Es ist die Gretchenfrage, die sich so manch eine Kleinfamilie irgendwann stellt: Wollen wir lieber in der Stadt oder auf dem Land mitten in der Natur leben? Die Hamburger Interior Designerin Vivian Graé hat sich beides erfüllt. Sie verbringt ihre Zeit mit ihrem Partner und dem gemeinsamen Sohn Charlie in einer Hamburger Stadtwohnung ebenso wie in einem Space der besonderen Art im niedersächsischen Radbruch. Möglich ist das durch ihre und die Arbeit ihres Partners Jan Cray, der hier für sein Handwerksunternehmen eine Holzrahmenbau-Werkhalle gebaut hat. Hier werkeln die beiden, genießen das Landleben und haben eine kleine Einliegerwohnung, die komplett mit Holz verkleidet ist und durch bunte Farbakzente sofort begeistert. Über die Vorzüge dieses Lebens sowie Vivians Rolle bei dem spannenden Projekt “Villa Viva” von “Viva con Agua” sprechen wir im Interview.
Wir können hier alles machen, was uns in unserer Hamburger Altbauwohnung verwehrt bleibt: laut sein, kochen und essen an einer großen Tafel, werkeln.
Vivian Graé: Auszubrechen und Momente in der Natur zu genießen, hat mir schon immer viel bedeutet. Als mein Partner Jan mit der Planung seiner neuen Produktionshalle im Hamburger Umland begann, war für uns deshalb sofort klar: Hier soll auch ein Space für uns entstehen. Ein Ort, an dem wir mit unserem gemeinsamen Sohn Charlie die Vorzüge des Landlebens und die Möglichkeiten der eigenen Werkstatt ausleben können.
Jan ist Möbeldesigner mit einem eigenen Handwerksunternehmen. Hier versuchen wir besonders an den Wochenenden, Familienleben, sowie ausgiebige Kochabende mit Freund*innen und Kreativität zu vereinen. Wir können hier alles machen, was uns in unserer Hamburger Altbauwohnung verwehrt bleibt: laut sein, kochen und essen an einer großen Tafel, werkeln. Hier ist unser Wohlfühlort!
Wir entscheiden nach Workload, Lust und Laune, an welchem Ort wir uns gerade niederlassen.
Durch unsere Selbstständigkeit lieben wir es, spontan und flexibel zu sein. Wir haben keine festen Tage in Hamburg oder Radbruch. Wir entscheiden nach Workload, Lust und Laune, an welchem Ort wir uns gerade niederlassen.
Ein großer Vorteil von unserem Apartment in Radbruch ist, dass wir uns mit Charlie aufteilen können. So ist auch unter der Woche Vater-Kind-Zeit möglich und ich kann meinen Arbeiten als Interior Designerin nachgehen.
Wir sind es gewohnt, mit wenig Platz auszukommen und minimalistisch zu leben.
Gleichzeitig liebe ich das pulsierende Stadtleben Hamburgs mit all den Möglichkeiten und Angeboten als frischgebackene Mama sehr. Hier treffe ich Freund*innen, lasse mich treiben und schöpfe Inspiration.
Diese Vorzüge spiegeln auch unsere Wohnmöglichkeiten wider. Wir sind es gewohnt, mit wenig Platz auszukommen und minimalistisch zu leben. Nach unseren eigenen Anforderungen und Ideen haben wir Stauraumlösungen geplant und umgesetzt – egal ob im selbst ausgebauten Sprinter, in unserer 2,5 Zimmer-Wohnung in Hamburg-Altona oder unserem gemütlichen Einraumapartment. Alles hat seinen festen Platz!
Stadtflucht zum Wochenende beschreibt unsere Familiensituation vielleicht ganz gut.
Gerade ist es für uns als junge Familie so wie es ist genau richtig. Auch wenn es Tage gibt, an denen wir gefühlt aus dem Koffer leben und das Packen (gerade jetzt mit Kind) herausfordernd sein kann. Stadtflucht zum Wochenende beschreibt unsere Familiensituation vielleicht ganz gut. Wir werden wohl alt. (lacht)
Seit ich denken kann, ist Kunst mein Ausdrucksmittel. Mein eigentlicher Wunsch war immer eine eigene Malschule oder die Kunsttherapie. Nachdem mir allerdings ein Berufsberater davon abriet, weil Kunsttherapie in Deutschland keine Kassenleistung ist, musste schnell ein Plan B her. So kam ich nach einem Praktikum zum Studium der Innenarchitektur. Heute bin ich sehr froh darüber!
Es muss nicht alles „neu“ sein, wenn es darum geht, Räume auszustatten.
Tatsächlich mein Abschlussprojekt. Im Rahmen dessen habe ich ein Ausstellungskonzept für die griechische Insel Sifnos entworfen. Für diese Ausstellung reiste ich mehrere Male auf die Insel, wählte jedes Exponat händisch aus, teils sogar aus Familienbesitz der Inselbewohner*innen. Nie wieder konnte ich mich mit so viel Hingabe und tollen Begegnungen einem Projekt widmen. Es sind Freundschaften fürs Leben entstanden.
Mein Ausstellungsdesign hat damals sogar einen Preis gewonnen, der dazu führte, dass ich das Projekt in 1:1 umsetzen konnte. So kam ich nach Hamburg, machte mich selbstständig und es entwickelte sich ein Netzwerk aus unterschiedlichen Kreativbereichen von Grafik, über Setdesign, Fotografie und Handwerk, von dem ich noch heute profitiere.
Ich halte mich nicht an irgendwelche Trends, versuche im Konzept zeitlos zu denken und eine ruhige Basis auszuarbeiten.
Ich halte mich nicht an irgendwelche Trends, versuche im Konzept zeitlos zu denken und eine ruhige Basis auszuarbeiten, sodass die Kund*innen sich bestenfalls viele Jahre daran erfreuen können. Es muss nicht alles „neu“ sein, wenn es darum geht, Räume auszustatten. Oftmals sind es die gebrauchten Möbel und Objekte mit Geschichte, die aufgearbeitet eine Einzigartigkeit hervorbringen. Jan und ich lieben es, auf unseren Reisen Flohmärkte und Auktionen abzuklappern, um Designerstücke wie Leuchten, Vasen und Co. zu Schnäppchenpreisen zu ergattern. Und wenn es neu sein muss, dann bitte aus nachhaltigen Rohstoffen, zertifiziert und in Deutschland produziert.
Genauso halte ich es beim Thema Kleidung. Ein fair produziertes Teil mal neu, kombiniert mit Second Hand. Das ist meine Form der Nachhaltigkeit. Auch als Jan und ich über das Interior und Exterior seiner neuen Holzrahmenbau-Werkhalle sprachen, war ein nachhaltiger Ansatz stets wichtig. So haben wir heute zum Beispiel ein nahezu autarkes Energiekonzept mit einer Photovoltaik-Anlage, energiesparende Bodenplatten und Wärme durch die thermische Verwertung von Holzabfällen aus unserer eigenen Produktion.
Eine natürliche Basis aus erdigen Tönen und haptischen Naturmaterialien, kombiniert mit farbigen Akzenten und einzigartigen Objekten, also Objekthaftigkeit – teils durch Gebrauchtmöbel, die restauriert und gekonnt inszeniert werden.
Im Oktober 2021 wurde bereits die erste “Villa Viva” in Kapstadt nach zehnmonatiger Umbauphase eröffnet. Hierbei handelt es sich um ein Guesthouse mit 39 Zimmern. Seit dem Juli 2021 rollen nun auch die Bagger in Hamburg. In zentraler Lage zwischen Hauptbahnhof und Deichtorhallen entsteht das neue Social Business von “Viva con Agua”: “Villa Viva” ist ein Haus, das Brunnen baut. Ein Gasthaus mit 12,5 Stockwerken und rund 300 Übernachtungsbetten. Es wird eine Vielzahl künstlerisch gestalteter Art Rooms geben, eine Camping Etage, einen Zauberkiosk, Konferenz- und Galerieräume, die Roof Drop Bar, das Restaurant “Viva Cantina” und viele weitere Extras.
Erdacht und umgesetzt von “Viva con Agua” und “Heimathafen® Hotels” und finanziert von sozialen Investor*innen unterstützt das Social Business Wasserprojekte weltweit. Der aktuelle Stand ist, dass alle drei Wochen ein neues Stockwerk gebaut wird – aktuell sind wir im viertel Stockwerk angekommen und schauen dem Haus fleißig beim Wachsen zu.
Die letzten Entscheidungen zum Thema Interior Design und Sanitärplanung sind bereits getroffen, sodass ich mich nach meiner Elternzeit gezielt den individuellen Gestaltungen der 23 Art Rooms widmen werde. Unter der Berücksichtigung von Genres und Internationalität bemalen Künstler*innen die Wandflächen der Gasthaus-Zimmer und Kunstnischen in den öffentlichen Bereichen der “Villa Viva”. Meine Rolle ist das Kuratieren der Räume und gleichzeitig bin ich Bindeglied zwischen den Künstler*innen und Architekt*innen. Eines kann ich verraten: Es wird bunt!
Layout: Kaja Paradiek
3 Kommentare
Das sieht total schön aus, sehr inspirierend und total sympathisch!
Allerdings finde ich, dass dieses Lebensmodell überhaupt nichts mit der Frage zu tun hat, wo man leben will. Wenn man sich für das Leben auf dem Land entscheidet, entscheidet man sich dafür, immer auf ein Auto angewiesen zu sein, die Kinder überall hinzufahren, sich nicht spontan nur für 1 Stunde mit Freund*innen verabreden zu können, sondern alles immer gut planen zu müssen. Man entscheidet sich dafür, möglicherweise einen sehr anderen Menschenschlag in der Nachbarschaft zu haben. Die Entscheidung von der Stadt aufs Land zu ziehen ist die Entscheidung, die bisherige Kultur zu wechseln. Wer das Landleben deswegen möchte, weil er sich (gelegentlich) mehr Ruhe und Natur wünscht oder weil er/sie in den eigenen Vier Wänden mehr Lärm machen will, ohne dass die Nachbarn klopfen – für den ist das Modell, um das es hier geht, wirklich mehr als perfekt! Beneidenswert!
Aber diese kleinen Familie hat sich ja nicht fürs Landleben entschieden, sondern sie haben sich für eine gelegentliche Stadtflucht entschieden, daran liegt in meinen Augen ein sehr großer Unterschied.
Wir sind mit der Familie vor einigen Jahren aufs Land gezogen, haben da ein großes altes Haus gehabt. Nach 15 Monaten sind wir zurück in die Stadt, das Landleben hatte für uns persönlich nur Nachteile. Das ist natürlich total subjektiv und individuell. Wir fühlen uns in der Stadt wieder sehr wohl, hätten aber auch total gerne eine kleine Landflucht, wie die Familie hier im Beispiel. Das ist aber leider gerade für uns finanziell nicht machbar, da wir als Patchwork Familie ziemlich viele Personen sind, und es auf dem Land nicht mal eben ein bezahlbares Häuschen mit Raum für viele Betten gibt. Daher machen wir jedes zweite Wochenende eine Landpartie, oft mit Übernachtung, das geht auch gut. Aber unser Traum bleibt, dass wir auch ein Domizil hätten, dass wir jedes zweite Wochenende (vielleicht Wechsel mit Freunden?) nutzen könnten… *Seufz*
Woher sind denn die zwei nebeneinander gehängten Pinnwände beim Esstisch? 🙂
Was für ein schönes Lebensmodell! Ich liebe das Holz in den Räumen und die Gestaltung mit Vintagemöbeln und Second-Hand Designobjekten. Wirkt sehr einladend und warm 🙂