Wenn Nina Boschke-Kutter früher mit ihrer Mutter und ihren Tanten über koreanische Märkte geschlendert ist, kam sie um den freudigen Ausruf „Banzak! Banzak!“ – der auf Deutsch so viel wie „Glitzer“ oder „Funkeln“ bedeutet – nicht herum. „Immer wenn wir etwas Schönes gesehen haben, fiel dieses Wort“, erinnert sich Nina. Kein Wunder, dass die Halbkoreanerin ihren Onlineshop so getauft hat. Denn dort gibt es seit Januar 2018 lauter schöne Accessoires, Papeterie, Kosmetik und Kinderprodukte aus Korea. Ihren Sinn für Ästhetik und Besonderes lebt die 40-Jährige außerdem in ihrer lichtdurchfluteten Wohnung über den Dächern Hamburgs aus. Dort haben wir sie zum Interview getroffen und mit ihr über koreanisches Design sowie die logistischen und kulturellen Herausforderungen eines europäisch-asiatischen Start-ups gesprochen.
Nina Boschke-Kutter: Solange ich denken kann, wollte ich selbstständig arbeiten. Mir hat nur die Idee gefehlt. Ich komme aus dem klassischen Konzernbereich und habe bei Nivea Beiersdorf im Internationalen Marketing gearbeitet. Als ich mit meinem zweiten Kind schwanger war, habe ich jedoch gemerkt, dass ich nicht dorthin zurück möchte. Die ganze Konzernwelt, Hierarchie und Karriere – das hat nicht mehr zu mir gepasst. Ich glaube, ich musste erst einmal Mutter werden, um zu merken, dass das nicht mehr meins ist und ich dem entwachsen war. Im März 2017 habe ich angefangen, an „Banzak“ zu basteln. Im Januar dieses Jahres bin ich live gegangen – ich hätte nie gedacht, dass es so lange dauert.
Total. Das war ganz komisch: Zeitgleich zu meinem Entschluss nicht wieder an meinen alten Arbeitsplatz zurück zu gehen, kamen zwei Cousinen aus Korea über Weihnachten zu Besuch. Da habe ich zwei Nächte hintereinander davon geträumt, dass ich einen koreanischen Laden habe, der „Banzak“ heißt. Das war ganz untypisch. Ich kann mich nur erinnern, dass ich mal als Kind in Serie geträumt habe. Außerdem ist meine Mutter vor drei Jahren gestorben und ich glaube, das spielte auch noch eine Rolle. Mit dem Shop wollte ich die Verbindung zu meinen Wurzeln bewahren.
Ja. (lacht) Das hat mich nicht mehr losgelassen. Als nächstes habe ich darüber mit meinem Mann gesprochen und irgendwann stand der Entschluss: Ich versuche das! Allerdings war ich erst einmal ausgebremst, weil ich ja meinen Sohn bekam. Aber als er vier, fünf Monate alt war, habe ich weiter auf der Idee für einen koreanischen Shop herumgedacht, bin nach Korea gefahren und habe gecheckt, welche Produkte ich verkaufen könnte.
Dann habe ich eine Fokusgruppe aus Freunden gebildet, ganz viele Mädels eingeladen und denen gezeigt, was ich mir im Sortiment vorstellen könnte. Meine koreanischen Mitbringsel waren bei ihnen schon zu Grundschulzeiten begehrt: Jedes Mal, wenn ich bei meiner Familie in Korea war und dann etwas mitgebracht habe – Klamotten oder Papeterie – wurde ich gefragt, woher das sei.
Dachte ich auch – ist aber gar nicht so. Mir hat geholfen zu wissen, wie man eine Marke aufbaut, eine Idee entwickelt, eine Vision umsetzt. Mit E-Commerce hatte ich vorher aber nie zu tun. Einkauf von Produkten, Import, Einfuhr-Umsatz-Geschichten, Zölle, wie ich einkaufe, wie ich verhandle – da kamen ganz neue Themen auf mich zu und ich musste mich erst mal schlaumachen.
Solange ich denken kann, wollte ich selbstständig arbeiten.
Das Thema Zoll war ein großer Baustein. Ich habe da so oft angerufen, Fragen gestellt, bin zum Zollamt gegangen, habe im Internet recherchiert und versucht alles zu lernen. Dann habe ich Testeinkäufe getätigt und von Lieferanten, die ich mir ausgesucht hatte, einfach ein paar Produkte bestellt. Bei diesen zwei, drei Testläufen habe ich viel gelernt und kannte dann den Prozess. Ich hatte vorab ganz viel Hokuspokus betrieben, aber im Endeffekt ist der Prozess recht simpel.
Zum einen durch meine Besuche vor Ort. Dann treibe ich mich in Seoul in meinen liebsten Vierteln herum und schaue, was mir gefallen könnte. Aber eigentlich gehe ich shoppen. (lacht) Zum anderen durch Internet- und Social-Media-Recherche. Ich bin auch mehrmals von der koreanischen Außenhandelskammer auf Messen eingeladen worden. Dort habe ich mehrere größere Lieferanten kennengelernt.
Seit der Idee zum Online-Concept-Shop war ich dreimal da. Wenn es richtig gut läuft, würde ich gerne zweimal im Jahr hinfahren. Aber es ist besser, wenn man öfter vor Ort ist. Ich nehme bei jedem Besuch viele kleinere Sachen für den Shop in meinem Koffer mit. Wenn ich nach Korea reise, freue ich mich auch immer sehr aufs Essen! Es gibt Suzebi, eine Suppe mit einer Einlage aus Mehl, die esse ich total gerne. Und einmal muss ich Bulgogi essen, ein Fleischgericht der koreanischen Küche.
Man muss auf jeden Fall nach Insa-dong. Das ist mein Lieblingsviertel, auch wenn eingeschworene Soul-Experten sagen, es wäre schon zu touristisch. In der Gegend um den Gyeongbokgung Palace hat man immer noch die Möglichkeit, alte Häuser und altes Handwerk zu sehen: von Kalligrafie, die dort gefertigt wird, bis zur Keramik, modernen Galerien und verwinkelten kleinen Gassen, mit süßen Teeläden. Dort gibt es auch mit das beste Essen. Die Gegenden rund um die Frauenuniversität Ewha in Idae und die Hongik Universität lohnen sich auch. Da sieht man die ganzen Kosmetiktrends, Modetrends, Cafés und das Nachtleben. Und man sollte unbedingt zum Dongdaemun Markt. Das ist wie eine Marktstadt mit verschiedenen Kaufhäusern.
Ich komme recht weit mit Englisch und den Anfang kann ich auch auf Koreanisch machen. Aber meist ist meine Cousine dabei oder eine koreanische Freundin. Wenn ich auf den Messen bin, bekomme ich einen Dolmetscher gestellt.
Über Kakao-Talk, das ist das koreanische WhatsApp. Ich habe am Anfang ganz viele Mails geschrieben und mich gewundert, warum niemand zurückschreibt. Bis ich die Ladeninhaber über Kakao-Talk kontaktiert habe.
Total! Meine Taschenlieferanten haben zum Beispiel einen Stand in einem Großmarkt. Sie posten Stories auf Kakao-Talk über ihre Produkte und ich kann ihnen direkt schreiben: Du, ich möchte die pinke Tasche mit einem anderen Gurt. Dann schicke ich ihnen eine Commercial Invoice, also eine Rechnung, die alle Kriterien für den Zoll erfüllt. Das reicht, weil es ein Free-Trade-Agreement zwischen Deutschland und Korea gibt.
Meine Lieferanten kenne ich zu neunzig Prozent persönlich. Mir ist wichtig, dass es nett ist und passt.
Ich muss die meisten ein bisschen an die Hand nehmen und schulen, vor allem was die Verschiffung angeht. Normalerweise bekommen koreanische Händler alles in bar, ich zahle aber mit einem Banktransfer. Am Anfang sind sie meistens etwas nervös und müssen mir Vertrauen schenken. Da kommt eine Käuferin aus Deutschland – das finden die sowieso alles total abstrakt. Meine Lieferanten sind aber so geschäftstüchtig, dass sie nicht vor mir zurückschrecken. Die meisten sind offen und neugierig und wollen es probieren.
Einmal hat es nicht so richtig geklickt. Dann habe ich das einfach gelassen. Das ist der Luxus daran, dass ich jetzt selbstständig bin. Meine Lieferanten kenne ich zu neunzig Prozent persönlich. Mir ist wichtig, dass es nett ist und passt.
Als ich noch im Konzern war, hätte ich mich das alles nie getraut. Ich glaube diese Gelassenheit ist durch die Kinder gekommen.
Koreaner haben einen komplett eigenen Stil und eine eigene Ästhetik. Insbesondere beim Grafikdesign. Außerdem sind sie große Innovatoren. Meine Cousinen und Cousins hatten immer Handys, die unseren zwei Generationen voraus waren. Als ich nach dem Abi zum Studieren dort war, wurde überall schon bargeldlos bezahlt – was die Technik angeht, ist Korea das totale das Silikon Valley. Wenn ich in Korea auf Messen oder in den Läden bin, sehe ich überall die verrücktesten Produkte. Gleichzeitig sind die Produkte aber auch sehr gut, weil die Qualitäts- und Sicherheitsstandards hoch sind. Es gibt tausende Registrierungen, die vorab laufen müssen. Egal ob Lebensmittel, Kleidung oder Kosmetik: alles wird bis zum Exzess durchgetestet. Ich habe heute noch Stifte aus meiner Grundschulzeit, die meine Kinder wieder benutzen.
Zum Beispiel das kitschig-niedliche Design! Davon darf man sich aber nicht und die Irre führen lassen, denn die Formeln und die Technologie dahinter sind extrem hochwertig. In meinem alten Job vor zehn Jahren habe ich die Trendagenturen auch immer nach Korea geschickt. Von dort kommen wirklich viele Kosmetiktrends. BB-Creams kamen zum Beispiel aus Korea und die Sheet-Masks gibt es jetzt auch in Deutschland. K-Beauty ist auch in aller Munde.
Socken (lacht). Mein erster Freund hatte damals von meiner Mutter Socken aus Korea bekommen und er behauptet felsenfest, dass er die heute noch trägt. Aber eigentlich liebe ich alle Produkte, weil sie handverlesen sind. Ich wähle nur Produkte aus, die ich auch meinen besten Freundinnen schenken würde. Und ich mag die Kinderpyjamas. In der Kosmetik sind es die Vlies-Masken. Ich habe eine ganze Schublade voll.
Was in Korea auf den Markt kommt, gibt es ein, zwei Jahre später bei uns – oder eben gar nicht. Vor allem wenn man an Mode interessiert ist, ist Korea auf jeden Fall eine Reise wert. Im Bereich Kosmetik finde ich super spannend, was es da gerade an pigmentierten Produkten gibt: tinting Lip-Cream zum Beispiel. In Korea ist der No-Makeup-Look, also ein Porzellan-Teint, total erstrebenswert. Da ist in erster Linie die Pflege wichtig. Zum Beispiel muss die Haut besonders gut durchfeuchtet sein, damit sie von sich aus gut aussieht. Das ist ein Schönheitsideal, bei dem Natürlichkeit eine große Rolle spielt.
Mein Lager befindet sich in meinen Keller, der zu meiner Wohnung gehört. Das ist bisher noch recht improvisiert und vollgestopft mit Ware. Ich packe auch selber. Dann heißt es abends, wenn die Kinder schlafen: Ich gehe mal kurz in den Keller. Aber irgendwann muss ich mir was anderes überlegen. Für das Daily-Business teile mir ganz in der Nähe meiner Wohnung ein Büro mit zwei anderen Mädels. Da bin ich sooft ich kann – und es ist ganz gut, wenn man mal raus kann. Außerdem hilft es sehr, wenn man sich gegenseitig pusht. Das ist sehr schön, vor allem für jemanden wie mich, der jobbedingt in seinem eigenen Saft schmort. Dann bin ich immer gleich in einem Arbeitsmodus. Aber inzwischen funktioniert das Arbeiten auch ganz gut zuhause, weil meine Arbeitsschritte klarer sind.
Ja, aber anders als früher. Als ich noch im Konzern war, hätte ich mich das alles nie getraut. Ich glaube, diese Gelassenheit ist durch die Kinder gekommen. Ich habe auch oft gedacht: Will überhaupt jemand meine Produkte haben? Am nächsten Tag ging’s dann aber weiter.
Die Vorteile überwiegen ehrlich gesagt. Zwar hatte ich früher einen geregelteren Arbeitsalltag, gleichzeitig aber auch viel mehr externe, vorgegebene Deadlines. Das Schöne ist jetzt: Wenn’s eng wird oder ein Kind krank ist, kann ich die von mir gestellten To-dos einfach verschieben. Die Welt geht deshalb nicht unter. Außerdem ist bei mir alles viel langsamer geworden. Das ist definitiv ein Vorteil. Und die Arbeitszeit abends fühlt sich nicht so nach Strafe an, weil ich das total gerne mache. Es ist einfach eine andere Sinnstiftung, die dahinter steht.
Ich habe oft gedacht: Will überhaupt jemand meine Produkte haben? Am nächsten Tag ging’s dann aber weiter.
Das war vor sieben Jahren ein riesiger Zufall! Der Vater eines Freundes hat das hier ausfindig gemacht und aufgebaut. Er wohnt auch immer noch in seinem kleinen Häuschen hinten im Garten. Dadurch haben wir die Wohnung ohne Markler bekommen.
Nein, wir hatten eine kleine Maisonettwohnung nicht weit von hier. Ich war auch gar nicht schwanger und es war eigentlich nicht geplant, umzuziehen oder Kinder zu kriegen. Die Wohnung ist uns einfach ohne Zutun in den Schoß gefallen.
Früher über Zeitschriften. Heute durch Social Media und ganz besonders Pinterest. Ich finde ich es schön, bestimmte Leute täglich digital über die Schultern zu schauen.
Das Koreanischste an der Wohnung ist, dass man bei uns eigentlich vom Boden essen könnte.
Das Koreanischste an der Wohnung ist, dass man bei uns eigentlich vom Boden essen könnte. Jeder weiß, dass man bei uns an der Tür die Schuhe ausziehen muss. Das ruiniert natürlich so manches Outfit. (lacht)
Wir haben viele erdige-, mineralische Töne. Beige und Grau. An der Wohnung ist mir aber am wichtigsten, dass sie gemütlich ist. Ich bin auch gar nicht so trendafffin oder bewandert, was Designer und Einrichtungsstile angeht. Die meisten Möbel die wir haben, haben wir seit zehn, zwölf Jahren.
Wir sind total gerne Gastgeber. Wir haben gerne viele Leute da. Ein bisschen ist das durchs zweite Kind eingebrochen, weil wir gemerkt haben, dass abends die Energie nicht mehr da ist. Und wir sind auch mal ganz froh, wenn wir zu zweit reden können.
Fotos: Sarah Buth
Interview: Antonia Michael
Layout: Carolina Moscato
2 Kommentare
Femtastics gefällt mir echt gut. Die Porträts sind interessant.