Wie landet eine Hamburgerin in Norwegen? Love is the answer! Vor sechs Jahren kommt Jana Bergmann (32) mit ihrem heutigen Mann Henrik zusammen. Er arbeitet bei der norwegischen Marine, sie im Retail Management einer großen Modemarke in der Hansestadt. Sie starten ihr Familienleben mit ihren Töchtern Vilma (4) und Alva (6) in Hamburg und entscheiden sich vor drei Jahren nach Norwegen zu ziehen. Als Jana in Norwegen nicht den richtigen Job findet, entschließt sie sich kurzerhand im Sommer 2018 zusammen mit Carolina Harkort das Teppich-Label „Lilla Studios“ und den dazugehörigen Onlineshop zu gründen. Zunächst importieren sie Vintage-Teppiche aus Marokko, seit eineinhalb Jahren lassen sie zusätzlich ihre eigene Kinder-Teppichkollektion herstellen, nachhaltig und fair in Indien produziert. femtastics-Co-Gründerin Katha macht mit ihrem Segelboot vor Janas 200 Quadratmeter großem Haus in Bergen Halt und spricht mit der Wahl-Norwegerin über Herausforderungen beim Gründen, (Konkurrenz-)Druck durch Social-Media, ihre Leidenschaft fürs Stricken, Lieblingsspots in Bergen und das norwegische „Friluftsliv“. Dass nicht immer alles perfekt ist, was perfekt scheint, wird auf den zweiten Blick deutlich: Jana erzählt offen von ihrer ersten Schwangerschaft und wie das ungeplante Mutter Werden mit 26 ihr Leben auf den Kopf gestellt hat – damit möchte sie anderen Frauen Mut machen, die sich gerade in einer ähnlichen Situation befinden wie sie damals.
Jana Bergmann: Ja, es ist spontan aus der Situation heraus entstanden, dass ich in Norwegen keinen Job gefunden habe. Henrik und ich hatten angenommen, dass es für mich in Norwegen einfacher sein würde einen Job zu finden als für ihn in Hamburg, auch wenn ich kein Norwegisch spreche. Dann sind wir vor drei Jahren zunächst nach Oslo gezogen und leider war es immer so, dass die Kandidat*innen, die Norwegisch sprachen, bevorzugt wurden. Ich hatte zu Beginn der Selbstständigkeit null Ahnung von gar nichts. (lacht) Ich habe es einfach ausprobiert. Ich hatte schon immer mehr Interesse an Interior als an der Mode. Die Idee Teppiche zu importieren und daraus ein Business zu machen, ist in einem Gespräch mit meiner heutigen Geschäftspartnerin Carolina entstanden. Wir kannten uns über ihren Mann, waren also eher Bekannte, was mittlerweile natürlich anders ist. Wir hatten ähnliche Interessen, aber unterschiedliche berufliche Backgrounds und wir hatten gute Kontakte nach Marokko. Dann haben wir einfach losgelegt!
Carolina ist Fotografin und kommt aus der Kreativbranche, ich komme aus dem Retail Management, dem Handelsbereich. Ich kümmere mich um die betriebswirtschaftliche Seite des Unternehmens, Carolina kümmert sich um den kreativen Part. Wir ergänzen uns super und bremsen gegenseitig unsere negativen Eigenschaften – das ist ein riesengroßer Vorteil.
Es darf im Gründerteam nichts geben, über das man sich immer ärgert und es nicht ansprechen kann.
Es ist toll, dass wir über alles sprechen können. Wir sind beide relativ offen und es gibt nichts Ungesagtes. Es ist auf jeden Fall hilfreich, dass wir beide Kinder haben – Carolina hat auch zwei Kinder – und in einer ähnlichen Lebenssituation sind. Wir haben jeweils Verständnis füreinander und halten uns gegenseitig den Rücken frei. Offenheit ist sehr wichtig. Es darf im Gründerteam nichts geben, über das man sich immer ärgert und es nicht ansprechen kann.
Ich fand es ehrlich gesagt nicht so eine große Herausforderung. Das liegt aber vielleicht auch an meinem Lebensmodell. Wenn Henrik bei der Marine längere Zeit am Stück weg war, dann war ich auf mich alleine gestellt – das ist heute auch noch so. Aber er hat auch längere Zeiten, in denen er zu Hause ist und er die Kinder übernehmen kann, sodass ich ziemlich flexibel bin. Es ist planungsintensiv, aber nicht unmöglich. So habe ich beispielsweise die Möglichkeit, in regelmäßigen Abständen zu Carolina nach Hamburg zu fliegen und mich auch vor Ort um mein Business zu kümmern.
In Deutschland ist es die größte wirtschaftliche Gefahr Mutter zu werden, das ist in Norwegen nicht so.
Viel besser! Man geht erst vier Wochen vor der Geburt in den Mutterschutz, nicht sechs Wochen, man bekommt aber die gesamte Elternzeit 100% seines Gehaltes. In Deutschland ist es die größte wirtschaftliche Gefahr Mutter zu werden, das ist in Norwegen nicht so. Und es ist vollkommen selbstverständlich, dass Väter auch Elternzeit nehmen. Grundsätzlich ist die Aufteilung zwischen Müttern und Vätern ziemlich 50/50. Alle Frauen und Männer, die ich hier kenne, sind voll berufsfähig und man teilt sich die Care Arbeit 50/50. Im Kindergarten sieht man genauso viele Mütter wie Väter. Arbeitgeber sind hier auch anders, was den Alltag mit Kindern angeht. Die festangestellten Norweger*innen arbeiten hier von 8 bis circa 15:30 Uhr und holen um 16 Uhr ihre Kinder ab. Jedes Kind geht hier bis 16 Uhr in die Kita. Dann hat man den Nachmittag mit seinen Kindern und abends arbeiten viele noch weiter. Das ist super gut gelöst.
Leider noch nicht, das Gehalt war vor Corona okay, jetzt ist es eher schwierig. Wir haben beide das Glück, dass uns unsere Partner unterstützen – das ist generell unabdinglich, dass der Partner einen unterstützt, wenn man gründet.
Vor Corona sind wir oft selbst nach Marokko geflogen und haben direkt bei den Weberinnen eingekauft. Jetzt läuft leider alles digital und wir haben einen Zwischenhändler – das ist natürlich nicht das gleiche Erlebnis. Wir wussten schon vor Corona, dass der Schwachpunkt unseres Unternehmens ist, dass wir nicht auf einem großen Lager sitzen. Das war aber gleichzeitig unser Vorteil. Wir sind nicht fremdfinanziert und haben alles Step by Step selbst aufgezogen. Der Ansatz des “Slow Growth” hat gut geklappt, bis sich die Welt durch Corona verändert hat.
Für uns war klar, dass, wenn wir etwas eigenes designen, dass es transparent sein und Nachhaltigkeit mit sich bringen muss.
Zur eigenen Kollektion ist es erst nach der Gründung gekommen, da so viele Leute Interesse an Teppichen fürs Kinderzimmer hatten. Es gibt auf dem Markt zwar schon waschbare Kinderteppiche, aber keine die nachhaltig und transparent produziert werden. Für uns war klar, dass, wenn wir etwas Eigenes designen, es transparent sein und Nachhaltigkeit mit sich bringen muss. Dann sind wir auf die Organisation “Good Weave” gestoßen, mit der wir jetzt eng zusammenarbeiten. “Good Weave” ist vor Ort und weiß genau, wo die Teppiche wann und wo hergestellt werden. Voraussetzung an die Manufakturen ist, dass sie keine Kinderarbeit und Zwangsarbeit unterstützen und dokumentierte Arbeitsrichtlinien, zum Beispiel eine gerechte Bezahlung, haben. “Good Weave” bietet außerdem Bildungsprojekte vor Ort an. Sie leisten Aufklärungsarbeit für Familien, warum Kinderarbeit nicht sinnvoll ist, weder sozial noch wirtschaftlich betrachtet. Das finde ich genauso wichtig wie die Tatsache an sich, dass Kinderarbeit nicht stattfinden darf.
Wir wollen, dass unsere Teppiche einen Kinderzimmer-Stil haben. Ich weiß, dass es super modern ist in Beige, Schwarz und quasi ohne Farben einzurichten, aber ich persönlich finde es nicht kindgerecht und weiß auch, dass meine Kinder es nicht schön finden – und es ist ja deren Zimmer. Kinder mögen es bunt, farbig und fröhlich.
Es hat mich sehr geprägt, da meine Eltern nicht unterschiedlicher sein könnten und nicht aus unterschiedlicheren Familien kommen könnten. Mein Vater kommt aus einer Unternehmerfamilie und in der Familie meiner Mutter gibt es eigentlich nur Künstler*innen. Das sind große Gegensätze, die aber auch mich als Person beschreiben und mich natürlich geprägt haben. Das ist auch gerade mein Job bei “Lilla Studios”: Die unternehmerische Seite macht mir Spaß, aber noch mehr Spaß macht es, den kreativen Prozess zu begleiten. Die musikalischen Gene habe ich leider nicht geerbt. (lacht)
Konkurrenz setzt mich nicht unter Druck. Je mehr tolle Teppich-Labels es gibt, desto mehr werden Leute Teppiche cool finden.
Ich würde nicht sagen, dass Konkurrenz mich unter Druck setzt. Im Gegenteil: Je mehr tolle Teppich-Labels es gibt, desto mehr werden Leute Teppiche cool finden. Daher empfinde ich das eher als positiv. Was einen vielleicht unter Druck setzt, ist die Social-Media-Welt. Jeder teilt das Viereck seines perfekten Unternehmer- oder privaten Daseins – das entspricht natürlich nicht der Realität. Auch bei uns ist es nicht immer so aufgeräumt wie heute, natürlich ist hier oft super viel Chaos (lacht). Es ist ja auch ein Trend auf Instagram seine (unternehmerischen) Erfolge zu teilen, aber das ist eben nur die eine Seite der Medaille.
Dass es nicht immer bei uns aussieht wie auf den Bilder, thematisieren wir auf jeden Fall in unseren Posts – dass die Homeoffice-Zeit mit den Kindern eine Herausforderung ist oder wir in der Corona-Zeit Lieferschwierigkeiten und Produktionsprobleme mit unseren Teppichen hatten. Indien ist eines der Länder, das am meisten in der Krise steckte. Für uns war es wahnsinnig frustrierend, dass wir der großen Nachfrage der Kunden nicht nachkommen konnten.
Ich war 26 – das ist biologisch eigentlich nicht jung, aber keine meiner Freundinnen hatte damals Kinder.
Ich hatte eine sehr andere Geschichte Mutter zu werden als viele andere. Ich war 26 – das ist biologisch eigentlich nicht jung, aber keine meiner Freundinnen hatte damals Kinder. In meinem Umfeld war es fast wie: „Ein Kind bekommt ein Kind“. Das ist auch das, was mir die Gesellschaft in dem Moment kommuniziert hat. Es gab eine komplette Schockstarre um mich herum. Das ist vielleicht ein Stadtding und wäre nicht passiert, wenn ich irgendwo in Deutschland auf dem Land gelebt hätte. Mitten in Hamburg und erfolgreich im Berufsleben stehend, war es in meinem Alter damals eher ungewöhnlich, schwanger zu werden.
Und um ganz ehrlich zu sein: Ich hatte damals einen anderen Partner, bin von ihm ungeplant schwanger geworden und er fühlte sich nicht bereit für ein Kind und ist gegangen. Das war ziemlich heavy und unerwartet. Ich habe mich damals viel mit dem Thema, ob ich Mutter werden möchte, auseinandergesetzt. Aber alles andere hat sich falsch angefühlt, weil ich eben gut verdient habe und gut ausgebildet war. Ich hatte Glück, dass ich in dieser Schwangerschaft viel Kontakt mit Henrik hatte, den ich schon viele Jahre vorher auf meiner Abireise kennengelernt hatte und er hat gesagt: „Ich nehme auch zwei Mädchen auf einmal.“ Und dann haben wir beschlossen: Es ist unsere Familie und wir ziehen dieses Kind gemeinsam groß. Unsere erste Tochter ist genauso wie unser zweites Kind auch seine Tochter, es gibt nur einen genetischen Unterschied.
Heute bin ich 32 und würde sagen: “Fuck the world! Es ist ja wohl vollkommen okay, dass ich dieses Kind alleine kriege.“ – aber damals konnte ich den Druck von außen nicht abblocken. Ich habe nicht über den Dingen gestanden. Heute wäre das eine vollkommen andere Situation. Auf der anderen Seite hat genau das, was damals passiert ist, mich stark gemacht. Dann ist mein Baby gekommen und dann war sowieso alles toll. Wir sind keine perfekte Familie und natürlich ist das ein Thema, was uns begleitet und mich geprägt hat. Das ist nichts, was ich mal eben in die Kamera bei Instagram erzähle, es gehört aber zu unserer Geschichte dazu.
Es ist nicht die einfachste Aufgabe Kinder groß zu ziehen, aber es ist die schönste Aufgabe, die ich je hatte.
Es gibt ja auch immer mehr Instagram-Profile, die über pädagogisch korrekte Kindererziehung sprechen. Klar möchte jede*r das Beste für sein Kind, aber wir sind eben nicht perfekt. Es ist unfassbar hart Kinder großzuziehen. Es ist nicht so, als hätte man eine Person vor sich sitzen, die verständnisvoll und nachvollziehbar ist, sondern man hat eine bipolare Gang von Piraten vor sich sitzen, die man irgendwie handeln muss. (lacht) Es ist nicht die einfachste Aufgabe Kinder groß zu ziehen, aber es ist die schönste Aufgabe, die ich je hatte.
Ich habe durchaus schon mal darüber nachgedacht es nebenbei zu machen, aber nicht in Verbindung mit “Lilla Studios”, da steht Interior im Fokus. Es ist tatsächlich das Thema, wozu ich die meisten Fragen auf meinem privaten Instagram-Account bekomme. Viele wollen mit Stricken anfangen. Für mich ist es super entspannend und wie ein Yoga-Retreat. Die meist gestellte Frage ist: Wie kann ich Stricken lernen?
Auf YouTube! Zu jedem Strickkniff gibt es dort ein Video. Außerdem habe ich eine Schwiegermama, die ganz toll stricken kann – die Norweger*innen stricken hier alle. Das, was ich mache, ist nichts Besonderes im Gegensatz zu Deutschland, wo es ja doch noch ungewöhnlich ist. In Norwegen gibt es die schönsten Strickgeschäfte. Es gibt viele Däninnen, die tolle Strick-Businesses haben und Strickanleitungen verkaufen. Empfehlen kann ich zum Beispiel Petite Knit.
Das Outdoortleben, auch „Friluftsliv“ genannt, haben die Norweger*innen perfektioniert.
Mein Lieblingsstrickgeschäft heißt “Stricke Lykke”, übersetzt Strickglück. Dann sollte man auf jeden Fall zu Fuß den Berg “Fløyen” hochlaufen und auf gar keinen Fall mit der Seilbahn hochfahren. Ganz unten geht man durch charmante Gassen zwischen Holzhäusern und, wenn man oben angekommen ist, hat man einen tollen Blick auf die Stadt und das Meer. Oben auf dem Berg gibt es einen Waldspielplatz mit Holzkletterelementen oder man kann Hütten mieten und dort schlafen und am nächsten Tag wieder runterlaufen. “Bryggen”, die bunte Holzhäuserfassade am Wasser ist zwar sehr touristisch, aber auch sehr charmant. In den Hinterhöfen befinden sich süße Cafés und kleine Geschäfte – es erinnert ein bisschen an Hamburg. Außerdem kann ich das arabische Restaurant “Allmuen” empfehlen. Ich finde an Bergen besonders toll, dass es so viel Natur drumherum gibt. Es ist keine typische Städtereise – da ist man relativ schnell mit durch.
Das Outdoor-Leben, auch „Friluftsliv“ genannt, haben die Norweger*innen perfektioniert. Sie packen ihren Rucksack und haben super viele praktische Sachen, die ich vorher nie besessen habe, dabei. (lacht) Am Wochenende können wir beispielsweise Ski fahren. Wenn hier kein Schnee liegt, dann setzen wir uns eine Stunde ins Auto und sind im Schnee – die Kinder sind so klein und können jetzt schon Ski fahren. Ich dachte auch lange, Langlaufski sei etwas für alte Leute – auch damit lag ich total falsch. Es ist unfassbar anstrengend. Die Menschen sind hier alle unglaublich fit und haben Spaß an dem Outdoor-Leben. Ich habe mittlerweile auch sehr viel Spaß daran und es ist toll die Kinder so aufwachsen zu sehen.