ihre Vorliebe für Eklektizismus aus und schafft damit nicht nur sich und Hündin Stella einen Happy Place, sondern liefert auf Instagram auch jede Menge Inspiration für Interior-Liebhaber*innen. Wir haben die 44-jährige PR-Beraterin in ihrem Zuhause besucht und mit ihr über Konsum(kritik), gute PR-Arbeit und Instagram-Show-Offs gesprochen.
Kerstin Diehl: Mein Bauchgefühl war der Plan. Ich habe mir gerade Fotos von meiner Studentenzeit im Wohnheim angeguckt und selbst damals hatte ich bunte Vorhänge mit Punkten und Decken mit Leoprint. Farben, Formen und Extravagantes fand ich schon immer toll.
Die Sputnik-Lampen aus dem Space Age waren als erstes da. Daraus haben sich die starken Grundfarben entwickelt. Bei der Farbe hatte ich einen Plan, alles Andere ist zusammengemixt. Die Palmenlampe von „HK Living“ passt vom Stil her nicht richtig zu dem Poppigen und Grafischen, aber ich mag diesen Bruch.
Ich liebe Palm Springs, Jonathan Adler und den ganzen California Style: die flachen Bungalows, die Farben und Formen. Ich liebe auch Berlin, aber vom Style ist die Stadt schon sehr weit weg von Palm Springs. Farbe hat mir hier sehr gefehlt, sodass ich das in meinen eigenen vier Wänden ausleben wollte. Ich bin in einem kleinen Dorf in Hessen aufgewachsen, da war Gelsenkirchener Barock Standard. Mit 19 Jahren war ich dann in den USA. Die Pop Art und die Künstler*innen dort haben meinen Stil beeinflusst. Heute würde man sagen, dass es ein eklektischer Stil ist.
Ich habe in dem Buch „Konsum – Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen“ von Carl Tillessen gelesen, dass Stil früher ein ganz hohes Gut und deshalb Eklektizismus ein Schimpfwort war. Heute gehört es aber dazu, aus einem Stil auszubrechen. In dem Sinne ist mein Stil eigentlich gar nichts Besonderes, weil heute alle leben, was früher nicht möglich war. Tillessen schreibt auch, dass wir unseren eigenen Lifestyle kuratieren und sortieren, was reinpasst. Man sucht Dinge zusammen, um sein eigenes Ding daraus zu machen.
In Hotels. Das habe ich gemerkt, als ich mich beruflich mehr mit Hotels beschäftigt habe, weil ich PR-seitig ein großes Hotelunternehmen als Kunden hatte. Aber ich reise auch gerne. Es gibt tolle Designhotels, die das nötige Kleingeld haben, um eine Welt zu schaffen, die du zuhause in dem Maße gar nicht kreieren kannst. Wie das „Parker“ in Palm Springs, das auch die Interior-Handschrift von Jonathan Adler trägt. Reisen inspirieren mich immer. Aber auch auf Instagram finde ich Inspiration. Als ich meine Wohnung eingerichtet habe, habe ich mir viele Homestorys angesehen. Aelfi, eine Designerin aus Brooklyn, die auch tolle bunte Teppiche macht, hat im New Yorker Magazin „The Cut“ ihr Loft gezeigt. Sie hatte diese Handchairs mit dem roten Nagellack, die mir so gut gefallen haben. Ich habe wie eine Irre online gesucht und bin dann irgendwann in Kleinanzeigen fündig geworden, weil eine Frau in Bochum ihr Nagelstudio aufgelöst hat. Da habe ich erst verstanden, dass diese Stühle tatsächlich aus einem Nagelstudio stammen. Ich habe mir ein Auto gemietet, bin nach Bochum gefahren und habe sie für 100 Euro abgeholt. So was macht mich total happy. Ich habe auch ein paar teurere Sachen, aber ich habe mir auch viel zusammengesucht und freue mich immer darüber, wenn ich Glück habe.
Ich mag Teile, die skulptural sind. Allerdings habe ich auch gelernt, dass diese Sachen nicht so bequem sind. Das Sofa von „Sofa Company“ sieht zum Beispiel toll aus und die Farbe ist super, aber es ist für mich persönlich keins, auf das ich mich kuscheln kann. Es ist mittlerweile eher ein vergrößertes Hundesofa für Stella. Jetzt hätte ich doch lieber eine gemütliche Sitzlandschaft. Ich war beim Kaufen sehr fixiert darauf, dass es gut aussieht.
Dieser Show-Off auf Instagram ist manchmal ätzend, denn dadurch wird Eitelkeit normalisiert. Für mich geht es auf Instagram eher um Inspiration. Jede*r kann das Beste für sich daraus ziehen, sollte sich aber nicht zu sehr mit anderen vergleichen.
Ich habe viel online, wie bei „Ebay Kleinanzeigen“, geguckt. Ich bin gar keine Flohmarktgängerin, obwohl das immer alle denken. Es gibt tolle internationale Vintage-Designer-Onlineshops, wie „Pamono“ oder Auktionshäuser. Aber letztlich war es einfach das World Wide Web, wo ich wie verrückt unter verschiedensten Suchbegriffen Dinge zusammengesucht habe. Wie die Lampen im Schlafzimmer. Es war schwierig, bunte Lampen mit Keramikfuß zu finden. Die habe ich über „Wayfair“ entdeckt. Jana Gutsche hat einen tollen Instagram-Account für Vintage-Sachen, der „Studio Objects“ heißt. Da habe ich die Buchstützen mit den zwei mexikanischen Herren gefunden. „Etsy“ ist ebenfalls immer eine gute Anlaufstelle.
Aber ich habe auch viel von meinen Reisen mitgebracht. Die Tagesdecke ist zum Beispiel aus Indien. Manchmal bin ich sogar zuhause bei meinen Eltern auf Schätze gestoßen. Offline habe ich außerdem bei „TK-Maxx“ schon gute Sachen erstöbert. Es kommt schließlich nicht darauf an, dass die Dinge teuer sind. Deutsche Möbelhäuser finde ich dagegen meist traurig. Es gibt wenig Individualität, wenig Extravaganz, wenig Farbe.
Wir leben in einer Zeit, in der wir uns – auch durch Corona – für das Internet präsentieren. Früher haben wir unsere Freund*innen nach Hause eingeladen, heute zeigen wir unsere Wohnungen über Instagram. Ich habe unglaublich viel Feedback von der Interior-Community bekommen. Allein durch die Wohnung habe ich Hunderte neue Follower*innen dazu gewonnen. Man möchte immer wieder etwas Neues zeigen, aber irgendwann ist die Wohnung auch auserzählt. Da kommt man in die Versuchung, daraus ein Fast-Interior-Ding zu machen. Aber für mich war es wichtig, in Dinge zu investieren, die Bestand haben und mir längerfristig Spaß machen. Das war eine riesige Herausforderung. Deshalb finde ich es bemerkenswert, wie viele Menschen sich auf Instagram in ihren Wohnungen zeigen, aber es immer wieder schaffen, einen neuen Look zu präsentieren. Damit habe ich gerade noch ein paar Schwierigkeiten, denn ich finde meine Wohnung gut so wie sie ist und will nicht mehr kaufen. Aber Instagram inspiriert mich immer. Auch wenn es nur Blumen sind, oder Ying-Yang-Kerzen.
Ich habe allerdings auch gemerkt, dass Instagram einen starken Druck auf Personen ausüben kann. Ich mache bei Instagram fleißig mit und mag das Medium sehr. Genauso wie viele negative Dinge im Internet passieren, bietet Instagram auch die Möglichkeit, für Randgruppen und Themen wie Body Positivity und LGBTQIA* Plätze zu finden und darüber eine Community aufzubauen. Hätte ich als 20-Jährige so einen Support im Bereich Body Positivity gehabt, wäre ich vielleicht schon eher im Badeanzug an den Strand gegangen. Da hat sich viel entwickelt – viel Inspiration, aber auch viel Support. Auf der anderen Seite ist da aber auch das Gefühl, dem nicht gerecht zu werden. Wir Frauen haben sowieso oft ein Problem damit, nicht genug zu sein und dann sieht man tolle Wohnungen, tolle Leute, tolle Einrichtung, tolle Klamotten und fragt sich, warum man selbst das nicht hat. Ich bin auch nicht ganz unschuldig daran. Man repräsentiert auf eine gewisse Weise einen Lifestyle, der surreal ist.
Ich merke das besonders, seitdem ich in Berlin bin. Kein Mensch kann mit einem normalen Gehalt dreimal am Tag essen gehen. Vieles auf Instagram ist kuratiert und inszeniert und auch ich habe in meiner Wohnung Ecken, die ich verstecke, um ein schönes Foto zu machen. Dieser Show-Off auf Instagram ist manchmal ätzend, denn dadurch wird Eitelkeit normalisiert. Für mich geht es auf Instagram eher um Inspiration. Jede*r kann das Beste für sich daraus ziehen, sollte sich aber nicht zu sehr mit anderen vergleichen. Wir stellen immer nur Facetten dar, die Realität ist so viel komplizierter.
Ich habe, bevor ich hier eingezogen bin, in einem möblierten kleinen Zimmer in Mitte gewohnt und hatte meine Klamotten im Storage. Ich habe über ein Jahr nichts vermisst. Das war die glücklichste Zeit für mich, weil ich so frei war.
Eigentlich nein. Wenn ich einmal eine Variante für mich entdeckt habe, dann bleibt die Deko erstmal so. Dabei erwische ich mich schon bei dem Gedanken, ich müsste ja mal wieder ein Foto #interiorinspo für Instagram machen. Ich habe aber keine Lust, dass das Dekorieren und Umstellen zum Zwang wird. Ich will mich nicht von Instagram zwingen lassen, Content zu erschaffen. Wenn ich mir irgendwas Cooles kaufe, stelle ich etwas um. Aber das muss aus dem Bauch kommen. Privat habe ich keine Lust, zu viel zu planen. Das hier soll mein Happy Place sein.
Wenn man meine Wohnung sieht, würde man das nicht denken, aber ich habe Schwierigkeiten darin, Ordnung zu halten. Das ist der Grund dafür, dass ich immer besser im Ausmisten werde. Ich bin ein großer Fan von Minimalismus. In meiner Wohnung steht auch gar nicht so viel, wenn man genau hinguckt. Ich habe versucht, es so clean wie möglich zu halten – auch wenn ich gerade selbst darüber lachen muss, „clean“ und meine Wohnung in einem Satz zu verwenden. Ich hasse putzen. Und je mehr du rumstehen hast, desto schwieriger wird das. Deshalb sortiere ich oft aus. Ausmisten ist eine der schönsten Sachen. Es ist wie Loslassen. Ich habe, bevor ich hier eingezogen bin, in einem möblierten kleinen Zimmer in Mitte gewohnt und hatte meine Klamotten im Storage. Ich habe über ein Jahr nichts vermisst. Das war die glücklichste Zeit für mich, weil ich so frei war. Was Besitz betrifft, finde ich es befreiend, nicht viel zu haben.
Privat fällt es mir leider sehr schwer, zu sparen. Ich bin ein absoluter Konsum-Freak und liebe es, zu shoppen, mich einfach mit schönen Dingen zu umgeben. Das ist aber auch unsere Generation. Wir haben Konsum zu einer Kunstform gemacht, denn wir kuratieren unser Leben durch Konsum. Deshalb ist es interessant, sich davon zu distanzieren und zu fragen: Wie kann ich mich selbst darstellen, ohne Geld auszugeben? Ich liebe diesen großen Wandspiegel von Ettore Sottsass, der gerade oft auf Instagram zu sehen ist. Aber ich würde mir den niemals für den Preis von knapp 8.000 Euro kaufen. Ich habe eher lange nach Dingen gesucht, die ich haben wollte. Wie die Kissen in Pillenform von Jonathan Adler.
Es ist das Zusammenspiel aller Teile. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, dann meine Nagelstudio-Stühle! Und der Hocker von „Moustache“. Der macht unglaublich viel her. Wenn es aber wirklich brennen würde, würde ich nichts mitnehmen – außer Stella natürlich. Das sind alles Sachen, die man ersetzen kann. Ich umgebe mich gerne mit schönen Dingen, aber es sind trotzdem nur Dinge.
Wir haben Konsum zu einer Kunstform gemacht, denn wir kuratieren unser Leben durch Konsum. Deshalb ist es interessant, sich davon zu distanzieren und zu fragen: Wie kann ich mich selbst darstellen, ohne Geld auszugeben?
Es hat sich auch gerade in meinem Beruf unglaublich viel verändert – auch durch Corona. Die Highlights in meinen Beruf waren ja, Leute zu treffen, Events zu machen … das ist alles weggefallen. Was ich aber sehr an meinem Beruf schätze: Man lernt immer wieder Neues kennen. Ich habe lange im Beauty-Bereich gearbeitet, für Automarken, Luxus-Fashion-Labels, Schokolade und aktuell sogar Vermögensberatung. Ich arbeite allerdings auch in einem Konzern, der es möglich macht, viele Themen kennenzulernen und der per se sehr modern und dem Zeitgeist zugewandt ist. Auch nach Corona sollen drei Tage Homeoffice pro Woche weitergeführt werden und wir haben eine super technische Ausstattung, sodass man von überall aus arbeiten kann. Ich habe während des Lockdowns monatelang bei meinen Eltern gearbeitet. Es gibt Vertrauen in die Mitarbeiter*innen. Bei vielen kleineren Agenturen habe ich das Gegenteil gehört.
Ich schätze aber auch banale Sachen, die einem in der eigenen Blase gar nicht mehr auffallen. Jede*r kann so sein wie er oder sie ist. Ich habe noch nie Probleme damit gehabt, dass ich tätowiert bin. Im Gegenteil wird man als bunter Vogel ob der Kreativität und des Trendgespürs sehr geschätzt. Das ist die Freiheit, seine Persönlichkeit mit dem Beruf weiterentwickeln zu können. Was den Job auch besonders macht, ist, dass man Dinge erlebt, die für viele außergewöhnlich sind und dir die Möglichkeiten geben, die Welt zu sehen.
Mein Job hat sich auf jeden Fall gewandelt. Je höher du aufsteigst, desto weniger bist du noch im Operativen. Es geht dann mehr um das größere Ganze. Das widerspricht zwar dem Herzen einer Kreativen, aber ist total wichtig. Neben Inhaltlichem und Kundenbetreuung geht es dann um Themen wie Personal, Personalentwicklung etc. – eines der ganz großen Themen der Kommunikationsbranche: die Suche nach Talenten.
Ich bin ein großer Fan von New Work. Wir müssen hinterfragen, wie wir heutzutage Arbeit definieren. Durch die Digitalisierung und Globalisierung liegt das auf der Hand. Das sind Einschnitte, die stärker sind als die Industrialisierung im letzten Jahrhundert. Unsere Arbeitswelt wird sich weiter verändern. Corona hat jetzt schon das Remote-Working möglich gemacht. Leben und Arbeit müssen nicht nur ausbalanciert, sondern wirklich miteinander verbunden werden. Heute geht es – zumindest in meiner Blase – nicht mehr ausschließlich um die Karriere, sondern darum, etwas zu machen, das dir etwas bedeutet. Agenturen und Arbeitgeber*innen müssen sich jetzt überlegen, was sie den Leuten bieten können. Das Geld muss natürlich trotzdem stimmen, aber gerade junge Leute wollen zu etwas Größerem dazugehören.
Auf der anderen Seite ist es auch eine Illusion, dass jede*r nur das macht, wozu er oder sie sich berufen fühlt. Gerade die essentiellen Berufe, wie Lebensmittelhandel, Müllabfuhr, Krankenpflege, müssen mehr respektiert und entsprechend gut bezahlt werden. Denn das haben uns Homeoffice und Corona auch aufgezeigt: darüber nachzudenken, wie essentiell der Job ist, den ich mache. Daher bin ich sicher, dass sich vor allem im Corporate-Bereich und bei Agenturen noch einiges verändern wird.
Ich bin ein großer Fan von New Work. Wir müssen hinterfragen, wie wir heutzutage Arbeit definieren.
PR ist ein Prozess und kein Produkt. Das vergessen viele immer wieder. Gerade die klassische PR braucht mehrere Wochen und Monate bis sich erste Erfolge einstellen. Viele meiner Freundinnen sind auch in der PR-Branche und gerade die Freelancerinnen berichten, dass viele Kund*innen nicht bezahlen wollen, weil sie nach drei Monaten noch nicht die Ergebnisse sehen. PR ist eine Dienstleistung. Was den Beruf manchmal ein bisschen schwierig macht, ist, dass vieles dann doch nicht in unserer Macht liegt. Du kannst ein gutes Netzwerk haben, gute Kontakte, guten Content, gute Ideen, aber letztlich bist du darauf angewiesen, dass eine Redakteur*in oder ein Medium berichtet. Dazu finde ich es oft schade, dass wir oftmals nicht an den kreativen Konzepten und der Beratung gemessen werden, sondern an den reinen Presse-Clippings.
Wer mit PR erfolgreich sein will, der braucht eine ehrliche Strategie. Nachhaltigkeit ist ein großes Thema, egal mit welcher Brand man zu tun hat. Wir leben in einem Zeitalter, in dem genau hingeguckt wird – insbesondere in Deutschland. Authentizität und Transparenz sind wichtig. Wenn man früher unter dem Motto „fake it till you make it“ gefahren ist, würde ich heute jeder Marke raten, ehrlich zu sein. Man kann nicht mehr um den heißen Brei herumreden. Du musst authentisch und transparent sein, dann findest du deine Message. Und wenn du die nicht hast, wirst du auf lange Sicht keinen Erfolg haben. Aber wenn du ein Produkt hast, hast du auch etwas zu erzählen. Es ist der Job der PR, das herauszuarbeiten und für die verschiedenen Zielgruppen aufzubereiten. Gute Beratung macht gute PR aus. Eine gute PR-Agentur ist wie die beste Freundin, die dir die Wahrheit sagt, auch wenn’s mal weht tut.
Layout: Kaja Paradiek